Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen

 
  • Deutscher Titel: Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen
  • Original-Titel: BRUTTI, SPORCHI E CATTIVI
  • Alternative Titel: DOWN AND DIRTY | UGLY, DIRTY AND BAD |
  • Regie: Ettore Scola
  • Land: Italien
  • Jahr: 1976
  • Darsteller:

    Nino Manfredi (Giacinto Mazzatella)
    Maria Luisa Santella (Iside)
    Francesco Anniballi (Domizio)
    Maria Bosco (Gaetana)
    Giselda Castrini (Lisetta)
    Alfredo D’Ippolito (Plinio)
    Giancarlo Fanelli (Paride)
    Marina Fasoli (Maria Libera)
    Ettore Garofolo (Camillo)
    Marco Marsili (Marce)
    Franco Merli (Fernando)
    Linda Moretti (Matilde)
    Luciano Pagliuca (Romolo)
    Giuseppe Paravati (Tato)


Vorwort

Roma, o Roma, du ewige Stadt! Hort der Kultur, der Kunst, Mekka der Modewelt, der Reichen und Schönen, Hohetempel der lukulischen Genüße, in der es mehr Eissorten gibt als Wörter für Eis und Schnee in der Eskimo-Sprache. Mag der niedrige Pöbel und Proletengesocks auch an den Gadarsee fahren, der zivilisierte Tourist von Welt weiß: „Rom sehen und sterben“ (und dabei zugucken, wie Venedig langsam in den Fluten und Palermo im eigenen Dreck versinkt). Aber dies ist nicht das Rom, das uns der Film zeigen will. Da gibt es noch ein anderes Rom, das hoch auf den sieben römischen Hügeln erbaut ist, wo es kein Menschen- und auch kein Touristenauge stören mag. Erbaut aus Wellblech, verrostetem Draht, Exkrementen und menschlichem Elend. Und da sind wir auch schon beim Thema von DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN:


Inhalt

In einem dieser Slums, die die Ewige Stadt überblicken, lebt – oder besser gesagt haust – Giacinto Mazzatella (Nino Manfredi) mit seinem Weib Matilde (Linda Moretti). Hier zählt fließendes Wasser noch als Science-Fiction, Strom verdankt man angezapften Leitungen und der einzige moderne Luxus sind ein Fernsehapparat für die senile Oma und ein elektrischer Haartrockner für die Frau Gemahlin. Giacintos Familie wohnt mit ihm in dem Verhau, inklusive zehn seiner leiblichen Kindern nebst Gattinen. Die Anzahl der Bambini und Kindeskinder ist schier unüberschaubar, also schätzen wir den ganzen verkommenen Haufen auf konservative 28, die in dieser Ein-Zimmer-Wohnung nächtigen. Fest steht nur, dass die gesammelte Schlechtigkeit der Gattung Mensch sich in der Mischpocke vereinen: Faulheit, Dummheit, Habgier, Verfressenheit und Falschheit in ihrer puresten Form. Arbeiten will nicht einer in dieser Ansammlung aus Tunichtguten und wenn man einem Tagwerk nachgeht, dann höchstens dem Taschendiebstahl, Hehlerei oder der Hurerei. Kurz, alles das den italienischen Volkscharakters aus dem Buch der Klischees ausmacht. Oder, wie Giacinto es audrückt, „Vivere Spendula“.

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„Schnarchende Nacht! Ratzende Nacht! Alles schläft, einer wacht… “

Da gibt es nur eine Sache, die Giacinto schlaflose Nächte bereitet: bei einem Unfall in einer Kalkmine hat der Patriarch ein Auge verloren und dafür eine Million Lire Versicherungsgeld kassiert (weiß der Deibel wie viel Pfennige das umgerechnet sind). Für seine Verhältnisse zwar nun ein gemachter Mann, kann sich Giacinto an seinem leicht erwirtschafteten Reichtum nicht erfreuen. Der Patriarch weiß, dass die gesamte verkommene Sippschaft nur von einem Wunsch beseelt ist: ihm sein Geld zu stehlen, egal mit welchen Mitteln. Giacinto hat also allen Grund zur nächtlichen Unruhe und sein heiles Auge stets offen zu halten: während die meisten, übereinander liegend wie dreckige Wäsche, im wahrsten Sinne des Wortes ratzen (oder schamlos kopulieren, um der Familie den nächsten Wachstumsschub zu verabreichen), findet sich immer eine suchende Hand, die sich unter sein Kopfkissen verirrt. Diese wird meistens mit einem gotteslästerlichen italienischen Fluch und Giacintos bestem Freund, der Schrotflinte, begrüßt.

