Doctor Who: The Edge of Destruction

 
  • Original-Titel: Doctor Who: The Edge of Destruction
  •  
  • Regie: Richard Martin, Frank Cox
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1964
  • Darsteller:

    William Hartnell (Doktor), William Russell (Ian), Carole Ann Ford (Susan), Jaqueline Hill (Barbara)


Vorwort

Die Dematerialisation der TARDIS bei der Abreise von Skaro kommt es zu unerwarteten Schwierigkeiten – alle Passagiere der Zeit- und Raummaschine verlieren das Bewusstsein. Der Doktor zieht sich eine Kopfverletzung zu, Ian und Susan zeigen, als sie wieder unter den Lebenden wandeln, Anzeichen von Amnesie. Besonders Susans Verhalten erscheint zunächst besorgniserregehnd, geht sie doch mit einer Schere auf Ian los (tötet aber dann doch nur eine Liege). Doch nicht nur die Menschen an Bord, die TARDIS selbst spielt verrückt – Teile der Hauptbedienkonsole verteilen Stromschläge, der „fault locator“ zeigt an, dass ALLES kaputt ist. Der Doktor verdächtigt Ian und Barbara der Sabotage, um ihn dazu zu zwingen, zur Erde zurückzukehren, und droht, die beiden einfach auszusetzen (was angesichts der Tatsache, dass die Monitore nur gespeicherte Aufnahmen vergangener Reisen zeigen und außerhalb der TARDIS buchstäblich *nichts* zu sein scheint, ziemlich doof wäre). Barbara allerdings entdeckt einige Hinweise – und der Doktor muss konsterniert feststellen, dass die TARDIS ohne ersichtliche Rettung auf die Zerstörung hintaumelt…


Inhalt

Das dritte „Doctor Who“-Serial nach An Unearthly Child und The Daleks nimmt in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung im Kanon der klassischen Serie ein – mit nur zwei Episoden und einer knappen Dreiviertelstunde Spielzeit ist es eines der kürzesten Serials, des Weiteren ist es eine der raren Geschichten, die ausschließlich an Bord der TARDIS spielen, also eine „bottle episode“, die mit minimalem Cast und minimalem Set-Aufwand gedreht wrden konnte.

Das hat natürlich Gründe – und wie üblich in der chaotischen Doktor-Frühgeschichte war’s die pure Not. Es hatte sich nämlich so zugetragen, dass „The Daleks“ sein Budget deutlich überzogen hatte und das geplante nächste Serial, „Marco Polo“, das in Sachen Kostüme und Kulissen ebenfalls recht aufwendig war, noch nicht produktionsreif war – Produzentin Verity Lambert sah sich plötzlich mit einer Zwei-Wochen-Lücke im Sendeplan konfrontiert, etwas, was sich eine Serie, die gerade erst mit Müh und Not eine Extension für eine 26-Episoden-Staffel erhalten hatte und einigen BBC-Großkopferten wegen der vermeintlichen Geldverschwendung keine großen Beliebtheitspreise gewann, natürlich nicht erlauben konnte. Also wurde David Whitaker, seines Zeichens Story Editor und damit eigentlich dafür zuständig, die angelieferten Drehbücher sendetauglich zu klopfen und die Charakter-Continuity zu erhalten, beauftragt, schnell einen kostenneutralen Zweiteiler zu klöppeln. Und wie’s das Schicksal so wollte, wurde die Filler-Story, die Whitaker in zwei hektischen Tagen heruntertippte, nicht nur eine wichtige Episode für die unmittelbare Charakterentwicklung, sondern sollte sich sogar noch in der 2005er-Neuauflage mit Christopher Ecclestone auswirken.

