Detour – Umleitung

 
  • Deutscher Titel: Detour - Umleitung
  • Original-Titel: Detour
  •  
  • Regie: Edgar G. Ulmer
  • Land: USA
  • Jahr: 1945
  • Darsteller:

    Tom Neal (Al Roberts), Ann Savage (Vera), Claudia Drake (Sue), Edmund McDonald (Charles Haskell jr.)


Vorwort

In einem Diner irgendwo in Nevada… der Gast, der da unrasiert und in zerknitterten Klamotten an seinem Kaffee schlürft, ist nicht unbedingt in bester Sozialisierungsstimme. Niemand kann’s ihm recht machen – die Bedienung, die ihm nen neuen Kaffee aufdrängen will, der Trucker, der einen Ride anbietet (den unser Freund aber nicht brauchen kann) und ihn in ein Gespräch verwickeln will, das Lied „I Can’t Believe You’re in Love With Me“, alles nervt ihn tierisch. Dieser Mann, ahnen wir, verbirgt ein düsteres Geheimnis, und uns als Filmzuschauern erzählt er es auch gern… Rückblende!

Al Roberts ist Pianist in einem drittklassigen Club in New York und in einer Beziehung mit der Sängerin Sue. Beide wissen, dass sie zu gut für die Kaschemme, in der sie auftreten sind, aber auch, dass kein Wunder geschehen wird und jemand sie in diesem Laden entdecken wird. Al, Typ missmutiger Pessimist, hat sich damit zähneknirschend abgefunden, nicht aber Sue. Die hat sich ins hübsche Blondköpfchen gesetzt, ihr Glück in Hollywood zu versuchen. Al hält das zwar für eine eher so mindergute Idee, weil er weiß, dass auch in Hollywood nicht gerade Mangel an hübschen blonden Sängerinnen auf der Suche nach Ruhm herrscht, aber er kann’s ihr nicht ausreden.

Was er aber auch nicht kann, ist ohne sie leben und als er bei einem Anruf erfährt, dass Sues Karriere auch in L.A. nicht gerade abhebt, beschließt er als moralischer Support nach Kalifornien zu reisen. Nun ist Barpianist kein Job, bei dem man so viel Kohle verdient, um mal eben quer über den Kontinent jetten zu können und so bleibt Al nichts anderes übrig als der gute alte Daumen-Express.

Irgendwo in Arizona wird Al von Charles Haskell aufgegabelt – scheint ein jovialer Typ zu sein, der den mittlerweile ordentlich abgerissenen Al auch zum Essen einlädt und berichtet, vor kurzem eine Anhalterin, die nicht „nett“ zu ihm gewesen wäre, unsanft auf die Straße gesetzt und dabei Kampfspuren zurückbehalten zu haben. In der Nacht übernimmt Al den Volant und lässt Haskell pennen. Haskell steuert nun aber ein teures Cabrio und es beginnt zu regnen. Al fährt rechts ran, um das Verdeck hochzuklappen und versucht, den den Schlaf der Ungerechten pennenden Haskell zu wecken. Als er die Beifahrertür aufmacht, kippt Haskell noch im Schlaf heraus, landet schädelseitig auf einem massiven, unnachgiebigen Stein und verscheidet umgehend.

Dumm für Al, denn dass DIE Geschichte ihm niemand abkaufen wird, und schon gar kein Cop, ist ihm klar. Also was tun? Leiche verschwinden lassen, Klamotten und Papiere tauschen und wenn die Cops mal einen Kadaver finden, ist es der abgebrannte Barpianist Al Roberts und nicht der erfolgreiche Buchmacher Charles Haskell junior. Irgendwo in L.A. lässt man dann den Wagen stehen und vergisst die ganze Angelegenheit.

Könnte vielleicht sogar klappen, aber nun ist Al selbst doof genug, eine Anhalterin mitzunehmen. Und nicht irgendeine Anhalterin, sondern den einzigen Menschen auf dem Planeten, der mit Sicherheit weiß, dass Al NICHT Charles Haskell ist – die Anhalterin, die der olle Charlie seinerzeit aus dem Auto geworfen hat. Vera kann man kein X für ein U vormachen – wenn Al jetzt Charlies Auto fährt, ist der eigentliche Besitzer höchstwahrscheinlich tot und wenn Al nicht der Mörder ist, dann hat er auf jeden Fall ein Problem damit, das Gegenteil zu beweisen.

