Der Mann, der sein Gehirn austauschte

 
  • Deutscher Titel: Der Mann, der sein Gehirn austauschte
  • Original-Titel: The Man Who Changed His Mind
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  • Regie: Robert Stevenson
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1936
  • Darsteller:

    Boris Karloff (Dr. Laurience), Anna Lee (Dr. Clare Wyatt), John Loder (Dick Haslewood), Frank Cellier (Lord Haslewood), Donald Calthrop (Clayton)


Vorwort

Die junge und dem Vernehmen nach brillante Chirurgin Clare Wyatt lässt sich, trotz gegenteiligen Rats ihrer Kollegenschar und ihres Fiancées Dick Haslewood darauf ein, dem zwar genialen, aber mindestens etwas exzentrischen Dr. Laurience in dessen privater Forschungseinrichtung irgendwo in der britischen Pampa bei seinen Experimenten zur Hand zu gehen. Laurience lebt abgeschieden, nur in Gesellschaft seines gelähmten Faktotums, dem todkranken und von Laurience irgendwie per Injektionen am Leben erhaltenen Clayton und befasst sich mit der Abspeicherung und Übertragung des Gehirninhalts, des Erinnerungsvermögens, bzw. in der Denke von 1936, der Seele des Menschen. Clare ist skeptisch, muss sich jedoch nach einer überzeugenden Demonstration, in deren Verlauf Laurience den Gedächtnisinhalt eines Schimpansen erst in einen Glasbehälter (!) und dann in ein zweites Affenexemplar transferiert, eines besseren belehren lassen. Währenddessen hat Dick, seines Zeichens Reporter und genervt, dass Clare seine Heiratsanträge entschlossen zurückweist, einen frei erfundenen Sensationsartikel über Lauriences Forschungen geschrieben, der bei Dicks Papa, dem alten Lord Haslewood, Verleger und Wissenschaftsmäzen, sofort das Verlangen auslöst, die Brieftasche zu öffnen und Laurience zu unterstützen. Wider besseres Wissen (und entgegen Claytons Rat) lässt Laurience sich einkaufen. Doch die öffentliche Präsentation seiner Ergebnisse wird zum Fiasko, Laurience wird von seinen Kollegen verlacht und Lord Haslewood, der sich nie wirklich darüber den Kopf zerbrochen hat, WAS genau Laurience eigentlich erforscht, entzieht ihm vergrätzt jeglichen moralischen und finanziellen Support, woraufhin beim gedemütigten Dottore die Sicherungen durchknallen. Ehe Lord Haslewood weiß, wie ihm geschieht, hat Laurience schon seinen „Mentalen Gedächtnisspeicher“ mit dem Claytons vertauscht, und das ist erst der Anfang der bösen Pläne. Ganz töfte wäre es doch, wenn Laurience seinen brillanten Geist in Dicks Körper verpflanz und so ganz legal der hübschen Clare an die Wäsche gehen könnte…


Inhalt

Nachdem in den USA der Production Code das Drehen von Horrorfilmen Mitte der 30er Jahre erschwerte, zog es so manchen Darsteller nach England, wo das Publikum noch erschreckt werden durfte, auch wenn sich die Briten clevererweise, um den Zensoren aus dem Weg zu gehen, sich anstelle übernatürlicher Stoffe an horribel aufgepeppte Krimithriller hielt. Neben Bela Lugosi, der sich z.B. in der Edgar-Wallace-Adaption „The Dark Eyes of London“ versuchte, wanderte auch der gebürtige Engländer Boris Karloff für die ein oder andere Produktion in die alte Heimat aus, Ergebnis der unglücklich betitelte „The Man Who Changed His Mind“ (auch wenn der Titel hübsch doppeldeutig ist und gar nicht so weit neben der Spur liegt, ist seine sprachliche Hauptbedeutung nun mal „Der Mann, der es sich anders überlegte“ und das klingt, seien wir ehrlich, nun nicht gerade nach nervenzerfetzendem Spannungskino – der deutsche Titel „Der Mann, der sein Gehirn austauschte“ ist zwar reißerischer, dafür aber halt sachlich nicht ganz richtig; in den USA wurde der Streifen u.a. als „Dr. Maniac“ und „The Man Who Lived Again“ vermarktet).

