Die 5.000 Finger des Dr. T.

 
  • Deutscher Titel: Die 5.000 Finger des Dr. T.
  • Original-Titel: The 5,000 Fingers of Dr. T.
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  • Regie: Roy Rowland
  • Land: USA
  • Jahr: 1953
  • Darsteller:

    Peter Lind Hayes (August Zabladowski), Mary Healy (Heloise Collins), Hans Conried (Dr. Terwilliker), Tommy Rettig (Bartholomew „Bart“ Collins), Jack Heasley (Uncle Whitney), Robert Heasley (Uncle Judson), Noel Cravat (Sgt. Lunk)


Vorwort

Der kleine Bartholomew Collins, kurz „Bart“ genannt, würde von sich nicht unbedingt behaupten, eine glückliche Kindheit zu haben. Sein Vater ist offenkundig tot und seine Mutter Heloise zwingt ihren Lendensproß zu Klavierstunden beim herrischen und perfektionistischen Klavierlehrer Dr. Terwilliker. Und der gute Doktor ist mit den Fortschritten bzw. dem Mangel daran des Kurzen absolut unzufrieden. Barts zart geäußerte These, dass das Klavier vielleicht nicht sein Instrument ist, wird von Terwilliker abgebügelt – andere Instrumente gibt es nicht, und wenn doch, sind sie in jedem Falle musikalisch völlig unbrauchbar. Der Klempner Zabladowski, der im Hause Collins neue Waschbecken installiert, hat Bart gegenüber leichtfertigerweise geäußert, dass er Terwilliker für ’nen falschen Fuffziger hält, aber als echter Verbündeter will sich Zabladowski aus begründeter Furcht um seinen Scheck nicht gerieren, obwohl Bart Zabladowski durchaus als potentiellen neuen Vater sieht.

Dass Bart keine rechten spielerischen Fortschritte macht, könnte natürlich auch daran liegen, dass er bevorzugt in Übungsstunden von narkoleptischen Anfällen übermannt wird, die ihn in ein gruseliges Traumland schicken.

Dort ist Bart Gefangener in Dr. Terwillikers Institut, das sich auf seine große Eröffnungsgala vorbereitet. Zur Feier des Tages sollen nach Terwillikers Willen 500 Knaben auf einem gigantischen Riesenpiano sein Meisterstück „Ten happy little fingers“ in die Tasten hauen. Das Institut ist fluchtsicher mit einem elektrischen Stacheldrachtzaun umgeben und für kleine Möchtegernausbüxer gibt’s auch noch Terwillikers blau-gelb uniformierte Wachpostenarmee und die rollschuhlaufenden siamesischen ZwillingeWhitney und Judson (am Bart zusammengewachsen!). Bart gelingt es, dem Einschluss in seiner Zelle zu entgehen und entdeckt, dass Mr. Zabladowski auch im Institut mit dem Einbau von Waschbecken beschäftigt ist. Der Klempner glaubt Barts Beteuerungen, dass Terwilliker ein wahnsinniger Schurke ist, nicht, und vermittelt Bart, dass seine Mutter sogar als „Nr. 2“ in verantwortlicher Stellung im Institut tätig ist. Ist sie tatsächlich, aber Bart ist sich sicher, dass seine Mum unter Hypnose steht. Zabladowski willigt ein, Terwilliker zur Rede zu stellen und wittert tatsächlich genug Ungemach, um seinen Auftrag zu kündigen. Nachdem Mama Collins Terwilliker darüber unterrichtet, dass Zabladowski noch gebraucht wird (wenn er nicht alle Waschbecken einbaut, wird der Bezirkswaschbeckeninspektor die Eröffnung nicht freigeben), umschmeichelt der Doktor ihn mit Wein, Weib und Gesang, naja, zumindest mit Kuchen, Gurkensaft und einer Song-and-Dance-Nummer. Zabladowski ist besänftigt, aber Terwilliker ordnet hinter seinem Rücken seine Exekution an, was Bart zufällig mithört.

