- Deutscher Titel: Der Duft von wildem Thymian
- Original-Titel: Wild Mountain Thyme
- Regie: John Patrick Shanley
- Land: USA/Großbritannien
- Jahr: 2020
- Darsteller:
Jamie Dornan (Anthony), Emily Blunt (Rosemary), Christopher Walken (Tony Reilly), Dearbhla Molloy (Aoife), Jon Hamm (Adam), Don Wycherley (Chris Muldoon), Clare Barrett (Mary Reilly), Darragh O’Kane (Junger Anthony), Abigail Coburn (Junge Rosemary), Barry McGovern (Cleary) u.a.
Vorwort
Antje Wessels war es, die mich bei Twitter auf ihre Kritik auf ihrem Filmblog Wessels-Filmkritik.com zu einem Film aufmerksam machte, den ich vermutlich freiwillig nie gesehen hätte. Vermeintlich kitschige Romanzen sind nicht gerade mein bevorzugtes Genre, aber als ich das las, was sie zu dem gerade erst im Mai 2021 auf DVD und BluRay erschienenen „Der Duft von wildem Thymian“ schrieb, war mein Interesse schlagartig geweckt. Sie erwähnte Tommy Wiseaus bizarres Meisterwerk „The Room“ im Zusammenhang mit diesem Film und verwendete die – zugegebenermaßen in vielen Fällen nicht zutreffende – Floskel „so schlecht, dass es schon wieder gut ist“, aber das Geschriebene schien tatsächlich zu bestätigen, dass das Prädikat einen wahren Kern haben könnte.
Und dann verarbeitete ich auch noch die illustren Namen, die in ihrem Text vorkamen. Regie führte John Patrick Shanley, der zwar mit „Joe gegen den Vulkan“ (mit Tom Hanks und Meg Ryan) und „Glaubensfrage“ (mit Meryl Streep, Philip Seymour Hoffman und Amy Adams) davor lediglich zwei Filme drehte, aber als Drehbuchautor für „Mondsüchtig“ (mit Cher und Nicolas Cage) 1987 sogar einmal den Oscar mit nach Hause nehmen durfte. Auf der Darstellerliste wiederum tauchen in den tragenden Rollen Emily Blunt („A Quiet Place“), Jamie „Ich ficke … hart“ Dornan („Fifty Shades of Grey“), Jon Hamm („Mad Men“) und nicht zuletzt Christopher Walken („Dead Zone“) auf. Ein hastiger Blick in die IMDb auf die Überschriften und die Bewertungen der Reviews bestätigte mich in der Vermutung, dass uns hier eine richtig hübsche Bombe ins Nest gelegt wurde, die sich auch auf dieser Seite sehr gut machen könnte. Nun ja, und hier wäre sie.
Dabei habe ich ehrlich versucht, den übrigens auf dem auf Shandleys eigenem Stück „Outside Mullingar“ basierenden Film in gewohnter Manier zu sezieren: Jede Szene, jedes erwähnenswerte Detail wollte ich hier vor euch ausbreiten, auch auf die Gefahr hin, dass die Leser auf halber Strecke aufgeben, weil meine Reviews ja sowieso immer viel zu lang und vermutlich in den seltensten Fällen von vorn bis hinten durchgelesen werden. Doch im Fall von „Der Duft von wildem Thymian“ stellte ich fest, dass ich mit dieser Vorgehensweise nicht weit komme. Ich habe mir schlichtweg die Zähne daran ausgebissen, weil es sich um einen Film handelt, den ich in Worten gar nicht so wiedergeben kann, wie ich es will – und deshalb wird die Inhaltsangabe auch deutlich kürzer als gewohnt.
