Die fliegenden Feuerstühle

 
  • Deutscher Titel: Die fliegenden Feuerstühle
  • Original-Titel: Zhui sha
  • Alternative Titel: The Deadly Chase |
  • Regie: Stanley Wing Siu
  • Land: Hongkong
  • Jahr: 1973
  • Darsteller:

    Charlie Chin (Tan Cheng), Tin Leung (Tan Lung), Lan-Shi Liang (Nancy), James Nam (Chou Kang), Lien Kwei Chi (Big Tiger), Tina Fei Chin (Fang Da-Ling)


Vorwort

Das kriminelle Imperium von Boss Fang hat ein Problem – in Person des eifrigen Polizeihauptmanns Tan Lung. Der stört die ehrlichen miesen Geschäfte der Bande, wo er nur kann. Gerade noch hat er zwar nicht verhindern können, dass Fangs rechte-Hand-Mann Chou Kang eine größere Drogenlieferung abholen konnte, aber wenigstens Big Tiger, einen anderen Unterführer der Gang, festnehmen können; jetzt ist er schon dabei, die hart arbeitenden Straßenvertriebsmitarbeiter des pharmazeutischen Beratungsunternehmens hops zu nehmen.
Chou Kang verfällt auf einen narrensicheren Plan (mehr „Narr“ als „sicher“, aber wer wird schon kleinlich sein..): Tan Lang hat einen jüngeren Bruder namens Tan Cheng, und der ist ein rechter Hallodri, verknallt in Nachtclubsängerin Nancy (von der deutschen Fassung penetrant „Lancy“ genannt), und einer kleinen Prügelei unter Freunden nicht abgeneigt. Nach einer Kneipenschlägerei wird Cheng von seinem eigenen Bruder verhaftet und verknackt (schön, dass man sich in HK 1973 nicht mit lästigen Formalitäten wie Prozessen o.ä. abgeben musste). Und diesen Cheng will Kang für Fangs Bande anheuern. Seine Berechnung: Lang wird das eher früher als später spitzkriegen. Tut er nichts, um Cheng zu schützen, laufen die Geschäfte sowieso ungestört, zieht er seinen Geschwister mit der Macht der Dienstmarke aus dem Verkehr, wird der sich pflichtschuldigst einstellende öffentliche Skandal Lang aus Amt & Würden fegen. Win-win-Situation! Und sollte Cheng nicht willig sein, kann man immer noch Nancy als Druckmittel einsetzen.

Das braucht’s zunächst aber gar nicht, denn Cheng lässt sich mit der Aussicht auf Teilnahme an einem Motorradrennen und einem Leibwächterposten in Fangs Diensten ködern. Schon der erste Einsatz auf neuer Gehaltsliste führt Cheng in eine Schlacht mit Big Tiger, der, wieder auf freien Füßen, eine Konkurrenzunternehmung gegründet hat und ungefragt an der neuesten Drogenlieferung partizipieren möchte. Als Cheng der Knopf aufgeht, dass hier mit bösem Rauschgift (i.e. Morphium) gedealt wird, verprügelt er auch seine Kollegen und versteckt den Stoff.
Nun muss Kang doch den Plan, Nancy zu entführen, wieder aufgreifen. Cheng – der wie Kang offenbar nicht gerade bei Sun-Tzu Strategie gelernt hat – rekrutiert Big Tiger und dessen Organisation. Gegen einen erheblichen Anteil am gebunkerten Stoff ist Tiger auch bereit, tatkräftig mitzuhelfen. Die Befreiungsaktion gelingt, ist jedoch nur von vorübergehendem Erfolg, denn Big Tigers Hauptquartier, von Cheng als temporäres safe house für Nancy ausgekuckt, erweist sich als nicht revancheangriffstauglich…


Inhalt

Ultraobskures aus Hongkong, was MIG als Begleitfeature für Hells Angels in Vietnam in Vol. 3 der Rocker & Biker-Boxserie gesteckt hat. Und zwar so ultraobskur, dass der Streifen ersichtlich seit seiner Kinoaufführung in den frühen 70ern keine weitere Auswertung im deutschsprachigen Raum erfahren hat und nach oberflächlicher Prüfung weltweit keine andere DVD existiert. D.h. entweder hat MIG hier eine wirklcih vergessene Perle ausgegraben oder der Film interessiert einfach keine alte Sau…

Das corpus delicti stammt aus dieser wilden Phase im Filmschaffen der Freunde aus Cinema City zwischen dem Ableben von Bruce Lee und dem Durchbruch von Jackie Chan, eine Periode, in der das Hongkong-Kino – vom plötzlichen internationalen Interesse an seinen Produkten überrollt – versuchte, seine eigene Identität, seine eigenen Filmtraditionen mit „modernen“ westlichen Einflüssen zu verbinden (dazu gehörten auch Experimente wie die von mir schon vielfach zitierte Zusammenarbeit der Shaw Brothers und der Hammer Studios). Findige Produzenten oder solche, die sich für welche hielten, schnitten althergebrachte Zöpfe ab und ersetzten den traditionellen Martial-Arts-Film der „du-hast-meinen-Meister-beleidigt-also-stirb“-Schule durch zeitgemäßere, urbane Actionfilme, die sich auf den ersten Blick formal nur dadurch von amerikanischen Produkten unterschieden, dass Konflikte primär mit Hand- und Fußkanten- anstatt Schusswaffeneinsatz gelöst wurden.

