Die Nacht der rollenden Köpfe

 
  • Deutscher Titel: Die Nacht der rollenden Köpfe
  • Original-Titel: Passi di danza su una lama di rasoio
  • Alternative Titel: Death Carries a Blade | The Tormenter | Trauma | Devil Blade |
  • Regie: Maurizio Pradeaux
  • Land: Italien/Spanien
  • Jahr: 1973
  • Darsteller:

    Robert Hoffmann (Alberto), Susan Scott (d.i. Nieves Navarro, Kitty/Katja), George Martin (Inspektor Merughi), Anuska Borova (Lidia/Silvia Arringhi), Simon Andreu (Marco), Rosita Torosh (Nina Ferretti), Cristina Tamborra (Magda Hopkins), Nerina Montagnani (Marta), Salvatore Borghese (Magno)


Vorwort

Für ein paar Lire kriegt man manchmal eine tolle Show geboten – z.B. Katja, die eigentlich nur ihren Eltern durch ein Touristen-Aussichts-Teleskop zeigen will, wo ihr Freund Alberto (der sich wie üblich verspätet hat) wohnt, dabei aber rein zufällig den brutalen Mord an einer jungen Frau beobachtet. Den Täter kann sie leider nicht genau betrachten, da im strategisch ungünstigsten Moment die Durchguckzeit abgelaufen ist. Die Polizei in Form von Inspektor Merughi ist zunächst wenig geneigt, Katjas unspezifizierte Augenzeugenschilderung zu glauben, aber als sich die passende Leiche einstellt, ist auch der skeptische Bulle überzeugt.
Es finden sich sogar weitere Augenzeugen – ein Maroni-Verkäufer, dem der Killer auf der Flucht den Stand umgerempelt hat, und eine Touristin, die ein unscharfes Foto der Szene geschossen hat (aber mittlerweile wieder abgereist ist). Der Killer eliminiert das Kastanienröstersicherheitsrisiko durch gezielten Kehlenschnitt, hinterlässt aber Spuren seines Gehstocks. Ein Krüppel also – und hinkt Alberto nicht auch und hat für die Tatzeit des Teleskop-Mords kein Alibi?
Dieweil der Inspektor Kreuz- und Querverbindungen zu einem anderen ungelösten Mord herstellt und Katja an der Sache irgendwie das Interesse verliert, erwacht in Alberto der Hobby-Detektiv. Als sich eine weitere Zeugin bei ihm meldet und gegen monetäre Entlohnung den Namen des Mörders auszupacken verspricht, wird auch sie ermordet. Merughi, geplagt von der Sensationsreporterin Lidia, ihres Zeichens Katjas beste Freundin und liiert mit dem impotenten Ballettkomponisten Marco, glaubt, dass Alberto vom Killer beobachtet wird, und setzt ihn bzw. Katja als Lockvogel ein. Der Plan geht völlig schief, aber wir können uns sicher sein, dass Alberto rechtzeitig vor dem Abspann noch einen Geistesblitz haben wird…


Inhalt

Gelb, gelb, gelb, sind alle meine Filme… naja, zumindest die italienischen aus den 70ern.

„Die Nacht der rollenden Köpfe“ ist zweifellos einer der bekannteren Streifen aus dieser Ära, aber wohl hauptsächlich wegen seines einprägsamen (und natürlich nicht wirklich etwas mit dem Filminhalt zu tun habenden) deutschen Titels (den Originaltitel reime ich mir mit meinen nichtexistenten Italienischkenntnissen als etwa „Tanz auf der Rasierklinge“ zusammen. Hat erheblich mehr mit dem Filminhalt zu tun, klingt aber halt nicht so aufregend). Nach seinem wenig bemerkenswerten Kinoeinsatz errang der Streifen zweifelhaften Ruhm durch seine fünfundzwanzigjährige Zeit auf dem Index nach der Videoveröffentlichung wegen der ganzen bösen Gewaltverherrlichung. Nach Fristablauf stellte die FSK fest, dass die Sache dann wohl doch nicht so schlimm ist, und verpasste dem Film in der Neuprüfung eine liberale 16er-Freigabe, was nun auch nach Profit darbenden Publishern die Möglichkeit bietet, das stolze Werk in billiger Kaufhausversion in die Supermärkte zu stapeln (wo der Doc dann immerhin stolze 5 Euro investierte. Eat this, X-Rated-Hartbox-Groupies!).

