Der Mann, der sich in Luft auflöste

 
  • Deutscher Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste
  • Original-Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste
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  • Regie: Peter Bacso
  • Land: BR Deutschland/Schweden/Ungarn
  • Jahr: 1980
  • Darsteller:

    Derek Jacobi (Martin Beck), Judy Winter (Aina Mattson), Tomas Bolme (Ake Gunnarsson), Thomas Oredsson (Alf Mattson), Ferenc Bács (Major Szluka), Lasse Strömstedt (Leutnant Kollberg), Helena Brodin (Mrs. Beck), Marianne Aminoff (Mrs. Lindberg), Sándor Szabó (Mr. Sós), Kjell Bergqvist (Stenström), Ake Lagergren (Kristiansson), Kriztina Peremartoni (Ari)


Vorwort

Anfang der 80er – Alf Mattson, Reporter des rechtskonservativen Boulevardblatts Aftonpresson, begibt sich auf eine Dienstreise nach Budapest. Dort allerdings verschwindet er spurlos. Sein stramm antikommunistischer Chefredakteur würde nur zu gern einen auflagenförderlichen Politskandal aus der Affäre machen, also schaltet sich das Außenministerium, das sich freut, mit den Ungarn gerade ein entspanntes Verhältnis aufgebaut zu haben, ein und fordert den besten Mann der Stockholmer Kriminalpolizei ein – Kommissar (hier allerdings „Inspektor“) Martin Beck, der Mattson lebendig oder tot (soweit es sich um ein handelsüblich-unpolitisches Verbrechen) blitzartig heranschaffen soll.
In Stockholm kommt Beck nicht weiter – mehr, als dass Mattson trinkfest (oder auch nicht) war und seine getrennt lebende Ehefrau justament zum Ausklang seiner Geburtstagsfeier (unmittelbar vor seinem Abflug nach Budapest) die Scheidung verlangte, bekommt er nicht raus. Also reist er nach Budapest, um dort „unoffiziell“ zu ermitteln. Schnell bemerkt er, dass er auf Schritt und Tritt beschattet wird – die ungarische Polizei hat ein Auge auf Gäste aus dem kapitalistischen Ausland (was es um so wunderlicher macht, dass Mattsons Verschwinden die Kommis nicht weiter juckt, so lang er sein Visum nicht überzieht. Ich weiß, dass Ungarn der liberalste Ostblockstaat war, womöglich gesellschaftlich sogar liberaler als heutzutage, aber irgendwie kaufe ich *das* nicht), doch nach dem Ausräumen gewisser Missverständnisse erweist sich Becks Budapester Kollege Szluka als zumindest nicht ausnehmend obstruktiv.
Beck stößt auf Ungereimtheiten – der Portier des Hotels merkt an, dass Mattson sich beim Verlassen des Hotels seltsam verhalten habe, und Ari, das Mädchen, das Mattson angeblich kannte, streitet ab, den alten Schweden jemals gesehen zu haben, nur um sich Beck wenig später als potentielle Bettgefährtin aufzudrängen. Als Beck von einer Schlägerbande verprügelt und nur mit Müh und Not von Szluka gerettet wird, kristallisiert sich heraus, dass Mattson offenkundig in Drogengeschäfte verwickelt war. Aber ist das wirklich schon des Rätsels Lösung? Wessen Leiche hat man dann aus der Donau gefischt und warum ist der Pass eines amerikanischen Hotelgasts verschwunden?


