Der unheimliche Mr. Sardonicus

 
  • Deutscher Titel: Der unheimliche Mr. Sardonicus
  • Original-Titel: Mr. Sardonicus
  •  
  • Regie: William Castle
  • Land: USA
  • Jahr: 1961
  • Darsteller:

    Ronald Lewis (Sir Robert Cargrave), Audrey Dalton (Baroness Maude Sardonicus), Guy Rolfe (Baron Sardonicus), Oskar Homolka (Krull), Vladimir Sokoloff (Henryk Toleslawski), Erika Peters (Elenka Toleslawski), Lorna Hanson (Anna)


Vorwort

Sir Robert Cargrave ist ein junger, erfolgreicher Arzt, der sich primär mit der Heilung von Muskellähmungen befasst – er lebt für seine Wissenschaft. Bis zu dem Tage, an dem er einen mysteriösen Brief seiner alten Jugendflamme Maude erhält. Damals (TM) konnte er sie nicht heiraten, weil ihr standesbewusster alter Herr Robert damals noch als mittellosen Taugenichts betrachtete; mittlerweile hat sie einen gewissen Baron Sardonicus geehelicht und residiert in einem Nest in Osteuropa, hinterster Hinterwald. In ihrem Schreiben bittet Maude Robert um dringlichen Besuch, auch im Interesse ihres Wohlergehens. Als Kavalier und Gentleman macht sich Robert natürlich sofort auf die Hufe…

In Groglova angekommen wird ihm aber schnell klar, dass rätselhafte und höchstwahrscheinlich ungute Dinge vor sich gehen. Die Einheimischen fallen schon bei der Erwähnung des Namens „Sardonicus“ in Angst und Schrecken, des Barons einäugiges Faktotum Krull ist per se unheimlich, und quasi das erste, worüber Robert im Schloss des Barons stolpert, ist ein gefesseltes Hausmädchen, das mit Blutegeln gefoltert wird! Nicht die letzten Merkwürdigkeiten, die sich dem Doktor offenbaren. Es gibt verschlossene Räume, die nur der Baron betreten darf, Maude will von ihrer schriftlich geäußerten Sorge um ihr Wohlbefinden nichts mehr wissen, und der Baron zeigt sich nur mit einer sein gesamtes Gesicht verhüllenden Maske, verspricht aber immerhin baldige Erklärungen. Trotzdem ganz gut, dass Robert nicht mitkriegt, wie Krull dem Baron junge Frauen aus dem nahen Dorf zuführt…

Am nächsten Tag liefert der Baron die gewünschten Erklärungen – vor Jahren habe er, damals noch einfacher Bauer und mit einem geldgierigen Weib gestraft, das Grab seines Vaters öffnen müssen, weil man den alten Knacker versehentlich mit einem gewinnträchtigen Lotterielos begraben hatte. Der Schock, seinen Vater als verwesenden Kadaver sehen zu müssen, führte bei ihm zu einer bis dato unheilbaren Muskellähmung, die seine Gesichtszüge zu einer entsetzlichen permanenten Fratze, einem „sardonischen Lächeln“, verzog. Das wäre nun der Punkt, an dem Robert und seine berufliche Expertise ins Spiel kommt.

Robert ist zur Hilfeleistung bereit, sieht sich aber schnell am Ende seiner ärztlichen Kunst. Es gäbe zwar noch eine neuartige Heilmethode, die ist aber a) bis dato reine Theorie, b) demzufolge an Menschen ungetestet und c) potentiell gefährlich, weswegen er sich d) weigert, sie beim Baron auszuprobieen. In dem Falle, entgegnet Sardonicus, wird er e) sein Mißfallen an Maude auslassen und f) mittels einer kleinen von Krull vorgenommenen „Schönheitsoperation“ dafür Sorge tragen, dass er und sein Weib fürderhin optisch gut zusammenpassen. Klarer Fall, da muss Robert seine ethischen Bedenken über Bord werfen und seine Theorie in die Praxis umsetzen…


