Dr. Jekyll & Sister Hyde

 
  • Deutscher Titel: Dr. Jekyll & Sister Hyde
  • Original-Titel: Dr. Jekyll & Sister Hyde
  •  
  • Regie: Roy Ward Baker
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1971
  • Darsteller:

    Ralph Bates (Dr. Henry Jekyll), Martine Beswick (Hyde), Gerald Sim (John Robertson), Lewis Fiander (Howard Spencer), Susan Brodrick (Susan Spencer), Dorothy Alison (Mrs. Spencer), Ivor Dean (William Burke), Tony Calvin (William Hare), Phillip Madoc (Byker), Paul Whitsun-Jones (Sgt. Danvers)


Vorwort

Hammer und die 70er. Über dieses erfreuliche Thema habe ich mich ja schon mehrfach ausgelassen. Aber was mache ich lieber als mich umformuliert zu wiederholen? Wir hatten ja etabliert, dass Hammer dafür, primär als Horror-Studio bekannt zu sein, ein erzkonservativer Schuppen war, dessen Chefetage im Allgemeinen der Ansicht anhing, dass das, was 1959 funktionierte, 1971 ja nicht schlechter sein konnte, ungeachtet der Tatsache, dass die Welt sich weitergedreht, ihre Naivität eingebüßt hatte – es herrschten nunmehr Zeiten, in denen der reale Schrecken der Welt zur besten Sendezeit per Nachrichten in die Wohnstuben gespült wurde, da hatte sich Hammers Ausstattungshorror weitgehend überholt. Irgendwann wurde das auch den Großkopferten bei Hammer klar, und man begann vorsichtig zu experimentieren. Die erste Maßnahme war die stärkere Fokussierung auf Sex – die Mieder waren jetzt nicht zur bis zum Bersten gefüllt, sie durften jetzt auch „platzen“ (zumal Sex, und auch da dürften wir uns einig sein, die billigste Methode ist, um sich stilistisch, eh, weiterzuentwickeln. Schließlich ist nichts preiswerter als „keine Kostüme“). Die Karnstein-Trilogie ist das beste Beispiel dafür, wie Hammer seine bewährten Stoffe mit nackter Haut aufzupeppen versuchte. Eine weitere Maßnahme war, dass Hammer Brian Clemens involvierte – Clemens hatte immerhin mit MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE die britische Fernsehunterhaltung einigermaßen revolutioniert, und sollte dies nun auch für Hammer bewerkstelligen. Sein erster Auftrag – eine Neuausrichtung der bekannten, beliebten und fünftausendmal verfilmten Jekyll & Hyde-Geschichte…


Inhalt

Wie versichert man sich als Filmemacher idealerweise meiner vöööölligen Unvoreingenommenheit? Richtig, man fängt mit dem Ende an und definiert sein Werk als Flashback-Movie. Herzlichen Dank. Wir befinden uns in Whitechapel, es ist schon einigermaßen sehr spät, und die Damen des ältesten und horizontalsten Gewerbes der Welt machen langsam Feierabend. Obwohl, wie uns ein Plakat der Polizei mit Bitte um Mithilfe verdeutlicht, der „Whitechapel Murderer“ umgeht (den wohl noch keiner Jack the Ripper getauft hat), ist die spezielle Dame, der die Kamera folgt, recht unvorsichtig, da alleine unterwegs, und schnell macht sie ungewollte Bekanntschaft mit einigen eher ungewaschenen Typen. Ein formvollendeter Gentleman rettet die Frau aus ihrer Bedrängnis, aber ihre Freude währt nur so lange, bis er ihr die Kehle aufschlitzt. Splotz.

Die Leiche wird, da die Polizei ob der Mordserie auf der Hut ist, schnell bemerkt, der Mörder muss die Hammelbeine also flink in die Hand nehmen. Ein blinder Leierkastenmann beweist, dass „blind“ nicht „taub“ und „blöd“ bedeutet, und scheucht die verfolgenden Bobbys in die richtige Richtung.

