- Deutscher Titel: Die Passion Christi
- Original-Titel: The Passion of the Christ
- Regie: Mel Gibson
- Land: USA
- Jahr: 2004
- Darsteller:
James Caviezel (Jesus von Nazareth)
Maia Morgenstern (Maria)
Monica Bellucci (Maria Magdalene)
Mattia Sbragia (Hohepriester Kajaphas)
Hristo Naumov Shopov (Pontius Pilatus)
Fabio Sartor (Abenader)
Claudia Gerini (Claudia Procles)
Luca Lionello (Judas Iskariot)
Christo Jivkov (Johannes)
Francesco De Vito (Petrus)
Claudia Gerinei (Claudia Procula)
Luca De Dominicis (König Herodes)
Jarreth J. Merz (Simon von Cyrene)
Rosalinda Celentano (Satan)
Vorwort
Einen farbenfrohen Eiertag euch allen! Zurzeit kreist ja mal wieder der Bibelzirkus in Einkaufszentren, Fernsehkanälen und sogar Kirchen. Anlass für mich, besinnlich zu werden und was Religiöses in den Silberscheiben-Abspieler zu schmeissen. Womit wir bei „The Passion of the Christ“ wären (ich weiss, der Film würde besser zum Karfreitag als zu Ostern passen. Maul halten).
Der (eingewanderte) Känguruländer Mel Gibson hat es ja zu einer ganz grossen Nummer im internationalen Filmgeschäft gebracht. Mit der „Mad Max“-Reihe und den „Lethal Weapon“-Streifen stieg er zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten Schauspieler überhaupt auf, wurde Mitbegründer von Icon Productions („Hamlet“, „Forever Young“, „Was Frauen wollen“) und schaffte gar als Regisseur den Durchbruch (war „The Man Without a Face“ eher ein Achtungserfolg, so war „Braveheart“ ein künstlerischer und finanzieller Hit sonderhausen). Doch zugleich war er privat ein ziemlicher Schlingel, der exzessiv Weib, Wein und Drogen konsumierte und sich gern prügelte. Was unsereiner als voll knorken Lebensentwurf betrachtet, führte Gibson bald in eine Lebenskrise – in der er sich an seine katholische Kindheit erinnerte und sich Anfang der Neunziger auf seinen Glauben zurückbesinnte. Und was macht ein stinkreicher Schauspieler, Regisseur und Produzent, wenn er zum Born-Again-Christen wird? Genau, er zahlt 30 Millionen Dollar aus eigener Tasche, um in Italien einen Jesusfilm zu drehen.
Mad Gibson hat dann auch stets hervorgehoben, dass dieses Projekt für ihn eine Glaubenssache sei – und dass ihm der Heilige Geist dabei zur Seite gestanden habe. Will man den Beteiligten glauben, passierten während der Produktion immer wieder merkwürdige und wundersame Dinge (als ob), Gibson und Hauptdarsteller Caviezel behaupteten gar, ihnen seien im Vorfeld Zeichen erschienen, Filmkomponist Debney wiederum erzählte, er habe es bei seiner Arbeit mit dem Teufel höchstpersönlich zu tun gekriegt. Überhaupt scheint der alte Schwefelheini was gegen den Film gehabt zu haben, jedenfalls wurden seinem Einfluss abstürzende Computer und versagende Kameras zugesprochen.
Bei so viel Irrsinn nimmt es nicht Wunder, dass sich die Hollywoodstudios nicht gerade drum rissen, bei der Sache einzusteigen, und Gibson seine eigene Produktionsfirma bemühen musste. Die schnell mal aufbrandende Kontroverse half nicht gerade: Zum einen wurden dem Film übertriebene Gewaltdarstellungen vorgeworfen, zum anderen Antisemitismus. Gibson war ja baldigst als christlicher Fundamentalist verschrien, nicht zuletzt aufgrund seiner Verbindungen zu konservativen Gruppen wie der Priesterbruderschaft St. Pius X. (die das zweite vatikanische Konzil ablehnt – in welchem auch festgehalten wurde, dass man nicht das jüdische Volk für den Tod Jesu verantwortlich machen könne). Zudem war sein Vater mit antisemitischen Äusserungen und Holocaustleugnung aufgefallen; Gibson hat zwar immer Abstand davon genommen, aber sein besoffener antisemitischer Ausbruch späterhin hat seiner Glaubwürdigkeit etwas geschadet.
Wie dem auch sei: Der gewaltige Erfolg des Filmes, der sich nicht zuletzt dank der engen Zusammenarbeit mit religiösen Kreisen einstellte (allein in den US-Kinos spielte „The Passion of the Christ“ mehr als das Zehnfache seiner Produktionskosten ein), gab Gibson recht. Und erst die Einnahmen mit dem Merchandising… (Religiöse Leidenschaft und Profitstreben schliessen sich ja nicht aus, denn wie jeder weiss: Geld ist das einzige, das Gott sogar nötiger hat als ein Raumschiff.)
Zwar folgte dem Film keine grosse religiöse Erneuerung, wie vom Regisseur und diversen Kirchenvertretern erhofft (allerdings auch nicht der befürchtete weltweite Ausbruch von Antisemitismus), doch ist mit ihm die Religion wieder Thema des Mainstream-Kinos und der Populärkultur geworden (im Guten wie im Schlechten) – waren doch Gläubige als zahlungskräftiges Publikum entdeckt (weswegen wir uns heutzutage über Streifen wie „Knowing“ oder „The Book of Eli“ freuen dürfen).
Aber bei allem positiven und negativen Hype: Wir sind wegen des Filmes selbst hier und der soll nun für sich sprechen. Vorhang auf…
Inhalt
„Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“
Jesaja 53, 700 v. Chr.
Und wir steigen in Getsemani mit der Ölberg-Szene ein. Jesus schiebt Panik wegen der Dinge, die ihn erwarten. Er weckt Petrus, Johannes und Jakob, die ihn begleitet haben („Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?“) und betet noch einmal zu Gott, wobei ihm der Teufel erscheint (womit sich Gibson bei seiner angeblichen Evangelien-Verfilmung erstmals eine kleine Freiheit nimmt): „Ich sage dir: Kein Mensch allein kann diese Last tragen. Sie ist viel zu schwer. Der Preis für die Rettung ihrer Seelen ist viel zu hoch. Niemand. Nie. Nein. Niemals.“ (War das deutlich genug?)
Unser Heiland vertraut jedoch ganz auf seinen Vater und zertritt den harmlosen kleinen Python, der unter dem Rock des Teufels hervor kriecht. (PETA prangert das an.)
Judas hat sich inzwischen bei den Hohepriestern seine dreissig Silberlinge abgeholt (das Geldsäcklein wird ihm mittels der ersten von vielen, vielen, viiieeelen Zeitlupen hingeworfen) und führt nun die Tempelwachen mit ihren Fackeln (wusch!) zum Ölberg. Da Gibson sich nicht für ein Evangelium entscheiden konnte, stellt sich Jesus zuerst selbst, wird dann aber trotzdem noch von Judas geküsst. Im folgenden Exzess von Zeitlupen wird Jesus von den Tempelwächtern verhaftet, während sich die drei treuen Jünger zur Wehr setzen; der Konflikt eskaliert, als Petrus dem Wächter Malchus schwerterhalben ein Ohr absäbelt. Jesus verbittet sich derartige Gewaltanwendung (er hätte Petrus auch früher sagen können, dass er das Schwert weglegen soll) und pappt der bemitleidenswerten Wache das abgetrennte Ohr wieder an den Kopf. Gefesselt und in Ketten gelegt, wird der Heiland abgeführt. (Weder wird Petrus wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zur Verantwortung gezogen, noch interessiert es irgendwen, dass Malchus dort hocken bleibt.)