Die kreativen Köpfe hinter dieser Unternehmung sind nicht gerade die üblichen Giallo-Verdächtigen. Regisseur Maurizio Pradeaux ist ein eher indistinguierter Geselle, der zuvor lediglich einen unbedeutenden Spaghettiwestern, einen nicht wirklich nach Bedeutung riechenden Krimi mit Richard Harrison und, immerhin, den nicht ganz unbekannten Kriegsfilm „Churchills Leoparden“ (erneut mit Richard Harrison, dazu auch noch mit Klaus Kinski) heruntergekurbelt hatte. In der Folgezeit hielt Pradeaux sich weiterhin vornehm zurück und inszenierte lediglich noch einen der zahlreichen „White Fang“-Nachzieher, seinen zweiten Giallo-Versuch „Death Steps in the Dark“ (dem die IMDb für den Deutschland den unglaublichen Titel „Ihre Brüste wackelten im Todestakt“ andichten möchte… Das halte ich sicherheitshalber für ein Gerücht. Andernfalls wandere ich sofort nach Papua-Neuguinea aus).
Die Story fummelten Pradeaux selbst, der Spanier Alfonso Balcázar („Gemini 13 – Todesstrahlen auf Kap Canaveral“, „Gnade spricht Gott – Amen mein Colt“, „Eine Pistole für Ringo“… im Spätherbst seiner Karriere schrob der gute Mann offenkundig Lesbensexfilme. Jessas), Arpad DeRiso („Die Rache des Sandokan“, „Mister Zehn Prozent – Miezen und Moneten“, „Todeskommando Tobruk“, und Pradeauxs regelmäßiger Co-Autor) und Co-Star George Martin zusammen.

Dabei hielt sich das sympathische Quartett an die Giallo-Grundregel, die Story völlig undurchschaubar und unlogisch zu gestalten sowie sie mit Myriaden Charakteren vollzustopfen, was zwangsläufig zur Folge hat, dass man als unvorbelasteter Zuschauer keinerlei Durchblick erlangen kann. Ist aber vielleicht die Absicht, denn so kann man sich auf das konzentrieren, was Pradeaux wohl wirklich am Herzen lag – eine Abfolge von unmotivierten Sex-/Nacktszenen und (nicht halb so aufregenden, wie der Titel verspricht) Mordeinlagen.

Dass auch die Autoren mit ihrem Plot nicht wirklich etwas anfangen konnten, zeigt sich in der selbst für durchschnittliche Giallo-Verhältnisse ziemilch verkorksten Struktur, die sich über weite Strecken nicht mal einigen kann, wer die Hauptfigur(en) der Story sein soll(en) und ob man die Geschichte nun als „police procedural“ oder doch lieber als „Detektivspiel“ anlegen soll. Gehen wir in der ersten Phase leichtfertigerweise davon aus, dass Katja (bzw. Kitty in der Originalfassung) unsere nominelle Heldin sein könnte, realisieren wir nach fünfzehn Minuten, dass sie zu einem reichlich bedeutungslosen Nebencharakter wird, der sich schon mal für längere Strecken komplett aus der Handlung verabschiedet und im Finale eigentlich nur mit von der Partie ist, damit der Killer auch ein attraktives Weibsstück zum Verfolgen und Bedrohen hat. Für ein Weilchen wechselt die Perspektive dann zu Inspektor Merughi (und erweckt eben den Eindruck, dass die polizeilichen Ermittlungen im Mittelpunkt stehen werden), dann endlich scheint sich der Film auf die Hauptfigur Alberto zu einigen, nur um dann wieder Segmente einzubauen, die aus Sicht Lidias geschildert werden.
Ich will nicht sagen, dass Wechsel der Erzählperspektive ein no-no ist, allerdings sind italienische Exploitationregisseure normalerweise heftig damit überfordert, aus EINER Perspektive schlüssig zu erzählen – und für einen nominellen Thriller, der idealerweise davon leben sollte, dass der Zuschauer mit dem Protagonisten das Rätsel aufdröselt, ist es kontraproduktiv, wenn lange Sequenzen eingebaut werden, die für den Helden eben keine Bedeutung haben, da er dabei nicht anwesend ist, auf die also nicht weiter innerhalb der Story eingegangen werden kann.

