Der Gejagte

 
  • Deutscher Titel: Der Gejagte
  • Original-Titel: Affliction
  •  
  • Regie: Paul Schrader
  • Land: USA
  • Jahr: 1997
  • Darsteller:

    Nick Nolte (Wade Whitehouse), Sissy Spacek (Marge), James Coburn (Glen Whitehouse), William Dafoe (Rolfe Whitehouse), Mary Beth Hurt (Lillian), Jim True (Jack Hewitt), Marian Seldes (Alma), Holmes Osborn (Gordon Lariviere), Brigid Tierney (Jill)


Vorwort

In der tiefsten verschneiten Provinz New Hampshires verrichtet der verbitterte Dorfcop Wade Whitehouse seinen trostlosen Dienst – den Schneepflug fahren, im Falle des Falles von Strafhandlungen beide Augen zudrücken usw. Seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen, seine Tochter, die er über alles liebt, ist ihm entfremdet. Ein wenig Zuspruch findet er höchstens bei seiner Geliebten Marge. Just, als ihn zu dem ganzen Elend noch höllische Zahnschmerzen plagen (and I can relate to that, I assure you), überschlagen sich die Ereignisse – der Gewerkschaftsboss Twombley kommt bei einem Jagdunfall ums Leben und Wades tyrannischer und gewalttätiger alter Herr hat – mehr versehentlich, aber trotzdem – seine Frau erfrieren lassen. Für Wade, der sich, als hätte er nicht genug um die Ohren, auch noch in den Kopf gesetzt hat, seiner Frau das Sorgerecht für die Tochter entziehen zu lassen, ein bißchen zu viel auf einmal. Erst recht, nachdem einige Indizien dafür zu sprechen scheinen, dass Twombleys Tod kein Unfall war. Tatsächlich bestehen ungereimte Verbindungen zwischen Twombley, dessen widerlichen Schwiegersohn Gordon und Wades Boss. Wade ist überzeugt davon, dass letztere beiden seinen Freund Jack dazu benutzt haben, einen unliebsamen Mitwisser aus dem Weg zu schaffen… sein hartnäckiges Streben, eine Verschwörung aufzudecken und seine zunehmende Aggressivität führen geradewegs in eine Katastrophe.


Inhalt

Paul Schrader macht keine irgendwie ganz netten Filme – egal, ob das jetzt seine Drehbücher als auch die von ihm selbst inszenierten Streifen angeht. „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“, „Katzenmenschen“, „Light Sleeper“ sprechen da eine deutliche und eindeutige Sprache. Schrader gehört zu der Generation Filmemacher wie Scorcese (kein Wunder, dass die beiden auch mehrmals zusammenarbeiteten) und ist spezialist für verstörende, pessimistische und persönliche Zustandsbeschreibungen. Ein Romanvorlage von Russell Banks (nach einer solchen entstand auch Atom Egoyans bemerkenswerter „Das süße Jenseits“) muß Schrader daher wie gerufen gekommen sein – denn seiner zweifellos eher düsteren, pessimistischen und wenig lebensfrohen Weltsicht entspricht die Story allemal. Schrader, der das Buch natürlich selbst adaptierte, gelingt es auch über weite Strecken, aus den abweisenden, kaputten und zerbrochenen Charakteren der Vorlage glaubhafte und beinahe sympathische Figuren zu machen. Wobei man eins verstehen muß – die Inhaltsangabe läßt zunächst auf einen „Gebeutelter Bulle ist ein letztes Mal auf dem Gerechtigkeitstrip“ a la „Copland“ schließen, aber die Thrillerhandlung ist vergleichsweise oberflächlich und nicht wirklich bedeutsam – „Der Gejagte“ ist vielmehr das Psychogramm eines Verlierers, eines beziehungsunfähigen Einzelgängers, der praktisch gleichzeitig seine Familie, seine Arbeit und damit seinen Lebensinhalt verliert – eine deprimierende Feldstudie im Rahmen einer (nicht uninteressanten, aber vom Film selbst auch untergeordnet verfolgten) Krimi-Handlung.

Stilistisch erinnert „Der Gejagte“ allein schon durch sein winterliches Setting an die Coen- bzw. Raimi-Thriller „Fargo“ und „Ein einfacher Plan“ – wie dort sorgt die schneebedeckte Kleinstadtatmosphäre für ein eigentümliches, gleichzeitig intimes und doch „kaltes“ (har-har) Feeling, wenngleich Schraders Werk der lakonische Humor der beiden anderen zitierten Filme gänzlich abgeht – Schraders Universum ist eins, in dem’s auch in den makabersten Momenten des Lebens nichts zu lachen gibt (dennoch empfiehlt sich „Der Gejagte“ für ein verschneites Triple-Feature). Mit „Fargo“ & Co. gemein hat der Film allerdings das geruhsame Tempo, das dennoch unmerklich die Spannungsschraube immer weiter anzieht – wer mit Nick Noltes Charakter nicht mitleidet, wenn sein komplettes Leben auseinanderfällt und er doch nur versucht Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen, ist ein gefühlskälterer Eisblock als ich (vielleicht liegt’s aber auch nur daran, dass ich in Bezug auf Zahnschmerzen mit Nolte fraternisieren kann) – die Konsequenz, mit der Schrader seinen Protagonisten ins Finale treibt, ist bedrückend und packend.

