Die letzte Folge

 
  • Deutscher Titel: Die letzte Folge
  • Original-Titel: Die letzte Folge
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  • Regie: Franz M. Lang
  • Land: BR Deutschland
  • Jahr: 1964
  • Darsteller:

    Ivan Desny (Andre de Fontenac), Ursula von Manescul (Sonja), Hellmut Lange (Jean-Pierre), Margitta Scheer (Minou), Claude Vernier (Claude), Ralf Wolter (Bilbo), Ghislaine Arsac (Danielle)


Vorwort

Eigentlich könnte das Fernseh-Autorenduo Jean-Pierre und Bilbo hochzufrieden sein – die von ihnen konzipierte Krimiserie ist ein Straßenfeger ersten Ranges: 17 Millionen Menschen sitzen vierzehntäglich vor der Glotze. Nur ein Problem besteht: der Sender würde langsam, aber sicher, gerne einen Abschluss und eine Auflösung sehen, nur haben sich Jean-Pierre (hauptamtlich) und Bilbo (mehr ein bloßer Stichwortgeber) im Bestreben, ein perfektes Verbrechen zu konstruieren, in eine totale Sackgasse geschrieben und nicht die leisteste Ahnung, wer der Mörder sein könnte.

Zufälligerweise befinden sich Jean-Pierre und Bilbo in der exakt gleichen Situation wie seine Serienprotagonisten – was nicht zuletzt daran liegt, dass Jean-Pierre Setting und Charaktere nach seinen Freunden modelliert hat. Und wie in der Serie ist die Gruppe auf einer Insel dank eines Hochwassers von der Außenwelt abgeschnitten. Jean-Pierre, Bilbo, dessen Frau Danielle, ihr Bruder Claude (seines Zeichens drogensüchtiger Künstler), der Playboy André, dem die Villa gehört und der mit Danielle befreundet ist, Jean-Pierres aktuelles Verhältnis Minou (nicht sonderlich helle und mit leichter Klatsche gesegnet) und seine (überqualifizierte) Tippse Sonja sind in unterschiedlichem Maße über die Parallelen zwischen Fernsehkrimi und Realität beunruhigt.

Die Beunruhigung erweist sich als ausgesprochen berechtigt, als Danielle, die sich etwas früher zur Nacht gebettet hat, von Minou tot aufgefunden wird – ermordet, exakt so wie in Jean-Pierres Drehbuch! Und wie im Fernsehen kann’s eigentlich niemand gewesen sein – André, Sonja und Claude waren nicht im Haus, Bilbo, Jean-Pierre und Minou gemeinsam im Wohnzimmer. Da Hochwasser sei dank kein Fremder die Insel betreten oder verlassen haben kann, bedeutet dies zwangsläufig, dass einer der Sechs die ultima ratio für Jean-Pierres Krimidilemma gefunden haben muss. Verdächtig machen sie sich alle – aber wer hat wirklich ein Motiv?


Inhalt

Und wieder was aus Pidax‘ wundersamer Mottenkiste vergessener Fernsehspiele. Ähnlich wie beim jüngst besprochenen Spuk im Morgengrauen musste bei dieser Produktion des Südwestfunks eine Bühnenvorlage herhalten, in diesem Falle das französische Kriminalstück „D’apres nature ou presque“ von Michel Arnaud, ein Stück, das 1957 mit Michel Piccoli für’s französische Fernsehen und 1961 für finnische TV-Zuschauer aufbereitet wurde. Ein durchaus erprobter Stoff also, adaptiert von Regisseur Franz M. Lang (dessen einzige andere Regiearbeit fünf Jahre zuvor die Kino-Komödie „2 x Adam, 1 x Eva“ mit Heidi Brühl war) gemeinsam mit Co-Star Claude Vernier (wobei ich angesichts der Tatsache, dass Vernier, eigentlich Karl Werner Fritz Prasuhn, aber seit 1937 eigentlich exklusiv im französischen Kino und Fernsehen tätig, sonst immer nur als Schauspieler tätig war, spekuliere, dass er für französischen Kollegen Übersetzerdienste verrichtete).

