Der Tollwütige

 
  • Deutscher Titel: Der Tollwütige
  • Original-Titel: La belva col mitra
  • Alternative Titel: Mad Dog | Beast with a Gun | Ferocious | Ferocious Beast with a Gun | Mad Dog Killer | Street Killers | The Human Beast | The Mad Dog Killer |
  • Regie: Sergio Grieco
  • Land: Italien
  • Jahr: 1977
  • Darsteller:

    Helmut Berger (Nanni Vitali), Marisa Mell (Giuliana Caroli), Richard Harrison (Comm. Giulio Santini), Maria Giordana (Carla Santini), Luigi Bonos (Pappalardo), Vittorio Duse (Giulianas Vater), Claudio Gora (Santinis Vater), Alberto Squillante (Aldo „Bimbo“ Pacesi), Ezio Marano, Maria Pascucci, Nello Pazzafini, Antonio Basile, Sergio Smacchi


Vorwort

Der brutale Mörder Nanni Vitali bricht mit einigen Gesinnungsgenossen aus der Justizvollzugsanstalt aus und macht sich umgehend, nachdem die so neuformierte Bande noch schnell eine Tanke überfällt und deren Betreiber in Grund und Boden prügelt, daran, alte Rechnungen zu begleichen – z.B. wünscht Nanni, dass der Informant, der ihn einst ans Messer geliefert hat, doch bitte schön ins Gras bzw. in den staubigen Boden einer Kiesgrube beißen möge. Giuliana, des Informanten hübsches Gspusi, wird gleich mitgekidnappt und von Nanni, damit sein Feind vor’m Abnippeln noch was lustiges zu kucken hat, einer lauschigen Vergewaltigung unterzogen. Nachdem dann auch die lästige Exekution vollzogen ist, beansprucht Nanni von Giuliana Komplizenschaft beim nunmehr auf dem Programm stehenden großen Raubzug; sie soll ihren Papa, der als Wachmann im Lohnbüro einer Fabrik arbeitet, ablenken, dieweil Nanni & Co. sich die Lohntüten der Belegschaft aneignen. Giuliana ist mutiger als gedacht und vertraut sich dem eh schon wegen Nannis Flucht Überstunden schiebenden Inspektor Santini an. Santini bedeutet Giuliana gute Miene zum bösen Spiel zu machen, am Tag X wird die Belegschaft des Lohnbüros durch Polizisten ersetzt sein und Nanni in eine wunderschöne Falle laufen. Im Prinzip ja, nur leider handelt es sich um die miserabelst konzipierte Falle seit Menschengedenken, der Überfall endet nur deswegen nicht in einem absoluten Blutbad, weil Giuliana todesmutig einen von Nannis Getreuen erschießt und so eine ganze Busladung gefangener Geiseln befreit. Nanni allerdings kann entkommen und versucht rachedurstig zunächst, die treulose Verräterin abzumurksen. Trotz Polizeischutz gelingt es ihm zumindest, ihr eine Kugel ins Bein zu schießen, was seine Vendetta ihr gegenüber abschließt. Als nächstes hat er sich Santini ausgekuckt, und um den mürbe zu machen, entführt er dessen Vater (praktischerweise auch noch der Richter, der ihn einst verknackte) und Schwester. Zum Schein geht Santini auf die Forderungen des Ganoven ein…


Inhalt

Nachdem ich „Going Steady“, hierzulande besser bekannt als „Eis am Stiel II“, als eigentlich nächsten zu kuckenden Film in der „Drive-In Movie Classics“-Box geflissentlich ignoriert habe (nennt mich einen Banausen, aber die Dinger haben mich nicht mal interessiert, als ich noch live dabei und im zielgruppengerechten Alter war, wenn die Dinger jeden Sommer ins Kino kamen), wird DVD 2 der Sammlung von einem ominösen Film namens „Mad Dog“ beschlossen. Wie üblich konnte ich mir unter Titel und der knappen Inhaltsangabe nichts vorstellen, aber nach ungefähr dreieinhalb Sekunden war mir klar – das kann nur ein italienischer Heuler aus den 70ern sein…

Hierzulande als „Der Tollwütige“ bekannt (und in einer um insgesamt 15 Minuten gekürzten Fassung indiziert; mittlerweile gibt’s eine ungekürzte und -prüfte DVD-Version) handelt es sich um einen kleinen Klassiker des Italo-Gangsterkintopps mit einem famosen Hauptdarsteller-Triumvirat, das sich voll ins Zeug legt. Abgesehen davon ist Quentin Tarantino (mal wieder) ein Fan, was soweit ging, dass er den Streifen in „Jackie Brown“ einbaute, das allein sollte also für den Videonerd, der was auf sich hält, Grund genug sein, dranzubleiben. Ich gebe zu, ich bin kein Experte auf dem Gebiet des italienischen Gangsterfilms (Stimme aus dem Hintergrund: Für was bisten dann überhaupt Experte, Meister?), aber immer gewillt, meinen Horizont zu erweitern.