Der Killer erreicht Haus und Hof und verbarrikadiert sich oberflächlich, ehe er sich an seinen Schreibtisch setzt und in Erwartung eines garstigen Schicksals sein „Testament“ aufsetzt. Und das wird dann wohl unser Film proper sein…

Blenden wir also einige Monate zurück. Professor John Robertson (Gerald Sim, EIN MANN JAGT SICH SELBST, DIE RÜCKKEHR DES DR. PHIBES, NO SEX, PLEASE, WE’RE BRITISH), medizinische Konifere sondershausen, will einen Bekannten in Whitechapel besuchen, macht aber erst einmal die aus seiner Sicht, denn der alte Professor ist ein Weiberheld, wie er im Buche steht, die Bekanntschaft dessen neuer Nachbarn – Susan Spencer (Susan Brodrick, COMTESSE DES GRAUENS, NICHOLAS NICKLEBY), ein reizender junger Käfer, sofern man das unter den mehreren Kubikmetern Stoff, die man als anständiges Frauenzimmer im viktorianischen Zeitalter mit sich herumträgt, abschätzen kann, zuvorderst, aber auch ihren Bruder Howard (Lewis Fiander, DIE RÜCKKEHR DES DR. PHIBES, TÖDLICHE BEFEHLE AUS DEM ALL), der Robertson exakt so verbindlich begegnet, dass es unter Briten nicht mehr als „grob unhöflich“ durchgeht. Nun ja, Robertson hat ja auch nichts mit den Spencers zu schaffen, sein Freund ist der junge und hoch talentierte Jungmedizinmann Henry Jekyll (Ralph Bates, hakt nach Frankenstein in FRANKENSTEINS SCHRECKEN seinen zweiten Horror-Archetypen ab, POLDARK, WIE SCHMECKT DAS BLUT VON DRACULA?). Jekyll ist sehr erfreut, seinen väterlichen Mentorenfreund zu sehen, denn er braucht dringend jemandem, dem er seine aktuellen Forschungsergebnisse vor den Latz ballern kann – sofern Robertson seinen Blick mal von der jungen Nachbarin abwenden kann…

Woran Jekyll arbeitet, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Universal-Antivirus (MacAffee? Kapersky? Norton?), der jede Krankheit heilt, die sich ein angepisster Herrgott auch nur einfallen lassen kann. Prima Idee, bekundet Robertson, aber wie weit sind wir denn? Nun… naja… momentan steht Jekyll „kurz“ davor, EINE Krankheit mit seinem Virus heilen zu können, und dafür hat er gut zwei Jahre gebraucht. Robertson kann – augenscheinlich im Gegensatz zu Jekyll – Dreisatzrechnen und hat daher relativ schnell eine grobe Hochrechnung durchgeführt, wann Jekyll mit seinem Heilmittel das gewünschte Ziel erreicht hat, mithin „nicht zu seinen Lebzeiten“, und teilt dieses Resultat dem verdutzten Jungspund auch so direkt mit. Der Logik kann sich Jekyll ärgerlicherweise nicht verschließen. Kaum hat Robertson Jekylls Labor-Praxis verlassen, denkt der junge Arzt und noch nicht Dämon ernstlich über einen notwendigen Richtungswechsel seiner Forschungsarbeit nach.

D.h. dass Jekyll sich schnell noch tiefer als sonst schon in seiner Arbeit vergräbt, und das treibt Susan Spencer, die sich ob der wenigen Sekunden, die sie den Doktor zwischen Tür und Angel erblickt hat, natürlich Hals über Kopf in den „attraktiven“ (nuja) Gentleman verkuckt hat, die Sorgenfältchen auf die hübsche Stirn. Howard Spencer hält die Schwärmerei seiner Schwester für Narretei höchster Vollendung, ihre Mutter (Dorothy Alison, DER LANGE WEG NACH ALICE SPRINGS, EIN SCHREI IN DER DUNKELHEIT) ist hingegen von Jekyll durchaus angetan.

