Die Rettung der uns bekannten Welt

 
  • Deutscher Titel: Die Rettung der uns bekannten Welt
  • Original-Titel: Die Rettung der uns bekannten Welt
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  • Regie: Til Schweiger
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2021
  • Darsteller:

    Emilio Sakraya (Paul), Til Schweiger (Hardy), Bettina Lamprecht (Anni), Tijan Marei (Toni), Emily Cox (Katharina), Sebastian Schneider (Tien), Charlotte Krause (Caro), Emma Schweiger (Winnie), Greta Kasalo (Charlie), Otto Emil Koch (Luca), Skandar Amini (Saheed), Herbert Knaup (Stetter), Steffen Wink (Juwelier) u.a.


Vorwort

Es soll mir keiner sagen, ich würde Til Schweiger, einem der unangenehmsten Regisseure, den Deutschland aktuell zu bieten hat, nicht doch immer wieder eine Chance geben, mir zu beweisen, dass er auch anders kann. Warum sonst wohl gucke ich mit großer Neugier jedes neue Werk, das er in die Kinos bringt? Zwar muss ich zugeben, dass mich eher der Masochismus antreibt als der wirkliche Glaube daran, dass er in diesem Leben auch nur noch einen Film zurechtzimmern wird, von dem ich sagen könnte: Huch, der ist ja gar nicht mal so schlecht. Allerdings sehe ich mich eigentlich als fairen Kritiker – auch wenn mich im vergangenen Jahr meine extreme Voreingenommenheit hinsichtlich Schweiger, für die ich ja nach bis dato 14 mäßigen bis zunehmend katastrophalen Filmen aber nicht wirklich was kann, umgehend wieder einholte, als ich im vergangenen Jahr im Kino den Trailer zu seinem „Die Rettung der uns bekannten Welt“ sah, der wieder exakt jenen Einheitsbrei vermuten ließ, mit dem uns der Mann seit so vielen Jahren traktiert. In anderen Worten: Nachdem er zuletzt mit „Klassentreffen 1.0 – Die unglaubliche Reise der Silberrücken“ und seinem Sequel „Die Hochzeit“ dem primitiven Klamauk frönte und damit an den Kinokassen ziemlich scheiterte, kehrte er wieder zu seinem letzten großen Erfolg (seinem größten!) zurück, nämlich „Honig im Kopf“ – und würde in dem Trailer kein bipolarer Jugendlicher im Mittelpunkt stehen, sondern ein demenzkranker Opa, könnte es sich bei „Die Rettung der uns bekannten Welt“ genauso gut um „Honig im Kopf Reloaded“ handeln, so sehr ähneln sich die Bilder und der Aufbau der Trailer. Einheitsbrei halt – wie gesagt.

Anders als erhofft ging Schweigers Alles-wie-immer-Formel aber wie zuletzt schon häufiger auch diesmal nicht auf: Nach drei Wochen kam „Die Rettung der uns bekannten Welt“ laut RedaktionsNetzwerk Deutschland nicht über 70.000 Kinozuschauer hinaus – eine Zahl, die selbst unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie, die uns zum Jahreswechsel hin erneut so derbe auf den Senkel ging und somit direkt in die Veröffentlichung des Films hineinplatzte, ernüchternd niedrig war (zum Vergleich: „Last Night in Soho“ hatte im selben Zeitraum 80.000 Zuschauer, und der schrie ja nun wirklich nicht gerade Publikumsmagnet). Wesentlich besser dürften die Zahlen auch danach nicht mehr geworden sein, womit nur noch Schweigers „Head Full of Honey“, das US-Remake von „Honig im Kopf“, noch gewaltiger floppte. Ich hatte es schon in meinen vorigen Reviews erwähnt: Der Name Til Schweiger allein zieht schon länger nicht mehr – und ich gehe stark davon aus, dass das nicht nur der einen oder anderen fragwürdigen, weil mit gefährlichem Halbwissen aufwartenden Äußerung von ihm in der Öffentlichkeit geschuldet ist, sondern auch den immer gleichen Storyelementen, die kaum noch jemand sehen mag. Doch es gibt ja noch den heldenhaften Schreiber dieser Zeilen, dessen erklärtes Lebensziel es ist, die werte Leserschaft über den Werdegang von Gernegroß Til S. zu informieren – selbst wenn das bedeutet, sich diesmal sogar fassungslos machende 136 Minuten lang (für wen hält der Kerl sich? Für Tarantino?!) die volle Dröhnung dick aufgetragener Sentimentalitäten zu geben. Ich hoffe, ihr erkennt all die Opfer an, die ich für euch bringe.


Inhalt

Zuallererst halten wir obligatorisch fest: Ja, auch „Die Rettung der uns bekannten Welt“ wurde gefördert – und zwar von der Film- und Medienstiftung NRW, dem Filmfernsehfonds Bayern, der Filmförderungsanstalt und dem Deutschen Filmförderfonds. Ihr wisst, was zu tun ist: Adressen googeln und Beschwerdemails aufsetzen.

Der Film startet gleich voll durch, indem er uns bereits in der ersten Szene den Helden unseres heutigen Dramas zeigt. Sein Name ist Paul. Obwohl die Wörter „Held“ und „Til Schweiger“ quasi untrennbar miteinander verbunden sind – jedenfalls aus Sicht von Til Schweiger –, wird Paul NICHT von Til Schweiger gespielt, denn dafür ist er bereits 40 Jahre zu alt. Paul ist ein gerade erwachsen gewordener junger Mann, der sich – in der Einleitung hatte ich es bereits angedeutet – mit einer bipolaren Störung herumplagt. Der psychische Knacks drückt sich bei ihm in nächtlicher Rastlosigkeit aus, und die wiederum äußert sich darin, dass er durch die dunkle verregnete Nebengasse einer Stadt (Berlin?) läuft. Weil wir ja nun aber Schweiger inzwischen besser als unsere eigenen Westentaschen kennen (also ich zumindest), wäre ein Spaziergang oder selbst ein Lauf, um die innere Unruhe, von der der bedauernswerte Junge befallen ist, auch visuell auszudrücken, viel zu unspektakulär. Schweiger setzt den ganz dicken Pinsel an, also liebt Paul hier die große Geste, das Risiko, den Kick, das Adrenalin. Deshalb wird Paul-Darsteller Emilio Sakraya gleich in mehreren Einstellungen von einem Stuntman gedoubelt, der sich mit akrobatischen Saltos, waghalsigen Kletteräffcheneinlagen und sonstigen Stunts fortbewegt.

Nach anfänglichem Kraxeln etwa auf die Dächer von fahrenden Autos, die ihn bei einer Vollbremsung auch mal in Holzschuppen schleudern, was er locker wie eine lästige Fliege abschüttelt, entdeckt er schließlich vor sich ein verlassenes Gebäude mit vielen Leitern und Gerüsten und krabbelt nach diversen weiteren Hampeleien auf die Spitze des Gebäudedachs, ohne dabei nur einmal sein hektisches Tempo zu drosseln. Im wirklichen Leben wäre die offensichtlich suizidal veranlagte Hauptfigur längst in die Tiefe gestürzt und dürfte von ein paar bedauernswerten Seelen vom Straßenpflaster gekratzt werden. Hier aber überlebt sie die Klettertour mühelos.

Währenddessen läuft ein treibender Soundtrack, den meine Liederkennungs-App nach einigen Anlaufschwierigkeiten als „Unbroken“ von Van Dyke identifizierte. Ich will nicht meckern: Immerhin ist es aktuell noch kein Emo-Gejaule, wie Schweiger es selbst in seinen „heiteren“ Klamauk-Streifen zum Besten einsetzt. Allerdings sei bereits jetzt verraten: Wie jeder Schweiger-Film ist auch „Die Rettung der uns bekannten Welt“ vom Start weg von Musik in jedweder Form durchsetzt, dass „penetrant“ noch ein zu schwaches Wort dafür wäre. Ich werde im Folgenden in eckigen Klammern angeben, wann immer musikalische Beschallung erklingt und wann sie endet, nur um euch mal zu zeigen, was ich hier zu erdulden habe.

Und damit nicht genug, dass unsere Gehörgänge mit musikalischer Dauerbeschallung penetriert werden, kam Schweiger mit seinem Stamm-Co-Autor Lo Malinke auch noch auf die gnadenlos glorreiche Idee, uns vereinzelt Pauls Voice-over mit an die Hand zu geben, der bereits an dieser Stelle mit schmerzhaftesten Plattitüden um die Ecke kommt, wie Schweiger sie seine Protagonisten ja in ernsthaften Momenten so gern schwallern lässt, um sie tiefgründig klingen zu lassen. Aber lest selbst – ungeschönt und ungekürzt:

„Es gibt Leute, die sagen, ohne Schlaf wirst du irre. Aber was, wenn es in Wahrheit genau andersrum ist? Was, wenn es der Schlaf ist, der dich irre macht? Wenn du einschläfst, und du träumst Sachen, die absolut der Horror sind, nur damit es aufhört – so absolut der Horror, dass du den Kopf gegen die nächste Wand schlagen willst –, nur damit dein Traum, dieser endlos grauenvolle Traum endlich aufhört, nur damit du endlich aufwachst, dann ist es verdammt nochmal das Beste, gar nicht erst einzuschlafen. Du machst deine Augen auf, und du lässt die ganze Welt offen. Und du machst sie einfach nicht mehr zu, nicht mal für eine einzige Sekunde, nicht mal für einen winzigen Moment. Du schläfst nicht mehr. Du schläfst nie wieder. Du gibst dem Traum einfach keine Chance mehr, nochmal zurückzukommen. Und wenn er es doch versucht, wenn er doch wieder versucht zurückzukriechen in dein Gehirn, dann brüllst du – so laut du kannst.“ Am Ende dieses Monologs ist er oben auf dem Dach besagten Gebäudes angekommen und schreit lauthals ein „ICH BIN WAAAAACH!“ in die Nacht. [Ende „Unbroken“ (Van Dyke)]

Laute Hauptfigur, lauter Soundtrack, platter Voice-over, dazu noch der hyperaktive Schnitt, den wir ja schon so von Schweiger gewohnt sind: Das wird wieder äußerst hartes Brot, sag ich euch. Wie lange noch? 132 Minuten? Seufz.

Nach diesem grellen Auftakt kehrt kurz Ruhe ein, die Musik ebbt ab. Erleichternd. Früh am Morgen steht Paul am Bett seines schlafenden Vaters Hardy. Da ist er – unser Til! Um ihn zu wecken, klatscht er kurz vor dessen Gesicht in die Hände und brüllt ihm, als er nicht sofort wach wird, „WIR WÄREN DANN SOWEIT!“ ins Gesicht – woraufhin Hardy aus dem Schlaf hochschreckt. Wie ein Kleinkind wirft sich Paul aufs Bett seines Vaters und rollt von da aus herunter. Mir ist klar, dass eine Hauptfigur Ecken und Kanten haben sollte. Mir ist auch klar, dass bipolare Menschen wegen ihrer eklatanten Stimmungsschwankungen nerven und gar nicht mal was dafür können. Dennoch kann ich nicht anders, als Paul bereits zu diesem Zeitpunkt als elendige Nervensäge anzusehen – und ich fürchtete bereits jetzt, dass das eher noch schlimmer wird. (Wie recht ich doch haben sollte.)

Was aber ist der Grund für Pauls morgendliche Unruhe? Mama hat Geburtstag! Er und seine beiden kleinen Geschwister, von denen wir erst deutlich später die Namen erfahren werden (sie heißt Charlie, er Luca), setzen sich Partyhüte auf, halten Luftballons in der Hand und pusten dann in ihre Tröten. „ÜBERRASCHUNG!“, grölen sie – und würden ihrer Mutter damit vermutlich Tränen der Freude in die Augen zaubern, wenn sie sich denn nicht auf dem Friedhof am Grab ihrer Mami befinden würden. „Siehst du, Paul? Leise Geburtstage sind auch schön“, nuschelt Papa Hardy in Verkennung dessen, was wir eben gesehen haben – aber schön wär’s, nur leider setzt nach 30-sekündiger musikalischer Pause von der Tonspur auch schon wieder der nächste Song ein: [„Upswing“ (Prinze George)]. Und weil auch das nicht reicht, geht auch die Konfettikanone los, Paul brüllt: „HAPPY BIRTHDAY, MAMA!“, und die ohne Wissen des Vaters von Paul bestellte spanische Band mit ihren Sombreros taucht auch für ein hübsches Geburtstagsständchen auf. Der übliche auditive Overkill also. Paul tanzt mit seinen Geschwistern dazu begeistert Ringelreihen, bis auch schon die Ordnungskräfte aufmarschieren, um den Radau zu unterbinden, denn wir wissen ja, wie humorlos wir hier in Deutschland sind. Lieber ein Knöllchen als freudige Kinderaugen. Die Kinder laufen vor den unerwünschten Gästen davon, Hardy stellt sich den Konsequenzen wie ein Mann. Ich schätze, das sollte witzig sein. Nur ist laut nicht witzig, Til. Das hatte ich dir doch nun aber wirklich schon mehrfach gesagt. Der Film geht gerade fünf Minuten, und ich mag schon nicht mehr. [Ende „Upswing“ (Prinze George)]

Nach dem Grabbesuch folgt der Schulunterricht. Charlie und Luca wechseln vor der Lehranstalt mit ihrem älteren Bruder noch ein paar warme Worte, die noch einmal etablieren, wie lieb sich diese lieben Geschöpfe doch eigentlich haben und wie gern Paul so eine Art Ersatzmama-Rolle ausfüllen würde. Es suppt und trieft vor Schmalz schon ganz gewaltig, und das Ganze wird auch nicht besser dadurch, dass schon wieder 30 Sekunden seit dem abrupten Ende von Prinze Georges „Upswing“ vergangen sind und man daher doch mal wieder Musik einstreuen könnte, diesmal aber: [absolut scheußliche, weil so unendlich generische Emo-Mucke, die uns anzeigt, dass jetzt etwas Herzschmerz angesagt ist] „Ich find’s blöd, dass wir keine Mama haben“, nölt Charlie, aber Paul versucht sie aufzumuntern, immerhin sei er doch da, und er werde immer da sein. Ganz schön großspurig, aber so verabschiedet man sich auch schon in die jeweiligen Schulklassen. Paul ruft seinen Geschwistern noch laut hinterher: „ICH HAB’ EUCH LIEB! ZUCKERRÜBENSIRUPGUMMIBÄRCHENHONIGBRÖTCHENLIEB!“ Ich hoffe inständig, dass Schweiger so nie mit seinen vier Kindern geredet hat, als die noch kleiner waren. Und weil Paul zwar laut, aber eben auch lieb ist, überlässt er einem niedlichen kleinen Jungen die für die Mama gedachten Geburtstagsluftballons, bevor auch er die Schule betritt. Mein Herz geht auf, ich kotze. Nicht dass eine solche Szene nicht auch rührend sein könnte, aber Schweiger kriegt das mit seiner Haudrauf-Dramatik einfach nicht hin. Ein Blick auf die Uhr verrät: noch 130 Minuten. Das sind schon 4 Prozent. Wenn ich in dem Tempo weitermache und für jede Minute knapp 2.000 Zeichen benötige, habe ich bald keine Buchstaben (und keine Leser) mehr. [Ende Emo-Musik]

Lernen wir doch einmal Hardy besser kennen. Und gleich frage ich mich: Müssen wir das überhaupt? Wissen wir nicht eh, was für eine Rolle Schweiger hier spielt? Chaotisch? Check. Überfordert? Check. Aber lustig? Check. Und schlagfertig? Check. Mit ordentlich Schlag bei den Frauen? Check. Ein liebender Familienvater? Check. Wir gähnen herzhaft. Diesmal ist er aber kein millionenschwerer und weltberühmter DJ wie in „Klassentreffen 1.0“ und „Die Hochzeit“, aber immerhin ein reicher beeindruckender Architekt, auch wenn das lediglich behauptet wird, denn wir werden ihn im gesamten Film nicht einmal beruflich in Aktion sehen. Ihm gegenüber sitzt seine Kollegin Anni (Bettina Lamprecht), zugleich die gute platonische Freundin, die er nach dem Tod seiner Frau so dringend braucht – und die insgeheim total auf Hardy abfährt, ohne dass ihm das bislang klargeworden wäre. Er erzählt ihr, dass er für die Friedhofsaktion von eben ordentlich blechen muss (Anzeige wegen Störung der Totenruhe, Reinigungskosten und die Gage für die spanischen „Amigos“ – insgesamt mehr als 1.600 Euro, aber ich bin mir sicher, das kann er locker verkraften). Dies ist der Grund für einen verpassten Termin mit seinem Chef Stetter (Herbert Knaup), der auch sofort auf der Matte steht und ihm klarmacht, dass er ein solches Verhalten nicht dulden kann. Hardy schiebt zwar als Entschuldigung seine drei Kinder vor, aber damit muss er seinem Vorgesetzten nicht kommen, schließlich hätte der auch vier Kinder und eine Frau. „Was macht denn Ihre Frau so den ganzen Tag?“, setzt sich Stetter auch gleich voll ins Fettnäpfchen und hat Glück, dass Hardy nur mit einem müden Gag kontert: „Sie ist tot, besonders morgens.“ „Oh, das wusste ich nicht“, soll dann wohl Stetters Entschuldigung sein. An der Stelle wartete ich auf zartes Klavierklimpern, das uns sagt: „Hey! Traurig! Weinen jetzt!“, aber es kommt nicht. Ihr seht mich bass erstaunt.