Inhalt

So, für die nächsten paar Tage ist das das letzte kulturell wertvolle Review… Krimikost aus Schweden ist ja seit einiger Zeit durchaus „in“, speziell in geschriebener Form, seit dem spektakulären Erfolg der Wallander-Romane von Henning Mankell, und in der Tat haben die Schweden das Schreiben packender, und dabei irgendwie immer real anmutender Thriller (wenn man jetzt mal von den sehr wohl kritisierbaren Stig-Larsson-Romanen absieht) offensichtlich sprichwörtlich erfunden und einen ganz eigenen, oft imitierten, aber nie erreichten Stil aus skandinavisch-kühler Distanziertheit, mitreißenden Charakterstudien und raffiniert konzipierten Mysterys geprägt, der selbstverständlich auch Film- und Fernsehproduzenten aufmerksam machte (auch wenn die Storys nicht unbedingt einfach zu verfilmen sind, gerade bei den Wallanders – ich gebe zu, ich hab keinen der Branagh-Filme gesehen und weiß daher nicht, wie die das handhaben – läuft viel auf der „internen“ Schiene).
Zu den Klassikern des Schwedenkrimis gehören die Kommissar-Beck-Romane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö (der als Einzeltäter auch die literarische Vorlage zu „Kamikaze 1989“ verantwort) und die erstmals 1967 im heimischen Schweden für die Leinwand adaptiert wurden („Schlafwagenmörder“). 1973 adaptierte Hollywood mit dem in die USA verlegten „Massenmord in San Francisco“ einen Beck-Roman (die amerikanisierte Rolle des Ermittlers „Jack Martin“ übernam niemand geringeres als Knautschgesicht Walter Matthau), sogar in der Sowjetunion wurde 1980 eine Beck-Verfilmung („Nezakonchenyy uzhin“) aufgelegt – die populärste Inkarnation des Stockholmer Kriminalen sind aber vermutlich die insgesamt sechs Filme, in denen Gösta Ekman 1993/94 in die Rolle des Ermittlers schlüpfte und die mittlerweile 26 abendfüllende Episoden lange Serie „Kommissar Beck – Die neuen Fälle“, die teilweise nicht mehr auf Romanvorlagen basiert und ein wenig ironischerweise zu den Schlagern im Programm des ansonsten eher auf Splatter und Trash gebuchten Nischenlabels CMV gehört (Peter Haber spielt in dieser Serie den Beck).

Heutzutage reichlich unbekannt ist eine ZDF-Co-Produktion aus dem Jahr 1980, die sich die damals offensichtlich hervorragenden Beziehungen zum ungarischen Staatsfernsehen (auch die gerade besprochenen Titanic – Nachspiel einer Katastrophe und Die Stunde des Leon Bisquet entstanden mit ungarischer Unterstützung) zu Nutze macht, auch die Schweden mit ins Boot holte und die Titelrolle dann noch mit einem renommierten englischen Mimen besetzte (Derek Jacobi hatte kurz zuvor die vielgerühmte Titelrolle in der noch mehr gerühmten Super-Serie „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“ zum Besten gegeben). Internationalität aller Orten, wobei das ZDF sogar soweit ging, mit Péter Bacsó einen (renommierten) ungarischen Regisseur anzuheuern. Die Aufgabe, den Roman in ein brauchbares Drehbuch zu verwandeln, fiel dem erfahrenen deutschen TV-Autor Wolfgang Mühlbauer („Titanic – Nachspiel einer Katastrophe“, „Die Wächter“) zu.

Jetzt muss ich an dieser Stelle ein Geständnis ablegen – ich hab keinen einzigen Beck-Roman gelesen und bis zu dieser hier auch keine Verfilmung gesehen… ich hab also nicht wirklich eine Vorstellung davon, ob „Der Mann, der sich in Luft auflöste“ als adäquate Adaption aufgefasst werden darf, aber, wie üblich, dann muss es der Film halt im Alleingang richten. Das Script ist recht patent strukturiert – wir beginnen damit, dass wir Mattson und sein Umfeld kennenlernen, ehe er nach Budapest abreist, und machen dann mit Becks Beauftragung weiter; der Kommissar/Inspektor ermittlet zunächst in Stockholm, reist dann selbst nach Budapest, wird dort nicht wesentlich schlauer und kehrt nach Schweden zurück, um den Fall dann dort zu lösen. Beck-Leser wird freuen, dass der wesentliche supporting cast der Romane (also Becks diverse Kollegen) seine Szenen erhält, auch wenn der Fokus der Geschichte (die sich gänzlich auf Becks Recherchen konzentriert und keine Sub- oder Parellelplots aufweist) für einen gewichtigen Teil der Laufzeit auf dem Umstand „Beck allein in Kommi-Land“ gerichtet ist (deswegen hat auch die nominell zweitgebillte Judy Winter verhältnismäßig wenig Screentime).
Ein wenig problematisch ist das arg betuliche Tempo, dass Script (und konsequenterweise die Inszenierung) an den Tag legen; das Script ist begreiflicherweise, da es eben hauptsächlich auf Becks, da in Feindesland tätig, eher vorsichtige Ermittlungen ausgerichtet ist, vergleichsweise arm an Aktion – bis auf den Überfall der Drogengang beschränken sich die Aktionen des Inspektors darauf, relativ ziellos in Budapest rumzulaufen und sich dabei stets bewusst zu sein, verfolgt/beschattet zu werden und da und dort einen Kontakt zu interviewen, der ihm nicht wirklich etwas zur Sache sagen kann oder will. Das Buch erlaubt sich da und dort einen kleinen satirischen Seitenhieb und teilt hier mal eine Spitze gegen den Kommunismus aus (ich sag’s ja, Ungarn war mal richtiggehend liberal), lästert da mal über den Arbeitseifer (bzw. Mangel an ebensolchem) schwedischer Verkehrspolypen, und der zwar einigermaßen vage, aber nicht völlig untreffende politische Hintergrund (die „Presse“ würde gern einen außenpolitischen Skandal provozieren, die Regierung ist auf die Fortsetzung der guten Beziehungen erpicht) ist für einen Film, der auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs entstand, recht pfiffig, ohne aber richtig in die Tiefe zu gehen.
Das größte Hindernis, das der Streifen allerdings überwinden muss, ist, dass Beck – zumindest in der Interpretation von Jacobi – kein sonderlich sympathischer Genosse ist (und seine Kompetenz… naja… wenn er das „Beste“ ist, was Schwedens Polizei zu bieten hat, muss sich Kommissar 00 Schneider um den Titel „Europas bester Bulle“ keine Sorgen machen) – und einen eher obskuren Modegeschmack hat: Tweedjackett und -barett müssten nach meiner Erinnerung eher 1970 als 1980 von der Fashion Police verboten worden sein…