Da kann Al nicht grundsätzlich widersprechen und so drängt sich Vera, die Kohle wittert, als Komplizin auf. Zunächst mal, verklickert sie ihm, wäre es dusslig, das Auto irgendwo abzustellen, weil wild parkende Autos immer polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen. Nein, das Auto muss ordentlich von Charles Haskell verkauft werden, und dann kann Al sich ihretwegen unbekannt verzischen. Das Paar wider Willen mietet ein Appartment in L.A., in dem Vera Al mehr oder minder gefangen hält. Am nächsten Tag soll das Auto verkauft werden, doch da fällt Veras gieriger Blick auf eine Zeitungsanzeige – Charles Haskells entfremdeter Vater ist am Löffelwerfen und sein Sohn wird dringlich gesucht. Da entspinnt sich rasch ein lukrativer Plan in Veras krankem Hirn…


Inhalt

Klassiker-Alarm! Oder sagen wir zumindest, sowas ähnliches wie Klassiker-Alarm, denn obschon „Detour“ zeit seiner Existenz einen guten Ruf besitzt (wieviele PRC-Filme gibt’s, die schon zu ihrer Premiere mit glühenden Variety-Lobpreisungen beehrt wurden?), haben ihn doch verhältnismäßig wenige Leute gesehen, und wenn, dann meistens solche, die Filme mehr oder minder berufsmäßig kucken. Z.B. Christian Keßler, dessen Würdigung des Streifens in seinem neuen Buch „Das versteckte Kino“ nun dann auch der sprichwörtliche Tritt in meinen Hintern war, sich den Film, der seit Ewigkeiten auf der „müsste man mal kucken“-Liste vor sich hin vegetierte, tatsächlich auch mal zu besorgen und dann auch in den Player zu schieben.

Und warum sollte ich Christian Keßler auch widersprechen? „Detour“ ist eine von diesen kleinen Perlen im PRC-Ouevre, das sonst primär aus billigen Krawall-Streifen mit Bela Lugosi o.ä., besteht, was oft genug immensen Unterhaltungswert besitzt, aber nur selten mit der Vokabel „gut“ beschrieben werden kann, ein mit unerwarteter Sorgfalt gearbeiteter (dabei immer noch preisbewusst produzierter) Thriller, der alles andere als die (gerade in „Kill Me, Deadly!“ veralberten) Klischees des Film Noir propagiert.

Nun, die Voraussetzungen waren auch besser als beim üblichen PRC-Heuler von der Stange. Eine Romanvorlage von Martin Goldsmith, der auch selbst das Script verfasste, und die beinahe ein Major-Film mit John Garfield geworden wäre, die Regie von Edgar G. Ulmer, einem der zahlreichen Emigranten aus dem deutschsprachigen Raum, der in Hollywood zwar nie den richtigen Durchbruch gefeiert hatte, aber mit „The Black Cat“, einem der besten Lugosi/Karloff-Vehikel, eine ordentliche Duftmarke bei Universal gesetzt hatte und nach ein paar Jahren im „Exil“ des „ethnischen“ Films (für Einwandererpublikum) bei PRC als Produktionsleiter eine zwar nicht üppig finanziell gepolsterte Heimat gefunden hatte, aber eine, die ihm weitgehende künstlerische Freiheit ließ. Als B-Studio kam es bei PRC nicht in erster Linie darauf an, WAS genau man produzierte, solange man es in rauen Mengen, on time and under budget, herstellte und somit die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen konnte (Kehrseite der Medaille war, dass die Studios nicht an den Kartenverkäufen beteiligt wurden, sondern pauschal abgefunden wurden – selbst wenn sich also ein Film wie „Detour“ als Kritikerdarling entpuppte und theoretisch ordentlich Kohle hätte einspielen können, gab’s weder für Verleiher noch für das Studio wirklichen incentive, so etwas länger als die vertraglich vorgesehene Mindestlaufzeit spielen zu lassen). But I digress…

Jedenfalls hatte Ulmer für „Detour“ etwas mehr Zeit (14 Drehtage, munkelt man) und Geld (etwas über 100.000 Dollar) zur Verfügung – und was Ulmer an Beschränkungen in den Weg geworfen wurde, erwies sich retrospektiv als Glücksfall. So war Goldsmiths Script 144 Seiten lang und gemäß der alten Faustregel 1 Seite=1 Minute war es natürlich viel zu lang für einen B-Film. Ulmer behalf sich damit, die parallele Handlungsebene, die Sues (selbstverständlich höchst unglückliche) Mis-Adventures in Hollywood beschrieb, komplett herauszuwerfen und dadurch Sue zu einem unerreichbaren Objekt der Anbetung für Al zu machen, die wie eine ätherische Vision der Liebe und des Erfolgs unerreichbar über unserem Hauptcharakter schwebt.

