Doctor Who: Scream of the Shalka

 
  • Original-Titel: Doctor Who: Scream of the Shalka
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  • Regie: Wilson Milam
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Richard E. Grant (Doctor), Sophie Okenodo (Alison Cheney), Derek Jacobi (Master), Craig Kelly (Joe), Diana Quick (Prime), Conor Moloney (Greaves)


Vorwort

Der Doktor hat grad eine echt miese Phase – ein unspezifiziertes Drama lässt ihn hart an Selbstzweifeln und Schuldgefühlen knabbern und sein aktueller Reisegefährte ist auch nicht grad ein Ausbund an Freundschaft und Mitgefühl: ein mit dem Bewusstsein des Masters programmierter Roboter…

Wieder einmal gegen den erklärten Willen des Doktors materialisiert die TARDIS in der englischen Provinz Lancashire. Der Doktor mag unmotiviert und nach eigener Einschätzung außer Form sein, aber dass hier was nicht stimmt, fällt ihm schnell auf. Die Menschen der kleinen Stadt leben in panischer Angst vor … irgendetwas aus dem Untergrund, das auf laute Geräusche reagiert. Barkeeperin Alison, die einzige Anwohnerin, die so etwas wie Kampfgeist zeigt, erklärt dem Doktor, dass die Stadt seit drei Wochen von unheimlichen Kreaturen, die mittels Schallwellen und Vibrationen töten können, belagert wird. Der Doktor macht mit den prompt auftauchenden Alien-Würmern kurzen Prozess, doch als er abreisen will, muss er feststellen, dass die TARDIS in einem unterirdischen vulkanischen Höhlensystem verschwunden ist.
Heutzutage fällt so eine Polizeibox sicherlich *auf*…

Aber ein Doktor kann ja einen Gefallen einfordern und UNIT einschalten, denen er ja oft genug den Hintern gerettet hat. Das Militär evakuiert die Stadt und dringt mit dem Doktor in die Höhlen vor. Es gelingt dem Doktor, der eigentlich nur ein paar erfahren Höhlenforscher angefordert hatte, um die TARDIS zu bergen, die Soldaten abzuschütteln – aber dann steht er der Streitmacht der Aliens gegenüber – die Shalka! Deren Anführer Prime behauptet, dass die Shalka über ein Imperium von über einer Milliarde Welten gebieten – Welten, die als tot und unbewohnt gelten, doch sind sie das nur, weil die Shalka die Zivilisationen ausgelöscht haben, um die für sie idealen Lebensbedingungen unter der Oberfläche zu schaffen. Die Erde soll die nächste Shalka-Kolonie werden. Prime lässt den Doktor in ein schwarzes Loch (ein von ihnen kontrolliertes und programmierbares Wurmloch) werfen und baut die gekidnappte Alison in eine Art menschliche Relaisstation um, die den vernichtenden „Schrei der Shalka“ in die Welt tragen soll…


Inhalt

Du weißt, der BBC geht langsam der Stoff für die Who-DVD-Releases aus, wenn sie selbst das ungeliebte Stiefkind, die retroaktiv bestenfalls halboffizielle Webserie, mit einer regulären DVD-Veröffentlichung adeln (jetzt fehlt eigentlich nur noch das Comedy-Special „The Curse of Fatal Death“ mit Rowan Atkinson – u.a. – als Doktor)…

Die Idee für „Scream of the Shalka“ entstand, als die Verantwortlichen für die unter BBC-Fuchtel stehende Doctor-Who-Website feststellten, dass der Sender zum 40. Geburtstag der Serie nichts besonderes planten (ganz besonders und überhaupt nicht eine neue TV-Serie) und so auf den Gedanken verfielen, neue Doktor-Geschichten als Animationsserien für die Website zu produzieren (die Who-Webmaster waren schon immer innovativ gewesen – sie hatten Hörspiele mit rudimentären Animationen über RealPlayer-Technologie, die eigentlich für Untertitel geplant war, versehen, Fotoromane aus Telesnaps verschollener Episoden zusammengestellt und vergriffene Romane als e-Books zur Verfügung gestellt, bevor überhaupt jemand wusste, was e-Books sind). Der ambitionierte Plan sah drei Story-Arcs zu je vier Episoden vor, aber wie üblich beim schwerfälligen Koloss BBC und seiner traditionell bestenfalls indifferenten Einstellung gegenüber einer seiner populärsten „Marken“ musste das Projekt schließlich auf eine einzige Story in sechs Episoden eingedampft werden. Die Produzentin wurde gefeuert und durch eine unerfahrene Jungproduzentin ersetzt, die Drehbuchentwürfe blieben im BBC-Spamfilter hängen, dieweil der Autor sich flitterwochenhalber nach Neuseeland absetzte (und einen Freund beauftragen musste, in sein Haus einzubrechen, um die Scripts noch mal an die BBC zu schicken)… was immer auch schief gehen konnte, ging mit ziemlicher Sicherheit schief.