Der Kriminalfall selbst ist einigermaßen im positiven Sinn verwirrend aufgebaut (wobei der Zuschauer stets den gleichen Informationsstand hat wie der Protagonist und wie er versuchen muss, aus den diversen Fakten ein schlüssiges Bild zusammenzubasteln), aber die Auflösung dann vergleichsweise banal (und die Identität des Täters eines der am schlechtesten gehüteten Geheimnisse der Filmgeschichte. Während das „wie“ und „warum“ zumindest noch überraschend bleibt – aber auch, SPOILER voran, weil das ganze Budapest-Brimborium letztendlich nicht wirklich etwas mit der Lösung zu tun hat, sondern nur ein Ablenkungsmanöver des Täters und seines Komplizen war -, liegt das „wer“ spätestens bei der ersten Begegnung Becks mit der betreffenden Person klar auf der Hand.

Von der handwerklichen Seite her ist „Der Mann, der sich in Luft auflöste“ trotz der vielfältigen internationalen Beteiligung nicht gerade Kinoniveau. Klar, an Originalschauplätzen im Ostblock drehen zu können, war 1980 für eine westliche Produktion noch eine absolute Ausnahme, wobei Budapest (der nunmehr schon vielfältig erwähnten Liberalität Ungarns und der relativen Einfachheit, als Tourist dort mal hin zu kommen) nicht diesen Exoten-Bonus aufweisen kann wie ihn die ersten offiziellen „West“-Aufnahmen des Roten Platzes in „Red Heat“ hatten (zumal der Film dann nicht *so* in Sehenswürdigkeiten schwelgt, sondern sich größtenteils auf Markthallen, Hotels und Nachtclubs beschränkt, wie man es vielleicht hätte erwarten können). Bacsó inszeniert die Chose gefällig, mit relativ einfachen technischen Mitteln, aber ohne Verve und – gut, es mag daran liegen, dass es seine einzige West-Produktion ist und der einheimische ungarische Film auch politisch bedingt andere Sehgewohnheiten bediente – mit einer gewissen sozialistischen Behäbigkeit; viele Sequenzen könnten eine deutliche Straffung vertragen, manche Szenen sind ganz unnötig, insgesamt bräuchte der ganze Film an sich einen Tritt in den Hintern – die 105 Minuten ziehen sich doch ganz schön, man hätte den kompletten Plot sicher verlustfrei in 80 Minuten packen können (das betrifft vor allem den Part in Budapest, aber da es ersichtlich der USP der Produktion war, ausführlich ebenda drehen können zu dürfen, ist’s auf der anderen Seite wieder verständlich, dass man aus der Drehgenehmigung so viel wie möglich rausholen wollte).

In Sachen „Gewalt“ gibt sich der Streifen relativ harmlos – zum guten Schluss wird etwas überraschend eine verkokelte Leiche in aller Glorie präsentiert (dabei hatte sich der Film zuvor um die Präsentatoin der Wasserleiche gedrückt), ansonsten aber ist die Angelegenheit in der Hinsicht auf Vorabendkrimi-Niveau – als Ausgleich dafür zeigt uns das ungarische Starlet Kriztina Peremartoni nicht weniger überraschend ihre Brüste (und die sind sehr hübsch anzusehen).