So, aber die Hauptfigur soll ja eigentlich wer anders sein. Also ab von Hardys Arbeits- zu Pauls Schulalltag, wo mir der Knabe nicht sympathischer wird. Mir drängt sich schon in diesem frühen Stadium des Films der Verdacht auf, dass Schweiger in seinem Leben mit Bipolarität maximal am Rande zu tun hatte, als er „Die Rettung der uns bekannten Welt“ drehte. Irgendwie wirft er alles, was er irgendwo mal aufgeschnappt hat, in den Mixer, wodurch er Paul für einen wie mich, der zugegebenermaßen selbst Laie ist, was die Krankheit angeht, wie die Karikatur eines bipolaren Schülers wirken lässt. Er wippt unruhig mit seinem Bein, er trägt eine Erdmännchen-Handpuppe namens Rüdiger an einer Hand, er unterhält sich laut mit seinem Sitznachbarn und best buddy Saheed, und er kaut besonders auffällig mit offenem Mund Kaugummi – womit er natürlich empfindlich den Unterricht stört und sich nicht zu Unrecht ein erbostes „PAUL!“ seines Lehrers einfängt, als er auch nach mehrmaliger Ermahnung nicht mit seinen Kaspereien aufhören will. Damit triggert der Lehrer den verhaltensauffälligen Bengel aber erst richtig, der sofort aufspringt und ihn anfaucht: „PAUL! PAUL! PAUL! KÖNNTEN SIE MAL DIE FRESSE HALTEN, SIE PENNER? KÖNNEN SIE EINMAL VERSUCHEN, MIR NICHT AUF DEN ZEIGER ZU GEHEN? ICH UNTERHALTE MICH HIER MIT MEINEM FREUND!“

Der Lehrer versucht, zunächst noch die Contenance zu bewahren, aber weil Schweiger ihn bewusst als empathielose Witzfigur anlegt, die nur durch ein Versehen an den Paukerjob gekommen sein kann, macht er sich über Pauls Handpuppe lustig und will, dass sein Schüler gefälligst seinen Kaugummi ausspuckt. Das hätte er mal nicht tun sollen, denn Paul revanchiert sich, indem er ihm sein gekautes Kaugummi – haha – auf die Brille spuckt! „SETZ DICH HIN! AUF DER STELLE!“, brüllt Herr Lehrer mit all seiner nicht vorhandenen Autorität und holt sich dafür noch kostenlos eine Hitler-Imitation des aufsässigen Schülers ab: „Jawoll, mein Lörrer!“ Pauls Mitschüler biegen sich entsetzlicherweise bei diesem Schlagabtausch vor Lachen. Schweiger muss wirklich in einer Mottenkiste leben, so oft, wie er daraus seine dollen Gags hervorkramt. Und wieso müssen bei ihm überhaupt ständig Leute schreien? Da kriegt man doch Kopfschmerzen von. Apropos Mottenkiste: Gehört der Lehrerspruch „Hefte raus, Klassenarbeit!“ dort nicht eigentlich auch hinein? Der Pauker bringt ihn trotzdem. Die Rache eines jeden getroffenen Lehrerhundes.

Anni gibt Hardy in der Zwischenzeit ein paar kluge Ratschläge, weil der überforderte Familienvater bei Paul mit seinem Latein am Ende ist: „Du sollst ihn lieben.“ Aber das tut er doch auch: „Anni, ich lieb’ ihn von hier bis zum Mond und zurück, das macht es kein bisschen einfacher.“ Wenn man vom Satansbraten spricht – die Schule ruft an und bittet zu einem dringenden Gespräch. Somit muss Hardy auch schon wieder los. Sein Chef, der nach seinem Fettnäpfchentritt von vorhin eigentlich noch peinlich berührt sein müsste, lässt schon wieder ganz das Arschloch heraushängen und droht unverhohlen mit Kündigung – auch wenn ihm das schwerfallen würde, da Hardy sein bester Mann sei. Das war Til Schweiger nämlich ganz wichtig, das nochmal zu betonen: Er mag chaotisch und unzuverlässig sein und aus Chefsicht unverschämterweise seine Familie vor den Beruf stellen, aber er ist verdammt nochmal weit und breit der Beste hier. Bloß keine Zweifel aufkommen lassen, richtig so. Auf diese Drohung kann Hardy keine Rücksicht nehmen: Er bricht sofort zur Schule auf…

… wo Schweiger uns ein weiteres Beispiel seines äußerst fragwürdigen Humorgeschmacks präsentiert. Vor den Augen der Schulleiterin und seines Vaters behauptet Paul, dass es genau andersherum sei: Nicht er hätte dem Lehrer, sondern sein Lehrer hätte ihm den Hitlergruß gezeigt, woraufhin der ebenfalls anwesende Lehrer sich tatsächlich zu einem markerschütternden „JAWOLL! MEIN LÖRRER!“ hinreißen lässt. Während ich mich noch frage, in was für einem lächerlichen Knallchargen-Kasperletheater ich hier schon wieder gelandet bin, stellt der Lehrer verzweifelnd jammernd klar: „Ich habe ihn doch nur zitiert.“ Ich hatte schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten damit, Schweiger und seine „Gags“ zu verstehen – diese Schwierigkeiten werden nicht weniger. Die Schulleiterin glaubt dem Lehrer und stellt Hardy gegenüber unmissverständlich klar: „Wenn er [Paul] so weitermacht, wird er fliegen.“ „ICH KANN FLIEGEN! FLIEGEN! WOHOO!“, grölt Paul und springt aus dem Fenster, landet aber weich im Laub auf der Ladefläche des Hausmeister-Lkws. Warum bloß habe ich das Gefühl, dass Schweiger – wie schon in „Honig im Kopf“ – auf Kosten der kranken Hauptfigur verkrampfte Comedy-Einlagen einbaut? Es tut mir echt leid für Paul mit seiner Krankheit, für die er nichts kann, aber ich möchte ihn umbringen. 123 Minuten noch. Das wird mein längstes Review.

Auf dem Weg nach Hause holt sich Hardy bei einem Handytelefonat weitere Tipps von Anni, wie er sich nach der angedrohten Suspendierung Paul gegenüber verhalten soll, doch gerade als er ins Haus gehen will, entdeckt er frische Hundescheiße auf der Veranda – und seine beiden Kleinsten sitzen über beide Ohren strahlend draußen mit drei ihm unbekannten Hunden, die ihm als Banksy, Yoda und Pupsi vorgestellt werden. Er ahnt bereits Schlimmes und steht sogleich Paul gegenüber, der sich sehr wortgewaltig bei ihm entschuldigt und eine Überraschung ankündigt, mit der er sich wohl selbst vor der eigentlich fälligen Standpauke schützen möchte – und die Überraschung ist: „Wir sind Hundepaten!“, jubiliert Paul mit zwei weiteren Hundewelpen in seinen Händen, und eine ganze Meute kläffender Köter strömt aus dem Haus. Ende der Szene. Pures Comedy-Gold.

Eigentlich dachte ich ja, dass sich der Film auf Paul und seine Eskapaden fokussieren würde, aber Schweiger mag noch nicht so recht und rückt lieber das alltägliche Leid des Witwers in den Mittelpunkt. Wenn er schon selbst in seinen Filmen mitspielt, will er schließlich nicht in einer vernachlässigenswerten Nebenrolle verkümmern. Na gut, dann also Hardy beim gemütlichen Mittagessen mit Anni, deren ganzes Leben nur aus Hardy und seinen Sorgen zu bestehen scheint. Müsste sie ein Poesiealbum ausfüllen, würde in der Rubrik „Liebste Freizeitbeschäftigung“ fraglos „Hardy“ stehen. Zu ihrem großen Kummer berichtet Hardy nicht ohne Stolz von seinem anstehenden Treffen mit einem Online-Date, das er sich nach all den Jahren voller Schmerz und Einsamkeit nach dem Tod der Gattin gönnen wird.

Anni: Du hast ein Date?
Hardy: Ja, ich hab’ ein Date!
Anni: Mit ’ner Frau?
Hardy: Nein, mitm Mann, und er hat ganz softe Augen.
Anni: Echt jetzt?
Hardy: Anni, das war ein Joke!

Gut, dass er das sofort klargestellt hat. Mir blieb fast das Herz stehen. Bloß nicht zu lange den Verdacht aufkommen lassen, eine von Schweiger gespielte Figur könnte – Gott bewahre – schwul sein. Das ist zugleich der Zeitpunkt für: [Emo-Musik] Schließlich ist es mittlerweile fast zehn (!) Minuten her, dass letztmals Musik im Hintergrund spielte. Aber ich will nichts sagen: Das waren jetzt tatsächlich mal zwei, drei Szenen ohne Musik. Anni versucht sicherlich nicht ganz uneigennützig – denn nur sie ist die Richtige für diesen phänomenalen Mann –, Hardy sein anstehendes Date madig zu machen, schließlich könnte die Auserwählte auch „voll psycho“ sein. Jedenfalls kann sie mit dem Friendzone-Status nicht länger umgehen, steht auf und lässt Hardy eiskalt sitzen. Spätestens jetzt sollte beim perplex zurückbleibenden Hardy doch der Groschen fallen. [Ende Emo-Musik]

Sieht aber nicht so aus, denn in der nächsten Szene wirft er sich zu Hause ungerührt für sein Online-Date in Schale. Dabei wirft er einen Blick auf das immer noch auf dem Schlafzimmernachttisch stehende Foto seiner verstorbenen Frau, und es spricht nicht für den Film, dass mir dabei zuallererst die Szene aus „Der Mann mit zwei Gehirnen“ in den Sinn kommt, in der Steve Martin um ein Zeichen seiner toten Frau bittet, sollte sie nicht damit einverstanden sein, dass er wieder heiratet, woraufhin ihr gemaltes Porträt an der Wand sich wie wild im Kreis zu drehen beginnt und eine geisterhafte Stimme unaufhörlich und schrill „Nein!“ ruft. (Das wäre übrigens auch ein gutes Beispiel für einen gelungenen Gag, lieber Til.) [Beginn Emo-Musik] Stattdessen erleben wir aber den bislang abgeschmacktesten Moment des Films, denn von jetzt auf gleich sitzt seine Frau Meryem als Geist hinter ihm auf dem Ehebett und redet mit ihm. „Wenn du noch hier wärst, bräuchte ich kein Date“, klagt er, aber sie gibt ihm ihr Okay: „Hardy, es wird Zeit für ein Date.“ Er hadert aber noch, weil es ihm wie Fremdgehen vorkommt. Meryem stellt jedoch ein für alle Mal klar: „Hardy, es ist okay, glücklich zu sein.“ „Du fehlst mir so“, flennt das jämmerliche Weichei. Das beruht auf Gegenseitigkeit: „Du fehlst mir auch – unendlich, unendlich.“ Weint ihr auch? Ich fühle mich zutiefst im Herzen berührt. Auch starke Männer können weinen, wie es der Große Lebowski sagen würde. Ihr merkt sicherlich schon wegen meiner Nennung von zwei Komödienklassikern: „Die Rettung der uns bekannten Welt“ spielt sich für mich bislang eher als (teilweise unfreiwillige) Komödie denn als Drama. [Ende Emo-Musik]

Um seine Männlichkeit nach so viel Geheule nicht gänzlich zu unterminieren, markiert Hardy vor seinem Abgang zum Date den harten Max und erteilt Paul noch nachträglich drei Wochen Hausarrest. Doch kaum hat Papa das Haus verlassen, entscheidet sich Paul dafür, der Anordnung keine Folge zu leisten und sich ebenfalls auf die Socken zu machen. Das erntet expliziten Widerspruch seiner kleinen Geschwister, selbst dann noch, als er ihnen als Schweigegeld 50 Euro für Pizza oder die Buchung eines Unterhaltungsclowns auf den Tisch knallt. Die Kinder hassen aber Clowns (verständlich) und Pizza (völlig unverständlich), und Luca erinnert nochmals an den gerade erst vor zwei Minuten aufgebrummten Hausarrest. Das bringt Paul jetzt aber wirklich auf die Palme. Er spuckt vor Wut: „JETZT HÖR AUF MIT DEM SCHEISSHAUSARREST!“ Weil das ungezogen war (und Schweiger außerdem mal irgendwo gelesen hat, dass Bipolare sowas machen), haut er sich umgehend in Selbsttadelung mit der Hand gegen den Kopf und entschuldigt sich für seinen Ausbruch. Trotzdem haut er ab.

[Beginn Emo-Musik] Es sei betont, dass die Schnittarbeit in „Die Rettung der uns bekannten Welt“ nicht ganz so wüst „Psycho“-duschszenenartig ausfällt wie in „Klassentreffen 1.0“, aber dass Schweiger beim Zusammensetzen der Bilder doch einige merkwürdige Entscheidungen trifft, zeigt sich ganz besonders in der folgenden Szene: Die Kamera filmt einen Turm. Dann Schnitt zu Charlie und Luca, wie sie sich über ihren Bruder unterhalten. Dann Schnitt zurück zum Turm, wo Paul und Saheed gerade auf einem Motorrad ankommen. Dann Schnitt zurück zu Luca, der sich fragt, was er und Charlie allein jetzt so machen sollen. Und dann wieder der Schnitt zurück zu Paul und Saheed. Ich kapiere den künstlerischen Anspruch dahinter nicht. Die Antwort wird sein: Unser Superregisseur weiß selbst nicht, was er eigentlich will. [Ende Emo-Musik]

Das muss erstmal reichen, denn wir müssen ganz schnell zu Hardy schalten, der doch sein mit Spannung erwartetes Date hat. Sein Date heißt Franziska und ist zu unser aller Überraschung – eine Schwarze! Wer Schweigers Ouevre ein wenig kennt, weiß nämlich, dass Personen mit schwarzer Hautfarbe in seinem Schaffen bisher entweder gar keine Rolle spielten oder, wenn doch, dann mit Vorliebe für absolut blöde Gags herhalten mussten. Und da auch Hardys Frau, die wir vorhin als Vision gesehen haben, schon keine Deutsche war, könnte man nun glatt annehmen, Schweiger hätte sich die Kritiken zu Herzen genommen. Nur gibt es ein Problem: Schön und gut, er mag sich vielleicht damit arrangieren, für einen Film mal eine Figur zu spielen, die ein Date mit einer schwarzen Frau hat, aber eine korpulente(re) schwarze Frau?! Das geht nun doch nicht. Er reagiert irritiert, weil die Franziska auf dem Foto im Dating-Portal nicht die Franziska ist, die gerade vor ihm steht. Sie gibt zu, ein bisschen zugenommen zu haben: „Hast du vielleicht ein Problem damit?“ „Nee, das ist mir egal, aber du siehst komplett anders aus als Franziska.“ Schon klar, Til, gerade DU hast kein Problem mit Dicken. Siehe „Klassentreffen 1.0“.

Ich war schon gerade dabei, diese Szene als typisch Schweiger abzutun, muss dies dann aber doch wieder ein Stück weit zurücknehmen, denn im nächsten Moment zeigt Franziska Hardy das Bild, das er auf dem Dating-Portal hochgeladen hat – und auf dem sieht auch er etwas anders aus als in real. Franziska kommt zu folgendem Schluss: „Wir lügen alle im Internet. Schwamm drüber.“ Womit wir unsere heutige Lektion gelernt hätten: Wir, die wir im World Wide Web surfen, sind dreckige Lügner, alle miteinander. Das hat zwar so absolut gar nichts mit dem Rest des Films zu tun und ist stilistisch daher äußerst ungeschickt eingebaut, aber es war Schweiger offensichtlich ein Anliegen, diesen Punkt zu machen. Und dadurch, dass er selbst auch als Schummler dasteht, kann ich an dieser Stelle auch nicht die zunächst bereits gezückte Rassismuskarte spielen.