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Wie in allen schrecklich netten Familien ist auch im Hause Mazzatella
die senile Oma der Quell aller Weisheit.

Ein neuer Tag bricht an. Majestätisch erhebt sich der Sonnengott über den goldenen Petersdom zu Rom. Aber für die schöne Aussicht haben hier die wenigsten ein Auge. Jetzt lernen wir ein wenig mehr über die Ärmsten der Armen. Aber mit der Armut und dem Dreck scheinen die wenigsten ein Problem zu haben. Nein, die Gemeinschaft fühlt sich scheinbar wohl im eigenen Schmutz, Abfall und Hühnerfäkalien. Die jüngste Tochter des Hauses Mazzatella, Maria Libera (Marina Fasoli), selbst kaum mehr als ein Kind, verrichtet ihren morgendlichen Dienst: Wasser schleppen, mit der sich die Mischpocke notdürftig reinigen und den Unrat der Nacht hinwegspült. Danach ist es ihr Job, die kleinsten der Kleinen für den Tag zu versorgen. Sprich: man pfercht die Bambini tagsüber in eine Art überdimensionalen Hundezwinger ein, wo sie keinen Schaden anrichten können. Will einer von dort ausbüchsen, setzt es Prügel. Die Jungen im „arbeitsfähigen Alter“ üben sich auf ihren Vespas am entwenden von Handtaschen oder am betteln. Die gereiften Mädels hingegen ziehen gen Stadtmitte, um dort das Anschaffen zu praktizieren oder sich bei der anliegenden Mülldeponie nützlich zu machen. Nicht dass Giacinto selbst ein strahlendes Vorbild wäre: für seine Umwelt hat der Patriarch nichts als absolute Verachtung übrig, drei Jahre musste er einst wegen der Vergewaltigung einer Nonne absitzen und ist sich auch nicht zu fein, nach Belieben die Frauen seiner Söhne anzubaggern.

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Im Kindergarten wird oft der Grundstein für die spätere Zukunft gelegt.
Das ist hier in Italien nicht viel anders.

Giacinto, nachdem er wie jeden Morgen seine Famiglia verflucht hat, geht seinem Tagwerk nach, namentlich die Umsetzung seines Reichtums in Branntwein. Und immer nagt dieselbe bohrende Frage an ihm: Wo soll man den Schatz verstecken? Vielleicht im Mauerwerk seiner elenden Hütte? In der Latrine? Im hauseigenen Wassertank, da das Zeugs eh keiner trinkt? Abgesehen von dem Elend, Besitzer einer Million Lire zu sein, hat Giacinto einen weiteren Dorn im Auge, namentlich den Fliegenden Händler Cesaretto (Aristide Piersanti), der die Elendsgestalten mit nutzbaren Waren wie Seife, Klopapier und Bleichmittel versorgt, und von dem Giacinto vermutet, dass es sich um einen Rivalen um die Gunst seines fetten Weibes handelt, da Cesaretto seiner Matilde eine Klobürste geschenkt hat. Das führt natürlich zu Zwist im Hause Mazzatella (und zu einer kleinen Messerstecherei zwischen den Eheleuten).

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Langsam, aber mit rollenden Bewegungen, bürgert sich das Konzept Shopping Mall ein.

Auch sein jünster Sproß Nando (Franco Merli) bereitet Giacinto Sorgen, da dieser als Transvestit nicht nur anschaffen geht, sondern zugleich hinter jedem Weiberrock (sprichwörtlich und nicht nur figurativ) her ist. Dabei schert sich Nando nicht sonderlich um die Familienverhältnisse und wird für seine Rumhurerei seinen Eltern nur als „die Scheiß-Tunte“ betitelt, der man ein baldiges Sterben wünscht. Ist da noch Großmutter Mazzatella, die zwar komplett senil ist, aber immer noch über genügend Energie verfügt, um den lieben Tag rauchend vor dem Fernseher zu verbringen und ihren Sohn zu verfluchen. Gerne würde man auch diese alternde Dame unter ein Kissen legen, wäre da nicht ihre Rente, das einzige legitime Einkommen der gesamten Sippschaft.