Das würde sich ändern, wüsste sie, womit Jekyll sich neuerdings beschäftigt. Für sein neues Leib- und Magenprojekt braucht er menschliche Bestandteile, und aus zahllosen in dieser Ära spielenden Filmen wissen wir ja, dass die Möglichkeiten für Forscher, speziell, wenn sie eher, ähm, freiberuflich und nicht universitär gefördert tätig sind, relativ begrenzt sind. Auch Jekyll wendet sich an den Betreiber der örtlichen Leichenhalle, einen gewissen Byker (Philip Madoc, UNFALL IM WELTRAUM, HELLBOATS – GRÜSSE AUS DER HÖLLE, AGENT OHNE NAMEN). Byker hat nichts dagegen, ein paar Shilling hinzuzuverdienen (was mich, so wie Jekyll im weiteren Filmverlauf seinen Zaster aus dem Fenster wirft, schon darüber nachdenken lässt, woher er die Penunze überhaupt hat. Der Film deutet wortlos an, dass Jekyll eine Praxis betreibt, aber in der ist er schlechterdings nie tätig), auch wenn Jekyll schon bemerkenswerte Sonderwünsche hat: seine Leichen müssen weiblich, bevorzugt unter 20 Jahre, und, abgesehen halt von der bedauerlichen Tatsache, dass sie tot sind, einigermaßen gesund gewesen sein. Und, naja, so viel braucht er ja von den Weibern nicht, nur die Drüsen, die für die Hormonerzeugung notwendig sind. Wenn er die entnommen hat, kann Byker die Kadaver glatt noch mal an die Uni oder wer auch immer sie braucht weiterverkaufen.

Nun sterben nicht so viele ansonsten eigentlich gesunde junge Frauen wie man es vielleicht gern möchte (hüstel), d.h. Byker kann nicht so viel liefern, wie Jekyll braucht. Aber der Leichenschieber wüsste da vielleicht ein sympathisches Gaunerpärchen, das den Wortlaut des Gesetzes noch weit flexibler auslegt als Byker selbst und z.B. gerne auf Friedhöfen buddelt – niemand geringeres als Willam Burke (Ivor Dean, IM TODESGRIFF DER ROTEN MASKE, DIE SPUR FÜHRT NACH SOHO) und seinen Kumpel William Hare (Tony Calvin, DIE REISE VON CHARLES DARWIN, DOCTOR WHO: FULL CIRCLE). Den Nachschub erst mal gesichert habend, kann Jekyll sich wieder an die eigentliche Arbeit machen…

… und schon bald Robertson die Früchte derselben präsentieren. Wie bereits erwähnt, hat Jekyll sein Forschungsziel umgestellt. Es ist schiere Notwendigkeit, wie Professor Robertson ja dargelegt hat, dass Jekyll seine Lebenspanne verlängert, um genug Zeit zur Entwicklung seines Antivirus zu haben. Der Schlüssel dazu, hat sich Jekyll ausgemalt, liegt in weiblichen Hormonen – sein unschlagbarer Beweis: die Haut der Frauen ist sanfter, glatter und bleibt dies auch bis ins Alter. Mir würden zwei bis drei Gegenargumente einfallen, aber, naja, er hat ja wohl Recht. Demonstrieren kann Jekyll das an einer Eintagsfliege, die in ihrem Glasbehälter nun schon einige Tage vor sich rumschwirrt. Robertson ist nicht unbeeindruckt (obschon die Beweiskraft einer Fliege, die Jekyll genauso gut erst vor fünf Minuten in den Behälter gesperrt haben kann, nicht direkt erdrückend ist), wäre aber noch beeindruckter, wenn die Fliege ein Männchen wäre. Jekyll stutzt – die Fliege WAR doch ein Kerl, als er sie mit seinem Serum behandelt hat. Robertson deutet auf einen Haufen Fliegeneier im Behälter, und der ist so beweistechnisch gesehen etwas überzeugender als Jekylls Fähigkeit, bei einer ein paar Millimeter großen Fliege Geschlechtsbestimmungen vorzunehmen. Robertson verabschiedet sich mit ein paar metaphorischen aufmunternden Schulterklopfern und dem Hinweis, dass Jekyll sich mal nicht überarbeiten soll, sonst können solche kleinen Fehler immer wieder mal passieren. Neue Leichen braucht das Land! Burke und Hare können sich vor Aufträgen praktisch nicht mehr retten und gehen mit ihrem Reichtum in den örtlichen Pubs und Spelunken ordentlich hausieren, während im Hause Spencer Susan weiterhin ihren momentan noch sehr einseitigen Crush pflegt und Howard sie für dezent spinnert hält.