Machen wir weiter mit dem eigenwilligen Schnitt des Films: Charlie und Luca experimentieren in der Wohnung mit Reagenzgläsern und Flüssigkeiten aus dem Chemiebaukasten, und Charlie möchte für das Experiment eine Kerze anzünden. Schnitt auf Franziska und Hardy, wie sie trotz des schlechten Starts auch weiterhin ihr Date haben. Schnitt zu den Kindern, die plötzlich „Jim Knopf“ gucken wollen und dafür alles stehen und liegen lassen. Und wieder Schnitt zu Franziska und Hardy, wie sie ihr Date haben – und der Szene dürfen wir nun auch wieder etwas länger beiwohnen. Ich kann mich nur wiederholen: Die Schnittarbeit ist konfus und planlos. [Beginn Emo-Musik] Franziska fällt auf, dass Hardy noch seinen Ehering trägt und möchte wissen, warum er und seine Frau sich getrennt hätten. Zuerst lügt er ihr vor, seine Frau hätte ihn verlassen, erzählt ihr dann aber doch die Wahrheit. „Das ist so traurig. Das ist so traurig“, kommen Franziska dabei die Tränen – und sie schweigen sich an. Bei der Gelegenheit könnt ihr euch bitte auch gleich bei Franziska verabschieden. Das war nämlich ihre letzte Szene. Mit heulenden Weibern, die ein Date mit einer Lüge beginnen, kann der heulende Hardy, der ein Date mit einer Lüge beginnt, offenkundig nichts anfangen. [Ende Emo-Musik]

[Beginn „The Arctic Voice“ (Oliver Koletzki & Township Rebellion)] Falls ihr es vergessen haben solltet: Vorrangig geht es hier immer noch um Paul und nicht um Emo-Hardy – und zu dem geht es jetzt wieder. Schweiger wiederholt die Anfangsszene leicht variiert und lässt Paul und Saheed mal wieder mit akrobatischen Stunts und zu treibender Techno-Musik an besagtem Turm herumhampeln, dass ich kurz glaubte, in einen neuen „Mission: Impossible“-Teil mit Tom Cruise geraten zu sein, zumal Paul sogar noch weitergeht und mithilfe einer straffen Leine das Dach hochbalanciert, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Angefeuert wird er dabei von weiteren Jugendlichen, die auch ein Smartphone zücken und damit die halsbrecherische Aktion filmen. Schweiger lässt sich mit dieser Szene wirklich Zeit und mag damit beweisen, dass Action made in Germany möglich ist. Nur lenkt sie halt auch ein wenig von der eigentlichen Drama-Handlung ab. Es hat eher was von „Guck mal, was ich kann“. Ganz oben angekommen jubelt Paul: „Das kriegt eine Million Likes, Digga!“ Dann rutscht er jedoch ab und stürzt in die Tiefe. Ende, aus die Maus, tot. Doch – haha – nach mehreren schier unerträglichen Schrecksekunden stellen die Beobachter fest, dass er sich noch festhalten konnte und nun in lichter Höhe wieder festen Boden unter den Füßen gewinnt. Schade. [Ende „The Arctic Voice“ (Oliver Koletzki & Township Rebellion)]

In der Zwischenzeit passiert ein Unglück: Charlie und Luca haben ja bekanntlich mit ihrem Chemiebaukasten herumgespielt und dabei in ihrer kindlichen Naivität – andere würden Blödheit sagen – vergessen, dass da noch eine Flamme brannte. Die Folgen sind vorhersehbar: Erst zischt es, dann knallt es – und ehe man es sich versieht, muss auch schon die Feuerwehr ausrücken. [Beginn Emo-Musik] In diesen Trubel hinein kommen Paul und Saheed angefahren, die natürlich entsetzt zum Ort des Geschehens stürzen. Zum Glück entdecken sie schnell die vielleicht nicht gerade quicklebendigen, da mit Sauerstoffgeräten ausgestatteten, aber immerhin lebenden Geschwister. Hardy allerdings ist verständlicherweise völlig außer sich und plärrt: „WIE KANNST DU SIE ALLEINE LASSEN? WIE KANNST DU DEINE KLEINEN GESCHWISTER ALLEINE LASSEN? SIE HÄTTEN TOT SEIN KÖNNEN! TOT!“ Paul möchte einmal mehr beschwichtigen, aber nix da. „HALT DEIN MAUL!“, brüllt sein flennender Vater und verpasst ihm die längst verdiente saftige Backpfeife. Er würde seinen Sohn gar kurzerhand im Schwitzkasten erwürgen, würde sich nicht Saheed dazwischenwerfen und Schlimmeres verhindern. „Du bist so, so nutzlos, Paul“, jammert Hardy. „Tut mir leid, aber du bist nutzlos.“ Er heult, Paul heult, alle heulen. Buuhuuu, alles traurig.

Schweiger war sich natürlich bewusst, dass er mit der Szene eben sein Saubermannimage (hüstel) aufs Spiel gesetzt hat, denn der echte Til würde natürlich niemals seine Kinder schlagen. Deshalb will er sich nur wenige Filmsekunden später auch gleich für seinen emotionalen Ausbruch entschuldigen, aber als er das offenbar bei der Explosion heil gebliebene Zimmer seines Ältesten betreten will, findet er nur ein leeres Bett vor. In steigender Sorge ruft er nach Paul, aber keine Antwort. Schnell schnappt er sich seinen Wagen und fährt los.

Paul hat sich mit seinem Fahrrad auf den Weg ins Grün an einen See gemacht. In voller Montur schreitet er langsam ins Wasser in der festen Absicht, sich das Leben zu nehmen. Dabei dröhnt uns sein Voice-over entgegen, der aber mal wieder so richtig derbe auf die Kacke haut. Ich gönne ihn euch erneut – ungeschönt und ungekürzt, denn ein bisschen leiden sollt ihr bitte schön auch (im Gegensatz zu mir müsst ihr den Film wenigstens nicht gucken):

„Aufstehen. Zähne putzen. Aus dem Haus gehen. Jemandem zuhören. Vielen zuhören. Autos sehen. Häuser sehen. Menschen sehen. Viele Menschen sehen. Das ist alles leicht für sie. Und dann sind da noch die anderen, die Goldfische. Sie schwimmen. Sie schwimmen, aber immer nur im Kreis, und wenn sie versuchen, was daran zu ändern, ist da eine fette Wand aus Glas. Und da kommen sie nicht durch, weil das Glas ist zu dick und alles, was dahinter ist, ist irgendwie verschwommen. Sie können machen, was sie wollen. Alles, was sie tun, führt zu noch mehr Chaos, zu noch mehr Schmerz, zu noch mehr. Sie sind vielleicht keine schlechten Menschen, aber sie sind echt schlecht für Menschen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen harsch, ich weiß, aber ich finde, manche Leute sollte es einfach nicht geben.“

Ächz. Wer denkt sich solche Monologe aus? Ach, Schweiger und Malinke. Sorry, blöde Frage.

Ich dachte zwar, Hardy würde in Sorge um seinen Sohn alle Ecken und Enden nach ihm absuchen, aber weit gefehlt: Voller Verantwortungsbewusstsein geht er brav zur Arbeit und wird von Kummerkastentante Anni in den Arm genommen, als er zu heulen anfängt – zum mittlerweile dritten Mal (wie gesagt: auch harte Männer dürfen weinen… aber gleich dreimal?!?!). „Ich habe ihn verprügelt heute Nacht! Richtig doll!“, schluchzt er wie ein Sechsjähriger, dem man sein liebstes Spielzeug weggenommen hat. „Und ich habe noch nie ein Kind von mir geschlagen. Noch nie! Und ich wollte es nie! Ich war nur so verzweifelt. Ich habe so eine Angst gehabt.“ Es tut mir leid, falls ich etwas herzlos klinge, wenn ich die ganze Situation ständig ins Lächerliche ziehe. Die Verzweiflung über die Stimmungsschwankungen eines bipolaren Kindes, die Angst um das infolge eines Streits abgehauene Kind – da ist an sich jede Träne verständlich. Schweiger allerdings kennt einfach – wie ich schon mehrmals betonte – keine ruhigen Zwischentöne und übertreibt den Drama-Aspekt einfach so schamlos, dass wir hier teilweise schon die Grenze zur Satire überschreiten: Lautstärke ist für ihn Humor, permanente Tränen sind für ihn Drama. Und da er ja generell dramatische Momente mit hochgeistiger Comedy abwechselt, kann ich den ganzen Film ohnehin nicht ernst nehmen. Warum soll ich ernsthaft bleiben, wenn selbst Schweiger nicht genau weiß, wo er hinwill?

Wie zum Beweis bestätigt der Mann die Unentschlossenheit des Skripts auch gleich ein weiteres Mal, indem Hardys herzloser Chef, der von der Tränenorgie offenkundig nichts mitbekommen hat, ihn fragt, warum er denn diesmal zu spät gekommen sei. Hardys Antwort: „Meine Küche ist explodiert und hat das halbe Haus weggerissen.“ Und Stetters Reaktion: „Da bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, Sie hätten im Stau gestanden.“ Haha – Lachen im Angesicht des Dramas. SO wichtig. Sogleich hat es sich aber ausgelacht, denn im nächsten Moment steht der verloren geglaubte Sohn Paul klitschnass im Büro und sagt weinend: „Papa, mir geht’s nicht gut.“ Das ist in der Tat – ganz ohne Häme – ein richtig guter leiser Schauspielmoment von Sakraya, und es wäre schön gewesen, wenn Schweiger den mal etwas hätte wirken lassen können. Stattdessen reißt er ihn aber sofort wieder mit seinem fast 60-jährigen Arsch ein. [Ende Emo-Musik nach ungefähr fünf Minuten Dauerberieselung]

In der nächsten Szene sind wir plötzlich in der Jugendpsychiatrie, wo Schweiger fest gewillt ist, den legendären „Lottogewinner Erwin Lindemann“-Loriot-Sketch noch einmal fürs neue Jahrhundert zu recyceln. Die Leiterin Katharina Heller wird von einem Fernsehteam für einen Werbespot für eben diese Psychiatrie interviewt und verliert dabei fortwährend den Faden, weshalb sie immer wieder von vorn anfangen muss, weil:

1. Sie spricht nicht, wie sie eigentlich soll, direkt in die Kamera.
2. Ein Kollege betätigt die Klospülung und zieht sich beim Verlassen der Toilette hinter ihr auch noch mit einem lauten Zipp den Reißverschluss hoch (was durch das gebrüllte „CUT! WIR DREHEN HIER!“ des Regisseurs – denn wie gesagt: Lautstärke ist der Gipfel des Humors – noch vergoldet wird).
3. Der Regisseur nickt ihr beim Aufsagen des Textes zu viel.
4. Das Mikrofon ragt ins Bild.
5. Der Kollege vom Klo stellt sich hinter den Regisseur, nickt zu viel und gestikuliert zu wild.

Nun, was soll ich sagen? Til Schweiger ist kein Loriot.

[Beginn Emo-Musik] Schließlich bringt Katharina aber doch ihren Text zu ihrer Einrichtung fehlerfrei über die Lippen und fasst für uns ein paar allgemeine Fakten aus dem Buch „Depressionen für Dummies“ (oder so) zusammen, weil sich ja sonst kein Zuschauer vorstellen kann, was Depressionen sind. Wichtig sind vor allem drei Punkte: „Erstens: Auch wenn es sich im Moment vielleicht so anfühlt – du bist nicht allein. Zweitens: Es gibt Medikamente, die dir helfen. Und drittens: Es gibt Strategien, mit denen du lernen kannst, diese Gefühle, die dir jetzt so viel Angst machen, unter Kontrolle zu halten.“ Ein pädagogisch wertvoller Film – schon jetzt.

Jene Jugendpsychiatrie wird für die nächste Zeit unser hauptsächlicher Schauplatz sein, denn nach dem in Ansätzen stecken gebliebenen Selbstmordversuch lässt sich Paul dort bereitwillig einweisen. Hardy, die Kinder und Saheed liefern ihn gemeinschaftlich dort ab und verabschieden sich herzzerreißend von ihm. Das ist jetzt mindestens „E.T.“. „Pass auf dich auf, Paul, und dann kommst du bald wieder zu uns zurück, okay? Versprichst du mir das? Versprichst du mir, dass du auf dich aufpasst?“, fragt Hardy seinen geliebten Sohn mit einem leicht verzweifelten Ton in der Stimme, aber Paul schweigt.

Und habe ich „Die Rettung der uns bekannten Welt“ bisher ja schon phasenweise für eine Satire auf ein Drama gehalten, so tauchen wir jetzt endgültig in Sphären ein, die alle Geschmacksgrenzen sprengen und Schweiger als absoluten Vollpansen outen. Sorry, Til, aber is‘ so. Wir kommen jetzt zum „Einer flog über das Kuckucksnest“-Part in der schlechtestmöglichen Variante, sprich: Es wird augenfällig, dass Schweiger so wirklich gar keine Ahnung von dem hat, was er hier erzählt. Vermutlich hat er sein ganzes Wissen über Psychiatrien aus den klischeehaftesten Hollywood-Filmen bezogen – ein Umstand, der schon in seinem zweiten Film „Barfuss“ unangenehm festzustellen war – und präsentiert uns die hiesige Fantasy-Klinik als schick eingerichtetes Schloss mit ungefähr zwei bis drei Angestellten und überdies mit überdrehten Insassen mit den unterschiedlichsten Ticks, die es uns ermöglichen, zukünftig noch viel über sie – und garantiert nie mit ihnen – zu lachen. Kurz ausgedrückt: Schweiger amüsiert sich auf Kosten von psychisch kranken Menschen, glaubt aber offensichtlich dennoch, ihnen mit allem nötigen Respekt zu begegnen.

Paul betritt das Irrenhaus und wird gleich von einer Patientin in Empfang genommen, die sich kurz vorher einen weißen Arztkittel übergestreift hat und sich nun als Ärztin ausgibt. Sie nutzt also den hier vorherrschenden Personalmangel und die damit einhergehenden fehlenden Sicherheitsvorkehrungen gleich mal für sich aus. Darf ich vorstellen? Das ist Toni. Sie leidet unter dem Tourette-Syndrom und lässt daher zukünftig, weil das Menschen mit Tourette-Syndrom nun mal so tun, in den unpassendsten Momenten – und garantiert nur da – hastig herausgebellte Schimpfwörter wie „Fotze“ vom Stapel. Freut euch schon mal drauf. Im Eingangsbereich steht ein weiterer Insasse herum, der die ganze Zeit über mit Luftboxen beschäftigt ist und sich dann und wann auch mal selbst eine verpasst. [Endlich mal wieder Ende Emo-Musik] Dann hätten wir da die blonde Brillenschlange Caro mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen, die gleichzeitig liest und am Tischkicker spielt. Sie leidet unter dem Asperger-Syndrom.

Toni – immer noch nicht als Ärztin enttarnt – führt den Neuankömmling in die Küche, wo ein Monk-Patient gleich mal die Tür schließen muss, damit alles seine Ordnung hat, und eine andere Patientin ein rohes Ei an ihrem Kopf zerdeppert. Sogar eine der unvermeidlichen Schweiger-Töchter ist wieder mit von der Partie, diesmal Emma Tiger, die hier aber Winnie genannt wird und sich durch infantiles Gebrabbel auszeichnet wie das hier an Paul gerichtete: „Ich glaub‘, du wirst es hier lieben auf jeden Fall. Ich glaub‘, du passt hier super rein, und ich glaub‘, du wirst einfach so viel Spaß haben.“ Oder sie tauscht hochgradig ulkige Dialoge mit Toni aus, als der auffällt, dass die von Winnie zubereitete Suppe im Kochtopf überzulaufen droht.

Toni: Winnie?
Winnie: Ja?
Toni: Deine Suppe!
Winnie: Suppe?
Toni: Deine Suppe!
Winnie: Was für ‘ne Suppe?
Toni: Deine Suppe!
Winnie: Au shit, meine Suppe!

[Beginn Emo-Musik] Kurz darauf erscheint die richtige Ärztin Katharina, und Toni läuft weg, aber zu spät: Damit wäre ihre Maskerade auch schon aufgeflogen. In der Küche sitzt außerdem noch ein Patient am Fleischwolf rum und singt bei der Arbeit ein undefinierbares Lied, als wäre er aus einem Horrorfilm entlaufen. Paul behagt das alles nicht, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Wer will es ihm verdenken?

Aber ob ihm das hier nun alles gefällt oder nicht – Paul muss bleiben. Katharina zeigt ihm sein Zimmer, in dem er die kommenden Wochen nächtigen wird, und stellt ihm seinen Mitbewohner Tien vor, der unter einer Zwangsstörung inklusive extremer Phobie vor Bakterien leidet und deshalb in einem von durchsichtigen Vorhängen gesäumten Bett liegt. Paul würde bei so vielen Durchgeknallten auf einen Haufen lieber ein Einzelzimmer haben, aber der Wunsch wird von seiner Ärztin abschlägig beschieden: „Und ich hätte gern ein Date mit Elyas M’Barek, aber leider gehen nicht all unsere Wünsche in Erfüllung. – Sorry, Arzthumor.“ Sorry, gar kein Humor. Paul will Bande knüpfen und streckt Tien seine Hand aus, aber der antwortet mit ein paar Spritzern Desinfektionsmittel aus der Sprühflasche. Und sorry, auch das ist kein Humor.