Wie der geneigte Leser der Inhaltsangabe bereits entnommen haben wird, ist der Film technisch gesehen eher ein SF- denn ein Horrorfilm, obwohl mit John L. Balderston immerhin einer der wichtigsten Universal-Horrorschreiberlinge („Dracula“, „Frankenstein“) am Script werkelte. Die Herangehensweise der Autoren ist, von der naiven „Wissenschaft“ abgesehen überraschend modern und immer noch aktuell. Dr. Laurience ist kein klassischer „mad scientist“ – ja, er ist dank seines Forschungsgebiets ein Außenseiter, aber ein ernsthafter, von seiner Arbeit und dem potentiellen Segen seiner Entdeckungen überzeugt. Seine kriminelle Ader entdeckt er erst, als er von seinem Förderer Haslewood ungerechtfertigt fallen gelassen wird. Hier zeigt sich eine der frappierendsten Aktualitäten des Films – beinahe wichtiger als die eigentliche SF-/Horrorgeschichte ist, speziell auch aus filmhistorischer Sicht, die Tatsache, dass Balderston und seine Co-Autoren die Macht der Presse kritisch hinterfragen. Verleger Haslewood unterstützt Laurience aufgrund eines solide zusammenfantasierten Artikels ohne sachliche Recherche; Laurience muss davon ausgehen, dass Haslewood weiß, was er finanziert, wenn der schon fragt; tatsächlich ist Haslewood aber vollkommen gleichgültig, was Laurience erforscht, solange es Zeitungen verkauft; als Laurience von seinen Kollegen in der Luft zerrissen wird, ohne dass sich auch nur einer der Gelehrten die Mühe macht, Lauriences Behauptungen zu überprüfen, mit Laurience auch von seinem Mäzen als Scharlatan beschimpft und soll auch über die Zeitung öffentlich demontiert werden. Ein Schelm, wer da nicht Parallelen zu heute noch gern angewandeten, ähm, „journalistischen“ Methoden ziehen will (nein, und ich denke üüüüüberhaupt nicht an eine bestimmte deutsche Tageszeitung mit vier Buchstaben im Titel). Insofern ist es konsequent gedacht, dass Laurience die Hutschnur platzt (heutzutage würde er sich einen teuren Anwalt nehmen und eine Millionenklage anstrengen, damals war man halt noch etwas direkter).

Ein Manko des Wechsels von einer klassischen Grusel-/SF-Story hin zur frühen Medienkritik ist der dadurch notwendige Wechsel der zweiten Hauptfigur neben Laurience. Clare rutscht dem ersten Akt, wenn sich das Geschehen nach London in Haslewoods Institut verlagert, beinahe komplett aus der Handlung und taucht erst im Schlussakt, als Laurience seine körperlichen Gelüste nach ihr verspürt, wieder auf („ersetzt“ wird sie in der Zwischenzeit hauptsächlich durch Lord Haslewood). Immerhin billigt ihr das Script eine sehr moderne Frauenrolle (für das Jahr 1936) zu – sie ist beruflich eigenständig und erfolgreich, widerspricht ihrem Zukünftigen ohne rot zu werden, und darf, in Umkehrung der üblichen Genrekonventionen am Ende sogar noch den Tag (und mehr) retten. Immerhin ist sie auch die einzige klar „gute“ Figur im Ensemble. Dick ist ebenso wenig ein tauglicher Protagonist wie sein Vater, da sie durch ihr Verhalten ursächlich erst zum Ausbruch Lauriences Wahnsinns beitragen.

Die – bis auf die bereits erwähnt hanebüchene Pseudowissenschaft, die „mentale Gedächtnisspeicher“ quasi in Dosen abfüllen lässt (auch wenn die Idee, Geistesinhalt quasi „downzuloaden“ und abzuspeichern, Cyberpunk-Ideen vorwegnimmt) – seriöse und unspekulative Erzählweise bedingt es, dass Freunde gepflegter klassischer Chiller nicht unbedingt auf ihre Kosten kommen – der „Rache“-Part der Story wird konzentriert in den letzten gut 20 Minuten absolviert und auch da fliegen nicht mal im Kontext eines 30er-Jahre-Gruslers „die Fetzen“. Solide Spannung ist aber gewährleistet, dafür sorgt allein schon ein ziemlich raffiniert ausgearbeitetes Ränkespiel des bösen Doktors.

Für ebenfalls erstaunlich un-altmodische humorige Auflockerung sorgt die Figur des Clayton, speziell nach seiner Persönlichkeitsverpflanzung in Haslewoods Körper. Die Szene, in der Clayton ohne die geringste Ahnung von der Materie eine Aufsichtsratssitzung seines Verlags leiten muss, ist auch heute noch wirklich witzig.