Es vergeht ein Weilchen, aber endlich hat Jekyll eine neue Version seines Serums gebrauchsfertig. Logisch denkend-rational, wie Männer der Wissenschaft nun mal sind, geht er von einem (1) Versuch an Insekten direkt zum Selbstversuch über. Schwoamas obi! Auf Ex!

Der Drink erweist sich als nicht sehr bekömmlich – Jekyll windet sich in Krämpfen und dann passiert es… als er wieder schmerzfrei bei Sinnen ist, ist er… EINE FRAU (Martine Beswick, JAMES BOND 007 – FEUERBALL, JAMES BOND 007 – LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU, TRANCERS II, MIAMI BLUES)! Die Verwandlung hat sich nicht ganz geräuschfrei vollzogen und die Wände in viktorianischen Mietshäusern selbst besseren Zuschnitts sind dünn. Und Susan Spencer, wie wir wissen, besorgt. Da es sich für eine junge Lady aber nicht ziemt, bei fremden Männern zu klopfen, wird Howard vorgeschickt.

Wenn dieser Film eine hundertprozentig glaubwürdige Szene hat, dann ist es diese – Jekylls neue Frauenidentität steht vor dem Spiegel, knöpft sein/ihr Hemd auf, und bewundert ausgiebig und handgreiflich seine/ihre neuen Brüste. Ich bin völlig überzeugt – das würde JEDER, JEDER in eine Frau verwandelte Mann tun (es würde mich nicht mal wundern, wenn DAS die erste Szene war, die Brian Clemens überhaupt entwarf). Leider vergaß Genius Jekyll vor seinem Experiment, die Wohnungstür abzuschließen und so steht Howard nach vergeblichem Klopfen direkt in Jekylls Salon und kann die sich selbst befummelnde Dame bewundern. Howard nimmt seine letzten Reste gentlemännlicher Diskretion zusammen und verzieht sich, nicht ohne seiner Schwester brühwarm einzuschenken, dass ihr Angehimmelter gerade ziemlich freizügigen Damenbesuch hat…

Die Wirkung des Elixiers hält nur für wenige Minuten an. Als Jekyll wieder er selbst ist, ist ihm mehr oder weniger nur klar, dass IRGENDWAS passiert ist, aber ohne genauere Einzelheiten. Als er am nächsten Morgen Susan trifft und die spitze Bemerkungen ablässt, ist er immerhin geistesgegenwärtig genug, die mysteriöse Fremde vom Vorabend als seine Schwester, Mrs. Hyde (weil ihm aus der Zeitung gerade eine Anzeige für irgendwelche Aktivitäten im Hyde Park vors Auge springt), zu identifizieren. Tragisch verwitwet, führt er weiter aus, und jetzt vielleicht öfter bei ihm anzutreffen. Susan jubiliert innerlich, und als sie die neuen Erkenntnisse Howard weitertrascht, ist auch der etwas zu erfreut für einen anständigen Herrn seines Standes…

Jedenfalls ahnt Jekyll, dass er auf dem richtigen Weg ist (?), braucht aber dringend mehr Hormone! HORMONE!! Allerdings haben sich Burke und Hare schon länger nicht mehr bei ihm gemeldet und auch Byker hat nichts auf Lager. Höchstens den üblichen Schlafplatz der Leichendiebe, an den er sich gegen eine geringe Gebühr erinnern könnte. Jekyll spuckt die Knete aus und Byker führt ihn zu der Absteige, wo Burke und Hare gemeinhin ihre müden Häupter betten. Heute allerdings nicht, denn vor dem Haus tobt ein wütender Mob! Es ist nun mal wie im richtigen Leben – fröhliches Herumghulen in fremden Gräbern bleibt nicht auf Dauer unbemerkt und gewinnt selten Popularitätspreise. Das wäre Jekyll nun wieder Salami, solange er an Burke und Hare rankommt, aber eine freundliche Moblady verweist darauf, dass Burke bereits in lichter Höhe vor sich hin baumelt. Jekyll ist flexibel – es braucht zum Grabräubern ja nicht unbedingt zwei Mann, wenn Hare noch greifbar ist, wäre ihm das auch recht. Da muss er sich aber beeilen, versichert ihm die auskunftsfreudige Dame, denn der wird vom Mob gerade in einer Kalkgrube versenkt…Frei nach Hans Fallada – kleiner Mann, was nun?