Geschrieben und dirigiert von Sergio Grieco (der auch „Inglorious Bastards“ schrieb und wir wissen ja alle, was QT in diesem Moment gerade treibt; ansonsten inszenierte er einige der 077-Eurospy-Fetzer und den Superhelden-Heuler „Argoman“) macht dieser Film, meiner bescheidenen Ansicht nach, den Konsum sämtlicher anderer italienischen Räuber-und-Gendarm-Filme unnötig (und dass er z.B. Der Teufel hat sieben Gesichter, wo ich dieses Beispiel noch in frischer Erinnerung habe, ungewürzt als kleinen Haps noch vor dem Frühstück verspeist und nicht mal den hohlen Zahn damit füllt, ist völlig klar), so direkt bringt der Streifen die Attitüde der Zeit und des Genres auf den Punkt. Die Story ist schlicht – ein ausgebrochener Knacki auf Rachetrip, ein aufrechter Bulle, der ihn aufhalten will, die schöne Frau dazwischen. Was braucht man mehr zum Glücklichsein? Eben, quasi nix. Das Script mag keine Originalitätspreise gewinnen (und es weist zwei ziemliche Hämmer auf, die schon dazu angetan sind, die Fußnägel zum Aufkräuseln zu bewegen… die in der obigen Inhaltsangabe bereits geschilderte „Falle“, die wahrscheinlich nicht mal die Absolventen der „Police Academy“ so amateurhaft aufbauen würden und den Umstand, dass Santini vor dem Showdown rein zufällig auf einem Telefonmast irgendwo in der Provinz sitzt, von dem er aus genau auf das Versteck der Gangster kiebitzen kann. Zumindest in letzterem Punkt halte ich dem Film aber zugute, dass die mir vorliegende Mill-Creek-Version um gut fünf Minuten gekürzt ist und ich nicht ausschließen mag, dass eine dorthin führende Handlungssequenz vom US-Verleiher für unnötig erachtet wurde), aber es funktioniert.

„Der Tollwütige“ ist – und speziell bei einem italienischen Film, denn dass die Jungs vom Stiefel für schlüssige, nachvollziehbare Geschichten bekannt wären, ist ja ein Mythos, für den sich die „Mythbusters“ nicht mal zwei Sekunden Zeit nehmen würden – ein geradliniger Thriller, der sich auf das Wesentliche konzentriert und keine Nebenkriegsschauplätze aufbaut; das schießt gelegentlich sogar über’s Ziel hinaus, wenn Giuliana zur Zwei-Drittel-Marke komplett aus dem Film herausgenommen wird, obschon wir als Zuschauer erwarten könnten, dass sich wenn schon keine richtige love story zwischen ihr und Santini, dann doch zumindest ein gewisser „wrap-up“ für den Charakter anschließen sollte. Nö, Giuliana ist im Scriptsinne erledigt, damit müssen wir uns nicht weiter aufhalten, sondern uns vielmehr auf die finale Konfrontation Santini-Nanni konzentrieren, ohne dass wir hier lästiges emotionales Geplänkel als Ballast mitnehmen zu brauchen (es ist, wenn man so will, ja auch die „vernünftigere“ Variante – Nanni kann sich als verständiger Psychopath vom Dienst ja eher darauf verlassen, dass Santini auf die Bedrohung seiner Familie reagiert als auf die einer für den Cop streng genommen nicht wirklich emotional bedeutenden Zeugin/Informantin, auch wenn’s dem Hollywood-Klischee entsprechen würde).