Anderswo erwachen Maria, die äusserst jugendliche Mutter Gottes (Jesus war wohl eine Teenagerschwangerschaft), und Maria Magdalena aus unruhigen Träumen.
Mama Maria: „War um ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“
Maria Magdalena: „Denn einst waren wir Sklaven, jetzt aber sind wir frei.“ (Ist das aus „Gladiator?“)
Johannes stürzt zur Tür hinein und berichtet von der Verhaftung.
Inzwischen treiben die Tempelwachen Jesus vor sich her, schlagen und verspotten ihn (das Wunder eben mit dem abgeschnittenen Ohr scheint die irgendwie gar nicht zu beeindrucken) und werfen ihn über eine Brücke, was aufgrund der Ketten zu einem antiken Bungee-Jumping mit schmerzhaften Folgen wird (in der Bibel steht das nicht, aber es sollte imho nachträglich reineditiert werden). Zufälligerweise hockt Judas unter der Brücke; die beiden sehen sich kurz in die Augen, bevor der Heiland wieder hochgezogen wird. Hernach wird der Verräter von einem Ork/Werwolf/Wasauchimmer erschreckt.
Endlich im Tempelhof angekommen, wartet schon eine grosse Menschenmenge (hergeholt und bezahlt von der Tempelwache), die Hohepriester und die beiden Marias nebst Johannes, Petrus und Judas. Zuletzt kommen auch zwei verdutzte römische Soldaten auf Pferden geritten, denen die Magdalener Maria erzählt, dass da eben einer unrechtmässig verhaftet worden wäre. Eine Tempelwache wimmelt die Soldaten ab, die aber immerhin ihren Vorgesetzten Abenader über diese seltsamen Vorgänge informieren wollen.
Jesus sieht indessen einen Berufskollegen (also einen Zimmermann) im Hof ein Kreuz fertigen (wenn das mal kein gutes Zeichen ist) und rückblendet zu glücklicheren Zeiten, als er mal einen Tisch mit ungewöhnlich hohen Beinen gezimmert hat. Mama Maria: „Das wird sich nie durchsetzen!“
Zurück in der Gegenwart wird Jesus in den Tempel gebracht. Mutter Maria: „Es hat begonnen, Herr. So sei es.“
Statthalter Pilatus liest Papyrus, während seine Frau Claudia im Nebenzimmer nachtmahrt (liebevoller Ehemann, der er ist, weckt er die Arme nicht aus ihren Albträumen). Der vorhin erwähnte Abenader klopft ans Tor und berichtet, drüben beim Tempel habe Obermufti Kajaphas irgendeinen Galiläer verhaftet lassen, was die besorgte Aufmerksamkeit der inzwischen erwachten Claudia (eine Anhängerin des besagten Galiläers) erregt.
Zurück im Tempel. Jesus wird den Hohepriestern vorgeführt, verhört und kriegt aufgrund seines Querulantentums die eine oder andere aufs Maul gehauen. Mehrere Zeugen werden befragt („Er heilt die Kranken durch Zauberei! Mit der Hilfe von Dämonen!“, „Er hat gesagt, er werde den Tempel niederreissen und in drei Tagen wieder aufbauen“, etc.), doch von Kajaphas abgelehnt: „Entweder ihr bringt Beweise vor für seine Vorgehen, oder ihr schweigt!“
Einige Priester melden da grundsätzliche Zweifel an der Rechtmässigkeit des Verfahrens an und werden unfreundlich hinauskomplimentiert. Schliesslich fragt Kajalfass Jesus: „Bist du der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes?“
Jesus: „ICH BIN ES. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“
„Das ist Gotteslästerung!“, spricht Kajaphas und zerreisst sich melodramatisch das Hemd. „Ihr habt ihn gehört. Wozu brauchen wir noch Zeugen! Euer Urteil. Wie lautet euer Urteil?“
„Tod! Er muss sterben!“
Jesus wird geschlagen und angespuckt, während der Pöbel frohlockt – man achte auf den degenerierten Untermenschen neben Judas.
Petrus kämpft sich inzwischen durch die Menge, wobei er seinen Heiland dreimal verleugnet (wofür er von Jesus einen bösen Blick zugeworfen bekommt). Für die Blöden im Publikum gibt’s an der Stelle eine Rückblende, in der Jesus Petrus erklärt, dass der ihn dreimal verleugnen werde, bevor der Hahn kräht. (Einen krähenden Hahn hören wir freilich nicht.)
Zurück in der Gegenwart begegnet Petrus auf dem Weg nach draussen Maria, Maria und Johannes: „Ich bin unwürdig! Ich habe ihn verleugnet, Mutter! Dreimal habe ich ihn verleugnet…“ (WIR HABEN ES KAPIERT!)
Draussen auf dem Tempelhof kniet sich Mama Maria plötzlich hin und legt ihr Ohr auf den Boden; eine Kamerafahrt durch selbigen zeigt uns, dass unter ihr Jesus im Verlies hockt. (Gutes Gehör!) Er blickt nach oben, die Präsenz seiner Mutter nicht weniger spürend als umgekehrt.
Von Reue gepackt, will Judas indes seine dreissig Silberlinge zurückgeben, aber Kajaphas und Co. denken nicht dran, Jesus dafür freizulassen. Nachdem er ihnen das Klimpergeld vor die dreckigen Füsse geworfen hat, landet der Verräter in die Gosse, so er von ein paar Kindern aufgestöbert wird. Besagte Gören sind von Dämonen besessen, beissen ihn und jagen ihn durch die Gegend.
Schliesslich verfolgt ihn eine Horde von teuflischen Dreikäsehochs die ganze Nacht hindurch bis vor die Tore Jerusalems, wo er a) einen abgestorbenen Baum und b) einen verrottenden Eselskadaver vorfindet. Das Seil, mit dem das Grautier mal festgebunden war, nutzt Judas, um sich zu erhängen.
Anderswo beschwört Claudia ihren Mann Pilatus, „den Galiläer“ nicht zu verurteilen, der sei drum heilig. „Du wirst nur Unglück über dich bringen.“
„Willst du wissen, was ich unter Unglück verstehe, Claudia? Diesen elenden Provinzposten und den dreckigen Pöbel da draussen.“
Besagter dreckiger Pöbel (darunter wieder mal die doppelte Maria und Johannes, von jetzt an MMJ) bringt inzwischen Jesus in den Hof von Pontius Pilatus’ Palast.
Der Statthalter zeigt sich erst verwundert über den Aufruhr. Kajaphas und Co. sollen diesen Kerl doch selbst vor Gericht stellen, wenn sie ein Problem mit ihm haben. Dummerweise verlangt die jüdische Delegation die Todesstrafe und die kann nur der Statthalter verhängen. Also zieht sich Pilatus zu einem kurzen Zwiegespräch mit Jesus zurück. Nachdem dieser ein ihm angebotenes Erfrischungsgetränk ausgeschlagen hat, erzählt er, überraschenderweise des Lateinischen mächtig, was von „mein Königreich ist nicht von dieser Welt“ und irgendeiner „Wahrheit“.