Obwohl Whitaker offensichtlich hauptsächlich versuchte, die Charaktere aufeinander zuzubewegen – der Doktor, der zunächst die Fehlfunktionen der TARDIS auf Sabotageakte seiner unfreiwilligen Passagiere zurückführt, muss über seinen Schatten springen, seine Fehleinschätzung zugeben und sich für die grobe Art, mit der er Ian und Barbara gegenübertritt, entschuldigen und zeigt damit erstmals seine „menschliche Seite“, und auch Ian beginnt, den Doktor zu verstehen (Barbara ist schwieriger) – und damit weiter die Weichen dahin stellt, dass der Doktor und seine jeweiligen Companions sich ergänzende, kooperierende (und freiwillige) Gefährten sind, ist der wahrscheinlich wichtigere Einfluss, den dieses Serial auf den Kanon ausübte (denn die Companion-Nummer hätte sich vermutlich früher oder später von selbst ergeben), dass hier erstmals die TARDIS selbst als „Charakter“ etabliert wird, erste Ansätze einer eigenen Mythologie erhält. (SPOILER voraus) Alle rätselhaften Vorkommnisse der Episode resultieren daraus, dass die TARDIS versucht, ihre Passagiere vor einer drohenden Katastrophe zu warnen (man kann darüber diskutieren, inwieweit es diesem Ansinnen hilft, Susan in eine scherenschwingende Psychopathin zu verwandeln, aber wir sind ja auch keine semi-sentienten Zeitmaschinen); es ist ein erstes Indiz dafür, dass die TARDIS eine Art „Bewußtsein“ entwickelt und ihre rechtmäßigen Passagiere zu schützen versucht (ein Konzept, dass in der späteren Serie immer wieder auftauchte, bis hin zur Personifizierung der TARDIS selbst). Ebenso stellt bereits dieses Serial klar, dass die Hauptenergiequelle der TARDIS sich direkt unter der Steuerkonsole befindet und unter gewissen Umständen unkontrollierbar, „flüchtig“ wird – was in der Neuauflage der Serie zum Thema einer Episode werden wird.

Ungeachtet der Wichtigkeit für die spätere Who-Continuity darf man allerdings feststellen, dass das Script, was Glaubwürdigkeit und wissenschaftliche Richtigkeit angeht (denn eigentlich, wir erinnern uns, sollten die Kinderchen beim Onkel Doktor ja was lernen), eine totale Katastrophe ist. Was genau warum geschieht, bleibt auch nach der Erklärung des Doktors völlig schleierhaft, und des Doktors große Rede über die Entstehung von Sonnensystemen enthält selbst 1964 bereits als ziemlichen Dummfug erkannten Nonsens, so dass es, wie auch Who-Fans einräumen, richtiggehend schade ist, dass Hartnell eine Performance mit richtig Feuer (und ohne Verhaspelungen) hinlegt (ansonsten bietet dieses Serial einige der schönsten Hartnell-Haspler).

Verity Lambert setzte zwei Regisseure ein – den bereits Dalek-gestählten Richard Martin und mit Frank Cox ein neues Gesicht im Who-Regisseure-Pantheon, der hier auf seine Tauglichkeit getestet werden sollte. Interessanterweise gehen die Kollegen völlig unterschiedlich an die Aufgabe heran – während Martin versucht, über die Beleuchtung und sogar die Music Cues schon fast „Psycho“-artiges Horror-Feelling zu erzeugen und ansonsten relativ statische Shots bevorzugt, setzt Cox auf Helligkeit und viel Bewegung innerhalb der Shots. Außenaufnahmen gibt’s bekanntlich nicht – bei den Interiors nutzen beide Regisseure aus, neue Räume innerhalb der TARDIS zu zeigen (i.e. die Aufenthalts- und Schlafräume). Ein ziemlich wichtiger plot point (dass, was auch immer passiert, Uhren zerstört) kommt aufgrund der finanziellen und technischen Beschränkungen nicht wirklich rüber – dass hier etwas Relevantes zum Ausdruck kommt, ergab sich für mich erst durch die Ausführungen der Beteiligten im Zusatzmaterial. Das Tempo ist trotz der erzwungenen Dialoglastigkeit recht hoch (manchmal sogar zu hoch, weil die Stimmungsschwankungen der Charaktere gelegentlich arg hektisch sind), die Auflösung allerdings recht banal, was aber immerhin die Möglichkeit für einen vergleichsweise emotionalen wrap-up (und einen wenig beeindruckenden cliffhanger zur nächsten Folge) bietet.

