- Deutscher Titel: Edgar Wallace - Die unheimlichen Briefe
- Alternative Titel: Die unheimlichen Briefe |
- Regie: Wolfgang F. Henschel
- Land: Deutschland
- Jahr: 1998
- Darsteller:
Gunter Berger (Chief Inspector Higgins), Mariella Ahrens (Barbara Lane), Eddi Arent (Sir John), Rosalind Buffoe (Miss Pattison), Udo Schenk (William Bolden), Julia Richter (Peggy Lynch), Helen Vita (Lady Upperworth), Eva Ebner (Miss Tinwhister), Klaus Lehmann (Stephen Scott), H. H. Müller (Tom Averell), Peggy Lukac (Ruth Bolden), Mogens von Gadow (Frazer)
Vorwort
Der Kleinganove Loomis geht dem Chef der fünftklassigen Gaunerspelunke „Kap Hoorn“, Stephen Scott (Klaus Lehmann, FÜR ALLE FÄLLE STEFANIE, STADTKLINIK) mit einem todsicheren Tipp auf die Nerven. Todsicher ist der Tipp allenfalls für Loomis selbst, denn als der vermeintlich hackedicht in ein Taxi einsteigt, fährt in das zu einer abgelegenen Eisenbahnbrücke, von der der arme Kerl dann direkt vor einen vorbeifahrenden Zug fällt…
Das sieht nach einem sauberen Selbstmord aus und wäre mit Sicherheit kein Fall für Scotland Yard, würde Sir John (Eddi Arent, DER SCHATZ IM SILBERSEE, DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE) nicht von Lady Upperworth (Helen Vita, BERLIN ALEXANDERPLATZ, CABARET), Chefin eines Komitees zur Unterstützung der Angehörigen von Selbstmördern, belabert. Seit nämlich der Datenschutz der Presse verbietet, die Namen der Suizidanten auszuplaudern, findet das Komitee seine selbstgewählte Aufgabe immer schwieriger zu erfüllen, denn wie Angehörige betreuen, wenn man nicht weiß, von wem? Darum also sollen Chief Inspector Higgins (Gunter Berger, DER DOPPELTE NÖTZLI, DER HAVELKAISER) und seine Assistentin Superintendent Barbara Lane (Mariella Ahrens, EIN FALL VON LIEBE, DER BERGDOKTOR) herausfinden, wer genau da unter die Räder gekommen ist.
Das Ermittlerduo findet heraus, dass Loomis, soweit es seine Bekannten wissen, in letzter Zeit geradezu fröhlich und von Geldsorgen befreit schien, mithin also wenig Grund gehabt hat, sich zu selbstmördern. In seinem Zimmer findet Berger eine Ausgabe der Times, aus der eine Seite ausgerissen wurde. Das weckt des Kriminalers Neugier.
Dieweil wird ein Bekannter des Toten, der Katzenfreund Averell (H.H. Müller, LIEB VATERLAND MAGST RUHIG SEIN, MALOU) Opfer eines bedauerlichen Unfalls beim Versuch, ein kleines Kätzchen aus einem Baum zu retten. Scheinbar ein Unfall, doch stellt sich heraus, dass der Ast, an dem Averell sich zur Muschi hangeln wollte, zuvor angesägt wurde – und auf dem Wohnzimmertisch des Verunglückten liegt wieder eine Times, und eine Anzeige in auf der Seite für private Mitteilungen ist markiert – sie richtet sich an einen „Juwelenfreund“ und ist eine recht eindeutige Ankündigung fatalen Ungemachs. Eine solche Anzeige findet sich, sie Lane mit ihrem Supercomputer (bzw. dem „Dingsbums“, wie Technikkrüppel Higgins sich auszudrücken beliebt), auch auf der fehlenden Seite von Loomis‘ Zeitung. Grund genug, mal die Anzeigenabteilung der Times aufzusuchen und sich von dem dort zuständigen blonden bubblehead Peggy Lynch (Julia Richter, SUSHI IN SUHL, FREUNDE FÜRS LEBEN) zeigen zu lassen, wie diese Anzeigen aufgegeben wurden. Per Brief und Bareinzahlung der anfallenden Gebühren, wie Peggy, die deutlich macht, an Higgins gewisses zwischenmenschliches Interesse zu entwickeln, erläutert. Die Absenderadresse stellt sich erwartungsgemäß als Fake heraus, dafür aber finden die Yard-Ermittler heraus, dass Averell und Loomis nicht nur durch gemeinsames Saufen im „Kap Hoorn“ verbunden sind – beide wurden bei gewissen Problemen mit dem strengen Gesetz vom gleichen Rechtsverdreher, Robert Frazer (Mogens von Gadow, WAFFEN FÜR AMERIKA, STERBEN IST GESÜNDER) vertreten.