Jekyll findet sich in einem moralischen Dilemma wieder. Um Leichen zu klauen, fehlt ihm fraglos die Expertise, ganz abgesehen von der Zeit und als Mitglied der zumindest etwas besseren Gesellschaft kann er auch kaum unauffällig auf Arme-Leute-Friedhöfen rumlungern. Die entscheidende Fragestellung ist also: Achselzucken und Experimente einstellen, oder sich die geeignete Experimentiermasse selbst mittels eigener Mörderhand beschaffen? Die Antwort auf diese Frage liefert ihm ausgerechnet Susan, mit der sich Jekyll nun tatsächlich offiziell anfreundet (täte er dies nicht, würde er vermutlich verhungern). Jekyll stellt ihr nämlich die Rätselfrage auf hypothetische und nicht ganz so direkt auf „Mord oder nicht“ ausgerichtete Weise, und Susans Antwort ist eindeutig – wenn ein „böser Akt“ dazu beiträgt, dass im Endresultat eine viel größere „gute Tat“ bewirkt wird, dann hat Jekyll quasi die heilige Pflicht, es zu tun. „Der Zweck heiligt die Mittel?“, vergewissert sich und Susan bestätigt. Damit ist das entschieden. In Zukunft wird Dr. Henry Jekyll höchstpersönlich mit dem Skalpell auf Mördertour gehen.

Bordsteinschwalben minderer Kategorie, die einigermaßen in Jekylls Anforderungsprofil fallen, gibt’s in Whitechapel ja genug und schon rollen die Experimente wieder munter voran, zur Freude von Howard, der bei Hydes Erscheinungen den schweren Schaufelbagger auspackt und damit durchaus auf Gegenliebe trifft. Ein Problem ist aber nach wie vor die nur kurze Wirkungsdauer des Elixiers, was sowohl romantische Schäferstündchen als auch halbe Vergewaltigungen deutlich behindert.

Was Jekylls Arbeit in baldiger Bälde ebenfalls behindern wird, ist der sicher auch von ihm nicht antizipierte Umstand, dass Scotland Yard den fähigsten Pathologen Londons zur Begutachtung der Leichen einsetzt – einen gewissen Professor Robertson! Dem bleibt auch nicht verborgen, dass der Täter seine Opfer nicht nur absticht, sondern mit gesunder Fachkenntnis das ein oder andere Orgänchen entfernt hat. Was, wie in jedem Jack-the-Ripper-Film, die Ermittlungsbehörden zunächst mal auf die falsche Fährte führt, einen Metzger zu suchen (an Menschenmetzger denkt mal wieder keiner).

Von nun an entwickelt sich die Sache wie man es in etwa erwarten darf – nach seinem zweiten Mord verfügt die Polizei dank Augenzeugen über eine zwar sehr vage, aber eindeutig auf Jekylls zutreffende Beschreibung, so dass er dazu übergeht, Mrs. Hyde die blutige Drecksarbeit übernehmen zu lassen. Susan und Jekyll kommen sich näher, aber die aufblühende Beziehung wird durch das nun immer häufigere Erscheinen von Mrs. Hyde verkompliziert, zumal Jekylls neue Frauenidentität ihren eigenen Willen entwickelt und keine große Motivation verspürt, Jekylls Anweisungen zu folgen. Es beginnt ein Kampf der Willenskraft zwischen Jekyll und Hyde über die permanente Kontrolle des geteilten Körpers. Und Robertson, nun, der ist nicht dumm, und Jekylls in letzter Zeit deutlich verändertes Verhalten, seine Nervosität und ständige Erschöpfung, in Verbindung mit seinem Forschungsgebiet, lassen in seinem Mentoren einen bösen Verdacht aufkommen.