So zerschlug sich auch ein angestrebtes spektakuläres Stunt-Casting von Robbie Williams als Doktor (Robbie hatte Interesse bekundet, war aber dann nicht kurzfristig verfügbar). Als Ersatz stieß Richard E. Grant zum Projekt, der – mittlerweile hatte man sich dazu durchgerungen, einen Bösewicht aus der klassischen Serie zu reaktivieren – den großen Mimen Derek Jacobi („Ich, Claudius, Kaiser und Gott“) als Master vorschlug (was wiederum Diana Quick amüsiere, die mit Jacobi gerade eine „orgasmische“ Szene in Alex Cox‘ „Revengers Tragedy“ gedreht hatte – ein Film, in dem Christopher Ecclestone die Hauptrolle spielte. Die Welt, Dorf usw.). Bei den Aufnahmen stellten die Produzenten fest, dass entgegen gemachter Zusagen keine praktischen Soundeffekte aufgenommen werden konnten, sondern der Soundmensch eine alte CD für die Effekte benutzte, ein von der BBC-Publizistin exzellent versauter Pressetermin verursachte einen gehässigen Artikel im einflussreichen „Doctor Who Magazine“, der den meisten Fan-Goodwill versaute, und schließlich und endlich kündigte die BBC, die im Vorfeld erklärt hatte, nie nie nie wieder nicht „Doctor Who“ ins Fernsehen zu bringen, zwei Monate vor dem Erscheinen von „Scream of the Shalka“, die neue TV-Serie an (ironischerweise nachdem ausgerechnet die Recherchen des „Shalka“-Teams die von der BBC bis dato vorgeschützten „right issues“, wonach irgendwelche obskuren Rechte- und Lizenzbedingungen neues Who-Material verböten, widerlegt hatten) – was der eh schon miesen Publicity der Webserie und allen etwaigen Chancen, mit dem „Internet-Doktor“ weiter zu arbeiten – was die meisten Beteiligten trotz der chaotischen Produktionsumstände gern getan hätten – den Todesstoss versetzte.

Deswegen ist der Grant-Doktor auch nicht der „offzielle“ neunte Doktor (auch wenn der Doktor sich hier ausdrücklich als solcher bezeichnet), sondern nur so’n semioffizielles Ding, das in Fan-Theorien wahlweise, trotz eklatanter Schwierigkeiten, das an die eh schon konfuse Who-Timeline anzupassen, als eine jüngere Version des ersten Doktors oder als ein Doktor in einem Paralleluniversum erklärt wird. Aber die Implikationen auf das Whoniverse sollen uns an der Stelle mal weniger interessieren – taugt „Scream of the Shalka“ für sich allein genommen was?

Paul Cornell, der Mitte der 90er Comics für’s „Judge Dredd Magazine“ schrieb und dessen Doctor-Who-Roman „Human Nature“ Russell T. Davies, der erste Showrunner des Reboots, für die beste Doctor-Who-Story aller Zeiten hält (weswegen er sie auch für die Serie adaptierte), setzt auf eine klassische Invasionsstory, wie sie auch einem der neumodischen Christmas-Specials gut zu Gesicht steht. Die Shalka mit ihrer auf Schall basierenden Technologie sind ein faszinierender Gegner, der auch in der „offiziellen“ Serie nicht schlecht aussehen würde – ihre parapsychischen Möglichkeiten, ihre fremdartige halborganische Technik (die wissenschaftlich, Who-üblich, auf recht wackligen Füßen balanciert) und ihre Fähigkeit, ihre äußerliche Erscheinungsform den Gegebenheiten anzupassen und eine Vielzahl der ihren zu einem „Koloniewesen“ zu vereinigen geben Cornell einige Optionen, den guten Doktor in die Bredouille zu bringen (und man muss auch sagen, der Masterplan der Shalka, Zivilisationen, die drauf und dran sind, sich selbst umzubringen, zu attackieren – was im galaktischen Maßstab dann niemandem sonderlich auffällt -, und so heimlich, still und leise ein riesiges Reich aufzubauen, das nicht wahrgenommen werden kann, ist zünftig).