So, und was darf in einer Psychiatrie auf gar keinen Fall fehlen? Richtig, das Gruppengespräch im Stuhlkreis. Ich war so freundlich und habe euch bereits eben die meisten Jugendlichen namentlich vorgestellt, der Film tut dies erst jetzt. Einen habe ich aber noch vergessen: Richie, den vorlauten Kasper dieser Gruppe mit angeklebtem Anglerhut auf dem Kopf, bei dem ebenfalls eine bipolare Störung diagnostiziert wurde. Das kam heraus, als er in Paris den Mercedes seines Vaters verscherbelt hat.

Caro: Wie hoch war der Reinerlös für den Verkauf des Wagens?
Richie: 300.
Winnie: 300.000?
Richie: 300 Euro.
Winnie: 300 Euro?
Richie: So wahr ich hier sitze, ja.

Tut mir leid, Leute, genau auf diesem Niveau laufen die „schlagfertigen“ Dialoge ab. Und ich bin so nett und verkürze sie sogar noch für euch.

[Beginn Emo-Musik] Paul soll nun auf Aufforderung von Katharina ein wenig von sich erzählen, aber Paul mag nicht.

Toni: Er hat versucht zu ertrinken, aber es hat nicht gleich geklappt.
Katharina: Woher weißt du das?
Toni: Das pfeifen die Spatzen von den Dächern.
Tien: Erhängen. Sehr viel effizienter.
Katharina: Tien!
Winnie: Oder schneiden.
Katharina: Winnie!
Caro: Sein Körper ist sehr gut entwickelt.
Richie: Sehr süßer Leberfleck.
Toni: Finger weg, Richie! Er ist hetero.
Richie: Ja, vielleicht ist das ja sein Problem. (zwinkert Tien zu)

Was höre ich da: AUFHÖREN!? Zu Recht. [Ende Emo-Musik]

Da bin ich ja schon fast dankbar, dass wir uns wieder etwas mit Hardy beschäftigen. Obwohl Anni ja so bitterlich enttäuscht war, dass Hardy lieber eine Schwarze datet als sie, erklärt sie sich als konturlose Frauenschablone natürlich umgehend bereit, wenn er ruft und sie bittet, seine Kinder bei sich aufzunehmen, während er sich mit der Behebung der durch die Explosion verwüsteten Wohnstube beschäftigt. Wenn es nach ihr ginge, dürften die Kinder sogar noch länger bleiben. Zum Abschied will Hardy sie drücken, aber sie gibt ihm reflexartig einen Kuss auf den Mund. [Beginn „Elysium“ (Bear’s Den)] Das führt schließlich zu einem süßen (würg) Dialog zwischen Anni und den Kindern, die sie damit aufziehen, dass sie ihn geküsst hätte (so im Stil von „Du hast ihn geküsst!“ – „Nein!“ – „Doch!“ – „Nein!“ – „Doch!“). Danach fragen sich Charlie und Luca, was sie denn jetzt gemeinsam machen könnten, aber da sich schnell herausstellt, dass Anni tatsächlich die konturlose Frauenschablone ist, als die ich sie eben bezeichnet habe, weil es Schweiger nicht geschafft hat, ihr irgendwelche Eigenschaften oder Hobbys (außer „Hardy“ eben) ins Drehbuch zu schreiben, wird ihnen schnell langweilig. Halt, stopp – eine Sache kann Anni doch: „Pfannkuchen!“ Das erscheint logisch: Wenn frau bei Schweiger etwas kann, dann Küchenarbeit. [Ende „Elysium“ (Bear’s Den)]

Pfannkuchen war übrigens das Stichwort für eine herrliche Überleitung in die Küche der Psychiatrie, wo die Jugendlichen gerade gemeinsam welche machen. Und weil das vorhin schon bei der einen Patientin so lustig war, haut auch Toni sich dabei ein rohes Ei gegen den Kopf. Alle sind bester Stimmung, nur Paul nicht. Tien schlägt Antidepressiva vor, aber dagegen wehrt sich der Unglückliche vehement: „Ich hab‘ aber nicht vor, jeden Tag Pillen zu schlucken und rumzulaufen wie eins [sic!] von diesen Zombies hier!“ So viel negative Stimmung kann wiederum Toni nicht ertragen: Sie flippt völlig aus und wirft diverse Zutaten und Geschirr zu Boden. Es gibt zwar einen Aufpasser, aber der steht da irgendwie nur zur Zierde und lässt sich dann auch widerstandslos wegschubsen, als Toni fuchsteufelswild abhaut. Die anderen warnen Paul vor Toni: „Sie hat ihren Onkel überfahren.“

[Beginn Emo-Musik] Nach so viel Drama wollen wir doch Anni mal etwas besser kennenlernen, oder? Deshalb gibt es weitere süße (immer noch würg) Dialoge zwischen ihr und ihren kleinen Untermietern. Warum sie denn keinen Freund hätte, möchte Charlie wissen. Na, weil die meisten richtig schwer einen an der Klatsche hätten.

Charlie: Vielleicht wird‘ ich ja lesbisch.
Anni: Gute Idee, aber Frauen haben auch einen an der Klatsche.
Charlie: Hast du einen an der Klatsche?
Anni: Nee.
Charlie: Und wie findest du Papa?
Anni: Och, ich finde euren Papa nett.
Charlie: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße.

HILFE! Ich weiß momentan echt nicht, was schlimmer ist: der Aufenthalt in der Klapse oder der Aufenthalt bei Anni. Es sind noch 82 Minuten, und ich will weg. [Ende Emo-Musik]

In einer Einzelsitzung mit Paul möchte Katharina wissen, was er seinerzeit dachte, als er sich ertränken wollte. [Beginn Emo-Musik] Paul offenbart seine Gefühle und weint. Katharina zeigt ihm den Life Chart, in den Paul eintragen soll, wie er sich sein Leben lang gefühlt hat. Wir können Schweiger also zugutehalten, dass er, als er „bipolar“ gegoogelt hat, immerhin auf die Bezeichnung „Life Chart“ gestoßen ist, um sie für diesen Film gewinnbringend einzusetzen. (Oder auch nicht. Ihr denkt doch nicht, dass wir je wieder darauf zurückkommen würden, oder? Dann müssten wir nämlich in die Tiefe gehen, und das übersteigt Schweigers Horizont.) [Ende Emo-Musik]

Inzwischen macht Hardy mit seiner Tochter seine verbrannte Bude sauber – oder versucht es zumindest, denn witzigerweise purzeln in der Küche alle naselang Sachen auf den Boden, die durch den Brand gelockert wurden. Luca hat derweil auf dem Klo sein großes Geschäft verrichtet, kann aber nicht spülen, weil das Wasser im Bad nicht funktioniert, was ihn rufen lässt: „ICH HAB‘ KAKA GEMACHT!“ Es war auch dringend an der Zeit für eines der schweigerschen Trademarks: Klar, streng genommen hatten wir schon Fäkalien in Form von Hundescheiße, aber ohne Menschenscheiße ist ein Schweiger-Film kein richtiger Schweiger-Film. Ich bin jetzt echt ein bisschen erleichtert. [Beginn Emo-Musik] Die Kinder nerven Hardy dann offenkundig doch etwas zu sehr, sodass er sie wieder bei Anni ablädt, die so ganz ohne Hobbys ja eh gerade nichts Besseres vorhat. Ihr privater Alltag besteht sonst vermutlich daraus, auf einem Stuhl zu sitzen und den ganzen Tag ihre Hauswände anzustarren, bis es Zeit zum Schlafengehen ist. [Ende Emo-Musik]

In der Jugendpsychiatrie ist die Tablettenausgabe angesagt, und weil Schweiger halt seine Klischee-Psychiatrie-Dramen kennt, tut Paul nur so, als würde er seine Tablette schlucken, um – wie er es ausdrücken würde – „nicht eins von diesen Zombies zu werden“. Später sitzt er allein und deprimiert in seinem Bett und schmust mit dem einzigen Weggefährten, der ihm geblieben ist: sein Kuschelerdmännchen Rüdiger. Toni betritt sein Zimmer und würde ihm gern Gesellschaft leisten. Wir Checker haben selbstverständlich längst begriffen, dass Toni und Paul noch zu unserem designierten Pärchen werden. Toni zieht ihm zärtlich die Schuhe aus. [Beginn Emo-Musik] „Es wird besser“, verspricht sie dem Bekümmerten.

Wir wechseln dann zum täglichen Stuhlkreisgespräch, in dem eine Patientin sitzt, die der Runde bislang nur stumm in ihren Kapuzenpulli eingehüllt beigewohnt hat, Jana. Diese mag die eigenen bzw. in diesem Fall wohl eher die fremden vier Wände nicht mehr verlassen, weil sie glaubt, dass sie dann sterben werde. Schweiger kann noch so viele neue Charaktere einführen: Solange er sie nicht vernünftig skizziert, werden sie mir gleichgültig bleiben.

Das waren zu viele Szenen hintereinander in der Psychiatrie. Wir laufen Gefahr, den zweiten, vielleicht sogar noch bedeutenderen Handlungsstrang aus den Augen zu verlieren – und der heißt nun mal „Geht da was zwischen Anni und Hardy?“. Beim gemeinsamen Abendessen möchte Anni mehr von diesem tollen Mann erfahren: „Was hast du denn gedacht, als du das erste Mal Vater geworden bist?“ Ja genau, Hardy, sag an: Was hast du gedacht? Das habe ich mich schon die ganze Zeit über gefragt. Leider hätte Anni mal ihre Schnauze halten sollen, denn mit dieser Frage bringt sie ihn zum mittlerweile vierten (!) Mal in diesem Film zum Flennen. Mensch, Til, reiß dich mal zusammen! Es ist immer wieder schön zu sehen, dass du in deinen Filmen nicht davor zurückschreckst, selbst Tränen zu vergießen (auch harte Männer dürfen weinen!!), aber inzwischen geht das doch sehr in Richtung weinerliche Memmenhaftigkeit.

Hardy erzählt ein wenig von den Geburten seiner Kinder und sorgt damit auch beim letzten Rosamunde-Pilcher-Fan für hemmungsloses Schluchzen. Hört euch diesen Monolog an (zunächst bezogen auf Pauls Geburt): „Es war einfach nur so viel Liebe, so unglaublich viel Liebe, wie ich sie noch nie gespürt habe. Und bevor Charlie geboren worden ist, da habe ich gedacht, ich müsste meine Liebe aufteilen zwischen Paul und Charlie – und dann war Charlie plötzlich da. Und ich habe gemerkt, ich muss überhaupt nichts aufteilen. Da ist einfach nur eine neue große Liebe in mein Leben gekommen. Und als Luca kam, kam wieder eine neue große Liebe in mein Leben. Aber mit jedem Kind kam eben nicht nur diese unendliche Liebe, sondern auch diese unendliche Angst, dass diesen kleinen Wesen was passieren könnte. Und ich wusste, dass ich mit meinem Leben diese Wesen beschützen muss. Und wenn die klein sind, ist das einfach, aber Paul ist jetzt 18! Wie soll ich den jetzt noch beschützen? Wie mache ich, dass es ihm besser geht? Wie mache ich, dass ein Kind sich nicht umbringen will?“ Gänsehaut, oder? Anni ist auf jeden Fall ganz hin und weg und greift verliebter denn je nach seiner Hand. [Endlich wieder Ende Emo-Musik]

Paul nimmt per Handy Kontakt mit Kumpel Saheed auf und klagt ihm sein Leid, denn er will endlich raus aus dem Irrenhaus: „Das sind alles total Psychos, Digga! Die schlucken Chlorreiniger!“ Saheed aber reagiert abweisend und schickt ihm stattdessen lieber ein von sich aufgenommenes Handyvideo, in dem er von Paul gefilmt wird und nur in Ruhe gelassen werden möchte. [Beginn Emo-Musik] Das macht Paul klar, dass es Saheed offenbar auch nicht gut geht und Paul selbst die Ursache dafür ist. Er vertraut sich Toni an und bezeichnet sich als Monster, aber Toni bringt eine der wundervollen wahrhaftigen Floskeln in diesem Film: „Bipolar ist das Monster. Du bist du, und du bist nicht deine Krankheit.“ Dann zitiert sie auch noch Hemingway (wow, Schweiger fährt hier aber die ganz großen Geschütze auf!): „Die Welt bricht jeden, aber danach sind viele stärker an den Stellen, wo sie gebrochen wurden.“ Mich würde interessieren, wie lange Schweiger dafür googeln musste. Damit es Paul auch wirklich kapiert, ergänzt sie: „Das heißt: Wir kriegen alle auf die Fresse, aber was wir daraus lernen, macht den Unterschied. Du hast versucht, dich umzubringen. Was hast du daraus gelernt? Dass du nicht besonders gut darin bist, dich umzubringen. Warum? Weil du kein Talent hast zum Sterben. Jetzt musst du nur noch rausfinden, ob du Talent hast zum Leben.“ Boah, das ist so deep, Digga, so deep. Und weil wir als olle Schweiger-Bros längst wissen, dass bei ihm zwei, drei Sätze unglaublicher Tiefsinnigkeit des Sprechers ausreichen, um den Adressaten zu einem Umdenken zu bewegen, schluckt Paul bei der nächsten Pillenausgabe natürlich brav seine Tablette. [Ende Emo-Musik]

Hardy und Anni verbringen noch mehr Zeit miteinander. Sie sind noch nicht offiziell zusammen, aber auf dem besten Weg dahin. Bei ihrem Ausflug ans Wasser zeigt er ihr ein Foto von seiner toten Frau. Wäre ich Anni, fände ich es total abtörnend, wenn mein Objekt der Begierde nach Ewigkeiten immer und immer wieder die tote Ehefrau hervorkramen würde. Ich würde Hardy vielleicht fragen: „Meinst du nicht, dass es langsam mal an der Zeit wäre, einen neuen Schritt zu wagen? Du kannst nicht dein ganzes Leben in der Vergangenheit leben.“ Anni ist aber nicht ich und bringt ihm ihr vollstes Verständnis entgegen, auch dann noch, als Hardy weiter von der Verblichenen spricht – und schon wieder zu heulen anfängt!! Alter, wie unmännlich kann man eigentlich sein, Til? Immerhin verrät er uns, wieso Paul so seltsam auf seine lächerliche – sorry, laut Hardy „so unfassbar niedliche“ – Handpuppe fixiert ist. [Beginn Emo-Musik] Mama hat Rüdiger gebastelt und sie Paul zum Geburtstag geschenkt – und nur einen Tag später ist sie gestorben: „Ihr Herz ist stehen geblieben. Einfach so.“ Anni hört sich das geduldig wie eh und je an. Bettina Lamprecht hätte eine bessere Rolle verdient. [Ende Emo-Musik]

Nach dieser Szene schalten wir wieder zu Paul in seinem Zimmer, wo er mit eben diesem Rüdiger kuschelt und der mal wieder zu Besuch kommenden Toni genau das noch einmal erzählt, was Hardy gerade eine Minute zuvor Anni erzählt hat. [Beginn Emo-Musik] Toni nimmt die Puppe an sich und albert damit rum, sodass Paul schon leicht schmunzeln muss. Draußen ist es übrigens grau, und es regnet. Versteht ihr? Weil der seelische Zustand von Toni und Paul auch grau und verregnet ist! So, so deep, Alda.

