Der Tod trägt schwarzes Leder

 
  • Deutscher Titel: Der Tod trägt schwarzes Leder
  • Original-Titel: La polizia chiede aiuto
  • Alternative Titel: What Have They Done To Our Daughters? | Coed Murders | The Police Want Help |
  • Regie: Massimo Dallamano
  • Land: Italien
  • Jahr: 1974
  • Darsteller:

    Giovanna Ralli (Vittoria Stori), Claudio Cassinelli (Insp. Silvestri), Mario Adorf (Insp. Valentini), Franco Fabrizi (Bruno Paglia), Farley Granger (Mr. Polvesi), Marina Berti (Mrs. Polvesi), Paolo Turco (Marcello Tosti), Micaela Pignatelli (Rosa), Sherry Buchanan (Silvia Polvesi), Roberta Paladini (Patrizia Valentini), Renata Moar (Laura), Adriana Falco (Giuliana Bigi), Salvatore Puntillo (Napoli), Steffen Zacharias (Professor Beltrame)


Vorwort

Auf einen anonymen Tip hin entdeckt die Polizei die aufgeknüpfte Leiche eines fünfzehnjährigen Mädchens. Zunächst gehen Polizei und Staatsanwaltschaft von Selbstmord aus, doch schon bald wird klar, dass hier jemand nachgeholfen hat. Das Mädchen war schwanger, der Speicher, auf dem sie gefunden wurde, war ihre heimliche Liebeshöhle für Treffen mit ihrem Lover (zur Freunde eines gegenüber eifrig knipsenden Spanners), und, vor allen Dingen, sie wurde nicht dort getötet, wo sie gefunden wurde. Inspektor Silvestri übernimmt, aber Anhaltspunkte sind Mangelware – zwar kann das Opfer identifiziert werden als Silvia, gelangweilte Tochter aus besserem Hause, aber der einzige greifbare Verdächtige, ihr jugendlicher Liebhaber, hat ein hieb- und stichfestes Alibi.
Schwung in die Ermittlungen kommt, als Silvestri den eigentlichen Tatort entdeckt und dort feststellen muss, dass im Bad noch mindestens ein zweites Opfer förmlich abgeschlachtet wurde, zudem Silvias Mutter einräumt, aufgrund der töchterlichen Verhaltensschwankungen einen Privatschnüffler auf sie angesetzt zu haben. Der ist allerdings spurlos verschwunden, niemand, auch nicht seine nach einem Autounfall im Krankenhaus liegende Sekretärin Rosa, weiß, wo er ist. Wie sich herausstellt – zerstückelt im Kofferraum seines in der Prärie abgestellten Wagens. Rosa möchte nun doch eine Aussage machen, wird jedoch zuvor von einem mysteriösen, in schwarze Ledermontur gehüllten Biker attackiert. Sie kann Silvestri allerdings noch auf ein Paket mit Tonbändern hinweisen, das den Inspektor auf die Spur eines breit angelegten Kinderprostitutionsrings bringt. Dessen Hintermänner setzen ihren Lederkiller auf Staatsanwältin Stori an…


Inhalt

Giallo. Hin und wieder muss man sich, speziell nachdem man freiwillig (und in sicherer Ahnung, dass das keine gute Idee war) Geld für Dario Argentos gleichnamiges letztes Musenkind ausgegeben hat, in Erinnerung rufen, dass die italienischen Schlitzerfilme nicht schon immer schlecht waren. Für diesen Zweck erfreulicherweise stiftete mir erst neulich mein werter egoFM-Gesprächspartner Reini (obwohl oder gerade weil ich ihn nie ausreden ließ…) einen Schwung Filme aus den guten alten Zeiten des Genres, darunter auch eben diesen, dessen US-Titel „What Have They Done to Your Daughters?“ sich an den 1972er-Spät-Wallace „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“, international „What Have They Done to Solange?“ betitelt, anlehnen sollte, der ebenfalls von Massimo Dallamano inszeniert worden war. Im Gegensatz zur Stecknadel muss „Der Tod trägt schwarzes Leder“ aber ohne die, hmpft-hmpft, zugkräftige Beteiligung Blacky Fuchsbergers auskommen, aber dafür stellten wir Teutonen Mario Adorf (der in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ und „Malastrana“ schon einschlägige Genre-Erfahrung gesammelt hatte) leihweise für eine Nebenrolle zur Verfügung.