Natürlich glaubt Zabladowski Bart kein Wort, aber Bart gelingt es in einer waghalsigen Aktion, die ihn u.a. in den Kerker für Nicht-Klavierspieler führt, in dem Terwilliker alle anderen Musiker eingesperrt hat, die Exekutionsanordnung zu erbeuten. Diesem Beweis kann Zabladowski schwerlich etwas entgegensetzen – unter Blutsbruderschaft wird beschlossen, Terwillikers fiesen Plan, die Eltern der fünfhundert anreisenden Knaben um ihre saures Erspartes zu bringen, zu sabotieren. Es gelingt dem dynamischen Duo sogar, Mama Collins aus ihrer Trance zu reißen und mit ihr die Flucht zu versuchen. Leider allerdings sind Terwillikers Wachen zu viel für das Trio Infernale, auch wenn es Zabladowski gelingt, die siamesischen Zwillinge auszuschalten. Während Mama Collins wieder hypnotisiert wird, um Terwilliker zur großen Eröffnungszeremonie zu heiraten, wandern Zabladowski und Bart in den Kerker. Der Klempner, wenn’s nach Dr. T. Geht, für immer, Bart zumindest bis zum großen Konzert… Guter Rat ist teuer!


Inhalt

Der Titel „The 5,000 Fingers of Dr.T.“ geisterte schon einige Jahre durch mein kinematisches Umfeld, aber da ich mir absolut nichts darunter vorstellen konnte (und auch nicht großartig motiviert war, vertiefende Recherche anzustellen), beließ ich es dabei – bis mal wieder der Filmgelehrte Christian Keßler bei den B-Film-Basterds vorbeischaute, sein aktuelles Buch „Das versteckte Kino“ vorstellte und dabei dem verblüfften Publikum auch Ausschnitte aus „Dr. T.“ vorsetzte. Jetzt wusste ich – da muss ich mal den ganzen Film ganz sehen. Also flugs die günstige US-Blu geordert, und als ich schon ein gutes Jahr später die Fernbedienung für meinen codefreien Blu-Ray-Player wiederfand, stand dem Filmerlebnis nichts entscheidendes mehr im Wege…

„The 5,000 Fingers of Dr. T.“ ist ein Werk von Theodor S. Geisel, der Welt und besonders Generationen amerikanischer Kinder besser bekannt als Dr. Seuss, Schöpfer so berühmter Werke wie „How the Grinch Stole Christmas“, „Horton Hears a Who!“, „The Cat in the Hat“ oder „The Lorax“, vielfach adaptiert mit welchselhaftem Erfolg für Film und Fernsehen. „Dr. T.“ ist seinem Ouevre eine Ausnahme, handelt es sich doch um das einzige Original-Drehbuch, das Dr: Seuss verfasste (und an dessen Realisierung er dann auch maßgeblich beteiligt war).

Geisel/Seuss war 1953 bereits ein überaus geschätzter und erfolgreicher Kinderbuchautor (bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatte er beliebte Geschichten wie z.B. die erste Horton-Geschichte „Horton Hatches an Egg“ geschrieben), während des Krieges als politischer Cartoonist und für die US-Armee gearbeitet (der von ihm geschriebene Trainingsfilm „Our Job in Japan“ wurde, umgearbeitet zu einem abendfüllenden Film namens „Design for Death“ 1947 mit einem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet). Nach dem Krieg wandte er sich wieder den Kinderbüchern zu und feierte 1950 einen Riesenerfolg mit „If I Ran the Zoo“. Auch wenn viele seiner bekanntesten Schöpfungen noch in der Zukunft liegen sollte, schien – auch nach den Erfolgen von kurzen Trickfilmen – ein Dr.-Seuss-Spielfilm eine erfolgversprechende Operation zu sein. Columbia spuckte schließlich ein stolzes 2,75-Mio-Dollar-Budget für eine Original-Geschichte aus seiner Feder aus.

Die Voraussetzungen, aus einem Seuss-Musical einen großen Erfolg zu machen, schienen günstig zu sein – für die Musik wurde niemand geringes als der deutsche Exilant Friedrich Hollaender (Komponist unsterblicher Weisen wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder „Die fesche Lola“) verpflichtet, Stanley Kramer („Das Urteil von Nürnberg“, „Das letzte Ufer“) übernahm die Produktionsleitung, Rudolph Sternad („Zwölf Uhr mittags“, „Stadt in Aufruhr“) übernahm nach Original-Designs von Dr. Seuss die künstlerische Gestaltung der Bauten, und der multiple Oscar-Nominent Franz Planer (ein weiterer Exilant, „Ein Herz und eine Krone“, „Die Caine war ihr Schicksal“, „20.000 Meilen unter dem Meer“) bediente die Kamera. Dr. Seuss‘ Script wurde von Alan Scott, einem Musical-Spezialisten, der einige der besten Astaire/Rogers-Kollaborationen geschrieben hatte, poliert. Der Schwachpunkt hinter der Kamera war vielleicht ausgerechnet der Regisseur – Roy Rowland, ein solider, aber wenig distinguierter Mann aus der zweiten Reihe bei MGM (1963 drehte er den ebenfalls von Herrn Keßler – und mir – warm empfohlenen Mike-Hammer-Streifen „Der Killer wird gekillt“ mit Mr. Spillane himself in der Hauptrolle).