Für einen ersten Eindruck empfehle ich den Trailer, der Ende 2020, als er das Licht der Öffentlichkeit erblickte, für angemessenes Entsetzen bei der gesamten Menschheit sorgte – und damit meine ich explizit den Trailer im englischsprachigen Originalton. Ich schwöre es: Wer nicht gehört hat, wie Christopher Walken einen irischen Akzent zu sprechen versucht, hat nicht gelebt. Ihr fragt: Irisch? Der arme Walken muss Irisch sprechen? Nun ja, er hat auch schon Sizilianer gespielt, und das verdammt gut. Lag es da so fern, dass er eines Tages dazu verdonnert werden würde, einen verschrobenen Leprechaun zu spielen?
Inhalt
Gut, genug der Scherze, ich will hier keinen falschen Eindruck erwecken: Walken spielt hier selbstverständlich keinen Leprechaun, dafür aber den alten Farmer Tony Reilly, der zugleich als erzählende Stimme aus dem Off fungiert. Leider hat Shanley etwas zu oft „Boulevard der Dämmerung“ und/oder „American Beauty“ gesehen, weil Tony aus dem Jenseits zu uns spricht, wie er gleich unzweifelhaft klarmacht, während die Kamera zu elegischer Musik durch die prachtvolle Kulisse Irlands mit seinen zahlreichen Grünflächen und Schluchten fährt: „Ich bin tot.“ Aber er hat eine gute Nachricht: „Es heißt: Wenn ein Ire stirbt, während er eine Geschichte erzählt, kann man sich sicher sein, dass er zurückkommt.“ Iren – die etwas anderen Zombies.
Tony hat – zumindest ganz zu Beginn noch – eine Frau namens Mary, die ihm regelmäßig den Tag versüßt, indem sie mit ihrer glockenhellen Stimme singt. Und er hat einen Sohn namens Anthony, der in seiner ersten Szene als kleiner Steppke zum Fenster geht und in den nächtlichen Sternenhimmel schaut, um die alles entscheidende Frage zu stellen, mit der sich wohl jeder von uns schon auseinandergesetzt hat: „Mutter Natur, warum hast du mich so gemacht?“ Oder eben auch nicht. Außerdem gibt es noch eine zweite Familie, die Muldoons, bestehend aus dem Vater Chris – zumindest ganz zu Beginn noch –, seiner Frau Aoife und der Tochter Rosemary, die etwa im selben Alter ist wie Anthony.
Man kann nicht sagen, dass die Familien Reilly und Muldoon verfeindet wären. Im Gegenteil: Rosemary schwärmt für Anthony, was aber leider nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Anthony möchte nämlich viel lieber das Herz eines anderen Mädchens – Fiona – erobern. Allerdings entpuppt er sich frühzeitig als Tölpel, als er an einer Blume schnuppert und seine Nase mit gelben Pollen bestäubt (Achtung, Plotpunkt – das wird noch wichtig!), womit er Fiona vielleicht erheitern, nicht aber rumkriegen kann. Rosemary beobachtet das mit Argwohn und möchte daher auf ihre Nebenbuhlerin losgehen, hat die Rechnung aber ohne Anthony gemacht, der sie kurzerhand schubst, um damit Pluspunkte bei Fiona zu sammeln. Diese Aktion sehen wir nicht, sondern bekommen sie im Nachgang von Mama Aoife geschildert, die damit zu ihrem Mann geht, der gerade dabei ist, mittels Gewehr ein paar Krähen vom Himmel zu pusten. Chris stellt seine Tochter zur Rede, was denn mit ihr los ist. Die hadert mit ihrem Leben: „Ich habe keine Bestimmung im Leben. Ich bin nur ein Mädchen, und die ganze Welt ist ja voller Mädchen.“ Zur Aufmunterung legt ihr Vater dafür die „Schwanensee“-Schallplatte auf, um ihr eines klarzumachen: „Du bist der weiße Schwan … Du kannst alles tun, was du willst.“ Rosemary nimmt sich das zu Herzen und geht nach draußen, wo sie zu tanzen beginnt und sich, noch während „Schwanensee“ läuft, mittels Zeitsprung in die erwachsene, auf einem Pferd reitende Emily Blunt verwandelt.
