Der Schrei der Eule

 
  • Deutscher Titel: Der Schrei der Eule
  • Original-Titel: Cry of the Owl
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  • Regie: Jamie Thraves
  • Land: Kanada/Deutschland/Großbritannien/Frankreich
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Paddy Considine (Robert Forrester), Julia Stiles (Jenny Thierolf), Karl Pruner (Mr. Jaffe), James Gilbert (Greg Wyncoop), Caroline Dhavernas (Nickie Grace), R.D. Reid (Mr. Kolbe), Krista Bridges (Elaine), Gord Rand (Jack Neilson), Arnold Pinnock (Detective Anderson), Bruce McFee (Detective Lippenholtz), Peter MacNeill (Sam Rhodes), Jennifer Kydd (Susie Escham)


Vorwort

Robert Forrester ist brillanter Designer in der Luftfahrtindustrie, arbeitet aber in der Provinz – er ist zwar clever und smart (hähä), aber kontaktscheu, depressiv und lebt in Scheidung von seiner Frau Nickie, einer attraktiven, aber selbstsüchtigen Ziege. Kurze Momente des Glücks findet er nur im Stalking der hübschen Jenny, die in einem abgelegenen Waldhaus lebt und die er im Schutze der Dunkelheit bei ihren Alltagsverrichtungen beobachtet, bis Jenny ihn eines Abends ertappt. Wider Erwarten schlägt sie ihn nicht mit einem Nudelholz in die Flucht oder holt die Cops, sondern lädt ihn auf ein Gespräch und eine Tasse Kaffee ein. Schon bald muss Robert merken, dass Jenny, obwohl sie mit dem jungen, impulsiven Greg einen regulären Boyfriend am Start hat, sich zu ihm hingezogen fühlt. Die Rollen werden vertauscht – nunmehr drängt sich Jenny ungefragt in sein Leben, taucht an seinem Arbeitsplatz und bei ihm zuhause auf. Robert versucht sich die stalkende Gestalkte durch Verweis auf einen gerade erst überwundenen Nervenzusammenbruch und subsequente Psychoschramme vom Leib zu halten, aber Jenny lässt nicht locker, bis der Klügere (in dem Fall Robert) so lange nachgegeben hat, bis er der Dümmere ist. Abgesehen von Jenny kommt die neue Beziehung aber nicht wirklich an – Jennys beste Freundin Susie hält Robert für einen „creep“ und Greg, nunja, der verkraftet es wirklich nicht gut, für einen älteren Typen abserviert zu werden. Eines Nachts fordert Greg Robert zum Kampf – ein Glückstreffer befördert Greg gesichtsabwärts in den Fluß. Robert zerrt den Bewusstlosen ans Ufer und geht stiften, nur um wenig später von der Polizei verhört zu werden, denn Greg ist verschwunden und wird, angesichts der wenig aussagekräftigen Faktenlage, sicherheitshalber für tot gehalten, mit der einzigen Frage, ob Robert ihn – absichtlich oder nicht – getötet oder Greg in gekränkter Machoehre den Freitod gesucht hat. In einer kleinen Stadt bleibt so eine Geschichte natürlich nicht unter dem Teppich; als Städter eh schon Außenseiter, wird er nun offen angefeindet, in der Firma wird seine Beförderung rückgängig gemacht und er von der Arbeitserbringung freigestellt. Robert ist überzeugt, dass Greg noch lebt, auch nachdem im Fluß eine aufgeschwemmte Leiche gefunden wird, deren Identifizierung einige Zeit in Anspruch nimmt. Jenny allerdings distanziert sich emotional von Robert, der eine gesunde Paranoia entwickelt, als er herausfindet, dass Greg vor seinem Verschwinden mit Nickie Kontakt aufgenommen hat. Aber das ist nur ein weiterer Schritt in den Strudel aus Gewalt und Tod, in den Robert auswegslos hineingezogen wird…


Inhalt

In dieser Welt voller hektischer, von ADS-Geschädigten inszenierten 200-Schnitte-pro-Sekunde-Filme, gibt es sie tatsächlich noch – die auf eine angenehme Art und Weise altmodischen Streifen, die sich Zeit für ihre Charaktere, ihr Set-up und ihren Plot nehmen. Sie gehen im Allgemeinen gnadenlos unter, weil die Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Filmkuckers heute eben maximal 20 Sekunden zu betragen scheint, aber das Schöne an der neuen, hochtechnisierten Welt ist ja andererseits, dass solche behutsam aufgebauten Werke ihr Publikum zur Not auf DVD finden können. Womit wir beim Thema und „Der Schrei der Eule“ wären, der, obwohl brandaktuell und sogar deutsch ko-produziert, seine Premiere unauffällig als direct-to-DVD-Release feiert.