Leider ist Robertson zwar nicht dumm, aber auch nicht ausnehmend clever. Als er nach einem weiteren Mord, nunmehr fest überzeugt von Jekylls Täterschaft, seinen Freund zur Rede stellen will, findet er in seiner Wohnung nur Mrs. Hyde – und zieht leider nicht die naheliegende Schlussfolgerung, sondern hält Jekylls „Schwester“ für ein potentielles und zu warnendes Opfer. Und weil Robertson leider Gottes halt auch schwanzgesteuert ist, lässt er sich von Hyde verführen, mit den zu erwartenden fatalen Konsequenzen.

Als Jekyll realisiert, was geschehen ist, fällt ihm nichts anderes ein als ein letztes, ein allerletztes Experiment, um Hyde für immer zu bannen. Dafür muss er noch einmal als er selbst morden – und das wird ihm, wenn wir uns an den Anfang des Films erinnern, zum Verhängnis werden…

Aus dem Jekyll & Hyde-Thema noch etwas Frisches, etwas Innovatives herauszuholen, bedurfte es schon eines groben, in gewisser Weise respektlosen Umgangs mit dem altbackenen Quellmaterial, das schon 1971 in einer werkgetreuen Verfilmung keinen Hund mehr auf den Teller gezogen hätte o.äl. (das bewies eindruckslos z.B. ungefähr um die Zeit Dan Curtis mit seiner schier unerträglichen kanadischen TV-Produktion. Und Dan Curtis war, das wissen wir, einer von den Guten). Clemens und sein Regisseur, der an und für sich der Innovation unverdächtige verdiente Routinier Roy Ward Baker (DIE LETZTE NACHT DER TITANIC, ASYLUM, MONSTER CLUB) lassen dann auch kaum einen Stein der literarischen Vorlage auf dem anderen. Jekylls komplette Motivation wird ersetzt (wobei die neue nicht wesentlich sinnvoller ist), die Verbindung mit den Jack-the-Ripper-Morden und den Leichendiebereien von Burke und Hare erstaunlich schlüssig hinzugedichtet (wenngleich die „Whitechapel-Morde“ natürlich nur eine relativ oberflächliche Ähnlichkeit mit den Ripper-Morden haben können, weil über letztere ja genügend historische Fakten Allgemeingut sind, so dass die direkte Zitierung aufgefallen wäre) – und aus der schlichten Gut/Böse-Allegorie von Stevenson macht Clemens eine deutlich ambivalentere Geschichte. Jekylls Motive mögen zu Beginn wohlmeinend sein, später allerdings nur noch egoistisch motiviert – und wir dürfen natürlich auch nicht vergessen, dass Jekyll bereits selbst (und zwar als er selbst und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte) mordet (und durch die Zusammenarbeit mit Burke und Hare sowieso schon zuvor seine etwaige moralische Überlegenheit aufgegeben hat), bevor der eigentliche Konflikt mit Hyde beginnt (die dann wieder zunächst in Jekylls Auftrag tötet, was aber durchaus auch in ihrem Sinne ist).

Selbstverständlich ist der eigentliche Clou aber natürlich das Gender-Wechsel-dich-Spielchen, das DOCTOR JEKYLL AND SISTER HYDE beinahe tagesaktuell macht, in Zeiten, in denen „gender fluidity“, Transgenderism etc. ernstlich politische Themen sind, die Wahlen entscheiden können, anstatt einfach jedermanns/-fraus/diverses höchstpersönliches eigenes Business zu sein, das keinen anderen etwas angeht und niemanden zu interessieren braucht. Clemens‘ Konzeption der Sexverdrehung vermeidet erfreulicherweise die Gut-Böse-Zuordnung – beide Seiten der Jekyllschen Medaille sind letzten Endes amoralisch, fixiert auf das eigene Überleben, und man kann es Hyde, sobald die sich als völlig eigenständige Persönlichkeit ausgebildet hat und als solche versteht, nicht verdenken, dass sie an ihrer eigenen Existenz hängt und nicht nur Jekylls willfährige Handlangerin zu sein, die er nach Belieben ein- und ausknipsen kann (auch wenn auf der einen Seite natürlich deutlich weniger radikal, auf der anderen Seite durch den Sex-Switch durchaus radikaler, erinnert mich das ein ganz klein wenig an die famose BBC-Serie „Jekyll“, in der die beiden Persönlichkeitshälften einen für beide Seiten gangbaren Kompromiss, nachdem sie sich ihr gemeinsames Leben teilen, finden mussten – man könnte auf die Idee kommen, dass dieser Jekyll und diese Hyde, wenn sie einen Weg finden würden, miteinander zu kommunizieren, nicht zwangsläufig in die Katastrophe steuern müssten [keiner von ihnen ist inhärent böse], sondern einen Kompromiss erreichen könnten – der allerdings mit der Involvierung der Spencers in das wohl kurioseste Vierecksverhältnis der Welt führen würde).