„Die fliegenden Feuerstühle“ bedient sich zunächst mal in Deutschland eines irreführenden Titels – so arg viel mit Motorrädern und Bikern hat der Streifen nicht zu tun. Zwar wird im Vorspann ausgiebig dem fahrerischen Können (ähem) diverser Enduro-Fahrer gehuldigt und ist zentraler Anker des Films eine ausgiebige Motorrad-Verfolgungsjagd, aber für den Plot selbst besitzen die Bikes keine Relevanz – die Burschen könnten sich auch mit Fahrrädern oder Skateboards verfolgen, das macht keinen Unterschied. Es handelt sich auch nicht um „Biker“ im Wortsinne, sondern eben schlicht um Gangster, die Motorräder als praktische Fortbewegungsmittel schätzen und nicht jeden Abend in der Garage die Schutzbleche ihrer Harleys ablecken.
Vielmehr haben wir’s mit einer recht gewöhnlichen Gansterplotte zu tun, garniert mit den üblichen Hongkong-Storyvehikeln Verrat und Gegenverrat, Loyalität zur Familie, tragische Liebesgeschichte, und das alles zum Finale hin garniert mit einer gehörigen Portion Pathos und Melodrama.

Business as usual, aus dem maximal die besonders debilen Pläne (sowohl der von Kang als auh der von Cheng) herausstechen (und die lustige Vier-Mann-Entourage im identischen Outfit, die Fang sich als Leibgarde hält). Befassen wir uns also nicht weiter mit dem Drehbuch, sondern wenden uns dem Film als solchem zu.

Erst mal glaube ich nicht, dass die deutsche Fassung ungeschnitten ist (die allwissende OFDb kann sich diesbezüglich nicht zu einer endgültigen Meinung durchringen, die einzig überlieferte Lauflänge sind die hiesigen 76 Minuten, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass gleich zu Beginn eine Prügelszene, nämlich die, die Cheng in den Knast bringt, „elegant“ weggelassen wurde. Womöglich wollte man dem zeitgenössischen Publikum keinen „Helden“ zumuten, der gleich in seiner erste Szene als asozialer Schläger dargestellt wird). Dies bedeutet, dass wir als geneigter Zuschauer relativ lang auf die erste richtige Actionszene warten müssen (Langs Störung der Drogenlieferung resultiert nämlich in abgezählten zwei Schüssen und einer lächerlich hochgespeedeten Kung-fu-Szene von ungefähr anderthalb Sekunden Dauer), nämlich bis Cheng endlich bei der Fang-Bande angeheuert hat und gleich seinen ersten Auftrag vermasselt. Das passiert nach ungefähr einer halben Stunde, ist dann aber wenigstens Auftakt zu beinahe non-stop-Action bis zum Finale.

Das Niveau dieser Action ist nicht weltbewegend – die Motorrad-Verfolgung führt zwar über ein paar Treppen und ins Gelände (und immerhin einer der bösen Biker stürzt sich unbedrängt einen Abgrund hinunter. BA-DA-DA-BOOM!), großartiges Stuntwork, das über ein paar harmlose Sprünge hinausgeht, wird nicht geboten. Die Kung-fu-Fights haben weder die spielerische Leichtigkeit eines Jackie Chan noch die zielstrebige Präzision eines Bruce Lee – muss einen aber auch nicht wundern, wenn nicht gerade die Martial-Arts-Elite die Gliedmaßen fliegen lässt -, sondern wirken, soweit man das im Rahmen von choreographierten Kampfkunstduellen sagen darf, vergleichsweise wie authentische Straßenkämpfe, in denen’s eben primär darum geht, dem Gegner eins auf die Glocke zu hauen und nicht dabei noch gut auszusehen. Sonderlich hart – im Sinne von blutig-brutal – ist die vorliegende Fassung nicht (ich möchte mich für eine eventuell existierende Uncut-Version nicht verbürgen), zumal auch der on-screen-body count mit vier (den explodierenden Biker eingerechnet) überschaubar bleibt.

Kameraführung und Schnitt sind streckenweise arg unübersichtlich (und zahlreiche jump-cuts aufgrund von Filmrissen machen’s nicht besser) und speziell die alte Hongkong-Tendenz, Fights sicherheitshalber aus weiter Entfernung, sprich Totale, zu beobachten, schlägt ab und an negativ durch (ganz besonders in einigen Einstellungen des Fights auf dieser Staumauer o.ä., von dem ich exemplarisches Bildmaterial beifüge).