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Es geht zwar zu wie in Sodom und Gomorrah aber Kinder,
der einzige Reichtum der Armen, produzieren sich halt nicht von alleine.

Kommen für Giacinto nun auch noch wiederkommende Alpträume hinzu, in denen sich seine Famiglia ein Leben in Saus und Braus gönnt – natürlich auf Basis seiner Million Lire. Ein schier unerträglicher Gedanke für Giacinto, der seinen Leuten nicht einmal das Schwarze unter’m Nagel gönnen würde. Nicht nur Trost sondern einen zweiten Frühling findet Giacinto bei der Hure Iside (Maria Luisa Santella). Sicherlich, diese nennt drei Kinne ihr eigen, hat den Leibesumfang eines ausgewachsenen Walroßes und die Zahnlücken machen das Gesamtbild auch nicht feierlicher. Trotzdem, anders als seine Angetraute hat Iside zumindest keinen stolzen Damenbart und so nimmt Giacinto seine neue Flamme mit nach Hause, wo Iside nun als 29tes Rad am Wagen, im ehelichen Bett nächtigen darf. Wieder ist der Streit vorprogrammiert, aber Giacinto setzt seinen Standpunkt als Familienoberhaupt fest (und für seine degenerierten Abkömmlinge kommt die schwabbelige Alte als sexuelle Abwechslung gerade recht).

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Wie es im echten Leben oft so ist, überschneiden sich Traumwelt und Realität
nur sehr selten.

Nur Matilde ist mit Giacintos Entscheidung alles andere als „tutti happy“, versucht ihren Gatten zunächst mittels Voodoo-Puppe aus dem Weg zu räumen, beschließt aber dann im demokratischen Familienrat, dass rabiatere Methoden her müssen. Sprich: man will Nägel mit Köpfen machen und den unliebsamen Familienvater endgültig zu seinen Vorvätern schicken. Zum Zeichen der Aussöhnung beschließt die Famiglia ein Festessen zu veranstalten. Die passende Okkasion kommt im Anschluß eines Gottesdienstes, bei der sich Giacinto nun endlich rechtmäßig taufen und sich von aller Sünde reinwaschen will. Wie es in Bella Italia der Brauch ist, wird beim anschließenden Mittagsmahl kraftvoll aufgetischt. Wie es einem Familienoberhaupt zusteht, bekommt Giacinto natürlich seinen eigenen Teller, randvoll gefüllt mit dampfenden Maccheroni al ragu alla Bolognese (gewürzt mit einer deftigen Portion Rattengift). Unter dem wartenden Augen der Sippschaft haut Giacinto sich die Plautze voll, aber erste Magenkrämpfe und ein nahendes Delirium lüften langsam den trügerischen Schleier der falschen Harmonie.

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Links: Die hohe Kunst der italienischen Küche.
Rechts: Die hohe Kunst, Maccheroni zu essen, ohne dass einem die Fluppe aus dem Maul fällt.

Mit einem Überlebenswillen, der nur Ratten und den Ärmsten der Armen vorbehalten ist, radelt Giacinto zum Strand, wo er sich mittels Fahrradpumpe den Magen mit Erbrechen-förderndem Salzwasser auffüllt. Ex-Vomitus, die vergiftete Mehlspeise aus dem System gespült, beschließt Giacinto nun Butter bei die Fische, beziehungsweise Olivenöl bei den Pesce zu machen. Kurzentschloßen kehrt er heim zu seiner Hütte, begießt die Baracke mit Benzin und will das ganze menschliche Gewürm bei lebendigem Leib verbrennen. Wie ein wiedergeborener Nero hockt Giacinto auf einem Baum, kräht Verwünschungen im Rhytmus der züngelnden Flammen und der kreischenden Verwandtschaft, die aus der Hütte hüpfen wie Flöhe aus dem Fell eines brennenden Hundes (und bis ihn ein wohlgeziehlter Steinwurf vom Baum holt).