Die bewusst gesetzten Verweise auf die alte Serie (der Rückgriff auf den Master, des Doktors gute Beziehungen zum Militär dank der alten UNIT-Verbindung des dritten Doktors) funktionieren – sie machen sowohl innerhalb der Geschichte Sinn und sind gleichzeitig nette Gutzis für die Hardcore-Whovians; wiewohl Richard E. Grant einiges seines Texts improvisierte, gibt’s auch in den Dialogen viele kleine, für sich alleine unauffällige, aber völlig beabsichtigte References an die früheren Doktoren (wie Cornell sagt, war gewollt, von allen vergangenen Doktoren mal einen Mannerismus, mal eine Catchphrase einzubringen). (Pop-)Kulturelle Referenzen werden ebenfalls erwiesen, wie es dem Fan eine Freude ist, aber das Highlight ist tatsächlich der character arc des Doktors – etwas, was erst auf Vorschlag von Muirinn Lane Kelly, der jungen Produzentin, die von Doctor Who keinen Schimmer hatte, aber gerade ein paar Drehbuchseminare hinter sich hatte, eingebracht wurde. Der Doktor, den wir zu Beginn des Serials erleben, laboriert mächtig an den Nachwirkungen einer unlängst erlittenen Tragödie (wenig verblümt den durch den Doktor zumindest teilverschuldeten Tod eines weiblichen Companions) und hat die Faxen dicke, ständig den Weltenretter wider Willen spielen zu müssen (das erste, was der Doktor sagt, als er feststellt, wieder einmal nicht da gelandet zu sein, wo er hin wollte, sondern da, wo die TARDIS meint, dass er gebraucht wird: „I won’t do it. Whatever it is!“), und muss im Verlauf der Geschichte (und durch die sich anbahnende Beziehung zu Alison, die genau in die Situationen gebracht wird, in die der Doktor nie wieder einen Begleiter bringen wollte) erst wieder Vertrauen in seine Fähigkeiten und Entscheidungen fassen (was auch am Ende noch nicht bereinigt ist, wenn der Doktor die Widersprüche in seiner Person zur Sprache bringt: „I say I do not kill, and yet I exterminate thousands!“ – diese Art Selbstkritik ist beim Doktor selten). Character Development, das den Doktor nicht in Hinblick auf seine Handlungen, sondern seine Selbsteinschätzung entwickelt, ist nicht unbedingt das, wofür besonders der „klassische“ Who bekannt ist und daher schon mal per se bemerkenswert – dass es auch noch *gut* gemacht wird und wir damit mal einen Doktor bekommen, der seine Handlungen nachdenklich reflektiert, ist ein mehr als netter Bonus…

Trotz dieses überraschend dramatischen Charakterbogens wird der Humor nicht vergessen – teils, wie erwähnt, von Grant improvisiert, teils aus dem Zusammenspiel von Master und Doktor gezogen, teilweise einfach, um auch mal den Briten was satirisch über den Nischel zu ziehen (als der Doktor feststellt, dass er sich im England des Jahres 2003 befindet und man von ihm Geld verlangt, fragt er mal „Have you lot the Euros *yet*?“. Das muss jeden anständigen Inselaffen auf die Palme treiben…).

Dramaturgisch sorgt Hörspiel- und Theaterregisseur Wilson Milam für hohes Tempo – das Format (sechs kurze Episoden von 12 bis 15 Minuten) lässt’s kaum anders zu, aber Milam und Cornell widerstreben der Versuchung, nur auf die Cliffhanger hin zu schreiben bzw. zu inszenieren; auch „zwischen“ den Cliffhangern passieren spannende und aufregende Sachen, und doch wird die Angelegenheit – einige Verkürzungen, die wohl daraus resultieren, dass man primär auf ein Who-erfahrenes Publikum setzte, das einige Lücken aus eigener Erfahrung würde schließen können, notwithstanding – nie zu hektisch. Die Musik überzeugt (insbesondere das drum’n’bass-angehauchte Remix des Titelthemas), so dass wir eigentlich völlig zufrieden sein könnten…

… aber wir müssen halt doch noch die Animation ansprechen. Ja, „Scream of the Shalka“ ist eine frühe Web-Serie *und* eine frühe Flash-Animation, und die ausführenden Animateure hatten weder großartig Zeit noch viel Geld – alles entschuldigende Argumente, aber zehn Jahre später sehen kommerzielle Flash-Serien halt anders aus… Immer wieder müssen Abkürzungen genommen werden – statische Bilder, in denen nichts animiert werden muss, cutaways auf Silhouetten oder dunkle Flächen (diese Sequenzen wurden in der Original-Web-„Ausstrahlung“ genutzt, um unauffällig nachladen zu können – die Vorgabe war, dass die Webisodes nicht heruntergeladen werden mussten, sondern „live“ gestreamed werden konnten). Das sorgt neben dem erwünschten technischen Effekt auch für einen insgesamt recht düsteren, horriblen Look (der letztlich sehr apokalyptischen Story, die auch leichte Anleihen bei Zombie-Ikonographie nimmt, angemessen) – was wiederum zum ebenfalls ziemlich finsteren, vampirischen character design des Grant-Doktors passt. Aber – es sieht halt trotzdem sehr sehr schlicht, kantig und detailarm aus; weswegen sich Flash meines Erachtens für „funnies“ wie „Mucha Lucha“, „Cosmo & Wanda“ & Co. hervorragend eignet, wo’s auf Realismus und Details nu überhaupt nicht ankommt, aber nur eingeschränkt für „dramatische“ Cartoons.