Auch die Kameraführung ist ausgezeichnet, ebenso die karge, aber stets passende musikalische Untermalung. Nur einen Kunstgriff kann ich einem anerkannten Meister-Drehbuchautoren und gewiss nicht schlechtem Regisseur wie Paul Schrader nicht verzeihen – dass er es für nötig hielt, die Kraft seiner Bilder und der Geschichte durch einen überflüssigen und stellenweise fast peinlichen Voiceover-Erzähler (der Charakter von William Dafoe „Rolfe“, Wades „kleiner“ Bruder) zuzulabern – besonders Rolfes finaler Monolog, der (spoiler ahoi) Wades Durchdrehen mit väterlicher bzw. männlicher Gewalt zu erklären versucht, wirkt einfach nur lachhaft und wäre in einem Ed-Wood-Film besser aufgehoben als in einer ansonten brillanten, als Thriller getarnten Psychostudie.

Die wäre natürlich nichts wert ohne angemessene Darsteller – und ohne Zweifel liefert Nick Nolte hier eine der eindringlichsten Vorstellungen seiner gesamten Karriere (wenn ich jetzt böse wäre, könnte ich behaupten, Nolte, der auch als ausführender Produzent tätig war, habe hier gewichtige eigene Erfahrungen in Sachen gescheiterter Lebensführung einbringen können) – das ist ganz grosses Schauspielerkino seitens Nolte, und James Coburn, die gealterte Bösartigkeit in Person, steht ihm in einer hervorragenden Altersvorstellung in wenig nach. Sissy Spacek ist in ihrer vergleichsweise kleinen und doch wichtigen Rolle der Marge fast ein wenig unterfordert, man wünscht ihr etwas mehr screentime und etwas mehr „meat“ für den Charakter. William Dafoe ist leider nur relativ kurz im Film (wenn man von seinem voiceover absieht) und kann keinen großen Eindruck hinterlassen, das tun dafür auch mit relativ bescheidenen Rollen (hauptsächlich ist „Der Gejagte“ eine Ein-Mann-Show für Nolte) Schraders Ehefrau Mary Beth Hurt als Wades Ex-Frau Lilian und Holmes Osborne („Donnie Darko“) als sein zwielichter Chef.

Bildqualität: MCP gehört zu den Budget-Labeln mit relativ anspruchsvollem Programm (na gut, man darf „Pleasure of Flesh“ nun nicht mit „Crash“ gleichsetzen), aber die würdige Behandlung des veröffentlichten Materials gehört nicht unbedingt zu den obersten Prioräteten des Publishers, so scheint’s. So kommt „Der Gejagte“ in einem 1.66:1-Widescreen-Transfer, der sich maximal ein „guter Durchschnitt“ verdienen kann. Der verwendete Print wurde ganz offensichtlich nicht digital überarbeitet, sondern ist gelegentlich verschmutzt und ein insgesamt doch relativ verkratzt – nicht so, dass es wirklich störend wäre, aber es fällt auf. Das Bild könnte insgesamt auch eine ganze Spur schärfer sein, dafür gefällt die Farbechtheit und der Kontrast bei den vielen überwiegend in weiß (von wegen Schnee) gehaltenen Szenen. Kein übermäßig begeisteretes Fazit, aber im Vergleich zu VÖs wie „Feuerwalze“ aus dem gleichen Label schon fast ein Quantensprung.

Tonqualität: Hier werden wir vom Menü mit der Auswahl zwischen deutschem und englischen Ton überrascht – auf dem Cover ist von O-Ton nicht die Rede und es ist ganz vernünftig, daß man die englische Tonspur schamhaft verschweigt – die ist nämlich schlicht und ergreifend grauenhaft und zum in die Tonne kloppen – ein gruseliger Soundbrei, bei dem die Dialoge in absolut unhörbarem Rhabarber ersticken – kann man von einem grad 6 Jahre alten Film keine Tonspur auftreiben, die sich etwas besser anhört als ein unbearbeiteter Tonfilm aus dem Jahr 1931, der auf einem feuchten Speicher gelagert wurde? Der deutsche Ton (Dolby Stereo ist übrigens konsequent das Maximum, das MCP für seine Releases ausspuckt) ist dagegen für den relativ primitiven Mix gut brauchbar, bietet klar verständliche Dialoge und eine angemessene Abstimmung zwischen ebendiesen, dem Soundtrack und den spärlichen Geräuscheffekten.

Ausstattung: DVDs der 8-Euro-Sparklasse sind selten Special Editions mit Tonnen von Bonusmaterial und da macht „Der Gejagte“ keine Ausnahme. Als einziges kleines Goodie packt MCP vier Trailer aus seinem Programm (allerdings altbekannte, wenn man mehr als eine MCP-Disc im Regal stehen hat) auf die Scheibe.

Fazit. „Der Gejagte“ ist ein ausgezeichnetes, bewegendes melancholisches und weltschmerzhaftes Drama für Leute, die an einer Überdosis guter Laune leiden – ein echter Downer, aber mitreißend gespielt und oft wunderschön anzusehen. Wäre der in jeder Hinsicht pathetische Voiceover nicht, würde ich den Film an Ort und Stelle heiligsprechen – für diese vermeidbare Sünde kassiert Schrader aber Abzüge in der B-Note, was Freunde anspruchsvoller Psychodramen aber nicht von der Investition in die Scheibe abschrecken soll. Bei dem günstigen Preis kann man auch trotz einer insgesamt durchschnittlichen DVD-Präsentation nichts falsch machen, wenn man zuschlägt.

4/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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