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„Alles raus was keine Miete zahlt“, wie einst ein Landsmann von Giacinto sprach.

Schlimmer noch, die gesamte Mischpocke hat das Feuer überlebt, wie Giacinto am nächsten Morgen feststellen muss. „Der verdammte Krüppel, die Tunte, die alte Vettel, die schamlosen Huren“, beobachtet Giacinto indigniert durch einen Feldstecher. „Und sie wollen mein Haus immer noch übernehmen!“ Aber ein As hat der Rachsüchtige noch im Ärmel: Für eine handvoll Lire verscherbelt er sein Grundstück an eine weitere Sippschaft, nicht minder verkommener und zahlreich als Giacintos eigene Famiglia, und noch dazu frisch aus Neapel hinzugezogen. Kaum den Kaufvertrag unterzeichnet, ziehen diese alsbald mit Sack und Pack (und vielen, vielen Bambini) zu ihrem neuen Domizil.

Es kommt natürlich zu einer gewaltigen Keilerei zwischen den Clans, und es wirkt fast so als würden sich Spiegelbilder gegenseitig verkloppen. Auch Giacinto taucht auf, Blut bleibt schließlich noch immer dicker als Branntwein. Der Patriarch vergibt seinen Leuten und stiftet Frieden unter den verfeindeten Clans. Ein paar Monate später ist die kleine, heile Welt wieder in Ordnung. Zwei „schrecklich nette Familien“ hausen nun zusammen in der Ruine und ob nun 20 oder 40 Gestalten, das macht den Kohl auch nicht viel fetter. Nur Giacinto träumt noch den alten Traum: das ganze Mistvolk eines Tages vor die Türe zu setzen. Morgens geht Maria Libera wie gewohnt ihren Pflichten nach. Freilich, inzwischen mindestens vierzehn oder gar fünfzehn, hochschwanger. Und so schließt sich der wunderbare Kreislauf des Lebens in jenem idyllischen Flecken Erde.

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LIETO FINE!

Analyse

„Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“, versprach Scola uns und hat mit seinem Film nicht zu viel versprochen. „Africa inizia a sud di Roma“, spricht der melodische Italienische Volksmund (der Volksmund der nördlich von Rom lebenden Italiener, versteht sich). Das ist natürlich nicht nur rassistisch sondern auch falsch: Afrika beginnt nicht südlich von Rom, sondern mitten im Kern des verfaulten Kadavers eines ehemaligen Weltreiches, was jeder, der die ewige Stadt kennt bezeugen kann. Nein, ohne viel recherchieren zu wollen, können wir stark annehmen, dass Ettore Scola in Rom für sein Portrait nicht umbedingt bejubelt wurde.

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Familien wie diese haben schon ettliche Prominente produziert,
darunter Filmproduzenten, Mondo-Regisseure und vermutlich
den einen oder anderen Ministerpräsidenten.

Aber sollen wir daher Scola als zynisches Arschloch anprangern, der auch über dreibeinige Hunde lacht (der übrigens immer wieder durch’s Bild hoppelt), oder wenn ein altes Mütterchen mit den Händen voran die Kellertreppe hinunter saust? Auf diese Frage ein klares Jein.

Wie es einst ein anderer Kritiker andeutete: Scola verhöhnt nicht die Menschen an sich, oder gar deren Elend, er verhöhnt das menschgewordene Elend, das bei unseren „Protagonisten“ zur eigentlichen Natur geworden ist (wenn es nicht gar in den Genen steckt, aber aus der Diskussion halten wir uns heraus). Einen Sympathieträger in der Besetzung zu finden wäre vergebene Liebesmüh. Spoiler Ahead: Es gibt keine. Scola meint das mit den “ Schmutzigen, den Hässlichen und den Gemeinen“ durchaus wörtlich. Da ist es auch nicht groß verwunderlich, dass sich Scola bei der Titelwahl bei einem der bekanntesten Spaghetti-Western bedient hat, hierzuland unter dem Namen ZWEI GLORREICHE HALUNKEN bekannt, aber noch bekannter unter dem Titel THE GOOD, THE BAD & THE UGLY. Zwar scheinen die beiden Genres nicht umbedingt verwandt oder gar kompatibel, aber auch dieses Kunststück bringt Scola fertig, den absoluten Nihilismus und die Trostlosigkeit der besten Spaghetti-Western in seine Komödie zu transferieren.