Jedenfalls findet Pilatus keinen Grund, Jesus zu verurteilen, und teilt das auch Kajaphas und Co. mit. Da der Angeklagte Galiläer ist, schlussfolgert der Statthalter, dass selbiger als Untertan des König Herodes einzuordnen ist und zu eben jenem gebracht werden soll.
Besagter König (ein aufgequollener, geschminkter, tuntiger Fettsack mit einem dekadenten Hofstaat) freut sich über den Besuch des berühmten Gastes. Aber Jesus gibt keinen Ton von sich. Herodes (amüsiert): „Schafft mir diesen dummen Narren aus den Augen! Der hat nichts verbrochen. Er ist nur verrückt.“
Währenddessen unterhält sich Pilatus mit Claudia über Wahrheit und die unzufriedenstellende Gesamtsituation: „Seit elf Jahren schlage ich hier in dieser elenden Provinz Aufstände nieder. Wenn ich diesen Mann nicht verurteile, wird Kajaphas zum Aufstand rufen. Wenn ich ihn aber verurteile, werden seine Anhänger das Gleiche tun. So oder so, es wird Blut fliessen. Der Kaiser hat mich gewarnt, Claudia. Schon zweimal. Er hat geschworen, dass beim nächsten Mal mein Blut fliessen wird.“ (Heul doch. Wer wollte denn unbedingt politische Karriere machen, hä?)
Da stürzt Abenader mit der Tür ins Haus; Herodes weigere sich, den Galiläer zu verurteilen, also sei die ganze Bagage auf dem Weg zurück zum Statthalterpalast (Pech). Die Menge ist inzwischen ziemlich aufgebracht, erst recht, als Pilatus erneut festhält, dass er keinen Grund für eine Verurteilung sehe. Kajaphas bremst sein Volk: „Habt ihr keinen Respekt vor dem römischen Statthalter?“
Das Volk: „Hahaha!“
Nach kurzem Zögern stellt Pantoffelherrscher Pilatus die Leute vor eine Wahl: „Ihr wisst, dass ich euch jedes Jahr einen Gefangenen freilasse.“ Da wäre zum einen Jesus, zum anderen Barabbas, ein „bekannter Mörder“. Selbstverfreilich wählt das Volk, unter der Führung von Kajakfahrt, den körperlich und geistig degenerierten Meuchler.
Pilatus: „Was soll ich mit Jesus von Nazaret machen?“
Kajaphas: „Kreuzige ihn!“
Grosse Zustimmung im Volk. Pilatus weigert sich allerdings: „Ich werde ihn bestrafen, aber dann werde ich ihn freilassen.“
Hierauf übergibt er den Angeklagten Abenader.
Im Hinterhof warten schon die römischen Folterknechte (und die Zeitlupen). Jesus wird ausgezogen (Hände über der Decke!), an einen Felsen gekettet und von den hämisch spottenden Brutalos („Lasst uns Musik machen!“) mit Stöcken gepeitscht. (Es gibt heute Leute, die für eine solche Behandlung teuer Geld ausgeben.) Der Teufel wandert indessen durch die Reihen der zuguckenden Hohepriester, die sich nach und nach abwenden, während MMJ rechtzeitig zur Show eintreffen. Als Jesus schliesslich gepeinigt zusammenbricht, wollen es die Römer gut sein lassen – da steht der Heiland plötzlich wieder auf. (Junge, ab jetzt bist du echt selbst schuld.)
Und es wird richtig lustig: Die Folterknechte nehmen Peitschen mit Widerhaken zur Hand und schlagen damit im Blutrausch auf Jesus ein, bis sein Rücken einer blutigen Kraterlandschaft gleicht und sich blutige Fleischfetzen bis auf die blutigen Knochen runter aus seinem blutüberströmten Körper lösen. (Da erigiert der Splatter-Freund.) Nachdem die Rückseite ausreichend behandelt ist, wird Jesus umgedreht und auch sein Bauch gepeitscht.
Dreh dich nicht um, der Teufel geht wieder um, diesmal mit einem grinsenden Monstersäugling auf dem Arm (?). Indes fällt Jesu Blick auf eine Folterknechts-Sandale und er rückblendet zum letzten Abendmahl, als er seinen Jüngern die Quanten wusch („Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen. Habt keine Angst, der Beistand wird kommen“, etc.).
Abenader erinnert sich endlich an seine Aufsichtspflicht und unterbricht die lustige Folterparty: „Ihr hattet Befehl, diesen Mann zu bestrafen, nicht, ihn zu Tode zu geisseln!“ (Zu ihrer Verteidigung: Jesus hat’s drauf angelegt.)
Er lässt ihn wegbringen. Eine Szene weiter treiben die römischen Soldaten, die eben noch total zerknirscht waren, mit Jesus wieder ihr böses Spiel, setzen ihm eine Dornenkrone auf und hängen ihm einen purpurnen Fetzen um, verehren ihn spöttisch als König, schlagen ihm mit einem Stock auf den Kopf, etc. Ich detektiere bei Pilatus und Abenader eine fortgeschrittene Führungsschwäche.
Die beiden Marias schleichen sich einstweilen auf den Hinterhof und wischen mit ein paar Tüchern, die ihnen vorhin Claudia (Petrus’ Weib, gell) in die Hände gedrückt hat, das Blut von Jesus auf. (Mädels, bei der Menge an Saft braucht ihr schon eine mittlere Putzkolonne.) Die Magdalener Maria hat eine Rückblende (argh!) zu ihrer Beinahe-Steinigung, die allerdings von Jesus verhindert wurde.
Zurück im Palasthof. Pilatus präsentiert der Menge (haben die eigentlich den ganzen Tag nichts Besseres zu tun?) den geschundenen Jesus („Nehmt ihm die Dornen vom Kopf!“, könnte er jetzt sagen, tut er aber nicht). Jetzt sind sie sicher zufrieden, oder?
Pilatus wendet sich an Jesus: „Rede mit mir. Ich habe die Macht, dich zu kreuzigen oder dich freizulassen.“ (Als ob.)
Jesus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre. Darum liegt die grössere Schuld bei dem, der mich dir ausgeliefert hat.“
Wie auch immer. Bevor die Menge endgültig ausrastet, lässt sich Pilatus eine Schüssel mit Wasser bringen; Jesus guckt hinein und… och nö… Rückblende. Wieder beim letzten Abendmahl: Jesus und seine Jünger waschen sich die Hände.
Indes wäscht Pilatus seine Griffel in der Schüssel. „Ihr wollt ihn doch kreuzigen – nicht ich. Kümmert ihr euch darum. Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen.“ (Pfffzz, sag ich nur, pfffzz!)
Kajaphas: „Soll doch sein Blut über uns und unsere Kinder kommen!“ (In den Untertiteln findet sich dieser Spruch zwar nicht, tontechnisch ist er aber nach wie vor drin.)
Okay, auf geht’s zur Kreuzigung. Während Gesmas und Dismas, zwei Verbrecher, die zusammen mit ihm zur Schädelstätte getrieben werden, bloss den Querbalken auf den Rücken gebunden bekommen, muss Jesus ein vollständiges Kreuz hinschleppen. Am Wegrand versammelt sich das Volk, Jesus beschimpfend und bespuckend. Der Heiland hat… nein… NEIN! Eine Rückblende! Zu seinem Einzug in Jerusalem nämlich, als ihm die Leute noch Palmwedel vor die Füsse (bzw. vor die Hufe seines Esels) gelegt haben. Inzwischen gehen MMJ auf der einen, der Teufel aber auf der anderen Seite durch die Menge. Da fällt Jesus in Zeitlupe hin (1). Er wird von den Soldaten weitergetrieben, fällt ein Stück weiter aber nochmals hin (2), wieder in Zeitlupe und diesmal dergestalt, dass das Kreuz auf ihm landet (hihi).