Die Hauptfiguren vor der Kamera sind dagegen verhältnismäßig wenig prominent – Peter Lind Hayes, ein Allroundentertainer, spielt hier seine erste richtige Filmhauptrolle, allzuviele sollten nicht folgen, allerdings hatte er in den späten 50ern und frühen 60ern zwei eigene Comedy-TV-Shows. Die weibliche Hauptrolle ging der Einfachheit halber ans eine Ehefrau Mary Healy, später auch Partnerin in der Comedy-Serie „Peter Loves Mary“. Die Position des Bösewichts ging an Hans Conried, einen Routinier aus Orson Welles‘ „Mercury Theatre Company“, der gerade für Disney in „Peter Pan“ den Captain Hook gesprochen hatte. Tommy Rettig, der die Rolle des Bart übernahm, wurde wenig später Stammgast in vielen Fernseh-Haushalten als bester Freund des legendären Collies „Lassie“.

Aber genug von Namen – reden wir über den Film. Was uns als erstes (und vermutlich auch zweites, drittes und viertes) auffällt, ist, dass „Die 5.000 Finger des Dr. T.“ für Dr. Seuss überraschend düster ausgefallen ist. Der gute Herr Geisel war zweifellos ein Meister, durchaus adulte Themen kindgerecht zu verpacken (beim „Lorax“ oder „Horton hört ein Hu“ z.B.), aber „Dr. T.“ scheint in Ton und Intention näher an Roald Dahls (zehn Jahre später zu Papier gebrachtem) „Charlie und die Schokoladenfabrik“ heranzukommen. Dieweil das Thema durchaus kindliche Gemüter anspricht (wer auch immer mal gezwungen wurde, ein Instrument zu lernen, wird sich womöglich wiedererkennen), ist die Methodik bei aller knallbunten Comic-Optik der Fantasie-Welt (in der der Film zum Glück über 95 % der Laufzeit spielt… ich hatte zunächst befürchtet, dass wir immer wieder mal in die reale Welt zurückschalten werden, aber der Streifen spielt bis auf die bookends tatsächlich komplett in Barts Fantasie) recht… finster. Ich bin nun bekanntlich ein strenger Verfechter der These, dass „Kinderfilm“ nicht bedeuten muss, seine Geschichte auf Idiotenniveau
herunterzubrechen – Kinder verkraften sowohl vom inhaltlichen Anspruch als auch von ernsteren Themen mehr als Generationen von Kinderfilmproduzenten geglaubt haben (okay, ich würde keinem Sechsjährigen, an dessen künftigen Seelenfrieden mir etwas liegt, „Watership Down“ vorsetzen, aber man erinnere sich z.B. nur an „Mrs. Brisby und das Geheimnis von NIMH“), wenn man alles in einen vernünftigen, für Kinder verständlichen Kontext packt.

Und Dr. Seuss kann so etwas – aus einer für vielen Kinder alltäglichen Situation ein geradezu existentialistisches Abenteuer zaubern. Die Anhaltspunkte, die für Bart aus dem exzentrischen Klavierlehrer einen sadistischen Superschurken machen, sind glaubhaft – für ihn muss es so aussehen, als übe Terwilliker einen unguten Einfluss auf seine (allein erziehende) Mutter aus, denn nur unter Hypnose o.ä. würde eine liebende Mum ihren Sprößling einem solchen Tyrannen ausliefern. So wird aus den Klavierstunden lebensbedrohliche Fronarbeit, und aus dem naiven Klempner Zabladowski, der als einziger Bart in etwa auf Augenhöhe begegnet, ein potentieller Ersatzpapa und aus dem herrischen Lehrmeister ein komplett durchgeknallter Wahnsinniger mit „delusions of grandeur“, der Todesurteile verteilt wie andere Leute Visitenkarten und sich für keine Folter zu schade ist.