Worauf will Scola mit dem Film also hinaus? Auf eine lange Rede mit kurzem, wenn nicht gar offensichtlichen Sinn? In einem Interview gab Scola einst an, er habe im Sinn gehabt, die Isolation der so-genannten Sub-Proletarier (hierzulande würde man vermutlich „das letzte Lumpenprolitariat“ dazu sagen), zu beklagen oder, je nach Übersetzung, es sogar zu verurteilen. Das ist natürlich korrekt, nur wird es vielen Sozialkritikern und (meist links angehauchten 60er Jahre Rückbleibseln) vermutlich nicht schmecken, wem Scola den Schwarzen Peter für die ganze Situation zuschiebt: den Protagonisten selbst, denen selbst das winzige bisschen Klassen-Verständnis oder Anstand der Durchschnitts-Proleten gänzlich abgeht. Oder, um es etwas flapsiger zu sagen, direkt am Arsch vorbei geht. Darum versucht Scola erst gar nicht, so etwas wie eine scheinhelige Illusion von Hoffnung in seinen Film mit einfließen zu lassen. „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate“, sprach schon Dante Alighieri in seiner „Göttlichen Komödie“. Zu Deutsch: „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“ (und meint damit natürlich die Hölle). Dabei prangerte Dante schon im 13ten Jahrhundert verbreitete Wesenszüge der Italiener an, die in in besagter Hölle nicht nur als Todsünden gelten, sondern auch direkt dort hinein führen: Trägheit, Faulheit und Selbstgefälligkeit. Also sorry, das sagt hier kein eingebildeter Tedesco, sondern Dante, ein waschechter Italiener, über seine Landsleute. Scola hat’s wohl verstanden und den Vergleich in seine eigene (nicht ganz so göttliche) Komödie mit einfließen lassen.

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Blickt der Italo-Proll in den Spiegel, so wird er das edle Antlitz
eines Nachfahren der Cäsaren und Julianer erblicken.
Die Kamera kann er jedoch nicht foppen.

Da wir ja unter uns sind, ist hier vielleicht eine kleine Reise-Annekdote angebracht: Vor ein paar Jahren besuchte ich mit meiner eigenen Famiglia das schöne, schöne Napoli. Der Gestank in den Strassen, das Geschrei in den Hinterhöfen, die Berge aus Abfall und Unrat, die die Stadt wie eine Barrikade gegen die moderne Welt umgibt, der scheinbar auf Selbstmord ausgerichtete Verkehr (also, meine jetzt schon mit Fiats und Vespas), all das erinnerte mich an die Lande meiner Kindertage – bekannterweise in Afrika. Wir mieteten uns in einer kleinen Pension ein, die ein neapolitanisches Mütterchen (der Vettel im Film optisch nicht unähnlich), und ihren zwei Söhnen betrieben wurde. Gastfreundlich wie die Südländer nun einmal sind, wurde man gleich zu einem eisgekühlten Glas Limonchello eingeladen, über dem man davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Anschuldigungen von Verwahrlosung, Dreck und Faulheit nur boshaftes Geschwätz sei, das die neidischen Nord-Italiener in die Welt setzen. Gesprochen mit der Überzeugung und Ehrlichkeit des Salzes der Erde – gesprochen, noch während der Gastgeber einen Eimer mit Küchenabfällen aus dem Fenster des dritten Stockwerks Richtung Trottoir beförderte. Und wer von dem Trio unsere Koffer in den dritten Stock schleppen musste, nun, dreimal darf der Leser raten.

