Der Geisterzug

 
  • Deutscher Titel: Der Geisterzug
  • Original-Titel: Der Geisterzug
  •  
  • Regie: Rainer Wolffhardt
  • Land: BR Deutschland
  • Jahr: 1957
  • Darsteller:

    Hans-Walter Claesen (Richard), Isolde Bräuner (Elsie), Günther Neutze (Teddie), Manfred Böhm (Charles), Brigitte Rau (Peggy), Käthe Lindenberg (Miss Bourne), Karl-Georg Saebisch (Saul Hodgkins), Otto Stern (Herbert Price), Kurt Haars (John Sterling), Sonja Sutter (Julia), Karl Bockx (Mann am Bahnhof)


Vorwort

rgendwo zwischen Winnipeg und Vancouver ist eine kleine, bunt zusammengewürfelte Reisegruppe per Zug unterwegs – das frischvermählte Ehepaar Charles und Peggy, die länger – und anscheinend nicht mehr ausnehmend glücklich – verheirateten Richard und Elsie, die alte Jungfer Miss Bourne nebst ihrem Kuschelpapagei und Teddie, ein dandyhafter Stutzer, der seinen Mitreisenden durch seine aufdringliche Art erst mächtig auf die Nerven geht und dann dafür sorgt, dass die Herrschaften aufgrund seines leichtfertigen Notbremseneinsatze den Anschlusszug in Brandon verpasst. Das ist insofern blöd, als dieser Bahnhof erstens erst am nächsten Morgen um sieben wieder angefahren wird und zweitens sprichwörtlich am Rektum der Welt liegt – niemand verspürt gesteigerte Lust, einen längeren nächtlichen Fußmarsch zur nächsten Farm zu absolvieren und so lässt Bahnhofsvorsteher Saul Hodgkins die Blase, entgegen seiner tieferen Überzeugung – und den Vorschriften – im Warteraum des Bahnhofs übernachten, doch nicht, bevor er ihnen die örtliche Gespenstergeschichte vom Geisterzug aufgedrängt hat. Vor 20 Jahren stürzte ein Nachtzug in den Red River, weil der Stationsvorsteher aufgrund akuten Herzinfarkts die Drehbrücke nicht mehr rechtzeitig auf „Durchfahrt“ stellen konnte – neun Todesopfer waren zu beklagen, darunter der eigentlich unverletzte Lokführer, der aber nach totalem Verstandesverlust am nächsten Morgen krepierte. Und dieser Zug fährt nun jede Nacht vorbei – und wer ihn sieht, der stirbt, wie z.B. der Landstreicher, der sich vor ein paar Wochen am Bahnhof rumdrückte. Selbstverständlich will die Gruselmär niemand so richtig glauben, aber es reicht, um vor allem die Frauen in einen semi-hysterischen Zustand zu versetzen. Teddies Mannerismen sind auch nicht dazu angetan, die allgemeine Gemütslage zu beruhigen. Als dann Saul Hodgkins tot aufgefunden wird, in exakt der Pose, in der der Stationsvorsteher vor 20 Jahren die Katastrophe auflöste, wird die Situation schon ernster – und als dann auch noch die junge Julia auftaucht (mit Medizinmann Sterling und Verwandtem Price im Gefolge), die über das Kommen des Geisterzuges schwadroniert, ist die ganze Mannschaft dann kurz vor’m Durchdrehen, zumal sich Julias Vorhersagen über den Spuk absolut bewahrheiten…


Inhalt

There’s a spanish train that runs between Guadalcivir and Old Seville… jaja, die Geisterzüge, sie sind immer wieder ein gern genommenes Thema. Kein Wunder, dass sich in der mittleren Kreidezeit des deutschen Fernsehens ein Fernsehspiel dieses Topos annahm und auch kein Wunder, dass die Spezialisten von Pidax selbiges ausgegraben und auf DVD gepresst haben.