Es kommt dem Stoff auch im Sinne einer packenden Storyentwicklung auch zugute, dass Nanni vordergründig ein ausgesprochen eindimensionaler Lump ist – ein Sadist aus Freude an der Gewaltanwendung, immer dafür zu haben, aus purer Lust am Verletzen und Töten weiter zu gehen, als es nötig wäre (schon in der ersten „wichtigen“ Szene, dem Überfall auf die Tankstelle, geht es in der Sache ja nur um einen vollen Tank und das Klimpergeld aus des Tankwarts Registrierkasse, aber bei Nanni Vitale geht das natürlich nicht, ohne die Blaukittel sich in einer Lache ihres Blutes wälzend zurückzulassen); und nachdem wir uns damit angefreundet haben, dass Nanni ein einfach verabscheuungswürdiges Stück Dreck ist, *dann* erlaubt Grieco seinem Erzschurken den ein oder anderen Moment der Schwäche (so, als er sich von seiner Schwester Geld pumpen muss und, ganz besonders, als er einen kurzen Moment des „bonding“ mit einem ihn anhimmelnden Junior-Ganoven erlebt, der schon fast etwas homoerotisches hat) und „entdämonisiert“ ihn wieder, macht ihn wieder zu einem menschlichen Wesen, dessen Gewaltausbrüche dadurch umso schockierender wirken. Dagegen ist Santini ein klassischer Gegenspieler, ein etwas zu kantenloser guter Bulle (nun gut, man kann darüber streiten, ob er wirklich, eh, „kompetent“ ist), so dass die Chance auf ein Duell unter, sagen wir mal, „gleichwertigen“ Gegnern, also solchen, die in der Wahl ihrer Mittel vergleichbar kompromisslos sind, zugunsten üblicher Gut-/Böse-Schematik vertan wird.

Macht aber nicht viel, denn Grieco sorgt durch das ausgesprochen flotte Pacing dafür, dass die zentrale Drehbuchschwäche, eben dass Nanni keinen Gegner hat, der ihm in Punkto Ausstrahlung das Wasser reichen kann, kaum auffällt; Nanni steht zumeist im Vordergrund der Geschichte (und Santini ratlos daneben), erst im Schlussakt entwickelt sich wirklich ein direktes Duell auf Augen- (und Faust-) Höhe. Griecos filmische Mittel sind nicht herausragend innovativ und einfallsreich, aber größtenteils außerordentlich zweckdienlich (ich halte die Schlägereien für unrealistischer als die in Spencer-/Hill-Filmen, aber dafür sind sie wenigstens ordentlich sudelig); ohne große set pieces hält der Regisseur den Action-/Thrillpegel auf einem konstant hohen Level. Die Kameraführung ist „typisch europäisch“ (inklusive zahlreicher patentierter Euro-Zooms), wird von mir aber aufgrundd es mir vorliegenden üblen Vollbildtransfers nicht für die endgültige Beweisführung herangezogen – was Grieco und sein Kameramann Vittorio Bernini („Carnal Crime“, „The Sister of Ursula“) sich also an Gedanken über die Bildkomposition gemacht haben, bleibt mir bis zur eventuellen Ansicht einer etwas besseren Fassung verborgen. Der Schnitt ist, auch das typisch für europäischen Genre-Kintopp der 70er, eher holprig und nicht immer gänzlich sinnvoll (ich verweise allerdings auf den oben gemachten Hinweis zur beschnippelten US-Fassung), der Score von Umberto Smaila („Chicken Park“) eine echte Schau, der aus stets wechselnden Arrangements zweier Haupt-Themen, mal poppig, mal klassisch, mal experimentieller, das Maximum herausholt.

Obschon von einer zutiefst sadistisch-nihilistischen Grundstimmung geprägt, ist „Der Tollwütige“ – zumindest in der mir vorliegenden Fassung – nicht übermäßig brutal (ein Widerspruch in sich? Nicht wirklich – und für ’ne Indizierung reicht’s immer noch, gell?). Nanni lebt seine Gewaltphantasien hauptsächlich durch blutige Schlägereien aus; der Showdown beinhaltet eine Szene, die Quentin Tarantino (davon gehe ich zumindest aus) mit vertauschten Bulle/Gangster-Rollen direkt ins Script von „Natural Born Killers“ gehievt hat (ich sage nur „I cut her fuckin‘ tits off“, wobei Grieco diese Szene sleaziger, d.h. mit mehr nackter Haut und daher stärkerer sexueller Motivation inszeniert). Marisa Mell und Marina Giordana sind in verschiedenen Stadien der Unbekleidung zu bewundern (wie auch, für die Damenwelt, Helmut Berger).