„Der Schrei der Eule“ basiert auf einem Roman von Patricia Highsmith, der Großmeisterin des geschriebenen psychologischen Thrillers. Highsmith, deren Trademarks moralisch ambivalente Charaktere und eine Aufweichung des klassischen Gut-/Böse-Schemas und Plot-Doppelbödigkeiten sind, bzw. ihre Romane wurden schon nach der Veröffentilchung ihres ersten Buchs, „Strangers on a Train“, für den Film entdeckt, von keinem anderen als Hitchcock (der allerdings nur die erste Hälfte des Roman-Plots übernahm und sich einen komplett neuen zweiten Part ausdachte – allerdings wären ein „Held“, der – wenn auch unter schlechtem Gewissen – sich auf das vorgeschlagene Mordkomplott tatsächlich einlässt und es durchzieht, und eine schon latent homoerotische Beziehung zwischen den beiden Mördern – Highsmith selbst war Lesbierin und schlug das Thema des Öfteren mal mehr, mal weniger subtil in ihren Büchern an, bereits ihr zweites, unter Pseudonym veröffentlichtes Buch war die Geschichte einer lesbischen Beziehung – wären im Zeitalter des Production Code wohl unmöglich auf die Leinwand zu bringen gewesen). Besonders ihre Reihe um die Abenteuer des amoralischen Tom Ripley interessierte die Produzenten: der französische Thriller „Das Böse unter der Sonne“ von 1960, nach Highsmiths Roman „Der talentierte Mr. Ripey“, gilt als Klassiker und katapultierte Alain Delon in den Status eines Weltstars, Wim Wenders verfilmte 1977 „Ripley’s Game“ als „Der amerikanische Freund“ mit Dennis Hopper. Auch „Der Schrei der Eule“ erlebte schon zwei Verfilmungen, 1987 als französischer Kinofilm von Altmeister Claude Chabrol mit Mathilda May, und im gleichen Jahr als – dem Vernehmen nach ausgezeichnete – deutsche TV-Produktion von Tom Toelle.

Auch wenn Konsens zu sein scheint, dass „Der Schrei der Eule“ nicht zu Highsmiths Meisterwerken gehört, so zeichnet sich das Buch und die, soweit ich das beurteilen kann, weitgehend werkgetreue Verfilmung des vormaligen Videoclip-Regisseurs Jamie Thraves durch die bereits angeführten stilistischen und inhaltlichen Markenzeichen ihres Schaffens aus: komplexe, psychisch mindestens angeschlagene Charaktere, die nicht das sind, was sie auf den ersten Blick vorzugeben scheinen, und die sich in ein unauflösbares, unzweifelhaft tragisches Dilemma hinsteuern, gefangen in einem zum Großteil selbst aufgebauten Netz aus Lügen, Halbwahrheiten, Anschuldigungen und Verdächtigungen – kein Wunder, dass beispielsweise Chabrol, der ja mit Freuden die Abgründe hinter vermeintlich gutbürgerlichen Fassaden durchleuchtete, den Stoff interessant gefunden haben muss (auch wenn die Chabrol-Adaption für eines der schwächeren Werke des Meisters gehalten wird). Sofern man erst einmal die zumindest nicht sonderlich wahrscheinliche Prämisse des Films (dass eine Frau ihren Stalker auf ein Kaffeekränzchen einlädt und sich dann in ihn verliebt) geschluckt, entwickelt sich der Plot mit einer geradezu grausamen Folgerichtigkeit, in der alle Überraschungen und Storytwists schlüssig und nachvollziehbar sind, ohne dass Thraves, der auch das Drehbuch verfasste (das war für ihn eine Herzensangelegenheit – er wollte den Stoff unbedingt machen und musste sich daher an die britische BBC wenden, die die Rechte hält und den Streifen demzufolge als BBC-Produktion präsentiert, obwohl hauptsächlich kanadisches und deutsches – von Studio Hamburg – Geld in die Herstellung des Films floss), alls ausbuchstabieren muss und so manche Frage beabsichtigt unbeantwortet lässt. Aber das unterscheidet eben einen guten Drehbuchautoren und einen guten Stoff von einem inkompenten Drömel und einer Handvoll schlechter Ideen – die GUTEN reihen nicht nur irgendwelche Szenen aneinander, die den Zuschauer mit einem permanenten WTF-Gesichtsausdruck vor Leinwand bzw. Fernsehschirm sitzen lassen, sondern lassen geschickt die ein oder Antwort weg, ohne dass der Film zu einer unverständlichen Chaosorgie wird, sondern vielmehr die Hirntätigkeit des Konsumenten angeregt wird, der eigene Überlegungen, eigene Schlussfolgerungen, eigene Interpretationen anstrengen darf. Ja, ich weiß, diese Schule ist nicht mehr sonderlich populär, seit Michael Bay & Konsorten das Kino beherrschen und dem Publikum (erfolgreich) ins Gesicht brüllen, dass es gefälligst mit zweieinhalb Stunden Explosionen zufrieden sein muss, um so angenehmer ist es dann allerdings, einen solchen „old-school“-Film ansehen zu dürfen, der nicht jedes kleinste Detail aufdröselt und dennoch in sich selbst absolut logisch ist.