Bemerkenswert ist noch der Score – der stammt von Jazz-Legende Jacques Louissier (Multi-Millionen-Plattenverkäufer mit dem „Play Bach Trio“, von dem unsere Eltern mit tödlicher Sicherheit MINDESTENS eine LP im Schrank stehen hatten) und ist sehr gefällig, mit Ausnahme des recht schauderhaften Titelsongs (da wollte Louissier ob der Schweden-Connection wohl ABBA imitieren und beweist eindrucksvoll, dass ihm Jazz-Variationen auf klassische Stücke oder gleich Improvisationen deutlich besser liegen); den Song schreib Louissier übrigens mit Barry Mason zuständig, der u.a. die Welthits „The Last Waltz“, „Delilah“ oder „A Man Without Love“ co-schrieb.

Zum Cast – Jacobi ist, das ist bekannt, ein exzellenter Schauspieler (und neben Lawrence Olivier der einzige Schauspieler, der in zwei Länder geadelt wurde: in Großbritannien und in Dänemark). In „Claudis“ war er, wie erwähnt, toll (mittlerweile lässt er sich auch zu Kommerzfilmen herab und war u.a. in „Gladiator“, „Underworld: Evolution“ und „Der goldene Kompass“ zu sehen, Kritikererfolge feierte er zuletzt im Oscar-prämierten „The King’s Speech“; außerdem gewann er u.a. zwei Emmys), hier aber findet er m.E. einfach keinen rechten Zugang zu einer Figur. Wie oben erwähnt – ich WEISS nicht, wie Beck in den Büchern geschildert ist, aber Jacobis Interpretation erscheint mir einfach „off“, unsympathisch, schroff, unzugänglich.
Judy Winter, singuläres teutonisches Cast-Mitglied, bekannt aus „Flashback – Das schöne Ende der Welt“, „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, „Liebe ist nur ein Wort“ und zahlreichen TV-Produktionen unterschiedlichster Güte, erledigt einen soliden, insgesamt jedoch eher unspektalären Job (zumal sie, auch das schrob ich schon, relativ wenig Screentime hat).
Tomas Bolme (in Jerry Lewis‘ legendärem unveröffentlichten „The Day the Clown Cried“ dabei, wirklich zu *sehen* in „Die besten Absichten“, „Die Frau mit dem Muttermal“ und „Arn – Der Kreuzritter“) macht sich als Gunnarson recht gut; Thomas Oredsson (Mattson, juxigerweise in zwei Folgen der „Die neuen Fälle“-Beck-Serie mit dabei und in diversen Hakan-Nesser-Adaptionen in wiederkehrender Rolle am Start) ist, solange er noch nicht tot ist, ziemlich lebhaft (hihi); Ferenc Bacs („Gloomy Sunday – Ein Lied von Liebe und Tod“, „Radetzkymarsch“, „Flucht in den Tod“) hinterlässt als ungarischer Polizeichef eine gute Figur, Peremartoni tut dies – wenngleich auf ausgesprochen andere Weise – ebenso.

Bildqualität: Pidax legt den Streifen in intendiertem 4:3-Vollbild vor. Der Print ist eigentlich ganz hübsch ausgefallen – die Farben könnten einen Tacken satter kommen, aber die Schärfe- und Kontrastwerte sind in Ordnung. Gegen Ende geht die Chose allerdings etwas aus dem Leim – es gibt eine brutale Klötzchenorgie und in der Folge (den letzten fünf-sechs Minuten) auch einige Artefakte und Defekte.

Tonqualität: Deutscher Ton in Dolby 2.0 Mono der praktikablen Sorte (einen echten „O-Ton“ dürfte es aufgrund der mindestens vier Nationalitäten im Cast kaum geben).

Extras: Niente.

Fazit: „Der Mann der sich in Luft auflöste“ ist nun nicht gerade der Film, der mich spontan zum Beck-Fan mutieren lassen würde; die ganze Angelegenheit ist für mich einfach eine spur zu gemächlich, zu bedächtigt, zu (großes Wort voraus) europäisch. Die Story reißt mangels echter suspense nicht mit, die Inszenierung ist einfach zu dröge, und die darstellerischen Leistungen hauen mich – trotz der geballten Routine im Cast – vor allem dank des mittelschwer fehlbesetzt wirkenden Derek Jacobi nicht vom Hocker. Das ist alles durchaus professionell, aber leider auch ein wenig langweilig… Kompliment an Pidax für’s Ausgraben solcher unbekannter Titel, dieses Mal war’s halt nix für mich.

2/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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