Die Cops suchen das Frazer-Anwesen auf, werden aber von Haushälterin Miss Tinwhister (Eva Ebner, IN 80 TAGEN UM DIE WELT, LEXX) recht schroff abgewiesen. Schlecht für den gerade saunierenden Frazer, den der unbekannte Mörder gerade gut abkocht… Higgins und Lane gabeln nur Peggy Lynch auf, die für eine heiße Story selbst Ermittlungen aufgenommen hat und angibt, von einer mysteriösen Gestalt attackiert worden zu sein. Dieweil Peggy sich als schlechteste Augenzeugin der Welt präsentiert, scheint Frazers Ableben ein wichtiger Hinweis zur Motivation des Täters zu sein. Frazers Schwager William Bolden (Udo Schenk, IN ALLER FREUNDSCHAFT, ROTE HANDSCHUHE), der mit seinem Ehebesen Ruth (Pegegy Lukac, ROTE ROSEN, KNALLERFRAUEN) auch in Frazers Villa lebt, ist seines Zeichens Juwelier und wurde vor einem halben Jahr spektakulär beraubt. Sein Firmenpartner Evans spielte dabei leider den Helden und wurde von den Räubern erschossen, jedoch besteht andererseits einigermaßen Übereinstimmung, dass Evans mit den Ganoven unter einer Decke steckte – Evans Tochter Victoria ging gramgebeugt ins Wasser. Das kommt Higgins komisch vor, denn warum sollte Evans dann versucht haben, den Raub zu verhindern? Der Chefinspektor wittert, dass der Coup von niemand anderem als Bolden eingefädelt wurde und Loomis und Averell zu den angeheuerten Gangstern gehörten. Und nun scheint jemand einen deutlich größeren Anteil vom Juweilenkuchen haben zu wollen – vom dritten Mann des seinerzeitigen Raubüberfalls? Oder gibt es noch einen anderen Mitwisser? Fakt ist jedenfalls, dass Bolden der nächste Kandidat auf der Abschussliste ist, auch wenn der natürlich abstreitet, etwas mit dem Raub zu tun zu haben…
Inhalt
Vor einiger Zeit hatten wir uns ja schon mit dem HAUS DER TOTEN AUGEN befasst, dem ersten Film der kurzlebigen und unter einem schlechten Stern stehenden Serie, mit der RTL 1998 versuchte, aus dem überraschenden Quotenerfolg der Ausstrahlung der klassischen Edgar-Wallace-Krimis zusätzliches Kapital zu schlagen. Der Versuch, aus der Footage der Originalfilme und einem FORREST GUMP-artig hineingespezialeffektierten Otto Waalkes Comedy-Gold zu gewinnen, war fulminant gescheitert, also überlegte RTL sich eine andere Methode und beauftragte die gute alte Rialto-Film, die für ihre Wallace-Krimis legendär geworden war, einen Batzen neuer Filme, sehr frei nach Motiven von Fragmenten der schon in Rialtos alten Filmen bestenfalls noch in Spurenelementen enthaltenen Wallace-Storys auf die Beine zu stellen.
DIE UNHEIMLICHEN BRIEFE, verfasst von Peter Jürgensmeier (WOLFFS REVIER, DER LANDARZT), tut allerdings gar nicht mehr erst so, als hätte die Geschichte mehr mit dem gleichnamigen Wallace-Roman zu tun als die Tatsache, dass hier wie dort ein Mörder Briefe schreibt, es ist eine komplett eigenständige Story, wobei das Gimmick der „unheimlichen Briefe“, das das Mystery zusammenzuklammern versucht, einerseits zwar durchaus ein wenig den Geist der 60er-Rialto-Krimis und ihrer zunehmend absurder werdenden MacGuffins atmet, andererseits letztendlich mit dem Fall selbst und seiner Lösung am Ende so wenig zu tun hat, dass der liebe Herr Chefinspektor Higgins den Zusammenhang in einer kurzen Epilogsequenz sprichwörtlich aufmalen muss, um den Titel im Nachhinein noch zu rechtfertigen.