In den nächsten Absätzen verbergen sich SPOILER.

„Der Schrei der Eule“ ist in erster Linie ein psychologisches Charakterdrama. Robert ist, Highsmith-typisch, kein blütenweißer Held, sondern ein zutiefst zerrissener Protagonist. Seine Ehe ist in die Brüche gegangen (auch wenn Nickie, seine Frau, eine affektierte, egoistische und zutiefst unsympathische Zicke ist, entnehmen wir der Story später, dass das Scheitern der Ehe letztlich *seine* Schuld war), was ihn psychisch so mitgenommen hat, dass er nunmehr eigentlich völlig beziehungsunfähig und -willig ist. Sein Arbeitskollege Jack versucht ihn zu verkuppeln oder wenigstens in seinen Freundeskreis einzuführen, aber Robert verweigert – er gefällt sich viel zu sehr in seiner selbstgewählten Rolle als leidender Außenseiter. An Jenny hat er kein romantisches oder sexuelles Interesse – er beobachtet sie, weil sie zufrieden und glücklich wirkt, „wie in einem Gemälde“ (Thraves achtet dann auch darauf, dass die entsprechenden Shots von Jenny durch die Fenster ihres Hauses wie Gemälde aussehen), eben die Zufriedenheit und das häusliche Glück zu haben scheint, das ihm nicht vergönnt ist, oder eher „dass er sich selbst nicht vergönnen will“. Auf seine Art ist Robert ebenso egozentrisch und selbstsüchtig wie seine Ex – offenbar haben beide sogar das gleiche Ziel, nämlich sein Leben so unerfreulich wie möglich zu machen, nur, dass es bei Nickie pure Rache für gestohlene Jahre, bei Robert aber Selbstmitleid mit masochistischen Zügen ist. Es fällt zunächst schwer zu glauben, dass Jenny sich zu einer derart kaputten Persönlichkeit hingezogen fühlt, aber wir bekommen schnell mit, dass sie entgegen dem ersten Anschein gar nicht so glücklich und zufrieden ist, sondern selbst eine mittelschwere Schramme mit sich herumträgt. Sie glaubt an Fügungen und Schicksal (ausgelöst durch den tragischen Tod ihres kleinen Bruders zu Kinderzeiten) und demzufolge, dass sie und Robert „aus einem Grund“ zusammengeführt wurden – perfekte Ausrede für eine unsichere, labile Persönlichkeit, eigene Entscheidungen, über deren Tragweite man sich nicht völlig im Klaren ist (hier die Beziehung mit Greg) über Bord zu werfen (Greg wird gleich nach dem ersten Treffen mit Robert von Jenny abserviert), weil’s ja viel bequemer und einfacher ist, sich von einer „höheren Macht“ leiten zu lassen. Im Wissen, dass Robert für sie „bestimmt“ ist, drängt sie in sein Leben, schleppt ihn, ohne ihn wirklich zu fragen, auf Wandertouren mit, besucht ihn zuhause und im Büro, obgleich Robert alles versucht, um ihr begreiflich zu machen, dass er an ihr und überhaupt an einer Beziehung kein Interesse hat (es geht soweit, dass er, als er, von der Arbeit heimkommend und Jenny vor seinem Haus herumlungern sieht, in seinem Auto übernachtet, nur um ihr nicht in die Hände zu fallen), aber es gelingt ihr (letztlich mit dem guten alten weiblichen Mittel des taktisch eingesetzten Tränenausbruchs) ihn in eine Beziehung zu manipulieren – nachdem er mehrfach und mit allen Mitteln versucht hat, aus der Geschichte wieder herauszukommen (als Greg erstmals seinen deutlichen Protest anmeldet, ist Roberts erster Instinkt, einfach zu gehen und Jenny dem eigentlich-nicht-Rivalen kampflos zu überlassen, aber weder Greg noch Jenny lassen dies zu; später versucht er es unter Verweis auf seine Beförderung und Versetzung nach Philadelphia, aber Jenny verkündet nach kurzer Überlegung, einfach mitziehen zu wollen), ist es irgendwann für ihn einfach weniger anstrengend, Jenny an seiner Seite zu haben, auch wenn ihre Freunde ihn rundweg ablehnen und sowohl ihn als auch Jenny dies deutlich spüren lassen). Kurz gesagt – sowohl Jenny als auch Robert sind keine „cookie-cutter-Helden“; sondern schwierige, ambivalente Figuren, die auf der einen Seite sympathisch genug sind, um mit ihnen eineinhalb Stunden Zeit zu verbringen, aber auf der anderen Seite auch „düster“ genug, um ihnen böse Abgründe zuzutrauen (Thraves verweist im Bonusmaterial auch darauf, dass der Film ausschließlich „unreliable narrators“ bemüht, also nicht sicher ist, dass das, was wir im Film sehen, auch das ist, was sich „wirklich“ zugetragen hat).