Mutter Maria sieht das mit an und, ächz, seufz, hat einen Flashback (mit eingebauter Parallelmontage) in die Kindertage Jesu, als ihr kleiner Sohn mal über die eigenen Mauken gestolpert und hingefallen ist (was die junge Maria derart panisch macht, als würde das Gör mindestens mitten auf eine zehnspurige Autobahn laufen).
Wenig später stürzt Jesus erneut (3), diesmal tatsächlich ohne Zeitlupe (was ist denn los?), lässt sich diesmal aber auch durch Peitschenschläge nicht zum Weitergehen animieren. Schliesslich kommt Abenader geritten und befiehlt seinen Soldaten, Jesus zu helfen; die setzen den Befehl um, indem sie einen unbeteiligten Zuschauer (Simon von Cyrene) dazu verdonnern, Jesus beim Tragen zu assistieren. Endlich geht’s weiter.
Trotzdem fällt Jesus kurz danach schon wieder hin (4) – willkommen zurück, liebe Zeitlupe. Ein kleiner Aufruhr entsteht, den eine gewisse Veronika (müsst ihr euch nicht merken) dazu nutzt, Jesus ein Leintuch zu reichen, damit er sich das Blut aus dem Gesicht wischen kann; als sie ihm jedoch einen Becher Wasser hinhalten will, scheucht sie einer der Soldaten weg.
Die Menge prügelt auf Jesus ein, während die Römer lachend daneben stehen – bis Simon ausrastet und herumbrüllt: „Wenn ihr nicht aufhört, trage ich das Kreuz keinen Schritt weiter!“
Römer #1: „Schon gut, schon gut, machen wir, dass wir weiterkommen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
Römer #2: „Komm jetzt… Jude!“
Jesus fliegt aufs Maul (5). Diesmal hilft ihm Simon auf, und weiter. Mit einem Blick zur Spitze des Golgatha kommt, stöhn, heul, verzweifel, eine weitere Rückblende, diesmal zur Bergpredigt. Thema: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Und: „Ich gebe mein Leben hin für meine Schafe. Niemand entreisst mir mein Leben, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin.“
Und endlich sind sie auf dem beschissenen Berg, wo schon die Hohepriester warten. Jesus stürzt ein letztes Mal hin (6), mit Zeitlupe und dramatisch aufwirbelndem Staub (hysterisch lach), dann wird Simon fortgeschickt und Jesus angebrüllt, bis er wieder aufsteht. Rüc… Rückb… Muss ich es wirklich sagen…? Okay: Rückblende. Letztes Abendmahl. Jesus: „Ihr seid meine Freunde. Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Und: „Ich kann nicht viel länger bei euch sein, meine Freunde. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen“, „so wie ich euch geliebt habe, sollt auch ihr einander lieben“, „und niemand kommt zum Vater ausser durch mich“, etc.
Aufm Golgatha wird Jesus seiner Kleidung entledigt und genagelt (aufs Kreuz). Vorher aber die Schulter auskugeln. Die Schmatzgeräusche beim Einschlagen der Nägel sind ja lustig. Dann das Kreuz umdrehen, um die Nägel auf der Rückseite zu fixieren. Ein Schild wird ans Kreuz genagelt: „IEVS NAZARENVS REX IVDAEORVM.“ Während das Kreuz endlich aufgerichtet wird, sehen wir in der Rückblende das mit dem Brot und dem Wein („Dies ist mein Fleisch, nehmt davon wie die Kannibalen“, etc.).
Wie vorhin erwähnt, wurden zusammen mit Jesus noch zwei Verbrecher gekreuzt gekreuzigt. Gesmas höhnt: „Wenn du der Sohn Gottes bist, warum rettest du dich nicht selbst?“ Auch die Römer und Kajaphas spotten über ihn, der nicht vom Kreuz steigen kann. Trotzdem betet er für sie: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Dismas indes ist von Jesus begeistert und sich sicher, dass der, im Gegensatz zu ihm und Gesmas, unschuldig am Kreuz hängt. Jesus: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Gesmas lacht darüber. Also sticht ihm eine Krähe das rechte Auge aus. (Umpf.)
Einige Zeit vergeht, während Jesus am Kreuz hängt. Das schlechter werdende Wetter schreckt die würfelspielenden Römer und die Hohepriester auf.
Mama Maria und Johannes treten zum Kreuz, Jesus bittet nach Wasser, beisst aber nicht in den Schwamm, den ihm einer der Soldaten anbietet. Dafür erklärt er seine Mutter und Johannes zu Frau und Mann Mutter und Tochter. Gesmas: „Es ist keiner mehr da. Keiner, Jesus!“ (Doch, da sind noch Leute.)
Jesus: „Gott, Gott, wieso hast du mich verlassen? Es ist vollbracht. Vater, in deine Hände.. lege ich… meinen Geist.“ Und tot isser.
Wir schauen aus göttlicher Vogelperspektive runter auf Golgatha. Dank Fischaugenlinse erinnert der Anblick an das Erdenrund, was eine lässige Idee ist (die Kreuzigung als globales Ereignis und so), etwas albern wird’s aber, als sich aus dem „göttlichen Auge“ eine Träne löst, soll heissen, ein Regentropfen, der zu Boden fällt und ein Erdbeben auslöst. Den Jerusalemer Tempel reisst’s glatt in der Mitte auseinander; den Hohepriestern und Kajaphas geht auf, was sie da eigentlich getan haben.
Die Römer auf dem Golgatha werden geschäftig und brechen den beiden Verbrechern die Beine; Jesus indes ist schon tot, wie mit einer Lanze nachgeprüft wird – Blut und Wasser regnet in einer regelrechten Fontäne auf den betreffenden Römer runter.
Anderswo regt sich der Teufel fürchterlich darüber auf, dass seine Pläne vereitelt wurden. (Rückkehr der Fischaugenlinse.)
Bald drauf: Die tote Leiche des hingerichteten Jesus wird vom Kreuz geholt und die Kamera spielt alte Gemälde nach (der leblose Heiland in Marias Schoss).
Der Stein vor Jesu Grab wird weggerollt. Wir sehen das Leintuch, in dem sein Körper eben noch war, in sich zusammen fällt. Daneben sitzt Jesus und verlässt seine Ruhestätte; alle Wunden vollständig geheilt. Bis auf die Nagellöcher in den Händen.
Es ist schon etwas fies, sich derart über etwas lustig zu machen, in das jemand sicher eine Menge Herzblut gesteckt hat. Bloss… Pathos und unfreiwillige Komik liegen naturgemäss nahe beieinander, insbesondere aber bei „The Passion of the Christ“, bei dem heiliger Ernst mit hemmungsloser Übertreibung (nebst einem Hang zu debilen Einfällen) Hand in Hand geht. Wenn das Stilmittel der Zeitlupe kaum zur Erholung kommt, wenn die Handlung mit Rückblenden zugeschissen wird, als würden sie morgen verboten, oder wenn Jesus auf dem Weg nach Golgatha ständig in detaillierter Darstellung auf die Fresse fliegt, muss man sich schon beherrschen. Allerdings hat das durchaus System, denn „The Passion of the Christ“ ist ein Film der Exzesse. In jeder Hinsicht.