Eine lustige Anekdote ist noch zu überliefern – im Finale ist klar zu sehen, dass ein entscheidener Schalter der Bedienkonsole handschriftlich beschriftet ist – was natürlich nicht sein sollte. Niemand weiß genau, wie das passiert ist. Carole Ann Ford erinnert sich, dass sie und Hartnell bei den Rehearsals ab und zu wichtige Knöpfe beschrifteten, sich aber darauf verließen, dass diese „tags“ für die Aufnahmen entfernt wurden, andere meinen, dass die Beschriftung speziell für Hartnell gedacht war, damit der den richtigen Schalter drücken würde, und niemand mit einer Großaufnahme rechnete. Ich finde diesen vermeintlichen fauxpas gar nicht mal so tragisch – im Sinne der damaligen Who-Continuity hatte der Doktor ja nur eingeschränkt Ahnung von der Funktionsweise der TARDIS. Was läge also näher, als dass er die Schalter, deren Funktionsweise er geklärt hat, beschriften würde?

Schauspielerisch ist dieses Serial ein Showcase für Carole Ann Ford, die eine ziemlich große Bandbreite zu bewältigen hat. Hartnell hat einen seiner besten Momente (die erwähnte Sonnensystem-Rede, so doof wie sie inhaltlich auch ist), einige ziemlich wüste Hänger und ist ansonsten hier noch einmal im „böser Doc“-Modus zu bewundern, Russell und Hill sind adäquat, wobei mir Hill immer noch leicht deplaziert erscheint.

Bildqualität: Übliches 4:3-s/w, so gut, wie eine fünfzig Jahre alte Billig-Serie eben aussehen kann.

Tonqualität: Englischer Mono-Ton, ein wenig dumpf, aber verständlich, optionale englische Untertitel (hard of hearing) sind dabei.

Extras: Da punktet die nur in der „The Beginning“-Box erhältliche Scheibe heftig. Zwar gibt’s dieses Mal keinen Audiokommentar, dafür aber jede Menge andere Gutzis. Zum einen ein gut 55-minütiges Doku-Feature über die Anfänge der Serie von der Anstellung Sydney Newmans als neuem BBC-Drama-Chef über die ersten Projektvorschläge und -berichte bis hin zum Casting und den ersten Dreharbeiten. Sehr informativ, mit vielen Interviews. Die zweite Featurette befasst sich speziell mit dem Making-of „The Edge of Destruction“, beide Regisseure kommen zu Wort, ebenso Carole Ann Ford und William Russell. Featurette Nummer 3 befasst sich mit dem Design der TARDIS und die vierte Doku widmet sich der Entstehung der Titelmusik und der Soundeffekte im BBC Radiophonic Workshop. Als PDF sind diverse zeitgenössische Radio-Times-Listings zu finden, außerdem besteht die Option, sich die zweite Folge des Serials in arabischem (!) Dubbing anzuhören.

Highlight der Extras ist aber eine 30-Minuten-Kurzrestauration des vollständig verlorenen nächsten Serials in der Chronologie, des aufwendigen Siebenteilers „Marco Polo“. Im Himalaya laufen unsere Helden Marco Polo über den Weg, der die (mal wieder defekte) TARDIS als ideales Geschenk für Kublai Khan ansieht, damit der Marco endlich die Heimreise nach Venedig erlaubt. Doktor & Co. sind nicht erbaut. Was Marco nicht weiß – der regionale Mongolenführer Tegana, der zwecks Friedensverhandlungen mit Marcos Karavane zum Khan reist, plant ein Attentat auf den Obermongolen. Außerdem gibt’s da noch die entzückende Ping-Cho, die einen 75 Jahre alten Greis heiraten soll und sich mit Susan anfreundet… Wiewohl ich befürchte, dass mir „Marco Polo“ als dreistündiges Serial echt zu langweilig wäre – in der kompromierten Form (zusammengestellt aus vom Fernseher aufgenommenen Standbildern und dem bearbeiteten, zum Glück erhaltenen Original-Ton) macht „Marco Polo“ durchaus Laune.

Fazit: Das eigentliche zweiteilige Serial mag vom technischen und wissenschaftlichen Inhalt her ausgesprochen doof sein, aber zumindest spielt es sich recht flott und ist, wie gesagt, schon allein aus historischer Sicht bedeutsam für die Who-Continuity. Die DVD selbst brilliert vor allem durch das umfangreiche Bonusmaterial. Da die Scheibe nicht einzeln erhältlich ist, ist ’ne Bewertung eigentlich unfair, aber wenn wir so tun täten, als könnte man sie separat kaufen, ist sie von den drei in der „Beginning“-Box zusammengefassten DVDs die, die man eigentlich am dringlichsten erwerben sollte…


mm
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