Denn nach einer bedächtigen, langsamen set-up-Phase müssen wir ja irgendwann auch zu Mord und Totschlag kommen. Zumindest aber zu einem verschwundenen Ex-Freund und dem eigentlichen Thriller-Part – obschon wir *sehen*, dass Robert Greg im Zweikampf nicht umbringt, hat der Film doch schon genügend Zweifel gesät, um verschiedene Szenarien für möglich zu halten (dass Robert zurückgegangen ist, um Greg den Rest zu geben; dass Greg und Jenny, warum auch immer, zusammenarbeiten, um Robert in Verruf zu bringen; dass Jenny die günstige Gelegenheit genutzt hat, um Greg vielleicht auf eigene Faust *endgültig* aus ihrem Leben zu streichen). Roberts fixe Idee, Greg müsse noch am Leben sein, könnte ebenso gut Anzeichen einer Paranoia sein, die Anschläge auf sein Leben könnte z.B. auch Gregs Vater, der nicht weniger impulsiv ist als sein verschwundener Sohnemann, verübt haben, während Roberts Leben förmlich auseinanderfällt – sein eigentlich netter Vermieter will ihn rausschmeißen, seine Firma suspendiert sich, die vermeintlichen Freunde ziehen sich zurück, die Polizei verdächtigt ihn mittlerweile offen des Mordes und verwehrt ihm Personenschutz nach dem ersten Mordanschlag, selbst Jenny geht emotional auf Distanz. Jede Drehung, jede Wendung ist glaubwürdig, ergibt Sinn, schürt Zweifel, lässt Möglichkeiten offen (wenn Robert auf die Anschuldigung, er habe versucht, seine Ex Nickie zu ermorden, zu seiner Verteidigung anführt, nur zufällig mit einem Küchenmesser in der Hand ins Schlafzimmer gekommen zu sein, als die Alte mal wieder stockbesoffen war, ist es schwer, seinen Beteuerungen zu glauben, zu fragil erscheint uns seine Psyche, zumal er vorher Jenny gestanden hat, zumindest Mordgedanken gehegt zu haben).