Folterexzesse im Bibelfilm
Grundsatzfrage: Weshalb wird so ein Bohei gemacht um Jesu Leidensweg? Ist nicht so, als wäre der gute Heiland (sofern er überhaupt existiert hat, hüstel) der erste (oder der letzte) gewesen, dem Gewalt angetan wird, und einer guten Anzahl von Leuten dürfte es signifikant schlechter ergangen sein als ihm, Auspeitschen hin, Kreuzigung her. Mel Gibson kommt diesem Einwurf (ob bewusst oder unbewusst) zuvor, indem er das Leiden Jesu bis ins Groteske überhöht. Jesus wird bei ihm nicht einfach geschlagen und ausgepeitscht, er wird zu Klump gehauen und in Fetzen gerissen, mit einer diebischen Freude am Detail, bis das Blut in Strömen fliesst.
Der Exzess der körperlichen Zerstörung überschreitet dabei jeden realistischen Rahmen; ein normaler Mensch hätte spätestens im Verlauf der Auspeitschung den Löffel gereicht. Freilich ist Jesus kein normaler Mensch: Sein göttlicher Status sichert ihm übermenschliches Durchhaltevermögen, das ihm übermenschliches Leiden ermöglicht. Und Gibson muss ihn übermenschlich leiden lassen, damit nachher keiner sagen kann: „So schlimm ist eine Kreuzigung nun auch wieder nicht, Heulsuse.“
Stattdessen: „So sehr hat Jesus für mich gelitten? Ich werd sofort gläubig!“
(Auch wenn Jesus hier zumindest an der Sache mit den Widerhaken-Peitschen ganz allein schuld ist.)
Die Altmeister Keith Vanderlaan und Greg Cannom („Bram Stoker’s Dracula”, „Hannibal”, Van Helsing, Pirates of the Caribbean) zaubern uns also einen ausführlichen (sowie oscarnominierten) Folterexzess ganz im Sinne des Splatterfilms hin, wie man das zuvor im Mainstream-Kino nicht für möglich gehalten hätte (kein Zufall, dass der Begriff der „Gewaltpornographie“ mit dem Film so richtig aufkam); „The Passion Fruit of the Christ“ dürfte der wichtigste Wegbereiter für die Folterporn-Welle à la „Saw“ und „Hostel“ sein.
Unvorstellbar, dass Gibsons Werk eine FSK-Freigabe ab 16 erhalten hätte, ginge es darum nicht um Jesus. (Der Bibelfilm bot ja immer schon eine Möglichkeit, unter dem Deckmantel des Religiösen Erotik und Gewalt ans Publikum zu verkaufen – Gibson verzichtet bloss auf den Erotik-Teil.) Jetzt sieht (bzw. sah) sich aber eine breite Publikumsschicht Goregesploddere an, die Splatterfilme höchstens vom Hörensagen kennt (und verwechselt am Schluss Überwältigung mit einem religiösen Erlebnis). Dass dem Zuschauer das Gezeigte möglichst nahe geht, wird ja nicht alleine durch die detaillierten Gewaltdarstellungen gesichert, sondern auch durch ausgiebige reaction shots (gern in Grossaufnahme) der Beobachter und durch eine auf Jesus bezogene Subjektivierung der Darstellung (die Kamera nimmt gar mehrfach seine Perspektive ein). Ein violentes Gesamtpaket also.
Man kann Gibson also nicht (nur) Gewaltgeilheit vorwerfen, sondern muss auch anerkennen, dass er mit den Foltereffekten einen höheren (freilich nicht unbedingt guten) Zweck verfolgt. Übrigens ganz in der Tradition der Kreuzwegthematik und des Passionsspiel. Letzteres hat ja durchaus eine gewalttätige Geschichte (mit manchem Jesusdarsteller, der tatsächlich ums Leben kam) und ist heute noch insbesondere auch in den USA beliebt – der moderne Horrorfilm bietet nur neue Möglichkeiten, selbiges effektvoll in Szene zu setzen. Mit Jesus als Opferlamm, das aus Liebe zu den Menschen unmenschliche Qualen auf sich nimmt (Passion heisst ja nicht nur Leiden, sondern auch Leidenschaft) und die Sünden mit seinem Blut rein wäscht – bei Gibson mit Strömen von Blut. (Wie sagte doch der Regisseur: „Schmerz ist der Wegbereiter von Änderung.“)
Deshalb legen Gibson und sein Co-Drehbuchautor Benedict Fitzgerald (die Joseph-Conrad-Adaption „Heart of Darkness“ mit Tim Roth und John Malkovich, oder die Truman-Capote-Adaption „In Cold Blood“ mit Sam Neill) soviel Wert auf das Leiden. Aber die Konzentration auf selbiges und die weitgehende Aussparung von Jesu Botschaft ist heikel – sein Leiden (oder die Liebe, die durch das Leiden ausgedrückt werden soll, rumkitsch) ist ja kein Argument. Du hast aus Liebe für mich gelitten? Schön für dich. Aber was hast du zu sagen? „The Passion of the Christ“ setzt vor allem auf Überzeugung durch Emotionen (erzeugt durch filmische Mittel), nicht auf Überzeugung durch Ideen. Und das nur halbwegs geschickt.
Denn es gibt in „Passion of the Christ“ Grenzen der Überwältigung und der Identifikation, weil der Zuschauer trotz allen Leidens keinen echten Bezug zu den Figuren hat. Gibson vertraut darauf, dass die gezeigte körperliche und geistige Marter ausreicht, die Empathie des Publikums anzusprechen. Das Problem dabei ist, dass wir die leidenden Protagonisten kaum kennen – eine Folge davon, dass der Film quasi im Finale der Geschichte einsteigt und die ganze Vorgeschichte ebenso weglässt wie die Einführung der Figuren (auch die Rückblenden bieten da nur sehr wenig) – das biblische Vorwissen des Zuschauers ersetzt leider nicht eine saubere Charakterisierung. Kommt eine notorische Eindimensionalität besagter Figuren hinzu, aber dazu weiter unten mehr. Die Folge ist jedenfalls: Die gezeigte Gewalt lässt einen weitgehend kalt (je mehr natürlich, je mehr man durch Splatterfilme abgestumpft ist, hüstel).
Woraus folgt: Der Film langweilt zusehends. Viel mehr als zwei Stunden Folterung hat er ja nicht zu bieten und das ist schon arg wenig, ähem, Fleisch auf den Knochen für ein Werk dieser Länge.
Die Visionen der Augustinernonne
Grade umgekehrt ist das Verhältnis von Leidensgeschichte und Botschaft übrigens in der Bibel, die sich mit den Schilderungen von Torturen stark zurückhält. Die detailversessenen Schilderungen in „The Passion of the Christ“ finden dort keine Entsprechung, die Gewalt an Jesus wird bloss in einzelnen Sätzen fast schon nebenbei abgehandelt. Stattdessen beziehen sich Gibson und Fitzgerald auf die spätere christliche Tradition, zum Beispiel auf die erwähnten Passionsspiele, auf die klassischen 14 Kreuzwegsstationen oder auf eine barocke Marien-Biographie der spanischen Nonne Maria von Agreda. Wichtigste Quelle war aber „Das bittere Leiden unseres Hernn Jesus Christus“ aus dem Jahre 1833, ausgedacht von der Augustinernonne Anna Katharina Emmerick, aufgeschrieben (und ausgeschmückt) von Clemens Brentano, einem der Schriftsteller der Heidelberger Romantik (zu deren Kreis auch die Gebrüder Grimm gehörten). Bei den amerikanischen Evangelikalen ist das Werk nicht ganz unbekannt und Gibson hat es als einen wichtigen Einfluss für seinen Film genannt, auch wenn Emmerick, resp. Brentano schlussendlich keine Nennung in den Credits erhalten haben. Aber viele Details aus dem Film, die sich nicht in den Evangelien finden, wurden dort entnommen:
Die erneute Versuchung durch den Teufel auf dem Ölberg
Das Bungee-Jumping
Die Dämonenkinder, die Judas bedrängen
Die Peitschen mit den Widerhaken
Die Szene, in der die beiden Marias mit den Leintüchern, die Claudia ihnen gereicht hat, das Blut Jesu aufwischen.