„Der Tollwütige“ lebt entscheidend von der Darstellkunst Helmut Bergers – der gern als Schönling verschrieene Österreicher, der durch Visconti (dessen Muse Berger langjährig, bis zu Viscontis Tod war) und „Ludwig“ berühmt wurde (und die Rolle des bayrischen Märchenkini im ebenfalls beeindruckenden „Ludwig 1881“ der Schweizer Dokumentarfilmergebrüder Dubini wieder aufgriff), aber auch in „Der Pate III“, „Salon Kitty“, „Verdammt bis in den Tod“, „Das Bildnis des Dorian Gray“ oder Jess Francos „Faceless“ agierte, legt als Nanni Vitale eine geradezu beängstigende Intensität an den Tag, sowohl in den leisen Momenten als auch in seinen zornigen, sadistischen Ausbrüchen – fast wie eine etwas, ehm, hübschere Ausgabe eines gereizten Klaus Kinski gepaart mit dem blanken Wahnsinn eines David Hess in The Last House on the Left; eine beeindruckende Performance. Seine Landsfrau Marisa Mell („Gefahr: Diabolik!“, „Das Rätsel der roten Orchidee“, „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“, „Troll 3“) sorgt mit ihrer – der österreichischen Abstammung zum Trotz – exotischen Ausstrahlung für den Schuss Erotik und bietet auch schauspielerisch eine passable, wenngleich Berger nicht halbwegs angemessene Vorstellung. Richard Harrison, Held zahlloser hier z.T. gewürdigter Ninja-Streifen aus Joseph Lais Patchwork-Factory und in den 60ern Star etlicher Sandalenfilme und Italowestern, zeigt, dass er, wenn er nicht mit irgendwelchen in Pyjamas gewickelten Nulpen balgen muss, ein durchaus seriöser Darsteller ist und über achtbare Screenpräsenz verfügt – ihm fehlt’s hier ein wenig an Unterstützung durch das Script. Marina Giordana, Mitglied eines ganzen Schauspieler-Clans, muss als im Schlussakt ausgepackte Harrison-Schwester nur schnucklig und/oder leidend aussehen, ihr real-life Vater Claudio Gora („Das Rätsel des silbernen Halbmonds“, „Der Kurier des Zaren“, „Gefahr: Diabolik!“, „Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse“, „Schloß Hohenstein – Irrwege zum Glück“) spielt ihren (und Harrisons) Filmvater. Kurz, aber recht prägnant ist der Auftritt von Alberto Squillante als Nanni-Fan.

Bildqualität: Der Print, den Mill Creek uns hier zur Verfügung stellt, zeigt einmal mehr die Schattenseiten solcher Public-Domain-Boxen – ein liederlicher Vollbildtransfer, ohne jegliche Rücksicht auf Bildkomposition, mit einigen Bilddefekten und Verschmutzungen, aber immerhin von halbwegs erträglichen Schärfe- und Kontrastwerten. Wer „nur“ diesen Film, dafür aber in brauchbarer Qualität, haben will, sollte daher tunlichst zur NEW-DVD greifen.

Tonqualität: Immerhin hat sich das amerikanische Synchronstudio einigermaßen Mühe gegeben – man kennt ja ansonsten englisches Dubbing für italienische Genrefilme, aber hier hat man doch immerhin versucht, passende Sprecher zu finden und diese auch offenbar gut genug bezahlt, um motiviert und mit treffender Betonung zu sprechen. Immer noch kein Meilenstein der Synchronkunst, aber zumindest anhörbar. Das übliche Grundrauschen und der insgesamt eher dumpf-matschige Gesamteindruck wird allerdings auch gratis mitgeliefert.

Extras: –

Fazit: Ich gebe es einmal mehr zu, ich bin für das Genre sicherlich nicht der apostrophierte Alleschecker und Ober-Experte, aber von den bislang von mir gesichteten italienischen Gangster-Filmen ist „Der Tollwütige“ eindeutig der beste. Fernab üblicher Mafia-Klischees konzentriert sich Grieco einfach auf seine Studie des sadistischen Psychopathen, peppt das Ganze mit Polizeifilmelementen auf und hat so, ohne drehbuchtechnische Absurditäten (bis auf die eben geschilderten) bemühen zu müssen, das Rezept für einen sehr kurzweiligen, stellenweiße mitreißenden Thriller, der allerdings, das muss klar festgestellt werden, ohne einen derart charismatischen und engagierten Hauptdarsteller wie Helmut Berger nicht halb so gut wäre. Spannend, fies, temporeich, mit einem überragenden Star – daher fällt’s nicht schwer, den „Tollwütigen“ weiterzuempfehlen. Da könnt‘ ich glatt noch zum „Poliziotto“-Fan werden.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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