Die Enthüllungen zum Finale hin sind durchaus überraschend, ohne unvorbereitet oder unlogisch zu sein (zumal der Film dem Zuschauer gegenüber früher die Karten aufdeckt als gegenüber seinen Figuren, i.e. Robert) – EXTREMSPOILER voran. Greg lebt natürlich noch, und er hat sein Verschwinden in Zusammenarbeit mit Nickie organisiert. Für Greg war die Motivation natürlich, Robert loszuwerden, um wieder bei Jenny landen zu können, Nickie hingegen hat rein misanthropische Gründe, alldieweil sie als Rache für die mit Robert verbrachte Zeit einfach nur sein Leben zur Hölle machen will. Weder Greg noch Nickie haben geplant, dass die Angelegenheit derart außer Kontrolle gerät (Jenny nimmt sich rechtzeitig vor dem Schlussakt das Leben, überzeugt davon, dass Robert ein ihr vom Schicksal zugetriebener Todesbote ist; Greg erschießt versehentlich den Nachbarn, der Robert freundlich aufgenommen hat) – auch das für Happy-End-Fetischisten unbefriedigende Ende ist schlüssig; zu guter Letzt muss Robert akzeptieren, dass es ursächlich *seine* Stalker-Aktion war, die die Ereignisse in Gang gesetzt hat, und auch wenn er im juristischen Sinne an allen Bluttaten des Films unschuldig sein mag, so geht ihm in den letzten Einstellungen auf, dass er sehr wohl moralisch verantwortlich ist.

SPOILERENDE

Wie gesagt – es ist ein charakterlastiges Script, das nicht viel an kinematischer „Action“ beinhaltet (es gibt ein paar Faustkämpfe, die Attentate auf Roberts Leben aus dem Hintergrund und im Finale wird’s kurz mal etwas härter und blutiger), es wundert nicht, dass Thraves den Streifen ausgesprochen „europäisch“ inszeniert und in der Tat das Endprodukt manchmal an eine etwas glatter polierte Ausgabe der eleganten französischen Thriller Marke Chabrol erinnert. Thraves, der für einen Videoclip-Regisseur (u.a. für Blur und Radiohead tätig) überraschenderweise kein Problem mit langen, elegischen Einstellungen und einer bewusst ruhigen Erzählweise hat, komponiert stimmige, schöne Bilder und hält den Streifen in einem sowohl optisch als auch erzählerisch angemessenen Rhythmus, der einerseits erfreulich unhektisch (und damit unmodern) ist, andererseits allerdings nie vergisst, unterschwellige Bedrohlichkeit und Düsternis aufzubauen – Caroline Dhavernas sagt im Begleitmaterial sehr richtig, dass „Der Schrei der Eule“ seinen Figuren keinen einzigen leichten, „hellen“, „glücklichen“ Moment gönnt und Thraves setzt diese latent unheimliche, düstere Stimmung sehr adäquat um; bemerkenswert für einen Regisseur, der erst seinen zweiten abendfüllenden Spielfilm vorlegt. Obwohl Thraves vor allem in seinen Kurzfilmen Stilmittel und Themen der nouvelle vague verarbeitete, verzichtet er (für meine Begriffe dankenswerterweise) darauf, den handwerklichen/visuellen Stil für „Der Schrei der Eule“ zu emulieren; sicherlich ist die Thematik (Entfremdung, psychische Isolation, Beziehungsunfähigkeit) der nouvelle vague nicht fremd, und möglicherweise wäre auch eine konsequente nouvelle-vague-Interpretation des Stoffs reizvoll, aber mir scheint für einen als Unterhaltungsfilm konzipierten Streifen die klassische Herangehensweise sinnvoller (Chabrol, der ja auch zu den Begründern der nouvelle vague gehört, ist mit seinen Werken ja mittlerweile eindeutig im Mainstream angekommen und setzt Zugänglichkeit über Radikalität). Speziell in den zahlreichen Nachtszenen überzeugt die Optik (die Kamera schwang mit Luc Montpellier ein bislang international eher unbekannter Kanadier), die Spannungsschraube wird von Thraves (wenn man nicht von den letzten, sagen wir mal, dreißig Jahren Blockbuster-Kino verzogen wurde) unmerklich, aber auch unwiderstehlich angezogen. Jeff Danna („The Boondock Saints“, „Resident Evil: Apocalypse“, Silent Hill, und lustigerweise auch Beschaller der lang auf Halde liegenden Highsmith-Verfilmung „Mr. Ripley und die Kunst des Tötens“ mit Barry Battlefield Earth Pepper als Ripley) steuert einen unauffälligen, aber stimmungsförderlichen Score bei.