Grundlage des Treibens ist das 1923 entstandene Theaterstück von des britischen Schreiberlings und Schauspielers Arnold Ridley, dem man nachsagt, den Ausdruck „Geisterzug“ für den sprichwörtlichen, spukhaften Geisterzug überhaupt erst erfunden zu haben (das Wort hatte vorher, so behaupten es zumindest die Gelehrten, die Bedeutung eines Frachtzuges, der nicht in den Büchern auftaucht – ergo quasi ein „Schwarzzug“). Das Stück, das Ridley, inspiriert davon, dass er selbst auf einem Provinzbahnhof übernachten musste, innerhalb einer Woche schrieb, lief erfolgreich über ein Jahr in London (im dem Theater, in dem heute Agatha Christies „Mousetrap“ läuft) und wurde etliche Male verfilmt – zum ersten Mal als deutsch-britische Stummfilmadaption (gerüchteweise noch von Michael Curtiz begonnen) 1927, dann wieder 1931, 1937 sowohl als Kinofilm als auch als frühes BBC-Fernsehspiel, 1941 in Holland, 1976 in Dänemark und gleich zweimal als deutscher TV-Film, die hier vorliegende 1957er-Fassung der ARD, und 1963 als Bavaria-Produktion für die Emporkömmlinge des ZDF (mit einer ziemlich kompetenten Besetzung übrigens – Benno Sterzenbach, Harald Leipnitz, Michael Verhoeven, Heidelinde Weis…)

Angesichts der Herkunft des Stoffes von der Bühne ist es nicht sonderlich überraschend, dass auch die Fernsehadaption recht „stagy“ daherkommt… zwei-drei Bühnenbilder mit nicht gerade überfrachteter Ausstattung (was aber insofern ganz nett ist, als es keine echten Rückschlüsse darauf zulässt, wann die Plotte spielen soll – in der relativen Gegenwart von 1957? In den 30ern?), die – mal abgesehen von der Eröffnungssequenz im Zug – dem Enseble Bewegungsspielraum lässt. Da ja meist mindestens ein halbes Dutzend Leute in der Kulisse rumsteht, darf die ja nicht so vollgestellt sein, dass die Darsteller sich auf die Füße treten. Kann also die Geschichte an sich überzeugen?

Naja… eher… nicht. Natürlich schreibe ich das mit 55 Jahren Abstand zur Filmproduktion, aber man merkt doch, die Story ist recht altbacken und atmet den Esprit der 20er und 30er Jahre, einer Epoche, in der Filmemacher, um der Zensur proaktiv den Wind aus den Segeln zu nehmen, vermeintlich übernatürliche Geschehnisse regelmäßig als mehr oder weniger eindrucksvolle Tarnung für höchst weltliche Kriminalitäten hernahmen. Das kann funktionieren (nicht unbedingt im Sinne von „eine spannende, schlüssig geschriebene Geschichte ergeben“, sondern im Sinne von „ist unterhaltsam“), wenn man ein paar Leute im Cast hat, die sich des Chargierens nicht schämen (Bela… ich denk‘ an Dich!) und seine vorgetäuschten übernatürilchen Ereignisse wenigstens *interessant* gestaltet. „Der Geisterzug“ macht in der Hinsicht aus heutiger Sicht nicht viel richtig – es dauert viel zu lange, bis wir an der eigentlichen Location, dem Bahnhof, und damit dem eigentlichen Plot sind (bei einem Einstünder ist ’ne fast zwanzigminütige Vorlaufphase schon sehr sehr lang), dann muss erst noch langwierig und per geballtem expository dialogue-Block die Hintergrundgeschichte des Geisterzuges en detail ausgebreitet werden, d.h. bis wir storytechnisch soweit sind, dass wir uns überhaupt vorsichtig an geisterhafte Erscheinungen und Gruselelemente per se wagen können, der Film schon halb vorbei ist – wer nicht mit langer Aufmerksamkeitsspanne gesegnet ist, hat bis dahin vermutlich schon lang aufgegeben. Und auch dann wird es, so leid’s mir tut, nicht sonderlich spannend – die diversen „Spuks“ sind furchtbar unaufregend und explizit nicht-bedrohlich (weil es im Filmsinne die Hintermänner des Spuks nicht darauf anlegen, die Helden umzubringen, sondern sie einfach nur wegschrecken wollen). Das Ende vom Lied – „Der Geisterzug“ ist ungefähr so aufregend wie ’ne durchschnittliche „Scooby Doo“-Folge.