Geschrieben von Meister Dallamano (der auch Orgie des Todes schrob) unter gnädiger Mithilfe von Ettore Sanzò („L’Ultimo treno della notte“, „Contraband“) ist „Der Tod trägt schwarzes Leder“ in der Tat einer DER Genre-Höhepunkte jenseits der „als-er-noch-gut-war“-Argentos, was vielleicht (was heißt „vielleicht? „Mit Sicherheit“) daran liegt, dass Dallamano und Sanzò ihr Werk nicht (ausschließlich) als Ausrede für diverse kunstblutintensive Schmoddereien, sondern vielmehr als (verhältnismäßig) seriösen Thriller anlegen. (Der Rest dieses Absatzes ist SPOILER-haltig) Völlig ohne übernatürliche oder auch nur übersteigerte Elemente konzipiert man den Streifen als reinrassigen Polizeiermittlungsfilm, in dem wir bis auf wenige Ausnahmen nur die Perspektive des Inspektors bzw. der Staatsanwältin sehen; die Killergestalt ist zwar in ihrem Äußeren (schwarze Lederkluft, Motorradhelm) für den Giallo geradezu ikonographisch, aber nie überlebensgroß – es ist schlichtweg ein angeheuerter Mörder, der für eine Organisation im Hintergrund das Hackebeil schwingt und keine abenteuerliche misogynistische, erbschleicherische oder aus anderweitiger Geisteskrankheit geborene Motivation braucht. Die Story ist komplex, aber nicht abseitig-verzweigt wie viele andere, beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbare Giallo-Plotten, die Plottwists entfalten sich grundsätzlich logisch und haben eine realistische Dimension (und im zwar vordergründig glücklichen, aber insgesamt eher pessimistischen Ende sogar eine politische Dimension). Was nicht heißt, dass die Plotte vollkommen logisch ist – der Umstand, dass der Dachboden, auf dem die arme Silvia rumhängend aufgefunden ist, von *innen* abgeschlossen wurde und es offensichtlich keinen anderweitigen Zu- bzw. Ausgang gibt, wird angesprochen, aber nicht weiter thematisiert (weil die Autoren offensichtlich schlicht ignorierten, dass sie sich hoffnungslos in einem locked-room-mystery verzetteln würden, wenn sie von dort aus weiterfabulieren), der Sprung von „Selbstmord“ zu „Mord“ ist nicht durchdacht (da alle Fakten, die darauf hindeuten, dass Silvia ermordet wurde, erst bekannt werden, *nachdem* die Staatsanwältin bereits den Geistesblitz hatte, dass hier kein Freitod im Raum steht), und in der Endphase der Ermittlungen sind unsere Cops reichlich döselig (ihre „Kronzeugin“ aus dem Jugendprostitutionsring gibt zu Protokoll, dass ihr Kontaktmann ein gewisser „Bruno“ gewesen sei. Silvestri vergisst vollkommen, dass ihr erster „Zeuge“ und Verdächtiger überhaupt, der spannende Fotograf, eben Bruno heißt und damit, wo nun zumindest die Hintergründe des Falls bekannt sind, die Verbindung offen auf der Hand liegt – erst, als Bruno dann, vom Gangstersyndikat ausgeschaltet, tot vor ihm liegt, machts Klick und auch dann nicht wirklich laut).

Trotz dieser Logikfehler ist „Der Tod trägt schwarzes Leder“ für einen Giallo erstaunlich stringent (speziell, wenn man ihn mit der erwähnten „Orgie des Todes“ vergleicht, in der Dallamano mit seinem Story-Anteil sichtlich ähnliches Terrain beackern wollte, aber in die genre-übliche Falle stolperte – bzw. eine eventuell von ihm mal als straight entworfene Plotline durch das halbe Dutzend Co-Autoren schlonzifizert wurde – und aus dem Script eine wirre, hirn- und geschmacklose Melange nicht zusammenlaufender Subplots und stupider Charaktere wurde); seine Charaktere sind keine Comic-Figuren, sondern ernsthaft, wenn auch eindimensional (Silvestri ist der idealistische Supercop, für den es nicht nur wichtig ist, das Verbrechen an sich aufzuklären, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die Täter angemessen bestraft werden; Stori seine Verbündete, ohne zur Love Interest zu degenerieren; die Schurken agieren nicht aus sadistischen Motiven, sondern aus schlichter kalter Berechnung; die jugendlichen Opfer sind keine tragischen Unschuldslämmer, vielmehr durchaus aus eigener Schuld in die Bredouille geraten) und handeln schlüssig.
Ein klein wenig enttäuscht war ich, dass der Screenplay zu Beginn den Anschein erweckt, als würde es politischer werden wollen als es letztlich tatsächlich wird (Staatsanwältin Stori hat nämlich auch mit jugendlichen Links-Anarchisten zu tun; immerhin wird durch das leicht zynische Finale ein gewisser Bogen zu diesem Auftakt geschlagen. SPOILER: Schließlich ist es gerade der Umstand, dass „die Mächtigen“ mit allen Unappetitlichkeiten durchkommen, der die junge Generation in die Rebellion treibt. Insofern ziehe ich meine Enttäuschung zurück und bescheinige dem Film vielmehr, seine Gesellschaftskritik für einen Italo-Exploitationfilm geradezu subtil zu verpacken. Übrigens bekommt auch die sensationslüsterne Presse ihr Fett ab).