Das Auskugeln von Jesu Schultergelenk bei der Kreuzigung
Selbst die Architektur von Pilatus’ oder Herodes’ Palästen soll sich nach der Beschreibungen in „Das bittere Leiden…“ richten
Etc.
Auch die Gleichstellung der Maria von Magdala mit der Ehebrecherin ist zwar traditionell, findet sich aber nicht in der Bibel selbst. Immerhin, für einige Stellen bedient sich Gibson aus dem alten und neuen Testament, wenn zum Beispiel in Dialogen Zeilen aus den Psalmen zitiert werden oder Jesus, analog zu Sätzen in der Genesis, der Schlange den Kopf zertritt. Anderes ist auf den Erfindungsreichtum von Gibson und Fitzgerald zurückzuführen, wie das mit dem Tisch, ein Grossteil der Gespräche zwischen Pilatus und Claudia oder Satan mit dem Monsterkind auf dem Arm.
Von einer bibeltreuen Verfilmung der Evangelien kann man bei „The Passion of the Christ“ also nur bedingt reden – wobei es eh schwierig wäre, allen vier Texten auf einmal gerecht zu werden, widersprechen sie sich doch an vielen Stellen; Gibson und Fitzgerald mussten also eine bewusste Auswahl treffen, sich entscheiden, welche Stellen sie in welcher Version reinnehmen wollen und was sie weglassen.
Wenn unsere Drehbuchautoren also aus den Bibeltexten nur das ihnen Genehme auswählen, ausserbiblische Tradition einfliessen lassen und Neues dazuerfinden, also nicht einfach bloss die Evangelien verfilmen, sondern eine ganz eigene und frei ergänzte Interpretation abliefern, kann sich Gibson nicht damit herausreden, dass Kritik an seinem Film automatisch Kritik an der Bibel sei. Das ist Schwachsinn. Ob es jetzt um den Vorwurf der Gewalttätigkeit geht, oder um den Vorwurf des Antisemitismus.
Böse Juden und gute Juden
Die Evangelien entstanden zu und wurden geprägt von einer Zeit, als sich (grob gesagt und polemisch gesprochen) die Jesusanhänger von den Juden trennten und sich lieb Kind bei der imperialen Obrigkeit machen wollten. Es findet sich also ein gewisser Distanzierungsduktus gegenüber den Juden und eine gewisse Sympathienahme für Pilatus und Co. Also finden sich eher heikle Stellen wie „Soll doch sein Blut über uns und unsere Kinder kommen!“, auch wenn man nicht wirklich von der Bibel als einem antisemitischen Buch sprechen kann (das Judentum ist ja schliesslich eminent wichtig für den Wälzer).
Wie auch immer man das sehen will, Gibson und sein Co-Autor können, wie oben ausgeführt, nicht einfach auf die Bibel verweisen, wenn es um den Vorwurf des Antisemitismus geht – sie haben nach Gutdünken interpretiert und sie hätten deswegen antisemitische Tendenzen in ihrer Adaption kritisch hinterfragen können, was sie nur bedingt haben. „The Passion of the Christ“ ist aber auch nicht einfach antisemitisch:
Es stimmt, Kajaphas und andere Hohepriester werden nach allen Regeln der Kunst als hassenswerte Arschlöcher inszeniert (ohne dass ein Grund für den Hass vermittelt würde). Allerdings gibt es bei den Hohepriestern auch eine Fraktion, die den Prozess gegen Jesus ablehnt, und selbst Kajaphas zeigt nach dem Erdbeben Reue.
Der jüdische Pöbel ist, naja, ein Pöbel. Mit dem einen oder anderen degenerierten Untermenschen darunter. Andererseits ist dieser Pöbel bezahlt (man kann bei den Leuten also nicht unbedingt von überzeugtem Hass sprechen, allerdings sind sie verdammt überzeugend) und gibt es darunter auch durchaus mitleidige Leute, wie die klagenden Weiber oder Simon von Cyrene. Zudem sind Jesus nebst Mutter und Jünger auch Juden.
Dem bösartigen Juden Kajaphas wird der gute Römer Pontius Pilatus (nebst seiner jesusgläubigen Frau Claudia und Abenader) gegenüber gestellt, der (fast) alles tut, um Jesus zu retten (dem historischen Pilatus, der den Quellen nach ein ziemlicher Tyrann gewesen sein muss, wäre das Schicksal eines dahergelaufenen Prophet freilich am Arsch vorbei gegangen). Er wird sogar explizit von Jesus entschuldigt: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre. Darum liegt die grössere Schuld bei dem, der mich dir ausgeliefert hat.“ Dir Römer können nix dafür, die Juden sind an allem Schuld. Jedoch: Die römischen Schergen werden als nicht minder widerwärtig als der blutrünstige Pöbel dargestellt.
Zwar sagt Pilatus an einer Stelle: „Bin ich denn ein Jude? Dein eigenes Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert.“ (Gefolgt von Kajaphas’ Ausspruch: „Soll doch sein Blut über uns und unsere Kinder kommen!“) An einer anderen Stelle kriegt allerdings Simon von Cyrene von einem römischen Soldaten zu hören: „Komm jetzt… Jude!“ Womit die einzige Figur, die sich auch angesichts von Gefahr für Leib und Leben für Jesus einsetzt, eben jüdisch wäre.
So sehr Jesus von den bösen Juden und bösen Römern gequält und gefoltert wird, so spricht er doch (in den Rückblenden) immer wieder von Nachsicht, dass man seinen Feinden verzeihen und sie lieben solle, etc.
Schwierig also, hier einfach von Antisemitismus zu sprechen. Aber es läuft schliesslich darauf hinaus: die oberste (religiöse) Autorität der Juden (Kajaphas) kommt sehr viel schlechter weg als die oberste (regionale) Autorität der Römer (Pilatus). Ersterer wird als Alleinschuldiger am Tode Jesus dargestellt, während alles unternommen wird, um zweiteren als unschuldiges Opfer einer Erpressung darzustellen.
Besonders heikel ist dabei, dass die Darstellung von Kajaphas und des jüdischen Pöbels (sowohl körperlich als auch charakterlich) an antisemitische Propaganda gemahnt. Diese Leute werden derart hemmungslos als Hassobjekte aufgebaut, dass angesichts dessen selbst Jesu Forderung nach Versöhnung wie ein schlechter Witz wirkt.
Gibson und sein Mitautor betreiben sogar eine radikalere Schwarzweissmalerei als die Bibel: Kajaphas zum Beispiel überlegt im Johannes-Evangelium, dass Jesus aufgehalten werden solle, um einen Aufstand des jüdischen Volkes mit vielen Toten zu verhindern. Eine Dimension, die „The Passion of the Christ“ mit der plumpen Dämonisierung des Charakters völlig abgeht. (Gibson gibt sich ja keinerlei Mühe, Kajaphas irgendwelche Motive zuzugestehen – oder den Konflikt zwischen Jesus und dem Rat irgendeinen Kontext zu geben –; der ist einfach ein hassenswertes Arschloch, fertig. Keine Spur von Verständnis für die „Bösen“, keine Spur von „Liebe deine Feinde“ – nur Hass.)