Letztlich ist ein Stoff wie dieser aber natürlich Schauspielerkino und der Cast, der sich nicht gerade aus Hollywoods (oder Europas) A-Liste rekrutiert, schlägt sich formidabel – gerade Paddy Considine („Das Bourne Ultimatum“, „Hot Fuzz“) legt enorm viel glaubwürdige Emotion in seinen Robert Forrester, was ihm durch dezente Mimik, kleine Gesten, überzeugende Körpersprache gelingt, eine große Vorstellung. Julia Stiles (O, „Save the Last Dance for Me“) fällt ein wenig, aber nicht sehr, ab – das Fragile, Empfindliche ihrer Jenny bringt sie zumeist überzeugend auf den Punkt. James Gilbert, der im anstehenden sechsten Teil der „Saw“-Reihe amtieren wird (jetzt mal ehrlich – braucht irgendjemand „Saw VI“, wenn das Franchise mittlerweile soweit runtergekommen ist, dass Costas Frickin‘ Mandylor der „name star“ des Streifens sein wird?), bringt den impulsiven Greg, der ja auch kein klassischer Bilderbuch-Schurke ist, auf den Punkt, Caroline Dhavernas („Wonderfalls“, „Hollywoodland“) ausgezeichnet als Roberts zickige Ex. Der Rest des Casts, der sich größtenteils aus kanadischen Akteuren aus der zweiten Reihe zusammensetzt, legt sich ordentlich ins Zeug, es gibt keinen, der abfällt, auch nicht in den kleinen, „unwichtigeren“ Rollen.

Bildqualität: Ascot Elite legt den Streifen in sauberem, fehlerfreien anamorphen 2.35:1-Widescreen vor. Der Print lässt speziell die kühlen Nachtszenen sehr gut zur Geltung kommen, solide Schärfewerte, ab und zu ein wenig grobkörnigeres Bild, sehr guter Kontrast, keine Verschmutzungen, Defekte oder Störungen.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton in Dolby Digital 5.1 steht zur Auswahl, optionale deutsche Untertitel sind vorhanden. Die englischsprachige Tonspur ist ausgezeichnet ausgefallen, sehr differenziert gemischt und absolut klar.

Extras: Neben einem recht ausführlichen Promo-Making-of mit zahlreichen Interviews mit Cast und Crew findet sich der Trailer, eine Kurzbiografie von Patricia Highsmith sowie eine ausführliche Trailershow (die sich allerdings auch vor dem Hauptmenü abspult).

Fazit: „Der Schrei der Eule“ ist ein Film, dem ein breites Publikum höchstwahrscheinlich verschlossen bleiben will, zu sehr pflegt Thraves (erfreulicherweise) die Traditionen des europäischen Erzähl- und Charakterkinos, verlangt vom Zuschauer Geduld und den Willen, sich auf schwierige, nicht von Haus aus klar definierte und vorgekaute Charaktere einzulassen. Wer diese Voraussetzungen mitbringt, wird mit einem ebenso „altmodischen“ wie gelungenen Psychothriller gewohnt, der Fans von Chabrol und auch der klassischen Hitchcock-Thrillodramen wie Öl runter gehen müsste. Der Streifen ist nicht perfekt – bei allem Verständnis für den langsamen Erzählrhythmus könnte die Auftaktphase ein wenig flotter sein, Thraves verrät die Auflösung des Mysterys für meine Begriffe etwas zu früh (auch wenn es nicht der entscheidende Punkt der Charakterstory ist) und Julia Stiles Performance ist – allerdings auf gehobenem Niveau – ein wenig uneinheitlich, aber insgesamt für den erst zweiten abendfüllenden Spielfilm seines Regisseurs eine mehr als nur ordentliche Hausnummer. Wer von seinem Thriller, übertrieben gesprochen, zehn Tote pro Viertelstunde, ganglienverknotende, aus dem Rektum gezogene Plottwists und graphische Gewalt erwartet, sollte „Der Schrei der Eule“ tunlichst stehen lassen, aber wer noch ein Herz für packende psychologische Thriller und Charakter-/Schauspielerkino hat, kann eine echte Entdeckung feiern.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


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