Nun gut, einen Giallo wegen seines konfusen Storytellings zu kritisieren ist ungefähr das Äquivalent dazu, einen Politiker wegen Brechens seiner Wahlversprechen anzugehen – es ist berechtigt, aber völlig sinnlos (womit wir wieder bei der Story an sich wären, ähem). Die Auflösung des Mysterys ist trotz zweier hingeworfener red herrings (von denen aber nur einer einigermaßen zieht) einigermaßen vorhersehbar (zumindest, was die Person angeht – man ist ja schon dankbar, wenn der Killer jemand ist, den wir tatsächlich im Film schon mal gesehen haben) wie nicht nachvollziehbar, und nebenher lässt sie die Protagonisten, speziell die Polizei, wie Idioten aussehen (der irgendwie nach Zusammenhang miefende Umstand, dass alle drei wesentlichen Mordopfer – von den lästigen Augenzeugen, die nonchalant ebenfalls ins Gras beißen, reden wir an der Stelle mal nicht – Ballerinen waren, nicht gerade ein Allerweltsberuf, fällt niemandem auf…), die ohne Commissario Zufall – und einen günstig, praktisch fünf Minuten vor Toresschluss auftauchenden neuen Charakter, der unbedingt hilfreich eingreifen möchte – völlig aufgeschmissen wären (zumindest das ist allerdings beim Giallo par for the course).

Aufgrund der erwähnten verunglückten Struktur zerfällt „Die Nacht der rollenden Köpfe“ zwangsläufig in mehr oder weniger sehenswerte Einzelepisoden, die teilweise recht hübsch gemacht sind – die Eröffnungssequenz mit der Mordbeobachtung durch’s Teleskop wäre ganz effektiv, wenn nicht alle Beteiligten abzüglich Katja es offensichtlich als die allerselbstverständlichste Sache der Welt betrachten würden, Morde durch ein Münzteleskop beobachten zu können (Katjas Vater macht sich erheblich mehr Gedanken darum, rechtzeitig sein Flugzeug nach Hause zu erwischen, als um die Tatsache, dass seine Tochter gerade gewissen emotionalen Streß aufgrund des mitangesehenen Mordes erleidet), auch der Mord an der Augenzeugin Ferrati ist recht gut umgesetzt; bei den anderen Bluttaten des Killers versucht sich Pradeaux, der erkennbar – bei seiner eingeschränkten Vita auch nicht verwunderlich – keine eigene Handschrift aufweist, leidlich erfolgreich an „suspense“, was aber nicht viel bringt, da die Opfer durch die Bank Figuren sind, die wir vorher nicht oder nur äußerst knapp kennengelernt haben, also die berühmte emotionale Verbindung fehlt.

Für Unterhaltungswert sorgen ein paar abstrusere Ideen wie der Versuch der Polizei, Alberto mit einem gefälschten Foto, das ihn mit einem Mordopfer zeigt, aus der Reserve zu locken (sicherlich absolut gängige Vorgehensweise bei seriösen polizeilichen Ermittlungen), Katjas Hobby, lebensgroße Stoffpuppen (mit deutlich sichtbaren Genitalien) zu häkeln, und ein völlig unmotivierter comic-relief-Ausflug mit „Drei Supermänner“-Hampelmann Sal Borghese als durchgeknalltem Handtaschennäher.

Immerhin – der Streifen spielt sich insgesamt recht flott, vermeidet Längen durch den Kunstgriff, im Zweifelsfall entweder einen neuen Charakter abzumurksen oder ein paar freizügige Szenen der Damen einzubauen. Optisch ist Pradeaux (wie auch sein spanischer Kameramann Jaime Deu Casas, der sogar mal bei Mario Bava hospitierte) kein Argento – es ist insgesamt eher zweckmäßig ausgerichtet, einige patentierte Euro-Zooms erfreuen das Herz des Connoisseurs, aber richtig memorable, eindringliche Einstellungen habe ich vermisst.

Wer bei einem Titel wie „Die Nacht der rollenden Köpfe“ auf den ein oder anderen knackigen Splattereffekt hofft, ist dann auch eher im falschen Film (wie die neumodische 16er-Freigabe andeutet). Des Mörders bevorzugte Methode ist Kehlenschnitt per Rasierklinge, was auch recht graphisch in Großaufnahme gezeigt wird, ansonsten gibt’s noch postmortales Einstechen auf eine erstickte (und nackte) Ballerina. Nicht das, was ich einem Viertklässler vorsetzen würde, aber summa summarum auch nicht wirklich *aufregend*.
Nackte Tatsachen gibt’s hingegen zuhauf, weil Pradeaux, wie erwähnt, sich im dramaturgischen Zweifelsfalle für eine unmotivierte Nackt- oder Sexszene entscheidet (speziell Susan Scott, Anuska Borava und Cristina Tamborra machen sich diesbezüglich verdient) – das ist oft genug wirklich einfach nur ein simpler cutaway zu einer nackten Frau, ohne dass in der Szene irgendetwas passieren würde, geschweige denn etwas handlungsrelevantes, aber ich will mich nicht beschweren, denn schlecht sehen die vertretenen Damen bestimmt nicht aus.