Wie dem auch sei, es wird vermutlich Zuschauer geben, die aus oben genannten Gründen und überspitzem Humanismus DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN die Existenzberechtigung als Komödie per se absprechen wollen und werden. Und ja, man sollte natürlich keine heitere Komik aus dem Hause Adriano Celentano oder gar Klamauck der Marke Bud Spencer / Terence Hill erwarten. Es handelt sich hier um eine Situationskomik, bei der dem Zuschauer eigentlich nur zwei Optionen bleiben: dreckig mit der dreckigen Mischpocke mitzulachen oder in einen Heulkrampf verfallen (und den Video-Rekorder gleich abzustellen). Und wieder ist es ein kleines Wunder, dass es Dank Scola, seinem Drehbuch und der stets anrüchigen Dialoge von Sergio Citti möglich ist, die präsentierten Gestalten nicht zu verachten oder gar zu hassen, sondern sich in sie hineinzuversetzen und schlußendlich anstatt mit ihnen zu lachen. Auch wenn der Humor noch so bitter ist, und genau das ist es ja, was die sogenannte „Commedia all’italiana“, diese eigenwillige Mischung aus sozialer Kritik mit (schwarzen) Humor und Ironie ausmacht – und Scola gleichzeitig zu einem Meister dieses Genres macht.

Man fragt sich was aus DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN in den Händen eines Pier Paolo Pasolini geworden wäre, der ja gerne ähnliche sozialkritische Themen bearbeitet hat, ein sehr enger Freund Scolas war und sogar das Vorwort für den Film verfassen wollte, aber kurz vor Drehbeginn ermordet wurde. Als ewiger Sozi hätte Pasolini in diesem Vorwort vermutlich – wie es der Kritiker Georg Seeßler einst ausdrückte, „gegen die Idee vom guten Volk und der schlechten Herrschaft“ gewettert, und das Ganze als eine groteske Parabel aufgezogen. Kurz, der Stoff war bei Scola vermutlich besser aufgehoben als bei Pasolini. Dennoch hat der Skandal-Regisseur eine winzige Spur hinterlassen, namentlich den Schauspieler Franco Merli, der Giacintos Transvestiten-Sohn spielt. Schauspielerisch zwar keine große Leuchte und, wie so oft, spielte der optische und körperliche Aspekt – um es milde zu sagen – beim Casting in diversen Pasolini-Streifen die Hauptsache. Aber da Merli auf den meisten Postern und Video-Covern von SALO – DIE 120 TAGE VON SODOM prangt, hat ihm seine kurzlebige Karriere doch ein wenig ewigen Ruhm eingebracht.

Der Rest der Schauspielerschaft ist eine Mischung aus Laien und Darstellern, die höchstens den eingefleischten Fans des italienischen Kinos ein Begriff sein dürften (abgesehen davon, dass man das eine oder andere Gesicht gelegentlich in einer Nebenrolle in diversen Bud Spencer- / Adriano Celantano-Streifen gesehen hat). Hervorzuheben ist eigentlich nur Hauptdarsteller Nino Manfredi, der für seine Darbietung eigentlich den einen oder anderen Preis verdient hätte. Sein Giacinto ist eine Ansammlung von Bosheit, Missgunst, Misanthropie und purer, meist vom ewigen Suff getränkter Paranoia – und der Zuschauer hat gar keine andere Wahl, als die Geschehnisse durch Giacintos Auge(n) und vom Branntwein zerfressenen Gedankengängen zu verfolgen. Dank Manfredis Leistung liegen die spärlichen Sympathien aber immer auf Seiten des verlotterten Patriarchen. Ein variabler Schauspieler, der im Prinzip alle Genres in seinem Repertoir abgearbeitet hat und zu seiner Zeit einer der gefeiertsten Schauspieler Italiens war, blieb Manfredi aber internationaler Ruhm verwehrt. Zu empfehlen sei hier noch die Tragikkomödie BROT UND SCHOKOLADE, in dem Manfredi einen armen, italienischen Immigranten spielt, der sich in der biederen Schweiz ansiedeln will (mit vorhersehbar katastrophalen Folgen).

Zudem schafft Kameramann Dario Di Palma das Kunststück, der tristen Szenarie eine gewisse Romantik zu verleihen. Einerseits spielt das wie immer strahlende Wetter eine Rolle, andererseits strotzen fast alle Beteiligten – ein paar fehlende Gliedmaßen hin, verottete Zähne her – voll Energie und Lebenskraft. Gewiss, die unhygienische Umgebung allein würde ausreichen um den Durchschnittseuropäer schnell das Lebenslicht auszublasen, aber die Eingeborenen scheinen sich mit der Situation arrangiert zu haben. Vergleichbar mit Kakerlaken, die auch den Atomkrieg überleben würden.