Was das wirklich überraschende an Seuss‘ Herangehesnweise ist (und auch im Widerspruch steht zu den meisten anderen seiner Werke und den darauf basierenden Adaptionen) ist der Verzicht auf jegliche Moral. Es gibt keine „underlying message“, ja, am Ende nicht einmal eine Resolution des zentralen Konflikts – Barts Abenteuer im Fantasie-Land enden (SPOILER) mit einer Atomexplosion (because 1950s) und zurück im realen Leben hat sich seine Situation auch nicht entscheidend verändert – ja, es gibt einen Hoffnungsschimmer dahingehend, dass Zabladowski und Mrs. Collins bemerken, sich offenbar nicht gänzlich unsympathisch zu finden, aber die nächste Klavierstunde mit dem „echten“ Terwilliker (der ja keinerlei come-uppance erfährt, und warum auch?) kommt bestimmt… Ebenso ist der Film, obwohl in den einschlägigen Datenbanken meist als Komödie geführt, nicht lustig. Praktisch nichts im Film, abgesehen vielleicht von einigen Kostümen und den rollschuhlaufenden siamesischen Zwillingen, sieht danach aus, als wäre es für beabsichtigte Lacher konzipiert; auch die Dialoge (nicht, wie man bei Seuss erwarten könnte, gereimter Art) sind überwiegend ernsthafter Natur (für Bart ist die Situation ja auch todernst), von Seuss‘ brillantem Umgang mit Wörtern und Sprache an und für sich profitieren primär die Songtexte.

Filmisch besticht der Film primär durch seine fantastischen Bauten und die grelle, primärfarbenorientierte Farbgestaltung. Die Sets und Kulissen bringen das Kunststück fertig, gleichzeitig stilisiert und (retro-)futuristisch zu wirken und könnten durch ihren Verzicht auf rechte Winkel sogar H.P. Lovecraft gefallen. Rowland und sein Team kontrastieren den SF-Look des Instituts mit der plüschigen Ausstattung der Gemächer von Terwilliker und Mrs. C und dem horriblen Look der „Unterwelt“ mit ihren Kerkern und Folterkammern.

Nun ist für ein Musical die Musik eine nicht unwesentliche Zutat. Mit Friedrich „Frederik“ Hollaender hat man ja auch einen Meister seines Faches am Start gehabt, trotzdem… die Musik haut mich nicht vom Hocker. Die Songs sind nicht sonderlich „catchy“ (wobei die zwei Solo-Parts von Terwilliker textlich überragend sind – sein erster Song, in dem er seinen großen Masterplan vorsteht, würde einem Groucho-Marx-Auftritt nicht zur Schande gereichen), musikalischer Höhepunkt ist sicher die große show-stopper-Nummer der eingekerkerten Nicht-Pianisten, die sich in ihrem Kerker an obskuren und obskursten Instrumenten austoben (und allesamt offenbar aufgrund der lichtfernen Inhaftierung einen heftigen Fall von Grünspan aufweisen). Allein in dieser Nummer steckt soviel an Einfallsreichtum von den Kostümen über die Props bis hin zur Choreographie, dass sie das Eintrittsgeld (bzw. den Obolus für den Blu-Ray-Kauf) rechtfertigt.

Die Darsteller sind durchaus motiviert bei der Sache – mir war bei Ansicht des Films nicht erinnerlich, dass Tommy Rettig jahrelang mit Lassie herumtobte, ich packte in eher in die Kategorie „nice young gentleman doing his best“, aber irgendwas müssen die TV-Produzenten wohl in ihm gesehen haben. Das Ehepaar Peter Lind Hayes/Mary Healy tut was es kann – Hayes hat den Charme eines typischen Disney-Familienfilm-Hauptdarstellers (wie Jim Dale o.ä.), kann aber natürlich keine große „range“ zeigen. Zum Glück reißt das Hans Conried im Alleingang raus, den man einfach gesehen haben MUSS und aus Dr. T. wirklich den over-the-top-Schurken macht, den der Film braucht.

Mir liegt die Blu-Ray von Mill Creek (Code A) vor – Bild und Ton sind prima, Extras gibt’s leider gar keine, aber dafür kriegt man die Scheibe zum Budget-Preis.

Insgesamt ist „Die 5.000 Finger des Dr. T“ nicht ganz der erhoffte Burner, auf den ich mich anhand der von Christian Keßler präsentierten Ausschnitte mental eingestellt hatte, dennoch aber als einer der ungewöhnlichsten Kinderfilme nicht nur seiner Zeit für Freunde des Absonderlichen ein bis zwei Augenblicke wert – allein das Design des Films ist fantastisch, und ein gutes halbes Dutzend memorabler Momente bekommt man auch noch serviert…

© 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 7


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