Womit wir dann auch bei den Darstellern angekommen wären. Der Österreicher Robert Hoffmann, der sich hier als eine Art Mischung aus Bernd Stephan und Tom Selleck, nur echt mit Pornoschnäuzer, präsentiert und Vielsehern aus „Angélique“, „Neues vom Hexer“, „Kampf um Rom“ und „Rocker sterben nicht so leicht“ bekannt vorkommen könnte, erfüllt die Grundvoraussetzungen des typischen Giallo-leading-man – er ist hölzern, nicht sonderlich sympathisch und nur äußerst selten schauspielerisch überzeugend.
Exploitationspezialistin Nieves Navarro alias Susan Scott („Frauen bis zum Wahnsinn gequält“, „Schön, nackt und liebestoll“, „Emanuelle und die letzten Kannibalen“, „Orgasmo Nero“) hat man sicherheitshalber nicht viel zu spielen mitgegeben – sie ist ab und zu mal nackt und hinterlässt dann einen guten Eindruck.
George Martin („Ein Einsamer kehrt zurück“, „Robin Hood – Der Befreier“) bemüht sich als Merughi nach Kräften, aber nicht immer erfolgreich, um eine seriöse Darstellung, Anuska Borova, die man, warum auch immer (ja, ich weiß, um einen lausigen falschen Verdacht hinzufabrizieren), mit einer Doppelrolle ausgestattet hat, kann auch nur mit ihren optischen Reizen wuchern – sie wurde als Schauspielerin auch nie mehr gesichtet.
Als impotenter Marco stellt sich der verdiente spanische Schundologe Simón Andreu („The Blood-Spattered Bride“, „Triumph des Mannes, den sie Pferd nannten“, „Jagdzeit“, „Die Chroniken von Narnia – Prinz Kaspian von Narnia“) einmal mehr vor und agiert, wie üblich, ziemlich steif (bei manchen Leuten ist es mir echt ein Rätsel, wie sie über vier Jahrzehnte im Geschäft bleiben können).

Bildqualität: Die Kaufhaus-DVD von VZM, die lt. OFDb identisch mit einer Veröffentlichung des österreichischen CFA Copernikus-Labels ist (??) und gegenüber der X-NK-DVD bildtechnisch ditigal aufgemotzt wurde, bietet einen akzeptablen anamorphen 1.85:1-Transfer mit soliden Schärfe- und Kontrastwerten, erstaunlich frei von Defekten oder Verschmutzungen, lediglich zu Beginn scheint ein deutlich bemerkbarer Grauschleier über dem Bild zu hängen. Insgesamt aber i.O.

Tonqualität: Entgegen der Coverangabe wird nicht nur die deutsche Synchronfassung, sondern auch englischer und italienischer O-Ton (jeweils mit nicht ausblendbaren Untertiteln) geboten, allerdings ist der Tonspurwechsel kundenfeindlicherweise (und höchstwahrscheinlich lizenzbedingt) nur über das Menü möglich. Die deutsche Synchro ist, wie für 70er-Jahre-Bearbeitungen noch üblich, professionell, d.h. mit „richtigen“ Sprechern (und nicht den letzten hergelaufenen Gossenpennern, wie die Billigpublishers heutzutage zu arbeiten pflegen), gewerkelt, und bei leichtem Grundrauschen gut verständlich (Dolby Digital 2.0).

Extras: Keine, da CFA in seine Hartbox zusätzlich die X-NK-Scheibe steckte und die Extras auf jener zu finden waren. Lobend erwähnt werden muss das Wendecover – das Kaufhaus-Cover ist nämlich eine selten hässliche Fotomontage, als Wendecoer steht aber ein hübsches gezeichnetes Motiv zur Verfügung.

Fazit: „Die Nacht der rollenden Köpfe“ ist letztlich, so leid es mir irgendwie tut, ein herzlich durchschnittlicher Giallo – seine Story ist dämlich, seine Konstruktion eher abenteuerlich, die darstellerischen Leistungen mittelprächtig, und weder optisch noch über abgefeimte Gewaltakte kann Regisseur Pradeaux arg viel aus dem Material herausholen. Was bleibt, sind inflationäre Nacktszenen und ein einigermaßen flottes Tempo. Es braucht zugegeben nicht wahnsinnig viel mehr, um Proleten wie mich anderthalb Stunden vor die Glotze zu bannen, man darf sich nur nicht einreden, es hier mit einem Genre-Meilenstein wie aus Argentos besten Tagen zu tun zu haben. Passable Unterhaltung, aber eben auch nicht mehr.

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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