Dallamano ist als Regisseur (in dieser Funktion betreute er auch „Venus im Pelz“ und „Das Bildnis des Dorian Gray“) nicht der Bilder malende Visionär Argento, sondern einer aus der Kategorie „solider Handwerker“. Fotografiert von Franco Delli Colli (The Last Man on Earth, „Zeder“, „La Casa 3“) ist „Der Tod trägt schwarzes Leder“ auch von der Inszenierung her sachlich und überwiegend auf Zweckmäßigkeit hin ausgerichtet. Einige patentierte Euro-Zooms der eher rumpeligen Sorte können sich Dallamano und Delli Colli nicht verkneifen, aber insgesamt kommen die Herrschaften mit dem 2.35:1-Widescreen-Format gut zurecht, ohne mit überragenden Bildkompositionen Marke „Opera“ o.ä. aufwarten zu können – aber nicht jeder Giallo muss ein Fest für die Augen sein, ab und zu bin ich auch dankbar dafür, wenn ersatzweise dafür die Story Sinn ergibt. Anstelle überbordender Optik kümmert sich Dallamano lieber darum, die Geschichte flott voran zu treiben, baut vergleichsweise „herkömmliche“ Krimielemente wie Verfolgungsjagden ein, arbeitet die Hintergründe durch gut eingesetzte Flashback-Sequenzen auf und bemüht sich erfolgreich um Spannungserzeugung – speziell die Sequenz, in der Staatsanwältin Stori vom Killer durch ein Parkhaus gehetzt wird, ist exzellent und in vielleicht fünf Minuten erheblich eindrucksvoller als der ganze P2 – Schreie im Parkhaus (dazu wird auch die Auflösung der Plotte mal nicht so aus dem Rektum gezogen wie bei den meisten anderen Gialli). Dazu passt auch, dass „Der Tod trägt schwarzes Leder“ – den die polizeilichen Ermittlungen stärker interessieren als der modus operandi des Killers – auch in Sachen Gore/Splatter lange Zeit Zurückhaltung walten lässt, so dass seine Schockeffekte (im Endeffekt kann man die blutigen Szenen an einer Hand abzählen und hat noch mindestens einen Finger übrig) um so heftiger, da mittlerweile unerwartet, wirken. In Sachen nackte Tatsachen zeigt uns Sherry Buchanan („Escape from Galaxy 3“, Zombi Holocaust) ihre Teenage-Knospen.

Auf jeden Fall Erwähnung finden muss der fantastische Score von Stelvio Cipriani (Der Teufel hat sieben Gesichter, „Die Herrenreiterin“, „Beichtet, Freunde, Halleluja kommt“, „Orgasmo Nero“), der hier eines seiner Meisterstücke abliefert – von fröhlich-poppiger Schlagermucke bis zu Herrmann-esquen Streicherklängen bietet Cipriani alles, was das Herz begehrt, und die beiden Hauptthemen besitzen echten Ohrwurmcharakter.