Die Sprecher, deren reale likenesses (ähm) die Grundlage des character designs bieten, sind erste Sahne. Richard E. Grant (dem die persönliche Niederlage, sich nicht offizieller Doktor nennen zu dürfen, durch einige Gastrollen im Reboot versüsst wurde, und den wir ansonsten natürlich aus „Warlock – Satans Sohn“, „Hudson Hawk“, Tod im kalten Morgenlicht oder, äh, „Spice World – Der Film“ kennen) wäre auch „real“ ein formidabler Doktor und liefert hier eine vortreffliche voice characterization ab – sowohl den krisengeschüttelten Grübler als auch den wieder an seine Kompetenz glaubenden „richtigen“ Doktor bekommt er überzeugend hin. Oscar-Nominentin Sophie Okenodo („Hotel Ruanda“, „Ace Ventura – jetzt wird’s wild“, „Aeon Flux“ und mittlerweile auch in der Who-Realserie aufgetreten) gibt einen guten Companion ab, der Edelmime Derek Jacobi ist als Master ein einziges Vergnügen und Diana Quick („Die Duellisten“, „Grasgeflüster“) legt viel fiese Power in ihre Performance als Alien-Chefin. Einen kleinen Cameo als Nachtwächter absolviert übrigens David Tennant, der im Studio nebenan ein Hörspiel drehte und vermutlich seinerzeit dachte, mit dem spontan möglich gemachten Gastauftritt so nah wie irgend möglich ans einen Jugendtraum, den Doktor zu spielen, heranzukommen…

Bildqualität: Der 16:9-optimierte Transfer reißt keine Bäume aus, was aber eben auch daran liegt, dass es sich um eine hastige und billige Flashanimation handelt – ist frei von Verschmutzungen und Defekten, aber halt aufgrund des Ausgangsmaterials nicht dieser superhochauflösende Flastscreenausreizer…

Tonqualität: Englischer Originalton in Dolby 2.0 mit optionalen Untertiteln. Gut verständlich, passabel, wenn auch unspektakulär abgemischt.

Extras: Wie üblich jede Menge – neben einem Audiokommentar mit Regisseur Milam, Autor Cornell und Co-Produzent James Goss findet sich die Featurette „Carry on Screaming“, eine gut 27 Minuten lange, neu produzierte Featurette über Konzeption und Produktion des Webserials, unter „The Screaming Sessions“ finden sich knapp 8 Minuten kurze, 2003 angefertigte Interviews mit Cast & Crew (auffällige Ausnahme: Richard E. Grant, der auch in der neu produzierten Featurette durch Abwesenheit glänzt), eine weitere fast halbstündige Dokumentation „Interweb of Fear“, die die Evolution der BBC-Website (gerne angetrieben durch die dortige Doctor-Who-Sektion) nachzeichnet, der isolierte Score, Fotogalerie und ein Trailer auf den Release des letzten bislang fehlenden Tom-Baker-Serials „Terror of the Zygons“. Viel Material für einen Stiefkindtitel – und eins fällt auf: das Sekundärmaterial macht durchgängig keinen Hehl daraus, was für ein bürokratischer, unflexibler, nixblickender Arbeitsverhinderungsladen die BBC ist – derartige Selbstkritik halte ich auf einer DVD-Veröffentlichung eines hiesigen öffentlich-rechtlichen Senders für schier unmöglich…

Fazit: Wäre „Scream of the Shalka“ ein Live-Action-Serial – ich würde es ohne jede Einschränkung empfehlen. Der Cast ist ausgezeichnet, die Story spannend und clever wie die besten Who-Serials… doch die bei aller Freundschaft nicht nur billig entstandene, sondern auch billig wirkende Flash-Animation ist gewöhnungsbedürftig; wer das Visuelle für existentiell wichtig hält (was ich bei einem visuellen Medium wie Film/TV niemandem verdenke), wird sich daran möglicher- und berechtigterweise reiben (selbst mir als Story-Guru ist die Animation streckenweise zu primitiv) – aber vom Writing her muss sich der „Shalka-Doktor“ nicht hinter seinen offiziellen Kollegen verstecken.


mm
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