Auch filmisch gibt sich der Streifen, inszeniert von Robert Stevenson, einem späteren Disney-Stammregisseur, der u.a. „Käpt’n Blackbeards Spukkaschemme“ und „Son of Flubber“ drehte, geradezu wegweisend modern. Ich erwähnte es schon ab und an – in den 30er Jahren waren die Briten Hollywood technisch und handwerklich enorm voraus. Wo US-Produktionen oftmals noch wie abgefilmte Theaterstücke wirkten, sorgten sich britische Regisseure und Kameramänner, wie auch ihre deutschen Kollegen, um filmische Dynamik, optische Wirkung und storytelling DURCH Bilder. „The Man Who Changed His Mind“ brilliert mit ausgezeichneter Kameraführung, exzellentem Schnitt und einer Klimax-Montage, die schon fast an „Citizen Kane“ denken lässt. Anstelle langer, statischer Shots, regieren kurze, schnell geschnittene Einstellungen, mit einer Fülle von für die Epoche nahezu unerhörten Zoom-Effekten, die für Bewegung innerhalb des Frame sorgen.

Auf der Schauspielerseite agiert Karloff mit vergleichsweise gebremsten Schaum, was aber seine emotionalen Ausbrüche besonders stark wirken lässt. Es ist sicherlich nicht seine beste Rolle, aber eine interessante allemal und Karloff beweist, dass er nicht nur ein exzellenter „Buh“-Mann ist, sondern bei Bedarf auch nuanciert agieren kann. Die weibliche Hauptrolle geht an die spätere Regisseursgattin Anna Lee absolviert ihre moderne Frauenrolle weitgehend souverän – im Mittelpart krankt ihr Charakter an ein paar logischen Brüchen (wieso stellt sie sich auf einmal gegen Laurience, obwohl sie gesehen hat, dass seine Forschungen zum Erfolg führen?), aber das liegt ja nicht an ihr. Nach einer bewegten Karriere im Hollywood-B-Film der 40er wechselte sie später ins Fernsehen und spielte in zahlreichen TV-Serien, u.a. den langlebigen Soaps „General Hospital“ und „Port Charles“. Die eh schon undankbare Aufgabe des leading man, noch dazu eines nicht unbedingt sympathisch gezeichneten solchen, bleibt an John Loder („Sabotage“) hängen. Loder hat nicht viel zu tun und bleibt wenig memorabel – insoweit liegt er etwa auf einem Level mit Universals stock-horror-leading man David Manners. Leben in die Bude bringt das durch das zentrale Plotgimmick untrennbar verbundene Doppel Frank Cellier als Lord Haslewood und Donald Calthrop (englische Version von „Flugplattform FP-1″) als Clayton.

Bildqualität: Von einer Budgetveröffentlichung eines 70 Jahre alten Films erwartet man keine Wunderdinge. Dafür ist das, was das mir bislang unbekannte Label MMP auf Disc klatscht, schon okay. Schärfe- und Kontrastwerte sind nicht überragend, aber brauchbar, der 4:3-Print ist weitgehend frei von Verschmutzungen oder Artefakten. Sicher ist das Bild insgesamt etwas soft und verwaschen (und neigt an manchen Stellen zu Farbverfälschungen), aber für die Preisklasse in Ordnung, wenn man sich vor Augen hält, was Konsorten wie Best oder Madison allen Ernstes veröffentlichen…

Tonqualität: Man darf ja schon begeistert sein, dass MMP neben einer (verdächtig neumodisch) klingenden deutschen Synchro auch den englischen O-Ton mit auf die Scheibe pressen lässt. Dem merkt man zwar sein reifes Alter zwar durchaus an, aber trotz Knarzen und Grundrauschens ist das immer noch anhörbar. Die deutsche Sprachfassung ist in den Dialogen superklar.

Extras: Kein Fitzelchen. Aber das haben wir auch nicht erwartet.

Fazit: „Der Mann, der sein Gehirn austauschte“ ist ein kompetent gemachter, sowohl formal als auch inhaltlich überraschend moderner B-Thriller, der nicht alleine abhängig von Karloffs Screenpräsenz ist. Die kaum verhüllte Medienkritik hilft dem Plot über die naive Pseudo-Wissenschaft hinweg, die Schauspieler sind größtenteils gut aufgelegt und die Production Values sind ordentlich (auch wenn der Film über keinerlei Spezialeffekte verfügt). Freunde klassischen Genre-Kintopps sollten zuschlagen, wenn ihnen diese Scheibe für’n sprichwörtlichen Ex-Heiermann auf dem Grabbeltisch über den Weg läuft. Eine kleine Entdeckung!

4/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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