Wenn schon der Plot nicht sonderlich originell ist, könnte er durch interessant geschriebene Charaktere aufgewertet werden, aber auch da ist nicht viel zu wollen – die Frauen sind hysterisch, doof (gerne in Personalunion) oder so uninteressant, dass man nicht mal merkt, dass sie überhaupt da sind, die Männer streitsüchtig oder nervig; auch der zweite Schwung Figuren (Julia und ihre „Betreuer“) ändern da nicht viel. Julia bringt durch ihre Spukprophezeihungen ein wenig dringend benötigen Drive ins Prozedere, doch, wie schon gesagt, der prophezeite Spuk zieht halt die protoplasmatische Wurst nicht vom metaphysischen Teller. Den Schuh müssen sich dann auch die Drehbuchautoren anziehen – Helmut Pigge („Bei Anruf – Mord“, „Achtung Zoll!“, „Mord nach der Oper“) und Rainer Wolffhardt (auch der Regisseur der ganzen Angelegenheit, „Besuch aus der Zone“, „Biedermann und die Brandstifter“, „Pater Brown“) bringen keine eigene Ideen ein, sind damit zufrieden, das wiederzugeben, was schon 1957 nicht mehr clever, pfiffig oder spannend war.

Wolffhardt wird als Regisseur zumindest ein klein wenig von Kameramann Fritz Moser („Nonstop Nonsens“, „Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse“) gerettet, der für einen deutschen Fernsehfilm aus den 50ern mit einigen recht innovativen Perspektiven und Winkeln überrascht. Das macht die Sache freilich nicht wesentlich spannender, setzt aber wenigstens das ein oder andere visuelle Ausrufezeichen. Wenn der Film ab und zu aus sich heraus und ein Darsteller vor die Bahnhofstüre auf den Bahnsteig geht, kommt sogar gelegentlich dank der netten Studio-Atmosphäre der Exteriors eine beinahe unheimliche Stimmung auf – too little, too late, atürlich, aber zumindest ein Indiz dafür, dass man aus Setting und Grundidee mit ein bisschen Mut zur Kreativität und dem Willen, sein Publikum entweder wirklich zu erschrecken oder durch ein bissl Body Count wenigstens anzuspannen, keinen großen Klassiker, wenigstens jedoch einen soliden kleinen Mysterythriller auf die Beine hätte stellen können (auch, weil der Film – unüblich für ein altes Fernsehspiel – sogar eine ganz stimmungsvolle musikalische Untermalung, besorgt durch Heinrich Fleischner, der solches auch schon für ein „Gaslicht“-Remake für die ARD erledigte, aufweist).