Inhalt

Hach, William Castle. Fragt mich nicht, wieso es bis 2013 gedauert hat, bis mich mich endlich einem Film des Schlockmeisters extraordinaire widme. Castle, der König der Gimmicks, mag die sensationalistische Marktschreierei und das schamlose Ausbeuten der Sensationslust des Publikums nicht erfunden haben (viele seiner Tricks basieren auf alten „carnival“-Methoden), aber wer könnte dem Mann, der Krankenschwestern ins Foyer der von ihm bespielten Kinos setze, die Lebensversicherung per Kauf einer Eintrittskarte, falls man während des Films vor Angst sterben sollte, ebenso erfand wie „Geister-Guckis“ (Brillen, mit denen man die übernatürlichen Spektren auf der Leinwand im Gegensatz zu den dort agierenden Darstellern erkennen konnte) und durch den Zuschauerraum „schwebende“ Skelette, ernstlich böse sein?

Dabei darf man, auch wenn man Castles Marketing-Methoden heute belächelt, nicht vergessen, dass er damit in den 60ern phänomenal erfolgreich war. Dass darunter die Reputation der dazugehörigen Filme leidet, ist allerdings ein unwillkommener Nebeneffekt. Castle genießt nicht die Reputation eines Roger Corman und seine bekanntesten Werke, „House on Haunted Hill“ und „13 Geister“, sind heute hauptsächlich als Remake-Fodder geläufig. Wird also Zeit, dass wir den guten Ruf des Mr. Castle ein wenig aufpolieren…

„Der unheimliche Mr. Sardonicus“ basiert auf einer Novelle von Ray Russell, die dieser selbst für das Kino adaptierte, und die niemand geringeres als Horror-Großmeister Stephen King für eine der „besten gothic-horror-Geschichten aller Zeiten“ hält. Gut, Kings Fähigkeiten als Literaturkritiker darf man sicher mal andiskutieren (eine Zeitlang war kaum etwas billiger zu haben als ein enthusiastischer King-Coverquote für einen neuen Horrorautor), aber es ist mal ein Statement.

Die Originalgeschichte (erschienen übrigens im „Playboy“ – vielleicht ist King deswegen so begeistert, veröffentlichte er doch viele seiner frühen Stories in Herrenmagazinen) kenne ich nicht, aber da Russell ja selbst für die Drehbuchfassung zuständig war, wird sie wohl einige Ähnlichkeit mit dem fertigen Film haben. Wenn’s danach geht, kann ich das hohe Lob nicht ganz nachvollziehen… Ja, es ist eine klassische gothic-horror-Geschichte und wird von Castle auch so – beinahe schon 1961 „altmodisch“ – umgesetzt. Die Passage, in der Robert in Groglova ankommt und per Kutsche zum Schloss gefahren wird, könnte beinahe 1:1 aus Brownings „Dracula“ stammen und die unwirtlichen Landschaften, die dabei durchquert werden, lassen ein wenig expressionistisches Feeling wie in den eindrucksvollsten Momenten aus „Bride of Frankenstein“ aufkommen – das aber weitgehend verloren geht, wenn sich die „Action“ ins Sardonicus-Schloss verlagert. Und das „Action“ schreibe ich bewusst in Anführungszeichen, denn „Mr. Sardonicus“ ist ein Film, in dem nicht viel „passiert“.