Immerhin: Am nächsten Tag oder so ist es wieder trocken, und unsere kleine Jugendlichen-Kombo stapft mit Ärztin Katharina für einen Ausflug durch den Wald – na ja, alle bis auf Jana, die ja Probleme hat, Häuser zu verlassen. [Ende Emo-Musik] Zum Glück gibt es aber Toni und Paul, die sie mit einem Handy per Live-Übertragung an dem Ausflug teilhaben lassen. [Beginn Emo-Musik] Paul zeigt Jana die Baumwimpfel, und die ist einfach nur begeistert: „Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe.“ Paul erklärt, dass jüngere Bäume den alten Bäumen die nötigen Nährstoffe gäben und überhaupt alle Bäume miteinander verbunden seien. „Wie eine Familie“, seufzt Jana glücklich. Damit sind wir bei dem grundsätzlichen Problem dieses Films: Schweiger möchte hier rührenden Zauber, einen Magic Moment sozusagen, entfachen. Nur scheitert es daran, dass er dafür Jana in den Mittelpunkt rückt, eine Figur, die zuvor erst in einer einzigen Szene in Erscheinung getreten ist und von der wir noch weniger wissen als von den anderen schon gesichtslos genug präsentierten Jugendlichen. Mein Vorschlag wäre ja gewesen, den gesamten Handlungsstrang um Hardy zu kappen und die Laufzeit, die mit seinem lahmen Gejammere verplempert wird, sinnvoll für die Charaktervertiefung der Jugendlichen zu verwenden, aber das bin ja nur ich, der noch nie im Leben ein Drehbuch verfasst hat. [Ende Emo-Musik]

Das jüngste Hemingway-Gespräch mit Toni hat Paul so sehr gewandelt, dass er sich mittlerweile auch super mit seinem Zimmergenossen Tien versteht. Das beruht auf Gegenseitigkeit, denn Tien ist schon so vertraut mit Paul, dass er ihm ein Geheimnis verrät: Er ist in Richie verliebt! „Okay, im Ernst jetzt?“, zeigt sich sein Gegenüber zunächst irritiert, spricht ihm dann aber Mut zu, das auch Richie zu sagen. Da zögert Tien dann aber doch, weil das seine Eltern nicht gutheißen würden. [Beginn „Missing You“ (Sol Rising)] „Digga, wenn du immer das machst, was deine Eltern dir sagen, dann wird dein Leben schön kompliziert“, nörgelt Paul. Hm, ist dein Leben nicht erst dadurch ganz schön kompliziert geworden, weil du den von deinem Vater verordneten Hausarrest ignoriert hast? Denk mal drüber nach, Paul. Für Tien gilt im Übrigen dasselbe wie für Jana: Schweiger gibt vor, sich für seine jugendlichen Protagonisten zu interessieren, schafft es dann aber nicht, ihnen mehr Attribute als „hat Angst vor draußen“ und „sonderbarer Phobiker“ zu geben. Im schlimmsten Fall fragt man sich sogar: Wer ist überhaupt Tien? Und wer war nochmal Richie?

Für den heutigen Tag steht ein Fest auf dem Außengelände der Psychiatrie auf dem Programm, zu dem auch die Familien der eingewiesenen Kinder eingeladen sind. Das bietet wieder Anlass für ein paar Humorspitzen, schließlich haben wir zuletzt viel zu oft weinen müssen. Winnie fragt einen fremden Typen, ob er Lust zum Knutschen hätte. Ja, hat er. Also knutschen sie. Caros Familie ist – ich lach‘ mich tot – auch eine reine Brillenträgerfamilie und schiebt sich, nachdem Caro mit ihnen gesprochen hat, synchron zu Caro die zu weit nach unten gerutschte jeweilige Brille wieder weiter nach oben auf das Nasenbein zurück. Tiens Eltern sind da und überreichen ihrem Sohnemann Blumen, die er aber erst desinfizieren muss. Tja, aber der absolute Überflieger in Sachen Gags ist der Moment, in der ein Typ hinter einem aufpassenden Klinikmitarbeiter die Eingangstür schließt.

Aufpasser: Toschi, was machst du?
Toschi: Ich mach‘ die Tür zu.
Aufpasser: Heute nicht. Heute ist Tag der offenen Tür.

Ich habe gelacht. Schäm. [Ende „Missing You“ (Sol Rising)]

Mit diesem Tag der offenen Tür ist aber irgendwie nicht nur Spaß und Freude, sondern auch Arbeit verbunden. Katharina hat Hardy und seinen Sohn zu einer Therapiesitzung geladen, bei der Paul frei von der Leber weg erzählen soll, wie er sich fühlen würde, wenn er nicht okay sei. Hm, schlecht, würde ich vermuten, aber Paul lässt sich diese naheliegende Pointe entgehen und holt weiter aus. [Beginn Emo-Musik] Im Anschluss möchte Katharina wissen, wie sich Hardy dabei fühlen würde, wenn er das so hört. Hm, schlecht, würde ich vermuten, aber auch Hardy lässt sich diese naheliegende Pointe entgehen und tut lieber das, was er am besten kann: heulen! Das wäre jetzt das sechste Mal. SECHSmal! Das ist ungefähr zweimal so viel, wie ich in den letzten 20 Jahren geweint habe. Das führt zu einer Aussprache zwischen Vater und Sohn: Hardy gibt sich die Schuld für die Situation, Paul gibt sich die Schuld für die Situation. Hardy will ein guter Vater sein, Paul will ein guter Sohn sein. Diese Szene könnte so berührend sein – wenn sie denn berührend wäre. [Ende Emo-Musik]

Ich hinterfrage nochmals die Sicherheitsvorkehrungen, denn Hardy hat auch seine kleinen Kinder mitgebracht, die während der Sitzung ihres Vaters in einem Aufenthaltsraum in aller Seelenruhe, ohne dass irgendjemand sonst anwesend wäre, Jana mit ihrer kindlichen Unschuld therapieren: Wenn sie Angst davor hätte, das Haus zu verlassen, könnte sie doch einen Tunnel von ihrem Zuhause bis zur Schule bauen. [Beginn Emo-Musik] Jana findet, dass Paul ganz tolle Geschwister hat (kein Wunder, bei DEM Vater!), und auch der nun hinzukommende Paul findet, dass Charlie und Luca ein richtig gutes Herz haben, genau wie Mama – und stolz, ihr großer Bruder zu sein, ist er obendrein. Schweiger ist echt kein Satz abgedroschen genug, um ihn nicht in diesem Film zu verwenden.

Doch aufgepasst – jetzt kommt sie! Jetzt kommt die eine Szene in Schweigers Schaffen, die ich als die beste bezeichnen würde, die er je gedreht hat – eine Szene, die schauspielerisch mitreißend und noch umso intensiver ist, weil ich inmitten dieses plattesten Dramas niemals damit gerechnet hätte. Sie mag den Makel haben, gerade wegen ihrer Stärke nicht in den Film hineinzupassen und so zu wirken, als wäre mittendrin ein anderer Regisseur für Schweiger eingesprungen, aber sie funktioniert. Die Szene geht so: Toni zeigt ihrer Mutter ihr Zimmer. Die Mutter reagiert sehr reserviert und konfrontiert ihre Tochter mit schwersten Vorwürfen, weil diese mit Onkel Uwe ausgerechnet dem Mann die Beine gebrochen hätte, der sie und die Familie nach der Trennung des Ehegatten bei sich aufgenommen hätte. Toni insistiert, dass ihr Onkel ein Arschloch sei, der sie angefasst und ihr wehgetan hätte. Davon möchte ihre Mutter aber nichts hören. Deren Weigerung, ihr zuzuhören – und sei es nur einmal –, lässt Toni nicht mehr nur verbal völlig ausflippen: Sie geht auf ihre Mutter los und wirft wie von Sinnen Sachen nach ihr. [Beginn Emo-Musik] Eine davon trifft sie mit einer solchen Wucht, dass sie mit dem Kopf gegen den Türrahmen knallt und mit blutender Nase ihrer Tochter ihren ganzen Hass entgegenschleudert mit Sätzen wie „Ich hätte dich abtreiben sollen“ und „Ich hoffe, du verrottest hier drin“. Wie gesagt: Irgendwie mögen ein sexueller Missbrauch und dieser eruptive Gewaltausbruch sich nicht harmonisch in ein Drama einfügen, in dem es zwar um psychische Probleme geht (mit einem dezent inszenierten Selbstmordversuch), die aber immer wieder durch lockeres Geplänkel abgeschwächt werden. Es steht aber außer Frage, dass das eine überraschend gute, positiv herausstechende Szene ist – wenn die hineinplatzende Emo-Musik nicht wäre.

Schweiger wäre gut beraten gewesen, sich auf die Stärke dieser Szene zu besinnen und ihre emotionale Kraft noch etwas nachwirken zu lassen, aber schnell zeigt sich, dass sie nur aus Versehen passiert ist, denn noch während der Eskalation sehen wir die anderen Insassen mit ihren Familien draußen im Garten sitzen, wie sie dem lauten Krach aus Tonis Zimmer lauschen. Tien nutzt diesen irre passenden Moment, um Richie anzutippen und ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken – vor den Augen seiner verwunderten bis entrüsteten Eltern! „Du hast echt ein scheiß Timing!“, findet Richie, aber das ist Tien egal: „Scheiß Timing! Das hör‘ ich immer wieder.“ Sagt es und knutscht mit ihm. Haha, wie lustig, die Andeutung eines sexuellen Missbrauchs innerhalb einer Szene mit einem beiläufigen Coming-Out zu koppeln. Und kein Mensch ist da eingeschritten und hat Schweiger klargemacht, dass das vielleicht ein klein wenig geschmacklos ist? Welchen Job hat eigentlich sein Co-Drehbuchschreiber Malinke? Hat der Vetorecht oder darf er nicht und muss sich pausenlos von Schweiger unterbuttern lassen, weil er sein Herr und Meister ist? [Ende Emo-Musik]

Wir hatten eigentlich eben schon die Aussprache zwischen Vater und Sohn, aber da war noch die Ärztin mit dabei. Deshalb bespricht sich Hardy noch einmal unter vier Augen mit Paul an einem See. Hardy erwartet Antworten: Liegt es vielleicht an der toten Mama, dass Paul so ist, wie er ist, und bla und bla und bla. Meine Güte, wen interessiert das? [Beginn Emo-Musik] Paul wiederum konfrontiert seinen Vater mit seinen eigenen Schwächen: Er selbst habe den Tod seiner Frau auch nach fünf Jahren immer noch nicht verarbeitet und würde sich davor drücken, jemanden kennenzulernen, weil er Angst hätte, nochmal jemanden zu verlieren. „Du bist genauso traurig wie wir“, schließt Paul seine Tirade – und es könnte mir nicht egaler sein. [Ende Emo-Musik]

Alle Insassen werden noch am selben Tag in ihrem Stuhlkreis von einem der wenigen Angestellten, die die Psychiatrie hat, informiert, dass Toni infolge ihrer gewalttätigen Auseinandersetzung mit der Mutter doch immerhin für einen ganzen Tag zu ihrer eigenen Sicherheit an einem Bett fixiert wird. Die Jugendlichen sind niedergeschlagen, aber nur so lange, bis Richie erzählt, dass Tien ihn geküsst hätte. [Beginn „Missing You“ (Sol Rising)] Da sind alle begeistert. Wie immer bei Schweiger werden alle Probleme meist noch innerhalb derselben Szene einfach weggeredet.

Nachts schleicht sich Paul heimlich aus seinem Zimmer und huscht in die Krankenstation, wo er getreu der Klischee-Handbuchregel 25b heimlich einem unachtsamen Aufpasser den Schlüssel entwenden kann. Er besucht die schlafende Toni in ihrem Krankenzimmer und erzählt ihr, dass Tien heute Richie geküsst hätte (soooo schön!) und dass sie wunderschön sei – woraufhin sie aus ihrem Schlaf hochschreckt und Paul für einen Finsterling hält, der ihr Gehirn austauschen will. Paul ruft schon laut „PFLEGER!“, aber – haha – Toni hat ihn nur verarscht, weil in Schweigers Universum junge Frauen, die wenige Stunden zuvor jegliche Beherrschung verloren, ihre Mutter tätlich angegriffen und obendrein schwerste verbale Knüppelschläge wie „Hätte ich dich bloß abgetrieben“ von jener Mutter zu hören bekommen haben, fast im Handumdrehen wieder gut drauf sind. Nach anfänglichem Ärger über den Scherz befreit Paul sie von ihren Fesseln, aber anstatt nun zu fliehen (oder es zumindest zu versuchen), legt er sich auf das Krankenbett neben ihr und möchte eine Runde schlafen gehen?! Naja, er kennt halt die Pfleger in solchen Filmen zu gut: Die rühren sich nicht mal, wenn man laut nach ihnen ruft. Sie strecken ihre Hände nacheinander aus.

Toni: Gute Nacht, Dreckschlampe!
Paul: Gute Nacht, Pupsloch!
Toni: Ich bin die Primadonna der Liebe.

Was auch immer. [Ende „Missing You“ (Sol Rising)]

Solchermaßen herzerwärmt jagt uns Schweiger wieder ein paar Kilometer weiter zur langweiligen Anni und zu Hardy. Leider erinnerte sich der Meisterregisseur daran, dass seine Tochter Emma Tiger seinerzeit in „Kokowääh“ den Cuteness-Faktor in unermessliche Höhen getrieben hat (zumindest für diejenigen, die ein Faible für neunmalkluge nervige Pissgören haben). Nur sind Emma und jedes seiner anderen Kinder für Cuteness schon viel zu alt – aber dafür haben wir ja Charlie und Luca, denen er genau die gleiche Figurenschablone aufgepfropft hat wie seiner Tochter. Die beiden haben es sich nun in den Kopf gesetzt, ihren Papi mit der Anni zu verkuppeln, die ganz bestimmt eine prächtige neue Mami (und Hausfrau) abgeben würde. Womit habe ich das nur verdient? [Beginn Emo-Musik] Deshalb geben die Lütten vor, Angst im Dunkeln bzw. Angst vor Vampiren zu haben, damit die noch wach auf der Couch liegende Anni ihnen was vorliest – allerdings nicht auf ihrer Couch, sondern im großen breiten Bett, wo bereits Hardy gemütlich ratzt. Äh, sind wir hier bei Anni? Warum darf dann Hardy in ihrem Bett pennen? Andererseits ist das wieder hundertprozentig Schweiger: das aufopferungsvolle Weib, das für den Mann im Haus zurücksteckt und für ihn auf der Couch schläft.

Diese Frage ist natürlich völlig egal: Jedenfalls liegt Anni jetzt rechts außen, Hardy links außen und die Kinder in der Mitte des Bettes. Da liegt aus Sicht von Charlie und Luca aber immer noch viel zu viel Distanz zwischen den beiden Erwachsenen. Deshalb müssen sie weiter nachhelfen. „Puh, ganz schön eng hier“, sagt Charlie. „Ja, und echt heiß“, sagt Luca. Also möchten beide links vom Papa liegen – und so liegen Anni und Hardy plötzlich direkt nebeneinander. Diese ausgekochten Schlitzohren! Anni, die natürlich nichts gegen eine kleine Kuppelei vonseiten der Kinder haben kann, kommt das ganz gelegen und riecht an dem heißen Familienvater.

Hardy: Was machst du?
Anni: Nichts.
Hardy: Hast du eben an mir geschnüffelt?
Anni: Vielleicht. Du riechst gut.
Hardy: Riechst du immer an deinen Gästen?
Anni: Ja, man will ja keinen Stinker neben sich liegen haben.

Hardy schnüffelt an Anni.

Anni: Und?
Hardy: Vanille. Mit einem leichten Schuss Behämmert.

Wusstet ihr eigentlich, dass Facepalm-GIFs ursprünglich für Til-Schweiger-Filme erfunden wurden? Im Ernst: Wer schreibt solche Gags? Ach, Schweiger und Malinke. Sorry, blöde Frage. [Ende Emo-Musik]

Am nächsten Morgen hat in der Psychiatrie offenbar über all die Stunden, die vergangen sind, immer noch niemand mitbekommen, dass Paul sich kurzerhand ein Krankenbett direkt neben Toni gebunkert hat. Personalmangel ist schlimm genug, aber das wenige Personal mit Blinden aufzufüllen, halte ich für einen schweren Fehler. Toni erwacht aus einem bösen Alptraum von ihrem übergriffigen Onkel – und das ist das Startsignal für sie und Paul, endlich abzuhauen. [Beginn „Paranoid“ (Emily Warren)] Sie profitieren davon, dass sämtliches Pflegepersonal wie gesagt blind oder blöd (ich vermute: beides) ist und können an einer Stelle auch auf die Hilfe einer Mitpatientin zählen, die einen der Pfleger mit einem gerauchten Joint lang genug ablenken kann, dass das Paar in die Freiheit türmen kann. Im Hof steht ein Motorrad, das Paul sogleich beschlagnahmen würde, wenn sich Toni denn nicht wegen des Helms so anstellen würde, weil sie darin Milben vermutet. Bekanntlich haben Menschen mit Tourette-Syndrom auch einen zwanghaften Sauberkeitszwang – oder so. Paul kann sie zwar überreden, ihn aufzusetzen, aber immerhin jetzt schon stellt er fest, dass das Motorrad an einen Baum angekettet ist. Zum Glück kommt just in dem Moment der Hausmeister des Weges – mit einem fahrbaren Rasenmäher, den sie sich alternativ unter den Nagel reißen. Schön, dass Schweiger sein Drama so ernst nimmt. [Ende „Paranoid“ (Emily Warren)]

Währenddessen sind schon unsere niedlichen (würg) Racker Charlie und Luca aufgestanden, um dem noch schlafenden Hardy mitsamt seiner Freundin, die sie ja ganz offiziell noch nicht ist, Frühstück zu machen und es ihnen ans Bett zu bringen. Anni wacht kurz danach auf und verspricht, nur kurz unter die Dusche zu hüpfen und sich dann wieder ins Bett zu legen, damit sie dort frühstücken können. Noch etwas später wacht Hardy auf und fragt die süßen (würg) Geschwisterchen nach dem Aufenthaltsort der Gastgeberin, aber die tun einfach so, als wüssten sie nicht, wo sie sei. „Okay, ich geh mal schnell strullern, und dann gibt’s Pfannkuchen“, sagt Hardy und betritt ebenfalls das Badezimmer – was für die schönste, beste, lustigste und hinreißendste Comedy-Einlage sorgt, die dieser Film zu bieten hat. Besser wird es heute nicht mehr, denn endlich wird gefurzt!!! Und alle so: YEAH!