Es leuchtet ein, warum der Stoff für Fernsehmacher attraktiv ist – ein überschaubares Ensemble, exakt eine Location, sprich ein einziges Set, und ein Mystery, das sich gewaschen hat – nichts minderes als die Feststellung, dass es eigentlich unauflösbar ist (ohne Cheat), ist ja gerade das Thema des Stücks. Der Kniff, dass es sich um ein Fernsehdrehbuch handelt, das vom Killer quasi erst nach- und dann vorgespielt wird, tut letztlich entscheidend für Auflösung und Geheimnis an und für sich nichts zur Sache.
Es ist ein leidlich interessanter Backdrop, mehr aber nicht, und „leidlich“, weil das Gimmick in mancher Situation einfach überzogen wird (Jean-Pierre diktiert „eine Möwe schreit“ – draußen schreit eine Möwe. Jean-Pierre diktiert „ein Nebelhorn schallt“ – es schallt ein Nebelhorn. Natürlich ist das einigermaßen dadurch gedeckt, dass Jean-Pierre sich ja selbst von der Umgebung und dem Wetter inspirieren lässt, aber es wirkt doch ein wenig lächerlich), und natürlich weil seit Erfindung der fiktionalen Erzählung niemand ein Drehbuch geschrieben hat, wie Jean-Pierre und Bilbo es hier tun, geschweige denn ein Fernsehsender einen Serienbuch annehmen, produzieren und AUSSTRAHLEN würde, ohne zu wissen, ob die Herren Autoren ein Ende hinfummeln können, von einem schlüssigen solchen mal ganz zu schweigen (die Ausnahme wäre womöglich Douglas Adams, der das Finale der zweiten Anhalter-Radiostaffel im Studio schrieb, während die Kollegen bereits die Folge produzierten, aber bei aller Liebe für den guten alten toten DNA, seine Arbeitsmethodik und -disziplin sollte sich niemand zum Vorbild nehmen).
Ich hätte vermutet, das liegt daran, dass Michel Arnaud als Theaterschreiberling nicht wirklich Ahnung von Fernseharbeitsweisen gehabt haben könnte, aber der Bursche verdiente mit dem Adaptieren anderer Leute Stücke für’s TV seine Francs, also hätte er’s besser wissen müssen (oder zumindest jemanden fragen können).

Egal. Im Endeffekt ist das Gimmick mehr oder minder nur ein Mittel zum Zweck, um das Mystery vorzustellen und den Zuschauer schon mal darauf vorzubereiten, um welche Ecken er denken sollte, ohne gleich zu Beginn die Karten auf den Tisch legen und eine Figur abmurksen zu müssen. So kann das Script die Grundkonstellation sorgfältig aufbauen undie Charaktere grundsätzlich vorstellen – dass nicht alle Figuren unbedingt das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, dass sich verborgene Motivationen und mehr oder weniger verheimlichte dunkle Geheimnisse ergeben werden, liegt in der Natur der Sache eines solchen, durchaus ein wenig Agatha-Christie-mäßig angehauchten Mysterys (und ja, die Sache endet damit, dass ein Charakter wie Miss Marple oder Hercule Poirot selig ein einer großen Rede vor versammelter Verdächtigenschar das Verbrechen aufklärt).
Dabei gelingt dem Stück das Kunststück, Charaktere von erstaunlicher Diversität aufzubauen, ohne das dabei gezwungen oder verkrampft aussehen zu lassen – obschon die Figuren unterschiedlicher kaum sein könnten (vom Playboy über den Junkie zur psychotischen Schlampe), wirkt die Zusammenstellung sehr organisch – man kann als Zuschauer tatsächlich glauben, dass es sich um einen „echten“ Freundes-/Bekanntenkreis handelt und nicht nur um eine Gruppe, die in der Form zusammengewürfelt wurde, weil der Autor es so braucht, aber es ist auch glaubhaft, dass diese Leute sich nicht in- und auswendig kennen (was sich z.B. in einer sehr guten, leider nicht optimal ausgespielten Szene äußert, in der Jean-Pierre und Andre quasi anhand einer Strichliste der häufigsten Mordmotive auszukaspern versuchen, wer aus ihrer Gruppe ein Motiv hätte, Danielle umzubringen).

Natürlich ist die Sache, der Theaterherkunft geschuldet, sehr dialoglastig, aber die Qualität dieser Dialoge stimmt überwiegend, ebenso wie die noch zu würdigende Qualität derer, die sie darbieten. Spannend ist’s allemal, da die prinzipielle Verdächtigkeit aller Figuren ebenso wie die Antwort auf die Frage, wie sich die „realen“ Autoren aus der gleichen Sackgasse, die ihre fiktiven Kollegen peinigt, herausschreiben, schon für Interesse sorgt (die Auflösung ist dann durchaus schlüssig, benötigt aber einen kleinen „cheat“, eine Änderung der Rahmenbedingungen. Ist ’n bisschen das, was Truman Capotes Figur in „Eine Leiche zum Dessert“ an zeitgenössischen Krimiautoren kritisiert, aber es ist hier durch die Umstände der Tat, wie sie sich aus der Auflösung ergeben, einigermaßen gedeckt).