Der Score ist für HK-Verhältnisse überraschend rockig (zumindest da orientierte man sich offensichtlich wirklich an den Bikerfilmen aus USA), wobei ich davon ausgehe, dass sich unbefangen im Fundus von generischer US-Rockmusik bedient wurde, wobei für eine on-screen gesungene Cantopop-Ballade Zeit ist, und, als kleiner hysterischer Abstecher in schon fast Joseph-Lai-Verhältnisse, die Szene, in der (SPOILER) Kang seinen weiblichen Boss Fang erschießt, mit einigen Takten aus „Jesus Christ Superstar“ (wenn ich mich recht erinnere, aus dem Stück „Trial before Pilate“, unmittelbar, bevor das berühmte „Superstar“-Theme einsetzt) beschallt wird. Das machte mich lachen.

Es verschleißt sich nicht gerade die Elite des HK-Kinos vor der Kamera, aber der Hauptdarsteller, der könnte doch vielen bekannt vorkommen (und vielleicht geht’s dem einen oder anderen so wie mir… ich überlegte den ganzen Film über krampfhaft, woher ich den Kerl kenne). Charlie Chin fand zehn Jahre später ein wenig Ruhm als Mitglied des „Lucky Stars“-Ensembles rund um Sammo Hung, das mit Gaststar Jackie Chan „Winners & Sinners“, „Tokio Powerman“ und „Powerman 2“ abdrehte, außerdem war er in Sammos furiosem „Eastern Condors“ mit von der Partie. Für die Rolle des naiven, verantwortungslosen Raufbolds und Rumtreibers, der den Ernst des Lebens quasi erst begreift, als es viel zu spät ist, ist er durchaus blendend geeignet – er hat eine sympathische Ausstrahlung, geht aber auch als so ein drittklassiger Ersatz-James-Dean, der zwar im Grunde ein „Guter“ ist, aber leicht auf die falsche Seite zu manipulieren ist, in Ordnung. Sein Kung-fu ist nicht das eleganteste, doch wie sagt man so schön, „it gets the job done“.
Sein hauptamtlicher Gegenspieler ist James Nam, der sich in Klassikern wie „Water Margin“ oder „5 Fingers of Death“ einen bescheidenen Namen gemacht hatte, später aber in Bruceploitation-Heulern wie „Ninja vs. Bruce Lee“ oder „Fist of Fury 2“ sein Auskommen hatte. Nam überlässt das Spielen hauptsächlich seiner Sonnenbrille und dem lässig im Mundwinkel steckenden Zigarillo, der auch nicht abgelegt wird, wenn er gerade mal eine Frau verprügeln muss (ist aber trotzdem nicht halb so cool wie Fred Williamson).

Tin Leung spielt Chins Bullen-Bruder wunschgemäß steif, seine emotionalen Szenen wirken aufgesetzt und unglaubhaft. Lancy/Nancy Lan-Shi Liang würde mir optisch gefallen, wenn sie nicht teilweise grotesk überschminkt wäre. Zu spielen hat sie nicht viel, ihr international bekanntester Auftritt dürfte wohl der in „Snake Fist Dynamo“ sein. Tina Fei Chin (Fang/Fong) bemüht sich um verruchte Ausstrahlung, aber es bleibt beim Bemühen.

Bildqualität: MIG legt den Streifen in anamorphem 2.40:1-Widescreen vor. Leider ist der Print ziemlich ramponiert – die zahlreichen Filmrisse habe ich schon angesprochen, phasenweise ist der Print auch extrem beschädigt und verschmutzt. Aber offenbar gibt’s weltweit eben kein anderes Master… Die Schärfewerte sind allerdings in Ordnung, die Kompression geht auch okay.

Tonqualität: Ausschließlich deutscher Ton (Dolby 1.0). Die Synchro bewegt sich auf dem typischen Niveau einer ernstgemeinten 70er-Jahre-Übersetzung. Eine Rainer-Brandt-Synchro hätte dem Streifen vielleicht ganz gut getan… Alles knarzt, rauscht und scheppert natürlich ein wenig, aber es ist erträglich.

Extras: Nüsch.

Fazit: „Die fliegenden Feuerstühle“ ist letztlich ein relativ belangloser HK-Klopper der zweiten Liga. Die Action ist von der unspektakulären Sorte, übermäßiges Stuntwork wird nicht geboten, Der anspruchslose Kung-fu-Fan, speziell jener, der ein Herz für die älteren Genre-Hobel hat, wird sich nicht langweilen, da nach der set-up-Phase wirklich quasi durchgehend geprügelt und/oder sich verfolgt wird. Ein paar trashigere Highlights hätten dem Unterhaltungswert nicht geschadet, immerhin ist’s aber mal wieder einer der selteneren Eastern, den man unbürokratisch der Sammlung einverleiben kann. Die Hongkong-chinesische Antwort auf „Easy Rider“ & Co. ist der Streifen jedoch nicht, da darf man sich vom deutschen Titel und der Einsortierung in die „Rocker & Biker“-Box nicht blenden lassen.

2/5
(c) 2010 Dr. Acula


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