Wobei das zentrale Problem des Films sicherlich nicht ist, dass er ziemlich redselig ist – Gruselfilme dieser Ära tendierten halt generell dazu, böse Taten anzudeuten, zu implizieren oder bestenfalls drüber zu reden, anstatt sie zu zeigen. Wer sich bewusst einen dieser Oldtimer ansieht, weiß, worauf er sich einlässt – im Endeffekt beschränkt sich der „Horror“ des Films auf zwei-drei Einlagen, die man seinerzeit als „sadistisch“ bezeichnete (die Folterung des Hausmädchens, die angedrohte Zwangs-OP Maudes in des Barons hauseigener Folterkammer), und das Make-Up des entstellten Barons (das aber nur sehr limitiert eingesetzt werden konnte, weil die komplizierten Prosthetics Darsteller Guy Rolfe nach einer Stunde körperliche Schmerzen bereiteten) – zusammengerechnet sind das über die gut 80 Minuten vielleicht vier-fünf „Scares“. Nein, die grundlegende Krux ist, dass Sardonicus als Bösewicht reichlich blah ist – er ist kein netter Mensch, klar, und die Andeutung, dass er mit hübschen Mädchen schlimme Dinge treibt, steht – mehr oder minder unaufgelöst – im Raum (und wer einen Handlanger wie Krull engagiert, setzt sich nun mal automatisch der Gefahr aus, unbürokratisch bei den Bösen verortet zu werden), aber „mieser Charakter + unmenschliche Visage“ ist nicht unbedingt die Gleichung, die meine niederen Instinkte soweit anspricht, dass die dem armen Kerl (und ein wenig Mitleid darf man mit ihm schon haben – im Endeffekt ist ja seine geldgierige Exfrau an allem Schuld) ein grausames Ende wünschen würden (selbst als er droht, Maude zu entstellen, liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass er, wohl darüber im Bilde, dass Robert sie liebt und es nicht drauf ankommen lassen wird, blufft). Ein paar Jahre Knast und ’ne psychiatrische Behandlung, jau… aber nicht mit Castle, der als Gimmick für diesen Film den „punishment poll“ erfand. Drei Minuten vor Filmende erschien er garselbst auf der Leinwand und ermunterte das Publikum, mit vorher ausgeteilten Leuchtdaumen über das Schicksal des Schufts, Tod oder Leben, zu entscheiden. Natürlich hatte Castle nie ein alternatives Ende, das gut für den Baron ausgeht, gedreht…

Ein anderes Problem ist der ausgiebige Flashback, in dem der Baron seine „Entstehung“ schildert – klar, die Erklärung ist aus Storytelling-Sicht notwendig und liefert den einzigen echten „Schock“ des ganzen Films, aber sie reißt mit ihrem Stimmungswechsel vom hochgothischen Grusel zum rustikalen Bauerndrama aus der Handlung. Und ich möchte nicht verabsäumen zu erwähnen, dass ich den „MacGuffin“ des wertvollen Lotterieloses für einen nicht sonderlich starken Einfall halte.

Ganz interessant ist (SPOILER) die Tatsache, dass „Mr. Sardonicus“ den Zustand seines Schufts letztendlich psychologisch erklärt – da ist kein „Fluch“, kein übernatürliches Eingreifen höherer Mächte, der Baron wurde einfach durch den Schock entstellt, es ist seine eigene feste innere Überzeugung, „verflucht“ zu sein, die ihn daran hindert, wieder „normal“ zu werden (und das führt schließlich und endlich auch zu seinem Untergang, wobei derjenige, der zuletzt lacht, überraschenderweise Krull ist. Aber der ist, wie noch zu erwähnen sein wird, eh das Highlight des Films).