Was in Sachen Story mir zumindest bitter aufstößt, ist ein betriebener Schwindel – die Eröffnungsszene und der Punkt, an dem die Filmhandlung sie dann wieder erreicht, stimmen nicht überein. In der Eröffnungsszene lenkt der blinde Leierkastenmann die Polizei während der Verfolgung des Mörders in die richtige Richtung, in der eigentlichen „Story“ gibt der Blinde in einem Pub mit seiner Kenntnis des Mörders an (eine sehr… „conveniente“ Erklärung, die der Film bis dahin nicht mal leise angedeutet hatte), und wird dann von einem Bobby gezwungen, ihn direkt zu Jekylls Praxis zu führen).

Formal braucht die Geschichte eine ordentliche Anlaufzeit, um ins Rollen zu kommen (Hydes erster Auftritt kommt so nach ca. einer halben Stunde), von da an hat der Film aber – im Rahmen eines Hammer-Films, und Brian Clemens hin oder her, er muss sich an gewisse Konventionen halten – einen ordentlichen Flow, der befriedigend zwischen dem Horror, der Romanze und Robertsons Ermittlungen pendelt. Wie Hammer-üblich geht Baker in den Horror-Szenen nicht wirklich aus sich heraus (die ungefähr zur gleichen Zeit entstandenen Hammer-Vampirfilme dürften sogar „härter“ gewesen sein), und auch in Sachen Sex und nackte Tatsachen fährt der Film im Vergleich zu den lesbischen Vampiren eine zurückhaltendere Schiene, aber Martine Beswick hat zumindest keine moralischen Bedenken, sich auszuziehen. Die Transformationssequenzen sind zwar technisch simpel „in-camera“ gewerkelt, erfüllen aber allemal ihren Zweck; lieber ein einfacher Effekt, den man kann, als ein aufwendig-teurer, den man versaut, alte Bauernregel.

Darstellerisch habe ich meine liebe Not mit Ralph Bates, der schon in FRANKENSTEINS SCHRECKEN kein übermäßig guter Victor Frankenstein war und auch hier wohl einzig in die Waagschale werfen kann, von Haus aus einen gewissen femininen Touch mitzubringen (gerade in Verbindung mit der schier furchtbaren Topffrisur, mit dem man ihn gestraft hat und anhand derer man konstatiert, dass Susan Spencer, wenn sie ihn als „handsome“ bezeichnet, ganz offensichtlich mit Blindheit von der Güte des Leierkastenmanns geschlagen ist). Weder den Forschungs-Fanatiker noch den von seiner im Wortsinne gespaltenen Persönlichkeit dem Wahnsinn nahen Geplagten will man ihm so recht abkaufen. Martine Beswick muss nicht großartig schauspielern, sondern nur die zeigefreudige Femme Fatale geben, Gerald Sim ist als Robertson sehr amüsant, wohingegen die Geschwister Spencer, Susan Brodrick und Lewis Fiander, recht blass bleiben.

Mir liegt die schon betagte US-DVD von Anchor Bay vor, die einen ordentlichen, wenn auch nicht spektakulären 1.85:1-Transfer (anamorph) und soliden Ton bietet. Als Extras gibt’s …

DOCTOR JEKYLL AND SISTER HYDE ist nicht nur eine der originellsten, sondern auch eine durchaus unterhaltsame Variante des Stoffes – man bzw. ich würde mir einen charismatischeren und wandlungsfähigeren Hauptdarsteller als Ralph Bates wünschen, und vielleicht etwas mehr Willen zum wirklichen Horror anstatt nur gediegenen Grusels, ansonsten fällt mir hier aber wenig zu meckern ein. Saubere Arbeit von Hammer, die durchaus mehr Exposure verdient hat.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 7


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