Bei dieser hemmungslosen Dämonisierung des „offiziellen Judentums“ bei gleichzeitiger Entschuldigung des „offiziellen Römtertums“, welche die vereinzelten Gegenbeispiele „guter Juden“ überwiegen und radikaler sind als das, was man in den Evangelien findet (obwohl, wie gesagt, Gibson einen kritischen Ansatz hätte wählen können, da er eh keinen bibeltreuen Film gemacht hat), fällt es mir schwer, „The Passion of the Christ“ vom Anklagepunkt des Antisemitismus freizusprechen – freilich ist kein eindeutiger Schuldspruch möglich. Zumindest müssen sich Gibson und Co. aber fahrlässige antijüdische Tendenzen vorwerfen lassen.
Schauspieler und Charaktere
James Caviezel („The Thin Red Line“, „Frequency”, „Outlander”) als Jesus von Nazareth: Der Beinahe-Basketball-Profi (eine Fussverletzung hinderte ihn an einer Sportlerkarriere) wuchs katholisch auf und ist tiefgläubig (bei den Dreharbeiten zu „High Crimes“ verweigerte er sich deswegen einer Liebesszene mit Ashley Judd). Sein Jesus bleibt eher blass – begegnen wir ihm an Anfang, wie er heftige Zweifel ausstehen muss, so verschwindet Caviezels Schauspielleistung zunehmend unter dem Make-up und wird Jesus zum blossen Sprücheklopfer (auch in den Rückblenden). Immerhin, die körperlichen Torturen Jesu sind nachfühlbar (und der Dreh war für Caviezel wohl kein Zuckerschlecken; allein schon wegen der mehrstündigen Sitzung in der Maske jeden Tag).
Maia Morgenstern („Nostradamus“, „Dark Prince: The True Story of Dracula“) als Mama Maria: Die osteuropäische Schauspielerin und jüdische Tochter von Holocaustüberlebenden muss, nun ja, leidend aus der Wäsche gucken. Das war’s auch schon. Die Rückblenden mit ihrem Sohn vermitteln zumindest ein bisschen charakterlichen Hintergrund.
Monica Bellucci („Astérix & Obélix: Mission Cléopâtre”, „Irréversible”, „The Matrix Reloaded & Revolutions”, „The Brothers Grimm”) als Maria Magdalena: Das ehemalige Model muss ebenfalls einen doll leidenden Gesichtsausdruck aufsetzen, allerdings weniger intensiv als Morgenstern.
Mattia Sbragia („Lenin: The Train“, John Frankenheimers „Year of the Gun“, Minirolle in „Ocean’s Twelve”) als Kajaphas: Der italienische Schauspieler weiss jedenfalls, wie man erfolgreich einen hassenswerten, radikal eindimensional bösen Charakter spielt. Wenn er die Kreuzigung Jesu fordert, würde man ihm am liebsten eins in die Fresse geben.
Hristo Shopov als Pontius Pilatus: Wenn US-Billigklitschen wie Nu Image, UFO oder der Sci-Fi Channel im kostengünstigen Osteuropa kostengünstige osteuropäische Schauspieler suchen, scheint der gute Bulgare nie weit zu sein, hat er doch Minirollen in Operation Delta Force 4, „Octopus”, „Python 2” sowie grössere Auftritte in „Alien Hunter”, ferner „Shark Hunter”, Marines oder „Raptor Island”. Seine wichtigste Rolle nebst der in „The Passion of the Christ“ hatte er wohl im Lundgren-Vehikel „Command Performance“. Trotzdem überzeugt er als Pilatus, spielt aber schliesslich auch den einzig wirklich interessanten Charakter im Film – sein Pilatus versucht, das Richtige zu tun (bringt’s allerdings nicht einmal fertig, Jesus die Dornenkrone vom Kopf zu nehmen), und sein Dilemma wird auch ausführlich behandelt. Freilich scheitert er schlussendlich an Kajaphas’ – weil er als Statthalter absolut inkompetent und eine Witzfigur ist, die von den Juden zu Recht ausgelacht wird und nicht einmal die eigenen Männer unter Kontrolle hat.
Rosalinda Celentano („The Order“, „Der Todestunnel – Nur die Wahrheit zählt“) als Satan: Tatsächlich die Tochter von Adriano Celentano. Und sie stellt einen interessanten androgynen Teufel dar (auch wenn der nicht ganz so charmant wie der alte Beelzebub mit Hörnern und Huf ist).
Authentizität und Mission
Obwohl „The Passion of the Christ“, von den Gewaltdarstellungen bis hin zu den Charakteren, allzu deutlich Gibsons persönliche Interpretation zeigt, hat er stets beschworen, der Film sei eine authentische Schilderung der Passionsgeschichte, dass er selbige zeigen wolle, wie sie wirklich passiert sei. Damit rechtfertigt er dann auch die Brutalität der Gewaltdarstellung, die wichtig ist für seine religiöse Botschaft. Aber so, wie die Aussage, der Streifen sei eine Verfilmung der Evangelien, höchstens die halbe Wahrheit ist, so ist es auch mit der behaupteten Authentizität nicht weit her.
Auffälligstes und eines der am häufigsten besprochenen Merkmale des Steifens ist wohl, dass er in Hebräisch, Aramäisch und Latein gehalten ist. Die englischen Dialoge von Gibson und Fitzgerald wurden von William Fulco, einem Jesuitenpriester und Professor für antike Mittelmeerstudien, in die alten Sprachen übersetzt; die Rekonstruktion des Klangs des Aramäischen geht ebenfalls auf ihn zurück. Kritisiert wurde vor allem die Verwendung des Latein, war doch in dem Teil der Welt zu dieser Zeit in Wirklichkeit Koine-Griechisch die offizielle Amts- und Verkehrssprache (Gibson hat angeblich angeführt, dass der Zuschauer die verschiedenen Sprachen besser unterscheiden können soll – was, ehrlich gesagt, eine eher dämliche Begründung wäre). Zudem orientiert sich die Aussprache am mittelalterlichen, nicht am antiken Latein.
Somit steckt weniger historische Akkuratesse dahinter, als der schöne Schein – ob die verwendeten Sprache historisch korrekt sind, ist scheissegal, solang das Ergebnis irgendwie mythischer und eindrücklicher ist, als hätte man die Dialoge ganz profan in Englisch belassen.
Auch sonst ist in diesem Film historische Authentizität Nebensache und bloss oberflächliche Behauptung. Sie wird ja von vornherein verunmöglicht durch die Tatsache, dass bei „The Passion of the Christ“ weniger der aktuelle Forschungsstand zur Historie Grundlage war, als die unkritische Verwendung von religiösen Texten und Traditionen. Damit hat man am Schluss halt weniger was Nüchtern-Historisches, sondern eine Glaubensbezeugung. Gibson unterwirft sich ganz der „propaganda fidei“, also wortwörtlich der Glaubenspropaganda, ein historisch-kritischer Ansatz wäre ihm da nur im Weg.