Armando Trovajoli, ein langjähriger Wegbegleiter Scolas, hat den Soundtrack gewollt simpel gehalten, immer zwischen leicht bedrohlichen, paranoiden Grundtonmelodien und etwas heiterem, fast schon romantischen Zwischenmelodien, die ein Kritiker einst ungnädigerweise als „Anden-Melodien“ betitelte, vermutlich weil des öfteren eine Blockflöte zu hören ist. Der Main-Theme hingegen vereint alles, was den Italienern in den 70er und 80er Jahren heilig schien: leichter, flockiger Pop, gemischt mit einer Brise Funk und natürlich dem obligatorischen Chorus, der auch im Repertoire der Oliver Onions oder einem Bud Spencer-Terence Hill-Vehikel nicht fehl am Platze gewesen wäre.

Womit will man nun einen Film wie DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN vergleichen, wenn ein direkter Vergleich herhalten muss? Da könnte man lapidar sagen, ‚Ghetto-Dramen gibt’s wie Sand am Meer‘. In den USA vielleicht BOYZ N THE HOOD (besser noch Harmony Korines GUMMO), in Brasilien etwa CITY OF GOD und in Deutschland CHRISTIANE F – WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO (obwohl wir eben keine Ghettos von den Dimensionen und der Güte Südeuropas oder Südamerikas haben). Am ehesten zu vergleichen ist DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN mit dem südafrikanischen Film TRIOMF von Michael Raeburn, basierend auf der gleichnamigen Novelle von Marlene van Niekerk. Nicht nur von der Situation her, sondern auch vom rabenschwarzen Humor und den skurillen Gestalten her sind beide Streifen so etwas wie Brüder im Geiste. Hier spielt die Handlung in einer Siedlung weißer Afrikaaner (im Volksjargon auch ‚Rock Spiders‘ oder ‚White Trash‘ genannt), die sich, was Schäbigkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit angeht, hinter keinem italienischem Ghetto verstecken muss. Buch und Film kann man nur empfehlen.

Der Wermutstropfen: wie gesagt, es war den wenigsten Italienern, inklusive der Verleihfirma, daran gelegen, Scolas Film an die große Glocke zu hängen. Das Gegenteil war der Fall. Chauvinismus, Nationalstolz (falsch, wie er nunmal so oft ist), um nicht zu sagen die Italianität behielten die Oberhand. Es war einfach kein Spiegelbild, dass man sich umbedingt ansehen wollte und damit gar den Traum vom Bella Vitta dell’Italia einen Sprung zu verpassen. So ist DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN heute fast so etwas wie ein verschollener Film. Laut der Filmdatenbank OFDB lief der Streifen wohl 1997 einmal im Abendprogramm von Arte, über potentielle DVD-Versionen schweigen sich die User der Seite aber aus. Selbst auf Amazon findet sich nur eine italienische Export-DVD, sowie eine weitaus obskurere Scheibe aus Brazilien, bei der es sich durchaus um ein Bootleg handeln kann. Kann man nur sagen: Schade um das gute Stück und schade für die potentiellen Zuschauer, denen man bekanntlich ja jeden noch so beliebigen Mist vor die Scheunentür fährt.

Fazitamente Finale: große Schenkelklopfer, grenzdebiler Italo-Klamauk oder gar das Duo Spencer / Hill sollten nicht erwartet werden. Ebenso wenig wie eine große Eingebung oder Twists in der Handlung, die letzlich alles wieder ins rechte, „positive“ Lot rückt. DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄßLICHEN UND DIE GEMEINEN ist ein Film zum schmunzeln, zum genießen der unverblümten italienischen Sprache (zu 99 Prozent Unflat und Verwünschungen) und zum reflektieren. Es ist mehr „ein Tag im Leben“ einer komplett degenerierten Gesellschaft und damit hat Scola seine Landsleute vielleicht nicht unbedingt stolz gemacht, aber dennoch einen würdigen Dienst erwiesen. Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits (wenn man dem Film denn habhaft werden kann).

© 2015 Thorsten Atzmueller


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