[Beginn Emo-Musik] Stehpinkler Hardy bemerkt, dass er doch mehr muss als nur strullern und setzt sich auf die Kloschlüssel – nichts ahnend, dass hinter dem Duschvorhang die nackte Anni steht und sich gerade einseift. Deshalb lässt er einen saftigen Furz fahren. Zu spät bemerkt Anni hinter ihrem Duschvorhang das Malheur: „Hardy, ich dachte, du wäschst dir nur die Hände. Da wollte ich dich nicht erschrecken, aber dann hast du dich hingesetzt und… Also, nicht dass ich was gesehen hätte, nur gehört.“ Hardy ist entgeistert, aber es gibt kein Zurück mehr, und er schickt unfreiwillig einen weiteren Furz auf die Reise. „Hardy, vielleicht lässt du mich nur einmal kurz alleine“, fleht Anni. FURZ! „Ich fürchte, das geht jetzt nicht mehr“, ächzt Hardy mit verkniffenem Gesicht. Die Kinder, die ja die Verantwortung für diese peinliche Situation tragen, schauen heimlich durch den Türspalt und amüsieren sich: Hihi, Papa furzt, lustig! Anspruchslose Banausen. Um Hardys Arsch-Ausdünstungen zu übertönen, schlägt Anni vor zu singen. Hardy will zuerst nicht, hat aber auch keine bessere Idee, also: „SING! SING!“ [Ende Emo-Musik] Also singt sie – und das sehr schief und krumm: „Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür…“ Folglich kann Hardy endlich bedenkenlos in aller Ruhe, äh, in aller Lautstärke scheißen. Da öffnen die Kinder die Tür und klatschen Beifall. „Bist du jetzt fertig mit Kacken?“, fragt Anni. Ja, ist er. „Dann gehen wir jetzt frühstücken.“

Habe ich euch zu viel versprochen?

[Beginn „Barfuß durch den Schnee“ (Emilio)] Und immer noch haben wir den Humorsektor nicht überstanden, denn vielleicht erinnert ihr euch daran, dass Toni und Paul gerade mit einem fahrbaren Rasenmäher unterwegs sind. Nun, auch der will mal zwischendrin getankt werden, weshalb sie einen Abstecher zur Tankstelle machen. An der Zapfsäule nebenan sitzt ein Typ am Steuer seines Jeeps, der sich seine Nasenhaare mit einer Schere trimmt, und seine Tussi-Freundin steht am Wagen und tankt auf (was? Noch nicht mal mehr selbst tanken dürfen die Männer hier? Schweiger ist echt progressiv geworden!). Beide gucken natürlich angemessen blöde, und der Typ fragt: „Hör mal, Digga, was fährst denn da?“ Der kleine entstehende Plausch wird abrupt dadurch unterbrochen, dass Toni gerade jetzt einfällt, dass sie für eine Person mit Tourette-Syndrom schon viel zu lange keine reflexartigen Beleidigungen herausgehauen hat. „Kackfresse“, platzt es aus ihr heraus. Dabei fühlt sich die blöde Tussi-Freundin sofort angesprochen: „Hat die mich gemeint? Ey, die hat mich gemeint! Kannst du bitte was machen, Schatz?“ Weil Toni danach nochmals nachlegt, droht dem jungen Pärchen eine Tracht Prügel, aber Paul weiß sich zu helfen und macht den Typen auf ein verbliebenes Nasenhaar im linken Nasenloch aufmerksam. Der Typ bedankt sich und trimmt weiter, womit jeder Prügelwunsch auch schon vergessen wäre.

Die Tussi will in der Zwischenzeit beim Tankwart zahlen, hat aber leider die Kreditkarte vergessen. Deshalb muss ihr ihr Macker in den Laden hinterherlaufen. Dort überkommt Typ und Tussi erst einmal die pure Leidenschaft, und sie beginnen hemmungslos zu knutschen (???). Tja, und Toni und Paul, die finden, dass sich so ein Jeep doch etwas besser als Fluchtfahrzeug macht als ein Rasenmäher – und klauen dann doch lieber dieses. Hey, die sind unsere Helden – die dürfen das. Der schwarze Tankwart (genau, für niedere Berufe kann man auch mal auf People of Color setzen) beobachtet das Schauspiel von innen und findet den Diebstahl absurderweise total lustig. Und wisst ihr, was noch lustig ist? Kaum haben Typ und Tussi bemerkt, dass ihnen ihr fahrbarer Untersatz abhandengekommen ist, nehmen sie die Verfolgung auf – mit dem Rasenmäher!! Bruuahahaha! [Ende „Barfuß durch den Schnee“ (Emilio)]

[Beginn Emo-Musik] Schweiger ist so glücklich, dass ihm dieser Toiletten-Furz-Knaller in der Szene davor eingefallen ist, dass er ihn auch in der kommenden Szene noch einmal ausgiebig zelebrieren muss. Beim gemeinsamen Frühstück macht Charlie mit dem Mund Pupsgeräusche und spielt damit auf den Vorfall von eben an. Hardy findet das überhaupt nicht witzig (da sind wir schon zwei) und provoziert damit nur, dass Luca und kurz darauf Anni ebenfalls in die Mundfurzerei mit einstimmen. „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe auch schon mal gekackt“, amüsiert Anni sich über den grummelnden Spielverderber und bohrt immer weiter: „Du sahst so niedlich aus auf dem Pott. Plplplpl.“ JA, IST AUCH MAL GUT JETZT! Meine Fresse, man kann es auch übertreiben! Til, Furzgags sind out! Schon seit Jahrzehnten! Also: AUFHÖREN! Ich werde erhört.

Aber ob die sich anschließende Kissenschlacht im Bett in Superzeitlupe so viel besser ist? Ich fürchte nicht. Generell habe ich das Gefühl, die Zeitlupen-Kissenschlacht mit fliegenden Federn schon ungefähr drei Millionen Mal bei Schweiger gesehen zu haben. Vielleicht täusche ich mich aber auch und verwechsle das mit der einen oder anderen Tortenschlacht oder so. Die hat er gefühlt auch schon fünf Millionen Mal gedreht. Was aber klar wie Kloßbrühe ist, ist, dass die Szene nur damit enden kann, dass – nachdem das Bett zusammengebrochen ist – Anni und Hardy sich küssen. Na endlich, das wurde ja mal Zeit! Finden die Kinder und finde auch ich, denn damit wäre dieser ausgelatschte Schuh von einem Plot auch endlich abgefrühstückt – und wir können sagen: Es waren Fürze und Scheiße, die Anni und Hardy zusammengebracht haben. Was für ein passendes Sinnbild für diesen Film.

Das Glück ist nur von kurzer Dauer, denn Hardys Handy bimmelt: Paul ist weg! „Was heißt das: verschwunden?“, fragt Hardy lieber nochmal nach. Ja, was heißt das wohl: verschwunden? Vielleicht: verschwunden?! Und damit, ladies and gentlemen, widmen wir uns mit noch 32 Minuten auf dem Tacho endlich vollumfänglich dem Thema, das uns der Film eigentlich versprochen hatte: dem Drama-Teil rund um Paul. Hardy und seine Gang hingegen werden wir lange nicht wiedersehen. [Ende Emo-Musik]

Paul ist gerade im gestohlenen Jeep unterwegs und rast an diversen, ihm zu langsam fahrenden Wagen vorbei. [Beginn „Airborne“ (Prinze George feat. May Rose Nivola)] Seine Beifahrerin drückt ihm euphorisch einen Kuss auf den Mund, der Paul zu einer scharfen Bremsung quer über die Straße veranlasst und damit fast einen mehrfachen Auffahrunfall verursacht und ungeduldig wartende Autofahrer zurücklässt. Der vorderste Autofahrer in der Warteschlange ist mächtig sauer: „WER HAT DENN EUCH INS HIRN GESCHISSEN? VERPISST EUCH VON DER STRASSE!“ Da Paul und Toni aber lieber weiterknutschen, als sich mit dem Wüterich zu befassen, steigt der aus, arbeitet sich bis zur Wagentür des Pärchens vor und droht Schläge an. Das ruft – wie immer perfektes Timing! – Tonis Tourette-Syndrom auf den Plan: „Wichser!“ Und auf Nachfrage entfleucht das böse Wort Toni gleich nochmal. Damit macht sie den Polterer natürlich nicht weniger wütend, aber Paul weiß schon, wie er ihn ruhigstellt: mit der Macht der Liebe! Er drückt dem Mann einen fetten und langanhaltenden Schmatzer auf die Lippen. Der wirkt leicht verwirrt, aber insgesamt gar nicht mal so unangetan. „Ja Mann! Liebe, das ist die Lösung!“, jauchzt Toni, und mit den Worten saust das Pärchen davon. Mittels Ausweichmanöver können sie gerade noch den Crash in einen anderen Wagen verhindern, nicht aber der Hintermann, der mit Karacho in ein Boot fährt, das ein anderes Auto auf dem Dach trägt. Jedenfalls glaube ich, dass genau das passiert ist. Der Schnitt ist so unübersichtlich, dass ich mir selbst nach mehrfachem Zurückspulen nicht sicher bin, wie genau sich der Unfall ereignet hat. Toni und Paul lachen vor Begeisterung über das, was sie da angerichtet haben, denn wenigstens sind sie ja unbeschadet davongekommen. Allein mit der Macht ihrer Liebe haben sie einen Wagen in einen anderen krachen lassen. Es ist nachahmenswert, es ist rührend. Liebe ist die Lösung – love and peace everywhere! Yeah! [Ende „Airborne“ (Prinze George feat. May Rose Nivola)]

[Beginn „Unbroken“ (Van Dyke)] Mittlerweile brausen unsere Helden durch Wälder, wo sie einen Dialog führen, der den hochtrabenden Titel dieses Films anschneidet (auch wenn der Titel nach ihrem bisherigen Wirken eher „Die Zerstörung der uns bekannten Welt“ lauten müsste).

Paul: Ich sag’s dir, es ist sowas von die falsche Idee, uns einzusperren.
Toni: Eine Primadonna kann man nicht einsperren.
Paul: Stell dir mal vor, die würden Greta einsperren.
Toni: Welche Greta?
Paul: Thunberg. Die mitm Pappschild. Stell dir vor, die würden immer alle Genies in die Klapse bringen.
Toni: Aber Greta ist doch gar nicht in der Klapse.
Paul: Nee?
Toni: Greta ist dabei, die Welt zu retten.
Paul: Aber was, wenn wir dazugehören? Was, wenn wir zu denen gehören, die die Welt retten könnten? Was, wenn wir der Schlüssel zu allem sind?
Toni: Wie sollen wir die Welt retten?
Paul: Ich liebe, Toni, ich liebe. Wir umarmen die ganze Welt mit unserer Liebe, und dann wird alles wieder gut. Versprochen!

Deep, sooooo deep.

Bei ihrer wilden Irrfahrt durch mir unbekannte Gegenden (der Film gibt sich auch keine Mühe, den genauen Ort zu lokalisieren) bringen sie erneut einen Wagen zum Schlingern – und diesmal, wie der Zufall es will, einen Polizeiwagen. Der nimmt umgehend mit Sirene und Blaulicht die Verfolgung auf. Das geht jetzt so einige Minuten weiter: Die Jugendlichen rasen vom Adrenalin getrieben und euphorisch durch ein Maisfeld und drehen bald darauf ihre Runde auf einer sandigen Baustelle. Sie weichen einem Bagger aus. Spektakuläre Action – genau das, was wir von einem sensiblen Drama erwarten. Allerdings will ich mich nicht beschweren. Wenigstens werden dadurch die pseudophilosophisch-kitschig-triefigen Dialoge auf ein notwendiges Minimum reduziert. Wenn denn diese schreckliche Mixmusik von der Tonspur nicht wäre, aber irgendwas ist immer. Das Ende vom Lied: Der Polizeiwagen fliegt in Zeitlupe in einen See. [Ende „Unbroken“ (Van Dyke)][Beginn „Kiss It Off Me“ (Cigarettes After Sex)] Paul bremst und macht in diesem romantischen Moment seiner Toni, der Frau, die ihn vor zehn Minuten das erste Mal geküsst hat, einen Heiratsantrag. Sie nimmt an, aber: „Und wo ist mein Ring?“ „Was für ein Ring?“, fragt Paul, dem das klassische Ehesymbol bislang offenbar unbekannt gewesen ist, erklärt sich aber bereit, ihr umgehend einen zu besorgen – gerade rechtzeitig, bevor die beiden klatschnassen Polizisten, die sich schwimmend wieder an Land gekämpft haben, sie doch noch per pedes verhaften könnten. [Ende „Kiss It Off Me“ (Cigarettes After Sex)]

Auf zum Schmuckladen. Toni und Paul betreten ihn und werden dabei naserümpfend vom gerade in einem Kundengespräch steckenden Juwelier angesehen, als wären sie Vivian „Pretty Woman“ Ward im Nutten-Outfit in einem Luxuskleidungsgeschäft. Leider fehlen ihnen auch sämtliche Manieren, denn Paul fordert sofortige Bedienung: „Wir würden gerne Ringe kaufen!“ Da der Verkäufer verständlicherweise nicht sofort alles stehen und liegen lässt, wenn ungehobelte Trampeltiere seinen Laden betreten, muss er sich von Toni ein „Schrumpelpenis!“ anhören (weil man das wegen Tourette macht und so – nur zur Erinnerung). Sie hat sich schon für einen Ring entschieden, der allerdings „8.900 Euro exklusive Mehrwertsteuer“ kostet. Das ist eine Preiskategorie, in der sie und Paul sich nicht wirklich bewegen (tja, hätten sie nur gerade Papa Hardy dabei!), weshalb Paul – immer noch extrem unhöflich – Ringe sehen will, die 20 Euro kosten. „Tut mir leid, da sind Sie leider im falschen Laden“, stellt der arme Verkäufer klar, der sich sicherlich auch fragt, womit er solche nervtötenden Kunden verdient hat, und schickt noch eine Spitze hinterher, weil Paul einfach nicht die Klappe hält: „Gleich um die Ecke, da gibt es einen sehr schönen Kaugummiautomaten. Vielleicht haben Sie da mehr Glück.“ Ausgerechnet Paul, der sich hier von der ersten Sekunde an wie ein Vollarsch verhalten hat, wirft in seinem Glashaus mit Steinen: „Warum sind Sie so unfreundlich? (…) Warum ist die ganze Welt eigentlich so scheißunfreundlich?“ Da er dabei zornig mit der Faust auf eine Glasvitrine haut, fühlt sich ein Sicherheitsbeamter bereits alarmiert, aber er muss nach Meinung des Juweliers nicht einschreiten: „Nur zwei kleine Idioten, die gerade gehen wollten.“ Bei allem Verständnis für die Kunde-ist-König-Regel muss ich zugeben, dass er mir mit dem Idioten aus der Seele spricht. Doch Paul gibt – das Glashaus immer noch nicht verlassen habend – keine Ruhe: „Sie sind nicht nett. Es kostet nichts, nett zu sein. Sie sind es einfach nicht.“ Damit ist der Geduldsfaden gerissen (und es muss ja auch die schweigersche Konflikte-müssen-irgendwann-schreiend-ausgetragen-werden-Regel beherzigt werden): „JETZT REICHT’S! RAUS! RAUS!“ „Wissen Sie was? Wegen Leuten wie Ihnen müssen Leute wie wir die Welt retten“, faucht Paul noch kurz und haut dann mit seiner Liebsten ab. Ich würde ja eher sagen: Vor Leuten wie dir muss die Welt gerettet werden. Bipolarität hin oder her – ich stehe NICHT auf Pauls Seite, auch wenn Schweiger das gern hätte.