Für ein wenig Frohsinn sorgt dann wenigstens noch der Cast. Günther Neutze (Flug in Gefahr, Spuk im Morgengrauen) ist als Dandy Teddie (der allerdings nicht der ist, der er zu sein scheint) sogar eine echte Schau – geradezu kunstfertig, wie er die Nervensäge, der mancher seiner Mitreisenden gerne persönlich den Hals umdrehen würde, verkörpert. Bevorzugt streitet er sich mit Hans-Walter Clasen („Ich bin ein Elefant, Madame“, „Tanzstunden-Report“), der zwar nach Ansicht der Produzenten durch die Augenklappe ausreichend charakterisiert ist, dennoch aus seiner platten, eindimensionalen Figur noch das Maximum herausholt. Manfred Böhm („Der Springteufel“) hätte ich beinahe für Dietmar Schönherr gehalten – ist ein ähnlicher Typ, zu meiner Verteidigung. Böhm hat nicht viel zu spielen, fällt aber auch nicht negativ auf. Isolde Bräuner („Ingrid – Die Geschichte eines Fotomodells“, „Bengelchen liebt kreuz und quer“) ist eher dekoratives Beiwerk, Brigitte Rau („Vater macht Karriere“, „Familie Werner auf Reisen“), die 1979 von ihrem Ehemann, dem Schauspieler Gunnar Möller, im Affekt getötet wurde, macht sicherlich das, was sie soll, ist aber als huschiges, hysterisches 50er-Jahre-Weibchen schon extrem schwer verdaulich (komisch, aber selbst die peinlichsten Hollywood-B-Film-Frauenrollen sind irgendwie würdevoller als das, was unsere Väter und deren Väter an Frauenrollen bereithielten). Die Schurkenfraktion wird vertreten durch Karl-Georg Saebisch („Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, „Der Glückstopf“), ein wenig zu theatralisch-übertrieben, um seinen Charakter funktionieren zu lassen, Kurt Haars („Gino“, „Die Abrechnung“), als Ausgleich dafür ein bisschen sehr blass, und Otto Stern („Percy Stuart“, „Zieh dich aus, Puppe“, „Der Hund von Blackwood Castle“), praktisch nicht wahrnehmbar.Bevor wir zum Schluss kommen müssen, dass ein weiterer Grund für den dramaturgischen Niedergang des Films seine schwachen Schurkendarsteller sind, erinnern wir uns an die zumindest lebhafte und motiviert wirkende Sonja Sutter („Mrs. Cheneys Ende“, „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ [davon gab’s ’nen Film? Wieso weiß ich davon nix?], „Wer erschoss Boro?“ [wer erinnert sich noch an den sort-of-„interaktiven“ Multimediakrimiversuch?]) und sind zumindest ansatzweise versöhnt.

Bildqualität: Dass man keine High-End-Qualität erwarten kann, wenn’s um einen über 50 Jahre alten Fernsehfilm, bei dem’s vermutlich ein reines Wunder ist, dass er überhaupt noch in einer einigermaßen präsentablen Form existiert, dürfte verständlich sein. Der 4:3-s/w-Print ist dann auch sehr weich, grieselig, nicht sonderlich kontrastreich und auch mit einigen Defekten versehen. Grad noch so akzeptabel. Ich zweifle nicht daran, dass Pidax das bestmögliche Material aufgetrieben hat – dass das Ding nicht aussieht wie frisch von der Festplatte gezogen, ist verständlich, aber halt trotzdem nicht voll befriedigend…

Tonqualität: Der deutsche Ton (auf Dolby 2.0 Dual Mono hochgejazzt) ist gleichermaßen zu bewerten – zu Beginn gibt’s sogar zwei-drei kurze Tonaussetzer; das Problem gibt sich zum Glück nach einigen Minuten. Der Rest ist deutliches Grundrauschen und auch ordentlich verrauschte, aber noch erträgliche Dialoge.

Extras: Keine.

Fazit: Es war vermutlich schon etwas naiv von mir zu glauben, hinter dem „Geisterzug“ verberge sich, wenn schon kein echter übernatürlicher Grusel, dann zumindest solide Krimi-/Mysterykost (was „Spuk im Morgengrauen“ oder Schritte in der Nacht als pointierte Kurzfernsehspiele ja durchaus waren) – aber Ridleys Theaterstück wird hier so uninspiriert, so sklavisch nachgeahmt, dass die banale, kreuzbiedere Auflösung noch stärker heraussticht, als wenn autorenseitig die „übernatürlichen“ Elemente etwas verstärkt worden wären. Günther Neutze rockt in der Hauptrolle durchaus die Hütte, dennoch – es ist nicht gerade die alleraufregendste Stunde der Fernsehgeschichte. Dann doch lieber „Die Drei ??? und der Geisterzug“? Hmm….

2/5
(c) 2012 Dr. Acula


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