Von der Inszenierung her ist der Streifen, die kurzen Ausflüge in expressionistisches Terrain zu Beginn ausgenommen, von Castle recht konventionell gearbeitet. Wie auch schon die zeitgenössische Kritik feststellte, ist Castle, was das filmemacherische Talent angeht, nicht Roger Corman, aber er ist solider Handwerker genug, um seine carny-Tricks eigentlich nicht nötig zu haben. Trotz der Dialoglastigkeit des Scripts wird’s nicht langweilig, weil kaum eine Textzeile nicht irgendwie die Handlung vorantreibt – selbst die von mir befürchteten „soap-opera“-Elemente aufgrund der alten Liebesbeziehung zwischen Robert und Maude bleiben aus, das wird nur thematisiert, wenn es dem Plot dienlich ist. Der Umstand, dass Sardonicus-Darsteller Rolfe die Prosthetics nicht lange tragen konnte, gerät sogar zum Gewinn des Streifens – der Baron wirkt mit der leblosen Porzellanpuppen-Maske, die er überwiegend trägt, deutlich unheimlicher als mit seiner „entstellten Fratze“. Nicht wegzudiskutieren ist allerdings, dass dem Film für meine Begriffe die Investition in Farb-Stock gut getan hätte – die s/w-Fotografie wird, da Castle das Potential, das schwarz-weiß für gediegenen Grusel bietet, nicht nutzt, rasch langweilig.

Auf Darstellerseite agiert Ronald Lewis („Ein Toter spielt Klavier“) adäquat – Heldenrollen in klassischen Gruselfilmen sind meist etwas „bland“, da macht sein Sir Robert keine Ausnahme. Audrey Dalton („The Monster That Challenged the World“) ist primär lebendige Set-Dekoration und Guy Rolfe (Full-Moon-Fans bekannt als Puppenspieler Andre Toulon in der „Puppet Master“-Reihe) ist, ähnlich wie John Carson im gerade besprochenen Im Bann des Voodoopriesters ein Fall von etwas zu zurückhaltendem Schurken – gerade weil seine Motivation im Genrekontext relativ schwach ist, wäre etwas mehr Power, etwas mehr „oomph“ in seiner Performance wünschenswert. Aber ein Mann gleicht das letztlich alles aus – der österreichische Emigrant Oskar Homolka („Sabotage“, „Das verflixte 7. Jahr“, „Finale in Berlin“) als des Barons Faktotum Krull – quasi Bela Lugosis Ygor aus „Son of Frankenstein“ und Peter Lorre in jeder seiner Horror-Rollen rolled into one ist er … likeable, dass man ihm nicht mal übel nehmen kann, wenn er junge Frauen mit Blutegeln foltert. Es ist eine so, heute würde man „selbstironische“ Darstellung, man freut sich als Zuschauer mit ihm, dass er am Ende der große Gewinner der ganzen Geschichte ist. Das macht Spaß!

Bildqualität: Mir liegt der Streifen als Bestandteil der spanischen Ausgabe der „William Castle Collection“ von Sony vor (lacht nicht, es war die billigste Möglichkeit, einen repräsentativen Querschnitt durch’s Castlesche Schaffen zu bekommen). Der 4:3-Vollbildtransfer hätte vielleicht noch ein-zwei Durchläufe durch den Computer gebrauchen können – brauchbar, aber für eine Major-Veröffentlichung (auch wenn’s Nischen-Backprogramm ist) ein wenig schwach in Kontrast und Schärfe, aber zumindest völlig verschmutzungs- und defektfrei.

Tonqualität: Englischer Mono-Ton, passable Sprachqualität, wenig Grundrauschen.

Extras: Ein paar überflüssige Texttafeln, die diverse Cast- und Crewmitglieder unmotiviert auflisten und eine Fotogalerie.

Fazit: Als Gruselfilm ist „Mr. Sardonicus“, auch und gerade im Kontext seiner Genrezeitgenossen gesehen, sicher allenfalls Durchschnitt – solide gearbeiteter Durchschnitt, aber eben auch insgesamtehr unaufregend. Der Streifen hat fraglos seine Momente, aber nicht so viele davon, um mit den besten Corman-Streifen mithalten zu können. Was er aber hat, ist eine grandiose Vorstellung von Oskar Homolka, der den Film mit seiner ersten Szene stiehlt und nicht mehr zurückgibt. Wer ein Herz für Henchmen aus Leidenschaft hat, muss „Mr. Sardonicus“ allein seinetwegen sehen!


mm
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