[Beginn „Erkläre mir die Liebe“ (Philipp Poisel)] Zurück im Jeep hat sich Toni bereits damit abgefunden, heute keinen Ring zu bekommen und demzufolge heute auch nicht zu heiraten, aber Paul sieht gar nicht ein, warum das so sein muss. „Wir gehen jetzt shoppen“, sagt er wild entschlossen – und fährt mit Anlauf rückwärts in den Juwelierladen! Schon klar, Paul, der Held, der Weltenretter. Das Schaufenster zersplittert unter lautem Krachen, und er hat Glück, dass alle Kunden noch rechtzeitig ausweichen können. „War das geil?“, fragt er sein Gspusi begeistert, steigt kurz aus, nimmt sich zwei Ringe aus der vom zur Salzsäule erstarrten bis schwer traumatisierten Juwelier gehaltenen Schatulle und sagt augenzwinkernd zu ihm: „Schicken Sie uns einfach die Rechnung.“ Dann springt er ins Auto und fährt davon, der perplexe Verkäufer guckt schweigend hinterher. Die Rettung der uns bekannten Welt – schon klar.

Zählen wir mal durch: Wir haben jetzt die unerlaubte Flucht aus einer Psychiatrie, einen gestohlenen Rasenmäher, einen gestohlenen Jeep, mindestens einen Autounfall, ein kaputtes Boot, eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, einen kaputten Polizeiwagen und Sachbeschädigung inklusive mehrköpfiger Gefahr für Leib und Leben. Habe ich was vergessen? Allmählich stellt sich doch nur noch die Frage, wie lange Paul denn bei einer Verurteilung – und die wird zweifelsohne kommen – hinter Gittern muss. Das größte Problem daran ist, dass man solche Szenen ja durchaus drehen kann, Schweiger die Taten der Hauptfigur jedoch einfach nicht hinterfragt und nie klarstellt, dass sein Protagonist hier zu weit geht. Toni beispielsweise fällt als Stimme der Vernunft völlig weg, weil sie auch nicht hinterfragt – und das, obwohl sie sogar mal Hemingway zitiert hat.

Die Stunden verrinnen. Es wird dunkel und noch dunkler, und Paul und Toni lenken „ihren“ Jeep immer noch enthusiasmiert über die Straßen. Sie strahlen über beide Ohren und küssen sich. Dann tanken sie mal wieder den Wagen auf – und fahren lachend davon, weil sie die Tankfüllung selbstverständlich nicht bezahlen können und ein wild gewordener Tankwart zu spät herausgestürmt kommt. Sie wechseln sich mit dem Fahren ab – und schließlich sind sie an einem Strand und düsen durchs Meer. [Ende „Erkläre mir die Liebe“ (Philipp Poisel)] Dies soll der Ort sein, an dem sie heiraten – ohne Pastor zwar eher inoffiziell, aber ist ja auch egal, wenn sie doch genauso gut selbst gegenseitig die Rolle des Pastors einnehmen können. [Beginn Emo-Musik] Sie geben sich also das Ja-Wort, und Paul schreit sein Glück darüber hinaus. Ich bin mir sicher, seine Freude soll ansteckend wirken. Ich hingegen schaue auf meine Uhr und bin erleichtert, dass ein Ende in Sicht ist. Keine 20 Minuten mehr. [Ende Emo-Musik]

Vorher gibt es aber noch einige Meerimpressionen – und noch mehr Lebensfreude, weil einfach alles so schön ist. Toni sei noch nie so glücklich gewesen, schwärmt sie, hat sogleich aber Angst, dass das Glück nicht von langer Dauer ist. „Wenn man sowas sagt, passiert garantiert in der nächsten Sekunde der nächste große Scheiß“, mahnt Paul – und wie aufs Stichwort scheißt ihm eine Möwe auf die Schulter. Hundekot, Menschenkot, Möwenkot – will mir Schweiger damit sagen, dass in diesem Film alles scheiße ist? [Beginn „You Don’t Know“ (Benjamin Amaru)] Paul möchte gern mit Toni eine Runde Schwimmen gehen, aber da sie es nicht kann, traut sie sich zunächst nicht, dann aber für ihren Schatz nach etwas Zureden doch. Also schwimmen sie gemeinsam ein wenig durchs Wasser. An einer Stelle wird sogar – absolutes Neuland – „Dirty Dancing“ zitiert (die Szene, in der Swayze die Grey in die Luft hebt – ihr wisst schon), und überhaupt ist alles super und toll. Es hört nicht auf. Ich möchte aber, dass es aufhört. Bitte hör auf, Film. [Ende „You Don’t Know“ (Benjamin Amaru)]

Spät abends sitzt das frischgebackene Ehepaar gemütlich an einem Lagerfeuer am Strand. Toni ist müde und würde gern endlich schlafen, aber Paul ist wie aufgeputscht und versucht, sie die ganze Zeit davon abzuhalten. Er ist überzeugt davon, dass er all seine Probleme in nur zwei Wochen gelöst habe, wohingegen andere Menschen Jahre bräuchten: „Ich bin fertig mit depri! Ich bin raus aus der Scheiße! Ich bin frei! Ich bin frei! Ich bin vollkommen unbeschwert! Ich bin so leicht wie Zuckerwatte!“ Und ich befürchte, du hast etwas viel Zuckerwatte im Kopf. Oder Honig. Honig im Kopf.

[Beginn Emo-Musik] Am nächsten Morgen erwacht Toni – und zu ihrem großen Entsetzen ist Paul nicht bei ihr. In ihr steigt Panik auf, da er auf ihre Rufe einfach nicht reagiert. Sie läuft durch die Dünen ans Wasser, doch wo andere Filme die Hauptfigur nach einem Tag voller Hochgefühle vielleicht sogar hätten sterben lassen, geschieht so etwas in einem Schweiger-Film selbstverständlich nicht. Paul kommt hinter dem Jeep hervor und muss sich und Toni eingestehen, dass das überbordende Glücksgefühl von gestern bereits wieder völlig verschwunden ist. [Ende Emo-Musik] Mehr noch: Er wird die Welt nicht retten können, denn „ich glaube, ich bin dabei, sie in Trümmer zu legen.“ Wie recht er damit doch hat! Toni versteht das alles nicht, war sie doch der Meinung, sie würden es gemeinsam schaffen, aber für Paul ist klar, dass er Hilfe braucht – und Toni auch. [Beginn Emo-Musik] Deshalb möchte er wieder zurück nach Hause. Er heult, sie heult, sie umarmen sich. Das wäre im Grunde eine ganz rührende Szene, wenn Schweiger denn nicht dem Irrglauben verfallen wäre, dass seine Zuschauer dem Helden alles verzeihen würden, nur weil er krank ist – und wenn Schweiger die Toni-Figur tiefgründiger gezeichnet hätte. Wobei ich zugeben muss, dass Toni eher noch als Paul zur Identifikationsfigur taugt.

Also fahren unsere Helden nach ein paar gemeinsamen Stunden, die zunächst noch so glücklich schienen und nun doch so ernüchternd endeten, wieder zurück nach Hause – wobei „zu Hause“ in diesem Fall „Psychiatrie“ heißt. Dort werden sie bereits von Hardy, seinen Kindern und natürlich Anni in Empfang genommen. Hardy hat dazugelernt und pfeffert ihm diesmal keine (obwohl er es diesmal nicht weniger verdient hätte), sondern nimmt ihn fest in den Arm. „Ich bin fast verrückt geworden vor Angst“, jammert Pauls Vater erleichtert, und am meisten wundert mich, dass er diesmal nur fast heult. [Ende Emo-Musik] Paul ist immer noch sehr negativ eingestellt und sieht sich als Wurzel allen Übels, aber Hardy verspricht ihm, ihm aus dieser Scheiße herauszuhelfen. Auch Charlie und Luca versprechen, ihm zu helfen und drücken sich fest an seine Beine. Anni bewahrt noch eine gewisse Distanz, stellt sich ihm aber immerhin mal vor. „Papas neue Freundin“, ergänzt Luca erklärend. „Freut mich. Wirklich, Papa“, kann Paul da schon wieder lächeln – und mehr sogar noch, als sich Toni als seine Ehefrau vorstellt. [Beginn Emo-Musik] Eine Umarmung und das Versprechen zu helfen reichen, dass fast alles wieder gut ist. Und alle sagen, das Leben wäre so kompliziert.

Damit er seinem Sohnemann aber helfen kann, gilt es für Hardy noch eins zu tun: Er muss beruflich kürzertreten und möchte deshalb ab sofort nur noch Halbtagskraft sein – Homeoffice-Halbtagskraft, um genau zu sein. Chef Stetter tut sich schwer damit, das einfach so durchzuwinken und schlägt als Kompromiss vor, dass Hardy doch ab dem späten Nachmittag zu Hause sein könne, aber das kommt gar nicht in die Tüte. Hardy redet seinem Gegenüber ins Gewissen und kommt auf dessen Kinder zu sprechen: „Sie haben Ihre Firma. Sie haben Ihren Bentley. Sie haben Ihre Yacht, Ihre ganzen neuen schicken Bürohäuser, aber Ihre Kinder […], die haben nur Sie.“ Mit den Worten verlässt Hardy das Büro. Und wie immer bei Schweiger reicht dieses eine Gespräch aus, um ein Umdenken bei dem sturen Chef zu bewirken: Sein Assistent erinnert ihn an einen Termin, aber Stetter schiebt den Vorwand vor, krank zu sein – und nächste Woche, da werde er wahrscheinlich im Streichelzoo sein. Wie schön: Hardy hat den ollen Grummelbert zu einem besseren Menschen gemacht – in nur einer Minute (maximal!). Wozu brauchte es für Scrooge gleich drei Weihnachtsengel, wenn er auch Hardy hätte haben können?

Eine Texttafel sagt: 13 Monate später. Och nee, einen Epilog hätte ich jetzt nicht auch noch gebraucht. Die ganze Familie – und das schließt Anni und Saheed mit ein – ist zusammen am Meer, und Paul dreht sie schwungvoll auf einer Drehscheibe. Welche Konsequenzen seine Amokfahrt nach sich gezogen hat – wen interessiert’s? Wahrscheinlich gar keine, Paul hat es doch nicht so gemeint. Da kommt Ärztin Katharina mit einer anderen unbenannten Frau (sorry, ich habe echt keine Ahnung, wer die ist, die kriegt nicht mal Text) den Strand entlang und freut sich, Paul zu sehen. Sie unterhalten sich kurz. Paul erzählt, dass er wohl in der Schule eine Extrarunde drehen werde, aber das findet Katharina überhaupt nicht schlimm: „Hauptsache, es geht dir gut.“ [Endlich Ende Emo-Musik] Er könne stolz auf sich sein, ergänzt sie und bringt noch eine Weisheit mit, die wir alle uns – also auch ihr euch, liebe Leser – hinter die Ohren schreiben sollten, ob wir psychisch krank sind oder nicht: „Wenn mal wieder ein schlechter Tag kommt, dann versuch dich daran zu erinnern, wie du dich jetzt gefühlt hast.“ Paul fragt, ob er sie zum Abschied noch kurz umarmen dürfe, und er darf. [Beginn „Tout Oublier“ (Angèle, Roméo Elvis)] Dann läuft er zurück zu seiner quengelnden und vor allem nervigen Familie, die schon während seines Gesprächs permanent nach ihm gerufen hat, obwohl sie doch gesehen hat, dass er gerade beschäftigt war. Er dreht die Drehscheibe – und alle freuen sich und lachen in Zeitlupe und sind glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

ENDE. [Ende „Tout Oublier“ (Angèle, Roméo Elvis)]

Oh Mann, Schweiger!

Ein Vorteil an meinen ewig langen Reviews ist ja, dass ich mich in meiner Analyse kurzhalten kann. Der Nachteil allerdings ist, dass ich ein unverbesserlicher Laberhannes bin, sodass ich einfach nicht zum Ende kommen kann. Zumindest in dem Punkt scheint mir Schweiger ähnlicher zu sein, als ich es wahrhaben will: Auch er kommt einfach nicht zum Ende. 136 Minuten – das sind zweieinviertel Stunden und eine Minute! – sind zu lang für einen Film, der letzten Endes doch eigentlich nur die Botschaft verbreiten will, dass das Leben für bipolare Menschen zwar scheiße sein kann, aber letzten Endes doch alles gut wird, wenn tolle Witwer ihren Fulltime- in einen Halftimejob umwandeln.

„Die Rettung der uns bekannten Welt“ sucht und findet stets die einfachsten Lösungen für die größten Probleme. Das heißt: Eigentlich sind es größte Probleme, in denen Hauptfigur Paul mitsamt ihrer Familie steckt, nur wird ja immer wieder gleich alles relativiert und durch einen plumpen Gag aufgelockert. Schweiger will auf Gedeih und Verderb Unterhaltung drehen, selbst wenn er ein Sujet hat, das das eigentlich nicht so hergibt. Das soll nicht heißen, man könne über Bipolarität keine Komödie drehen, aber Fürze und Scheiße vertragen sich nicht mal peripher mit diesem Thema – jedenfalls nicht in dieser groben Form, wie Schweiger den Film zurechtruckelt. Besonders offensichtlich wird das beim wirklich heftigen Wutausbruch der sexuell missbrauchten Toni, bei dem nur noch der pure Hass regiert. Schweiger kann es gar nicht schnell genug gehen, noch innerhalb dieser Szene mit einem lustigen Coming-out zu kontern, weil er offenbar annimmt, die Geschichte könnte die Zuschauer zu sehr deprimieren, und er müsse daher schnell wieder lustig werden: befreiendes Lachen im Angesicht der Tragödie sozusagen. Nur checkt er nicht, wie geschmacklos er dabei eigentlich agiert.

Überhaupt geht Schweiger jegliches Feingefühl abhanden, wenn er denn je welches besessen hat. Er kann keine leisen Töne und dreht unaufhaltsam an der Hysterieschraube und lärmt mit gröbsten Elementen durch einen Film, der manchmal einfach Ruhe verlangt. Ständig wird gebrüllt und ausgeflippt, und wenn es doch mal ruhige Aussprachen gibt, plärrt die lästige, weil allgegenwärtige Musik hinein, damit auch der Letzte kapiert, dass wir uns in einem Drama befinden. Schweiger gibt vor, sich für Paul zu interessieren, weigert sich aber, sich in ihn hineinzudenken. Resultat: Er macht seinen Protagonisten zu einem Egoisten, der sich um nichts und niemanden schert. Der Roadmovie-Teil ist quasi ein einziger Amoklauf, bei dem Schweiger die plötzlich herausbrechende Lebensfreude des vermutlich sein Leben lang traurigen jungen Mannes auf die Leinwand bannen möchte und dabei übersieht, dass Paul, weil er nicht mehr nach links oder nach rechts guckt, eine Schneise der Verwüstung nach sich zieht. Die ganzen Diebstähle, Sachschäden und Unfälle könnte man als Zuschauer ja grundsätzlich akzeptieren, wenn der Film denn eine Läuterung präsentieren würde. Aber nichts dergleichen passiert: Zwar fällt Paul in seine depressive Phase zurück, sagt auch in einem Satz, er hätte den Eindruck, er würde die Welt in Trümmer legen, und er sieht ein, dass er Hilfe benötigt, aber zu keinem Zeitpunkt wird das hinter ihm liegende Chaos tiefgehend hinterfragt. Mehr noch: Es bleibt ganz offensichtlich ohne jegliche Konsequenzen für ihn. (Oder der Schaden wurde stillschweigend von Papa mit einem Scheck über einen sechsstelligen Geldbetrag beglichen, denn wir wissen ja, als weltbester Architekt ist Hardy bestimmt mehrfacher Millionär.) Man verlässt den Film also mit dem Eindruck, dass er Pauls Verhalten gutheißt und der Meinung ist: Nun gönnt dem Jungen doch mal ein bisschen Spaß!

Das mangelnde Interesse an den Figuren offenbart sich dann auch bei der Zeichnung der anderen Jugendlichen, mit denen Paul in der Jugendpsychiatrie konfrontiert wird. Wobei Zeichnung schon zu viel des Guten ist: Maximal Toni bekommt einen etwas breiteren Background spendiert, aber alle anderen sind völlig egal. Sie kriegen vielleicht alle noch Namen und stellen sich in ein, zwei Sätzen in der ersten Stuhlkreisrunde vor, aber das war’s dann auch. Man lernt sie viel zu wenig kennen, sodass es dann eigentlich auch total sinnlos ist, wenn Schweiger bei den drei, vier Szenen, in denen sie zu sehen sind, auf die Tränendrüse drückt und einer Jana, die vorher maximal einen dreiminütigen Auftritt hatte, Worte wie „Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe“ in den Mund legt. Verdammt, wen interessiert das, wenn wir sie doch gar nicht kennen? Dann kann man das gleich aussparen. Oder Tiens Coming-out, das zufällig auch noch von Richie erwidert wird? Keine Ahnung, warum es das braucht, wenn beide insgesamt keine zehn Minuten Screentime im Film haben. Da sie außerdem fast ausschließlich auf ihre ach so ulkigen Macken reduziert werden, macht das gleich noch weniger Sinn, ganz zu schweigen davon, dass keiner von ihnen ab dem Roadmovie-Teil je wiedergesehen wird. Tien outet sich als schwul, seine Eltern sind empört – und was folgt daraus? Nichts. Es gibt keine Auflösung. Völlig vertane Filmlaufzeit, die Schweiger lieber in andere Dinge hätte stecken sollen.