Aber mal ganz abgesehen davon – funktioniert die Geschichte entweder als Krimi oder wenigstens als Hommage an die Rialto-Klassiker? Simple Antwort: Nein. Das „Mystery“ ist nicht besonders gut – ja, es steht einigermaßen in der Tradition der Vorbilder, dass es eigentlich ein recht einfaches Geheimnis ist, das auf eine möglichst umständliche Art erzählt wird (weil eben auch der Mörder ein Umstandskrämer ist, der sich die kompliziert-möglichste Art für seinen Racheplan ausdenkt), und dass es die Ermittler recht dämlich aussehen lässt, weil die offensichtliche Zusammenhänge nicht kapieren oder erst dann, wenn sie in Form einer ermittlungstechnisch gesehen vermeidbaren Leiche vor ihnen liegt, aber es ist natürlich nicht halb so clever, wie sein Autor es offensichtlich meint. Trotzdem – man könnte damit arbeiten, es ist nicht gut, aber auch nicht ausnehmend schlecht oder in sich unschlüssig. Zwei Akte lang gehen Jürgensmeier und Regisseur Wolfgang F. Henschel (HELICOPS, DER BULLE VON TÖLZ) auch einigermaßen solide mit der Materie um. Es ist alles nicht sonderlich elegant erzählt und die Klischee-Charaktere sind stellenweise schon nervig, weil selbst die alten Rialto-Filme sich nicht SO auf Stereotypen wie den weibischen Schwulen, den narbengesichtigen tough guy, der superdummen Blondine oder den superarroganten reichen Schnösel kapriziert haben, und, wie gesagt, tut nicht viel dafür, seine Scotland-Yard-Ermittler als kompetent zu zeichnen, aber es funktioniert so halbwegs als Krimi, selbst mit dem überaus abgedroschenen Mörder mit schwarzem Hut, schwarzen Mantel und schwarzen Handschuhen oder einem völlig aus dem Nichts kommenden Ausflug in eine Mad-Max-artige Outlaw-Subkultur-Enklave (die vorgebliche Adresse des Briefeschreibers), in der Higgins einen Hobby-Astronomen namens Dr. Hubble (seufz), der sich selbst allerdings „Dr. Happel“ (Ernst?) ausspricht, trifft, der ihm einen vorgeblich entscheidenden Hinweis gibt.
Bis dann der Schlussakt beginnt und DIE UNHEIMLICHEN BRIEFE sich in dumme Albernheiten ergibt, die selbst in den an Albernheiten sicher nicht armen Klassikern unangenehm aufgefallen wären. Der Killer benutzt eine Art „Super-Fernbedienung“, mit der er zunächst Boldens Jaguar ferngesteuert in einen Unfall steuert, dann auch dessen Elektro-Rollstuhl übernimmt (in einer der unfreiwillig lustigsten Szenen des Films – Bolden macht verzweifelt deutlich, dass der wild umherrollende Stuhl seinen Joystick-Befehlen nicht mehr gehorcht, und Higgins, Lane, Mrs. Bolden und Miss Tinwhister stehen dumm kuckend drumrum, bis Bolden vom Killer direkt in den Gartenteich seiner Villa gestürzt wird. Nur Miss Tinwhister hat einen guten Grund dafür, nicht einzugreifen, ist sie doch mit dem Mörder im Bunde…) und, als auch das Bolden nicht umbringt, sondern nur ins Hospital befördert, dort auch noch mit dem gleichen Gerät seine medizinischen Monitore außer Rand und Band bringt. Es wirkt im Film, versprochen, noch x-mal dämlicher als in der Nacherzählung…
Das bringt mich dann gleich zu dem Punkt „geglückte Hommage an die Klassiker oder auch nicht“. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Wallace auch im 21. Jahrhundert noch in einer Form auf die Leinwand oder die Fernsehschirme bringen kann, die ein breites Publikum anspricht. Man muss sich nur entscheiden, ob man die Stoffe wirklich konsequent an die neue Zeit anpasst, sie aber als ernsthafte Krimis oder Thriller betrachtet, oder die Camp-Route gehen, sie als period pieces aus den 60ern bringen und die humoristischen Aspekte in den Vordergrund schieben will (ohne dabei gleich in die voll-parodistische WIXXER-Richtung abzubiegen). Persönlich würde ich die zweite Variante vorziehen (das Personal dafür hätten wir sicherlich, ich könnte mir z.B. Christian Tramitz sehr gut als einen „neuen Blacky Fuchsberger“ vorstellen – auch wenn die JERRY-COTTON-Neuverfilmung mit Tramitz in der Titelrolle genau unter dem Problem litt, dass sich der Film nicht einig war, was er sein wollte – Parodie, Hommage oder „ernstgemeinte“ Neuinterpretation), aber auch die erste könnte mit gutem Willen funktionieren. Die gesamte RTL-Wallace-Reihe von 1998 krankt aber darin, dass sie prinzipiell einfach nur versucht, den Stil der 60er-Krimis in die 90er zu hieven, ohne wirklich zu realisieren, dass sich die Welt nunmal drei Jahrzehnte weiter gedreht hat und das bloße Nachspielen der Klassiker (mit ein paar halbseidenen Scherzen auf Kosten Higgins‘ Unfähigkeit, mit moderner Computertechnologie umzugehen als feigenblättischem Eingeständnis, dass es eben doch 1998 und nicht mehr 1963 ist) für ein *neues* Produkt einfach nicht mehr reicht. Natürlich unterliegt der Film allein schon seiner Herkunft als TV-Produktion gewissen Beschränkungen, was Action, Gewaltdarstellung oder Sexyness angeht, aber es gibt nicht wirklich eine glaubhafte Ausrede dafür, warum DIE UNHEIMLICHEN BRIEFE in jeder Hinsicht deutlich langweiliger ist als ein GRÜNER BOGENSCHÜTZE oder ein UNHEIMLICHER MÖNCH, keine wirklichen set pieces hat, seinem Ermittler nicht mal einen kleinen Faustkampf oder eine anderweitige Action-Einlage gönnt. Ein Fuchsberger durfte immer mal einen fiesen Gangster mit ein paar gekonnten Judogriffen aufs Kreuz legen oder jemanden erschießen, aber dieser Higgins steht meistens nur mit großen Augen herum und hinkt den Entwicklungen (und der Kompetenz seiner Assistentin) zwei-drei Schritte hinterher.