Einen anderen Gefallen tat Ulmer die Zensur – in Roman und Script hält Vera Al durchaus mit ihren körperlichen Reizen bei der Stange. In einer moralisch eh schon höchst verwerlichen Geschichte dann auch noch Sex? Das ging post-Hayes-Code nun wirklich nicht. Aber gerade dieser erzwungene Verzicht stärkt die beiden Hauptcharaktere enorm – ohne die Ebene erotischer Anziehungskraft wird Al noch mehr zum unselbständige Loser, der unfähig ist, eigene Entscheidungen zu treffen und sowieso schon jeden anderen außer sich selbst für sein Schicksal verantwortlich macht, einem Charakter, der gleichermaßen tragisch wie eine schon fast komische Witzfigur ist, wie er sich von Vera immer tiefer in ein Ränkespiel verstricken lässt, aus dem es irgendwann keinen Ausweg mehr geben wird. Und Vera entwickelt sich von einer genreüblichen femme fatale, die ihre „feminine willies“ zu ihrem Vorteil einzusetzen versteht, zu einer kaltherzigen berechnenden Manipulatorin, die es überhaupt nicht nötig hat, ihre Reize spielen zu lassen, weil Al längst von ihr abhängig ist, egal, wie laut er das Gegenteil behauptet. Das DVD-Booklet von Thomas Willman weist nicht zu Unrecht darauf hin, dass die Beziehung Al/Vera etwas sadomasochistisches hat, Al seinen „Untergang“ nicht nur fahrlässig verursacht, sondern es letzten Endes so *will*, weil es zu seiner pessimistischen un-selbstbestimmten Lebenseinstellung passt (dass Vera zudem noch impliziert an TBC leidet, eine überschaubare Lebenserwartung hat und daher eine gepflegte leckt-mich-alle-Attitüde entwickelt hat, die es ihr leicht macht, das Weichei Al ohne Rücksicht auf eigene Verluste herumzukommandieren, passt da sehr gut ins Bild).

Ulmer braucht überhaupt keine plakativen Action- oder Thriller-Elemente, um diese Beziehung immer kurz vor Siedepunkt köcheln zu lassen – „kinematisch“ gesehen passiert in „Detour“ nicht viel (Charles Unfalltod, die Spannung, die sich beim versuchten Autoverkauf einstellt und das Finale), und gerade dank Als (immerhin genretypischem) Voiceover würde der Film vermutlich auch als Hörspiel funktionieren – die Dialoge, in denen Vera stets die intellektuelle Oberhand behält (obschon sie auch nicht den Eindruck einer „Bildungsbürgerin“ erweckt) sind es, die die Geschichte vorantreiben und Als weinerlich-realitätsfremder Off-Kommentar, mit dem er sich uns als Zuschauer (und sich selbst gegneüber) einzureden versucht, dass das alles ja irgendwie nicht wirklich seine Schuld wäre, eröffnet die zusätzliche introspektive Ebene der Psychostudie eines echten Verlierers.

Geschickt eingesetzt wird die Musik – „I Can’t Believe You’re in Love With Me“ (das aus Kostengründen einer Duke Ellington-Nummer vorgezogen wurde; aber immerhin – PRC *bezahlte* für das Stück) erweist sich als sehr treffender Kommentar auf die Geschichte (und räumt dem Film die Möglichkeit einer Gesangsnummer ein, ohne die’s im Noir ja auch kaum ging), und zusätzlich werden zwei Piano-Nummern, im Filmsinne von Al geklimpert, eingesetzt, wobei vor allem die zweite, eine manische Boogie-Interpretation des „Wiegenlieds“ von Brahms, die Abgründe, die im Pianisten lauern, mehr als nur andeutet.

Die darstellerischen Leistungen sind nicht oscar-würdig, aber allemal akzeptabel. Tom Neal („The Brute Man“, „Another Thin Man“) und Ann Savage („Renegade Girl“, „Apology for Murder“) konnten sich gerüchtehalber nicht ausstehen und sprachen abseits der Dialogszenen während der Dreharbeiten kein Wort miteinander. Aber auch diese tiefempfundene Abneigung gereicht dem Film zum Vorteil – Al und Vera SOLLEN ja kein „Liebespaar“ werden, sondern allenfalls eine Zweckgemeinschaft oder, um die oben aufgeführte These wieder aufzugreifen, eine Art Domina-Sklave-Verbindung ausleben, und da passt das wie die Faust aufs Auge. Claudia Drake („The Return of Rin Tin Tin“, „The Face of Marble“) hat als Sue nicht viel zu tun, Edmund McDonald („Sherlock Holmes in Washington“, „Der große Bluff“) ist adäquat als der echte Charles Haskell.

Technisch lässt sich Ulmer auch nicht lumpen – auch wenn die Rückprojektionen natürlich durchschaubar sind, so gibt’s doch u.a. eine sehr hübsche Montage anlässlich Als Telefonat mit Sue und die Kamerafahrt durch den Club von der Bühne über den Gastraum ist bemerkenswert. Ulmer ist schon jemand, der wusste, wie’s geht…

Koch Media hat den Film in seiner Noir-Reihe neu aufgelegt. Der Film wird in akzeptablem 4:3-Format präsentiert, wobei es zur Filmmitte mal zu recht heftigem Bildpumpen kommt. Als Ton gibt’s nur den englischen O-Ton mit optionalen deutschen Untertiteln. An Bonus findet sich nur eine Bildergalerie und das informative Booklet.

Ergo: „Detour“ ist ein hervorragender Film, der, wäre er ein Majorfilm, sicher längst Pflichtprogramm für jeden Cineasten wäre, aber womöglich auch verwässert oder abgemildert worden wäre. Ulmer nutzte die PRC-Freiheiten, um einen wirklich finsteren, kompromisslos nihilistischen Film zu drehen, der sowohl als Thriller wie auch als Charkaterstudie voll überzeugt. Seinen guten Ruf hat er auf jeden Fall verdient, nun wird’s höchste Zeit, dass er aucH GESEHEN wird.

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 8


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