Wie zum Beispiel in die nominell größte Nebenfigur Anni. Womit die arme Bettina Lamprecht hier arbeiten muss, ist wirklich ausgesprochen kläglich, und es ist echt bitter, dass diese fähige Schauspielerin zu einer solchen Rolle Ja gesagt hat. Ich hatte schon in einem früheren Review erwähnt, dass Schweiger in der Vergangenheit wenigstens mal auf Frauenfiguren gesetzt hat, die etwas mehr sind als schmückendes Beiwerk für die Schweiger-Rolle, die nun mal in jedem Film eine Frau an ihrer Seite benötigt (Nora Tschirner war in „Keinohrhasen“ ein Beispiel, auch wenn die Gags dort ebenfalls meistens auf ihre Kosten gingen). Eine Figur wie Anni ist mir selten untergekommen: Sie bekommt recht viele Auftritte und bleibt doch bis zum Schluss ein völliges Rätsel, ein Nichts sozusagen. Sie ist im Prinzip nur dafür da, damit Hardy seine ihn plagenden Sorgen und Nöte laut ausbuchstabieren kann, und sie nickt verständnisvoll dazu, nimmt ihn in den Arm, tröstet ihn. In ihrer ersten Szene mit Charlie und Luca gibt sie den Kindern gegenüber sogar freimütig zu, nichts zu können. Sie kann nicht singen, sie kann nicht basteln – Botschaft: Sie kann gar nichts. Außer Pfannkuchen, wie es sich für eine tüchtige Hausfrau gehört. Ihr ganzes Privatleben ist Hardy. Sonst erfahren wir NICHTS über sie. Sie mag nicht ganz so frauenfeindlich wie die Frauen in „Klassentreffen 1.0“ gezeichnet sein, aber es kommt nah ran an die beiden braven Hausmütterchen, mit denen sich Til Schweiger und Samuel Finzi herumschlagen mussten. Anni ist nett. Das ist alles, was ich hier mitnehmen kann.

Nicht viel besser ergeht es der einzigen anderen größeren Frauenrolle Katharina. Wenn man so will, kann man positiv attestieren, dass sie im Gegensatz zu „Barfuss“, wo die Psychiatrie noch als absoluter Hort des Schreckens dargestellt wurde (inklusive der Angestellten), als positive Figur aus dem Film herauskommt. Das Problem allerdings ist: Auch über sie wissen wir nichts. Bis auf ein paar Standardfloskeln hat sie nichts beizutragen und bleibt eine leere Hülle, die auch nicht dadurch aufgefüllt wird, dass sie im Epilog nochmal auftaucht und weitere kluge Ratschläge austeilt. Laut Schweiger reicht es wohl schon, dass sie lieb und nett und verständnisvoll gegenüber den Insassen auftritt. Mehr brauchen wir nicht über sie zu wissen.

Die restlichen Figuren können froh sein, wenn Schweiger sie nicht wie die jugendlichen Insassen als reine Clowns darstellt. Saheed als Pauls bester Kumpel kommt nett rüber wie Anni und Katharina, aber fleischig ist die Charakterzeichnung wahrlich nicht. Es wird immer mal wieder angedeutet, dass er mit der Krankheit seines Freundes hadert, aber ob sie sein eigentliches Problem ist oder ob es noch ganz andere Probleme gibt, von denen er Paul erzählen will, es aber nicht kann, weil sich bei Paul alles nur um sich selbst dreht, wird auch nie ausgesprochen. Dahingegen gibt es so unangenehme Protagonisten wie den Lehrerschreihals, das strohdoofe Pärchen an der Tankstelle oder auch den Juwelier. Gerade ersterer ist eine derartige Überzeichnung eines Lehrers, dass sich der Eindruck erhärtet, Schweiger hätte den bloß aus Klamaukgründen ins Drehbuch geschrieben.

Vereinzelt las ich Kritiken, die herausstellten, dass dies Schweigers diversester Film sei. Das stimmt. Wieder möchte ich annehmen, dass sich Schweiger so manche Kritik seit „Klassentreffen 1.0“ zu Herzen genommen hat, weshalb seine tote Frau eine Ausländerin ist, er eine schwarze Frau datet und auch ein homosexuelles Pärchen zusammenbringt. Nur bedeutet ein diverserer Cast als sonst ja nicht, dass Schweiger sich plötzlich zu einem progressiven Menschen gewandelt hat. Anders als in seinen Filmen, in denen er immer wieder Menschen innerhalb weniger Augenblicke um 180 Grad zu liebenswerteren Exemplaren ihrer selbst dreht, steckt in Schweiger halt immer noch der erzkonservative Wasserkopf, der er schon immer gewesen ist. Warum sonst wohl gönnt er seinem schwarzen Date nur diesen einen Auftritt? Und warum sonst wohl vergisst er Tien und Richie direkt nach ihrem Outing? Am Ende bleiben die rümpfenden Nasen der schockierten Eltern so im Raum stehen, aber freigeschwommen hat sich Tien damit noch lange nicht. Die schwule Liebe wird quasi in der psychiatrischen Gefangenschaft ausgelebt, im Leben außerhalb der Mauern scheint kein Platz dafür zu sein, solange dort die Intoleranz regiert und ein Hardy rumläuft, der gegenüber Anni gleich zu Beginn ein kleines Homo-Späßchen macht. Da war er zugegebenermaßen schon schlimmer drauf, aber normal ist Homosexualität in Schweigers Filmwelt (und in seinem eigenen Weltbild) immer noch nicht. Und Schweiger kann sich nicht mit einem Schlag als weltoffenen Menschen umfunktionieren, nur weil Umweltschützerin Greta Thunberg an einer Stelle namentlich erwähnt und als Genie bezeichnet wird.

Das Drehbuch ist aber allgemein ziemlich schauderhaft, wie ich ja nun schon mehrfach deutlich gemacht habe. Der uneinheitliche Tonfall, das Drama immer wieder mit primitivstem Klamauk zu durchkreuzen, macht „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ohnehin schon schwer verdaulich genug, und die enorme Lautstärke, die den gesamten Film vom Start weg durchzieht, geht gewaltig auf die Nerven, aber auch die Story an sich ist an Banalität nicht zu überbieten. Streng genommen sind es ja sogar zwei Stories, weil Hardys eigenes Liebesleben und sein Umgang mit einem psychisch kranken Sohn teilweise gleichberechtigt, wenn nicht sogar dominanter nebeneinander herlaufen. Aber allein dieser Strang verursacht Bauchschmerzen: Wer möchte zum x-ten Mal bei Schweiger die Geschichte erzählt bekommen, wie seine Figur eine Frau erobert – vor allem, wenn sie so langweilig ist wie das berühmte Trocknen der Wandfarbe? Und auch Hardy ist langweilig, weil Schweigers Figuren sich immer nur vom Namen her unterscheiden. Klar, er heult ständig rum und macht sich damit über weite Strecken so männlich wie ein ins Wasser gefallener Keks, und er ist hier auch eher passiv unterwegs, der letztlich nichts mit der Rückkehr seines Sohnes zu tun hat, aber Schweiger ist von seiner Art, wie er Hardy spielt, so unverwechselbar Schweiger, dass man schon gähnen möchte, wenn er das erste Mal den Mund aufmacht. Es sei anerkannt, dass er sich hier nicht für den Nabel der Welt hält, macht aber nichts an ihm aufregender. Stattdessen erzählt seine Figur die sterbenslangweiligsten Plattitüden, wie man sie schon hunderttausendmal in anderen Filmen gehört hat – ohne jeden Aha-Effekt. Wenn er da ellenlang von der Geburt seiner Kinder erzählt, möchte man kotzen, weil das nicht rührend ist, sondern so abgedroschen, dass es stinkt. Das ist einfach nur unerträglich schwülstig. Wer soll davon berührt werden?

Doch selbst der nominelle Haupthandlungsstrang um Paul trägt dieselben Leiden mit sich herum. Angefangen beim platten Eröffnungsmonolog und fortgeführt mit den ganzen Weisheiten, mit denen der Junge fortwährend konfrontiert wird – sei es durch Katharina, sei es durch Toni (Hemingway, do! Foll Anschpruchsfohl!) –, es gibt praktisch keinen sich echt anfühlenden Dialog in diesem Film, und wenn doch, muss das reiner Zufall sein. Und weil die Dialoge nicht echt sind, fühlen sich auch die Figuren nicht echt an. Ich hatte schon das Wort Fantasy in den Mund genommen: Es ist eine reine Fantasiewelt, in der es sich Schweiger seit fast zwei Jahrzehnten in seinen Filmen bequem macht, die keinen Anspruch erheben kann, wirklich zu sein, was fatal ist für einen Regisseur, der meint, uns hier ein zu Herzen gehendes, aus dem Leben gegriffenes Schicksal zu präsentieren. Die Sepiafarben, mit denen Schweiger ja in jedem seiner Filme arbeitet, helfen dabei auch nicht. Sie geben dem Film nur einen noch stärkeren künstlichen Look. Hier hätte er lieber von seinem Stil abrücken und uns realistischere Bilder anbieten sollen. Aber gut, selbst wenn er das getan hätte, hätte sein hektischer Schnitt alle guten Ambitionen zunichtegemacht. Man merkt, dass er wieder mitgemischt hat: Es ist nicht so schlimm wie in „Klassentreffen 1.0“, aber dennoch ohne Gefühl zusammengetackert – mit einigen sehr merkwürdigen Entscheidungen in Form von Parallelmontagen, die ebenso konzeptlos wie schwachsinnig sind.

Die Musik ist – ihr habt es ja gelesen – allgegenwärtig. Und mit „allgegenwärtig“ meine ich: Sie läuft gefühlt 120 von 136 Minuten. Bei der Verfolgungsjagd mit der Polizei endet ein Musikstück – und just kommt gleich das nächste hinterher. Es ist grauenvoll – und gleichzeitig so passend, denn wenn man sich schon wie Rambo durch eine von der Anlage her feinfühlige Geschichte meuchelt, kann man sie auch gleich mit jeglicher Form von Dauerbeschallung zuknallen, als gäbe es kein Morgen mehr. Für das Funktionieren des Films ist diese Handlungsweise allerdings völlig kontraproduktiv. Ich habe mich aber damit abgefunden, dass Schweiger das in diesem Leben nicht mehr lernen wird.

Die meisten Punkte auf der Habenseite macht „Die Rettung der uns bekannten Welt“ noch auf der Schauspielerseite. Emilio Sakraya („Zeiten ändern Dich“, „Meine teuflisch gute Freundin“, „Heilstätten“) hat das Problem, nicht nur eine Hampelmann-Nervensäge, sondern spätestens ab dem Roadmovie-Teil ein rücksichtsloses Arschloch zu spielen, aber macht das Beste aus seiner schlecht geschriebenen Rolle und hat einige überzeugende Momente, auch wenn er mir manchmal etwas zu sehr chargiert. Mit 25 ist er eigentlich schon zu alt für seine Rolle, aber gut, wenn Hollywood Endzwanziger als Teenager besetzt, darf man das in Deutschland auch.

Til Schweiger, bekannt aus fast allen Filmen von Til Schweiger, spielt Til Schweiger. Er ist nicht mehr ganz der Obermacker und Allesstecher, aber das wäre mit fast 60 Jahren auch nicht mehr angebracht. Vielleicht hat er das erkannt, auch wenn er sich nicht nehmen lassen kann, sich als Top-Architekt auf das Podest zu stellen. Unfreiwillig komisch sind seine ständigen Tränenausbrüche, die spätestens beim dritten Mal zur Erheiterung beitragen. Bettina Lamprecht ist vorwiegend im Fernsehen aktiv und eine richtig gute Schauspielerin, die vor allem in „Ladykracher“ und „Pastewka“ (als Pastewkas Nemesis, die psychopathische Frau Bruck) ihr humoristisches Talent mehr als aufblitzen ließ. Leider vergeudet sie es in einer absoluten Nullrolle, dass man am liebsten ihren Agenten feuern wollte, aber offenbar gilt trotz zuletzt mauer Zuschauerzahlen bei Schweiger-Filmen immer noch das Motto: Wenn Til Schweiger ruft, bin ich da.

Tijan Marei („Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“) als Toni kommt für mich hier fast noch am besten weg in Anbetracht der Umstände, dass sie auch einen ziemlich flachen Charakter spielen muss, der aber im Vergleich zu allen anderen Nebenfiguren vergleichsweise gut umrissen ist – und mit „vergleichsweise gut“ meine ich, dass sie eine Hintergrundgeschichte erhält, und nicht, dass sie und ihre Gedankengänge mehr als oberflächlich beleuchtet werden würden. Emily Cox’ Gesicht wird so manchem sicherlich aus der bislang vier Staffeln umfassenden (und ziemlich verkorksten) Serie „Jerks“ geläufig sein, in der sie Christian Ulmens Serienfreundin spielt. Auch sie wird zu keinem Zeitpunkt gefordert, macht ihre Sache aber okay.

Unvermeidlich bleibt, dass Schweiger in seinen Filmen nicht nur selbst mitspielt – einzige Ausnahme: „Conni & Co 2 – Das Geheimnis des T-Rex“ –, sondern auch eine seiner Töchter unterbringen muss. Hier wäre mal wieder Emma Tiger an der Reihe: Die Winnie-Figur ist bereits ihre neunte Rolle für Papa – und es ist die bislang mit Abstand schrecklichste. Selbst wenn sie nur eine Nebenrolle bekleidet, muss sie hier eine enervierend dumme Jugendliche mit kleinkindhaft gesprochenen Dialogen verkörpern. Sie war nie eine gute Schauspielerin – schon in ihrer großen Starrolle als süße Magdalena in „Kokowääh“ nicht – und wird es vermutlich auch nie werden. Skandar Amini als Saheed, der zuvor lediglich drei Rollen aufzuweisen hatte, fällt nicht sonderlich auf, und das darstellerische Highlight ist vermutlich Herbert Knaup, der das Chef-Ekel in seinen drei Szenen mit gewohnter Souveränität runterspielt.

Letzten Endes kann ich nur das wiederholen, was ich eigentlich schon nach „Die Hochzeit“ gesagt habe: Vom Aufbau her war der Film „Klassentreffen 1.0“ so ähnlich, dass er glatt als dessen Remake durchgehen könnte (obwohl er eigentlich die Fortsetzung war). „Die Rettung der uns bekannten Welt“ wiederum erscheint wie ein Remake von „Honig im Kopf“, nur mit einem bipolaren Jugendlichen anstatt mit einem demenzkranken Rentner – und streng genommen war „Honig im Kopf“ bereits eine leicht variierte Neuauflage von „Knockin’ on Heaven’s Door“, für den Til Schweiger seinerzeit noch deutlich geschmackssicherer das Drehbuch verfasst hatte (dort wollen zwei todkranke Männer noch einmal ans Meer fahren, bevor sie sterben). Und eigentlich könnte man auch noch „Barfuss“ mit dazu zählen (eine junge Frau mit posttraumatischer Belastungsstörung in der Psychiatrie muss von Til gerettet werden). Er kaut wieder und wieder und wieder die immer gleichen Elemente in seinen immer gleichen Filmen durch, und wenn er dann doch mal einzelne Bausteine umwirft und anders anordnet, kommt am Ende trotzdem nur Altbekanntes dabei heraus, weil er sich weder als Regisseur noch als Mensch über all die Jahre geändert hat. Er lernt nicht dazu. „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist ein äußerst ärgerlicher Film, der ein ernstes Thema als Aufhänger hat und es erzählerisch und audiovisuell mit der gröbsten Kelle bearbeitet, die er in seiner Küche finden konnte, um immer wieder den Fokus zu verlieren und auf unpassendsten Klamauk aus der Steinzeit zu setzen – und das Schlimmste: seine Figuren nicht ernst zu nehmen. Langweilig und kaum zu ertragen.

Ich habe jetzt schon Angst vor Schweigers neuestem Streich „Lieber Kurt“ – dann wieder mit Schweiger in der Hauptrolle, als Vater eines kleinen Sohnes. Der Trailer verspricht wieder Dialoge wie „Der stinkt nach Pups aus dem Mund“ und „Ich lieb’ dich von hier bis zur Sonne und zum Mond und zurück“. Alpträume vorprogrammiert.


BOMBEN-Skala: 7

BIER-Skala: 2


mm
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