Da helfen dann auch die Location-Aufnahmen aus London nicht mehr weiter, die für den notwendigen Lokalkolorit sorgen sollen, auch weil der Film anderweitig so schlampig ist – wir sollen tatsächlich glauben, dass die Anzeigenabteilung der fuckin‘ London TIMES, der vermutlich berühmtesten und wichtigsten Zeitung der Welt, komplett von einer inkompetenten Dumpfbirne geführt wird und ein 8-Quadratmeter-Büro zur Verfügung für Buchhaltung, Archiv und Bildschirmarbeitsplatz hat…
Die Darsteller wären durch die Bank sicher nicht die schlechtesten, würden sie nicht durch Regie und Drehbuch zum Übertreiben und teilweise zum Chargieren gezwungen. Gunter Berger und Mariella Ahrens versuchen ihr Möglichstes, sich und ihre Charaktere einigermaßen mit Würde über die Zeit zu retten, Eddie Arent ist mehr oder weniger nur der Grüßaugust aus den Klassikern (mit einem sich durch die ganze Reihe ziehenden running gag, als Amateur-Zauberer für die Aufnahme in einen Magischen Zirkel zu trainieren und dabei stets allerlei Chaos anzurichten), H. H. Müller, Julia Richter, Klaus Lehmann und Udo Schenk sind offenbar dazu angehalten, ihre Figuren als plumpe Karikaturen von Stereotypen darzustellen. Womöglich hat man als Darsteller auch mal seinen Spaß dran, auf die Kacke zu hauen, ganz sicher hat man das sogar, aber wir erinnern uns – die alten Rialto-Filme hatten es alles andere als nötig, ihren Charakteren Neonschilder ihrer Eigenschaften auf die Stirn zu dengeln. Wenn dein 60er-Jahre-Krimi in Charakterzeichnung subtiler ist als die 98er-Neuinterpretation, und die NICHT als Parodie gemeint ist, dann machst du halt als Autor und/oder Regisseur einfach etwas falsch. Die einzige der Nebendarstellerinnen, die mit gewisser stoischer Ruhe amtiert, ist Eva Ebner als steingesichtige Haushälterin Miss Tinwhister.
Universum hat aus unerfindlichen Gründen nur vier der fünf RTL-Filme in seine Edgar-Wallace-Collection-Vol. 10-Box gepackt (DAS SCHLOSS DES GRAUENS wurde bereits in der Edition 9 verbraten). Die Bildqualität (4:3) ist durchschnittlich bis stellenweise mau – da hat sich jedenfalls niemand große Mühe gegeben, was ich aber auch durchaus verstehen kann. Der Ton ist okay, Extras gibt’s keine (ein „es tut mir leid!“-Audiokommentar aller wesentlichen Beteiligten wäre eine große Geste gewesen…).
DIE UNHEIMLICHEN BRIEFE ist jedenfalls ein weiterer gescheiterter Versuch, Wallace für eine neue Ära aufzubereiten, ohne sich dabei darüber Gedanken zu machen, ob und wie man den Stoff modernisiert oder anderweitig an modernere Sehgewohnheiten anpasst. Es ist ein langweiliger, stellenweise alberner und von schmerzhaften Klischeefiguren bevölkerter 08/15-Krimi, der allenfalls wegen seines spektakulär misslungenen Schlussakts im Gedächtnis bleibt und für Trashfreunde einen schnellen Durchlauf wert sein könnte.
© 2020 Dr. Acula
BOMBEN-Skala: 7
BIER-Skala: 3
Review verfasst am: 30.03.2020