Die Schauspieler schlagen sich wacker – Giovanna Ralli („Die Todesfalle“, „Die gefürchteten Zwei“, „Müssen Männer schön sein?“) als Staatsanwältin, die stärker in die Sache verwickelt wird, als ihr lieb sein kann, liefert keine Leistung für die Ewigkeit ab, erledigt aber einen soliden Job; Claudio Cassinelli (von mir auf ewig geadelt durch eine der besten Lines aller Zeiten aus Fulcis Murder Rock, außerdem dabei in Slave of the Cannibal God, „Insel der neuen Monster“, „Der Fluß der Mörderkrokodile“ und – ausgerechnet für „Paco – Kampfmaschine des Todes“ bei einem Hubschrauberabsturz buchstäblich in seinen Stiefeln gestorben) kann als junger, idealistischer Cop, der in erster Linie an Gerechtigkeit interessiert ist, durchaus überzeugen – niemand wird mit ihn mit Al Pacino oder Robert de Niro verwechseln, aber der Mann konnte schon was; leider lebte er im falschen Land, um auch bei Nicht-Genre-Fans bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Mario Adorf ist als Bulle, der herausfinden muss, dass seine Tochter ebenfalls ein Teil des Prostitutionsrings ist, nicht gerade in seinem Element; emotional-angeschlagen/weinerlich sind nicht die Attribute, die ich ideal für eine Adorf-Rolle halte. Er erledigt den Job professionell, aber als durchgeknallter Künstler in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ war er wesentlich besser aufgehoben.
Franco Fabrizi („Ginger und Fred“, „Der Mafia-Boss – Sie töten wie Schakale“, „Bratpfanne Kaliber 38“) und Steffen Zacharias („Auch die Engel essen Bohnen“, „Krieg der Eispiraten“, „Der Exterminator 2“) erledigen ihre Aufgaben zuverlässig, Micaela Pignatelli („The Church“, The Card Player) leidet als Rosy angemessen vor sich hin und die schon erwähnte Sherry Buchanan (später auch in „Junge Mädchen zur Liebe gezwungen“, einem 131er, gepeinigtes Schulmädchen) gefällt in ihren Flashback-Auftritten.

Bildqualität: Mir liegt die britische Salvation-DVD vor, die ulkigerweise zehn Sekunden kürzer als der aktuelle deutsche DVD-Release ist. Macht aber nicht viel, der (leider nicht anamorphe) 2.35:1-Widescreen-Print ist auch so aller Ehren wert. In Sachen Schärfe und Kontrast gut (nicht weltklasse), mit gelegentlichen, aber nicht störenden Nachziehern und weitgehend frei von Verschmutzungen oder Defekten. Passt.

Tonqualität: Leider ausschließlich englischer Ton in Dolby 2.0. Die englische Synchro ist, wie üblich bei dieser Sorte Film, nicht überwältigend gut, aber auch nicht so schlimm, wie sie hätte ausfallen können. Der Dialogton ist leicht knarzig, der Musikmix dafür recht fett und dynamisch. Auch hier: geht in Ordnung.

Extras: Das Redemption-Nachfolgelabel (das sich jetzt wenigstens seine doofen Fetisch-Einspieler spart) bietet den Trailer, eine Still Gallery sowie diverses Werbe-, Video- und Posterartwork (wobei diese Galerien ausgesprochen übersichtlich gehalten sind: es gibt vier Stills, drei Videocover und ein (in Worten: 1) Publicity-Poster zu begutachten). Außerdem stehen per Wendecover zwei unterschiedliche Covermotive zur Auswahl. Insgesamt scheint mir da die Empfehlung doch deutlich zugunsten der deutschen Scheibe auszufallen.

Fazit: Schick, schick. Was manchen Giallo-Freak vielleicht abschrecken mag, ist das, was mir an „Der Tod trägt schwarzes Leder“ ausnehmend gut gefällt: der Streifen ist bodenständig, in der Realität verhaftet und in diesem Subgenre ein rarer Vertreter des (weitgehend) sinnvollen Storytellings. Bis auf – streng genommen überflüssige – nackte Tatsachen von Sherry Buchanan geht Dallamano mit dem verhältismäßig heiklen Thema ohne ganz große sleazige Abgefeimtheiten, also schon quasi „geschmackvoll“ um, baut einige nette politische Implikationen ins Script, hat plausible Darsteller zur Verfügung und inszeniert den Streifen nicht als visuellen Ego-Trip eines „Künstlers“, sondern zweckdienlich als Spannungsfilm – gerade die glaubhafte, realistische Atmosphäre lässt die kurzen, blutigen Gewaltausbrüche wie Schläge in die Magengrube wirken. Als Zuckerl obendrauf kommt noch der fantastische Cipriani-Score, so dass ich zu gar keinem anderen Urteil kommen kann: ein absolutes Giallo-Highlight, das – ironischerweise – auch oder gerade der Klientel gefallen könnte, die mit den üblichen „schwarz-behandschuhter-Killer-murkst-grausam-hübsche-Mädchen-ab“ des italienischen Protoslashers nicht so arg viel anzufangen wissen. „Der Tod trägt schwarzes Leder“ ist eindeutig noch mehr Krimi denn Horror, aber zweifellos ein sehr, sehr guter… Sollte man in seiner Sammlung haben.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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