Von der handwerklichen Seite gibt’s wenig zu bemängeln – Regisseur Lang überlässt, wie sich das gehört, weitgehend seinen Schauspielern das Feld.
Die Kameraarbeit von Gerd Rosenbaum ist stellenweise bemerkenswert, Rosenbaum macht einiges Interessantes mit Charakterprofilen und wagt da und dort einen kleinen Reminder an expressionistische Filmkunst einzubauen, ohne sich und seine Arbeit dabei in den Vordergrund zu drängen.
Ein weiteres Positivum ist das Bühnenbild, bei dem man sich wohl wirklich an der französischen Schule orientiert hat. Es ist eine moderne (im 60er-Jahre-Sinne „moderne“), offene Bühne mit viel Bewegungsspielraum für die Darsteller trotz einer klaren „Unterteilung“ in verschiedene Bereiche. Das erinnerte mich ein wenig an die Sets legendärer de-Funes-Komödien wie „Oscar“ oder „Jo“ – dort waren es „offene“ Bühnen, weil der Hauptdarsteller nun mal ein kleiner Springteufel war, der Platz für seine Antics brauchte, hier, weil wir ein relativ kopfstarkes Ensemble haben, das auch Möglichkeiten braucht, sich mal aus dem Weg gehen zu können. Jedenfalls ein Lob an Renate Meduna, die für’s Bühnenbild verantwortlich zeichnet.
Den knappen, unauffälligen Score besorgt Rolf-Hans Müller („Salto Mortale“, „Der Fluch der schwarzen Schwestern“ – ja, der Sarno. Man bekommt doch irgendwie IMMER eine erstklassige Schundconnection hin).

Der deutsch-französische Cast ist für so ’nen kleinen TV-Film eine ordentliche Hausnummer. Nominelle Nummer 1 des Ensembles ist Ivan Desny, einstiger erster Film-OSS 117, der dank seiner Multisprachlichkeit durch Frankreich, Großbritannien und Deutschland pendelte und auf diese Weise über 200 Screen-Credits in einer über fünfzigjährigen Karriere einsammelte. Allerhand Kitsch- und Kommerzkino in den 50ern und 60ern setzte er in den 70ern und 80ern diverse Einsätze bei Rainer Werner Fassbinder („Die Ehre der Maria Braun“, „Berlin Alexanderplatz“, „Lola“, „Welt am Draht“) und den obligaten Giallo-Einsatz (Orgie des Todes) entgegen. Hier gibt er eine seiner Paraderollen, den finanziell wohlausgestatteten Playboy, mit recht gebremstem Schaum, überlässt die Bühne primär Hellmut Lange, der mit dem Durbridge-Mehrteiler „Das Halstuch“ zum Star geworden war, seine „signature role“ als „Lederstrumpf“ allerdings erst ein paar Jahre später finden sollte, und sich hier fein aus der Affäre zieht – und ein überraschend glaubwürdiges Doppel mit Ralf Wolter („Winnetou“, „Der Schut“, „Was ist den bloß mit Willi los?“) abgibt.
Wolter, normalerweise zuständig für comic relief, in einer uncharakteristisch ernsten Rolle zu sehen (die allerdings in einem kleinen Meta-Anflug kurz auf seine Comedy-Persona Bezug nimmt), ist allein schon interessant genug – er macht seine Sache sehr gut.

Claude Vernier (zu sehen u.a. in einer kleinen Rolle in „Zwei Männer, ein Schwein und die Nacht von Paris“, ein Jean-Gabin-Film, in dem Louis de Funes – da haben wir ihn wieder – in einer kleinen Rolle so positiv auffiel, dass sie ihn quasi zum hauptrollentauglichen Star beförderte) bleibt recht unauffällig; Margitta Scherr („Salto Mortale“, „Natürlich die Autofahrer“, „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“) als aufgedrehtes Girlie und Ursula von Manescul („Salto Mortale“, „Mädchen mit Zukunft), die hier nach zehnjähriger Pause wieder vor die Kamera tritt, als undurchschaubare vielleicht-femme-fatale hinterlassen einen guten Eindruck.
Ghislaine Arsac („Frauensee“) wird ja schnell ermordet, macht sich bis dahin aber ganz patent.

Bildqualität: Der 4:3-s/w-Print hat während der Opening Credits ein paar Probleme mit Verschmutzungen und Defekten, das gibt sich aber recht schnell zugunsten eines kontraststarken, durchaus scharfen und auch auf modernem Flat-Equipment brauchbaren Bildes.

Tonqualität: Der deutsche Dolby 2.0-Mono-Ton reißt keine Bäume aus, muss er aber auch nicht – zweckmäßig und ohne echte Probleme.

Extras: –

Fazit: Ein weiteres interessantes Krimifernsehspiel aus Papas/Opas Mottenkiste – relativ einfache filmische Mittel, fraglos, aber eine interessante Story, harmonierende Charaktere und ein ebenso gut aufeinander abgestimmter Cast sorgen für eine unterhaltsame Krimistunde. Ich würde nach wie vor vorschlagen, diese kurzen Fernsehspiele in Sets zu packen, da der Einzelpreis doch relativ happig ist und so mancher, der sich für die immer wieder reizvollen und gut umgesetzten Stoffe interessiert, an der Eintrittshürde „Preis“ scheitern dürfte. Wer sich für deutsche TV-Geschichte interessiert, findet aber auch hier wieder ein Rudel prominenter Fernsehakteure in einer guten, spannenden Geschichte.

3/5
(c) 2012 Dr. Acula


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