So ficht ihn auch nicht an, dass seine Darstellung des Pilatus oder selbst seine Darstellung der Kreuzigung historisch nicht haltbar ist – zu Jesu Zeiten wurden z.B. Nägel normalerweise durch die Handwurzel oder die Unterarme getrieben, nicht durch die Handfläche. Und die Kreuze hatten nicht die Form, die man heute kennt, sondern sahen aus wie ein „T“ (lustigerweise hängt Jesus im Film an einem modernen Kreuz, Gesmas und Dismas aber an einem historisch korrekten).
Wie schon gesagt: Der Eindruck ist wichtiger als historische Korrektheit – und im Zweifelsfalle heisst das, dass man die konventionelle Ikonografie nicht hinterfragt. Unter diesen Punkt fällt möglicherweise auch die Tatsache, dass man ganz wie in den althergebrachten Monumentalschinken in Italien gedreht hat (unter anderem übrigens im süditalienischen Matera, wo schon Pier Paolo Pasolini „Das erste Evangelium – Matthäus“ (1964) gedreht hat, und in den Cinecittà Studios).
Die gezeigte Gewalt schliesslich wird (nicht nur von Gibson) eben damit begründet, dass eine Kreuzigung halt kein Zuckerschlecken gewesen sei – dass „The Passion of the Christ“ nicht echte Gewalt, sondern medial inszenierte (und unrealistisch überspitzte) Gewalt zeigt, scheint irgendwie vergessen zu gehen.
Wie oben erwähnt: Die exzessive Gewalt dient weniger dem Realismus, sondern der Verdeutlichung des übermenschlichen Leidens Jesu. Sie ist aber auch Symptom einer brutalen Aggressivität, die sich durch das Werk zieht – von der Dämonisierung der Jesusgegner (die der Botschaft von Verzeihung und Liebe für die Feinde widerspricht) bis hin zu der Krähe, die Gesmas (also dem Zweifler) ein Auge aussticht. Gibson spricht einem aggressiven Kampfchristentum das Wort, der angriffigen Missionierung des Kinopublikums ist alles andere (ob historische Korrektheit oder gar Bibeltreue) untergeordnet.
Zeitlupe der Zeitlupen
Ich hab ja schon zu Beginn der Analyse geschrieben, dass „The Passion of the Christ“ über die inszenatorische Subtilität einer Panzerkolonne im Kristallwarengeschäft verfügt. Nicht nur, dass er seine Botschaft mit dem Holzhammer vermittelt (die ausufernde Gewalt, aber auch aufdringlich inszenierte Details wie Petrus’ Leugnung von Jesus). Auch die ständigen Rückblenden sind in ihrer überzogen Anzahl nicht nur unfreiwillig komisch, sondern reissen auch immer wieder aus der aktuellen „Handlung“. Die angesprochenen Themen in diesen sind zwar durchaus nicht ganz unwichtig, doch hätte Gibson besser daran getan, mit seiner Geschichte nicht auf dem Ölberg, sondern beim letzten Abendmahl einzusteigen. Die gar lustige Szene mit dem ungewohnt hohen Tisch aber ist schlicht und einfach fehlplatziert.
Die vielen Zeitlupen wiederum passen zum Pathos der Geschichte, doch auch deren Wirkung schlittert schnell in das Feld unfreiwilliger Komik ab. Mit dem unbedingten Willen, den Zuschauer davon zu überzeugen, dass der Film etwas WICHTIGES mitzuteilen hat, schiesst Gibson weit übers Ziel hinaus.
Schlussendlich regen eher alberne Regieeinfälle zum Lachen an, wie der Ork unter der Brücke, das Bild mit dem Regentropfen oder die Nahaufnahme von Jesu durchbohrter rechter Handfläche.
Immerhin, schöne Bilder hat der Streifen. Vorwiegend gehalten in rot und braun (Blut und Dreck halt) und mit kontrastreicher Lichtführung, verbreitet er Düsternis. Kameramann Caleb Deschanel („Message in a Bottle“, „Der Patriot“, The Spiderwick Chronicles) hat sich, wie von Gibson verlangt, an den Gemälden des italienischen Barockmalers Michelangelo Merisi da Caravaggio orientiert (und wurde dann auch für den Oscar nominiert).
Im Gegensatz dazu stehen die Rückblenden, die einen sehr viel helleren, froheren Eindruck machen.
Die ebenfalls oscarnominierte Musik von John Debney („Jetsons: The Movie“, „Cutthroat Island“, „Inspector Gadget“, „Iron Man 2“) ist teils ziemlich flott, aber sticht nicht wirklich heraus – dafür, dass Debney behauptet, die Komponierung des Scores sei für ihn „ein Kampf mit dem Teufel“ gewesen (ich kann dieses Interview nur empfehlen), nimmt sich das Ergebnis ziemlich uninspiriert aus. Es gibt halt Choralgesänge, den seit „Gladiator“ obligatorischen nahöstlichen Anklang und viel Pathos an der Grenze zum Kitsch.
Die DVD
Ah, diese wunderbaren, nicht-überspring- oder vorspulbaren Copyrighthinweise und Warnfilmchen gegen Raubkopien, die einer der Hauptgründe dafür sind, dass es Copyrightverletzungen und Raubkopien gibt…
Wie auch immer. Die Silberscheibe hat, Überraschung, Überraschung, nur den hebräisch-lateinisch-aramäischen Originalton, aber eine ganze Tonne Untertitel. Bonusmaterial: „Menü teilweise animiert mit Ton“. Also keines, abgesehen von einem vierseitigen Mini-Booklet („Ist es Zufall oder eine göttliche Fügung, dass Hauptdarsteller Jim Caviezel die gleichen Initialen im Namen trägt wie der Mann, den er spielt – Jesus Christus.“).
Für eine Silberscheibe zu einem neuen Film, die (bei Verkaufstart) zum vollen Preis vertrieben wurde, ist das schon verdammt schäbig. (Auch wenn’s inzwischen eine Special Edition mit Bonusmaterial gibt.)
Zusammenfassung
Uffza, dieses Review hat inzwischen ja fast die Ausmasse einer Seminararbeit angenommen. Zeit, unsere Erkenntnisse über „The Passion of the Christ“ zusammenzutragen:
Der Film ist keine bibeltreue Verfilmung der Evangelien
Er ist historisch nicht sonderlich akkurat
Das gewaltige Pathos und die übertriebene Inszenierung sorgen vor allem für unfreiwillige Heiterkeit
Unfreiwillig komisch sind auch die oftmals fragwürdige Filmlogik und einige alberne Regieeinfälle
Die Charaktere bleiben weitgehend blass und leblos, eine Handlung existiert nur in Ansätzen
Die groteske Auswalzung der Gewaltdarstellungen langweilt
Ein offener Antisemitismus lässt sich nicht finden, aber Gibson muss sich fahrlässige antisemitische Tendenzen an vielen Stellen im Film vorwerfen lassen
Alles in allem: „The Passion of the Christ“ ist keine religiöse Offenbarung, die den Heiligen Geist atmet, oder auch nur ein guter Film, sondern das in jeder Hinsicht ziemlich lächerliche und nicht sonderlich intelligente, völlig unkritische persönliche Glaubenszeugnis Mel Gibsons. Ein solches zu drehen, sei ihm gegönnt, aber dem Publikum empfehle ich eine gesunde Portion Skepsis – grade auch angesichts des missionarischen Eifers, den der Streifen nebenbei an den Tag legt.
© 2010 Gregor Schenker (Manhunter)
BOMBEN-Skala: 5
BIER-Skala: 2
Review verfasst am: 01.08.2010