Dieser leicht schräge Prolog gibt die Richtung vor, in die der Film abbiegen wird. In Shanleys Kopf mag die Auswahl der Szenen Sinn gemacht haben, sonst aber in keinem einzigen. Die Figuren sprechen Dialoge, die man nicht versteht. Die Figuren machen Sachen, die man nicht versteht. Und wohin die Geschichte mit mir überhaupt hin will, habe ich irgendwann aufgehört, mich zu fragen. Aber weiter im Text: Erzähler Tony greift in die Geschichte ein und gibt sich in der Folge als unentwegt grantelnder Christopher Walken zu erkennen, und ich bin unsicher, ob sein ständiges Geschimpfe über Gott und die Welt seine spezielle Art von irischem Humor ist oder seine pessimistische Weltsicht unterstreichen soll. Wie dem auch sei: Tony geht mir damit ganz gewaltig auf den Wirsing. Sein Sohn Anthony hat indes – durch den Zeitsprung – eine Metamorphose zu Jamie Dornan vollzogen, womit einer Liebesgeschichte zwischen ihm, dem Traum so vieler Frauen, und Emily Blunt nichts mehr im Wege steht. Wenigstens theoretisch.
Zunächst konzentriert der Film sich, wie es scheint, auf eine Familientragödie: Chris Muldoon ist nämlich von dieser Erde abgetreten und hinterlässt Witwe und Tochter. Für Tony und Anthony stellt sich dadurch vor allem die Frage: Wer schießt jetzt die lästigen Krähen vom Himmel? „Chris hat mit seiner Waffe Löcher in den Himmel gerissen“, lacht sich Tony fast den Arsch ab. Aoife, die den beiden Männern kurz darauf Gesellschaft leistet, wird von Anthony etwas zu trinken angeboten, woraus ein für diesen Film typisch bizarrer Dialog entspringt.
Aoife: Aus der Flasche oder Dose?
Anthony: Aus der Flasche.
Aoife: Nein danke, die Flasche schmeckt ja nach Glas.
Anthony: Hat Glas einen Geschmack? Ich denke nicht.
Aoife: Glas schmeckt nach Zähnen.
Aoife eröffnet Tony, dass Rosemary nach ihrem Tod ihre Farm erben werde. Wie aber sieht es mit Tony selbst aus? Nun, der hat noch keinerlei Vorkehrungen getroffen, seine Farm an Anthony zu übergeben. Davon wusste Anthony noch gar nichts, und er reagiert entsetzt. Der Grund für Tonys Zaudern: Anthony ist kein echter Reilly, sondern ein John Kelly, und der sei verrückt gewesen und ertrunken. Wer auch immer John Kelly ist.
Nach dieser Enttäuschung muss Anthony erst einmal frische Luft schnappen. Er gesellt sich zu Rosemary, die eigentlich auch in die warme Stube der Reillys eingeladen war, es aber vorzieht, im strömenden Regen vor dem Haus nachdenklich die Pfeife ihres verstorbenen Dads zu rauchen. Das sich anschließende Gespräch konzentriert sich erst auf die merkwürdigen Geräusche des frisch entwurmten Bullen im Stall nebenan, dann auf Anthonys Kindheitsliebe Fiona. Von der hat Anthony seit den Kindertagen nichts mehr gehört. Behauptet er zumindest, um im nächsten Moment zuzugeben, dass sie bei ihrem Mann mit drei Töchtern wäre. Man sollte annehmen, dass Rosemary und Anthony in all den Jahren zuvor bereits über Fiona und ihren Werdegang gesprochen haben sollten, zumal sie Nachbarn sind, aber dem Drehbuchautoren ist keine geschicktere Möglichkeit eingefallen, das dem Publikum näherzubringen. Dann geht es aber natürlich auch um den Tod von Rosemarys Daddy, und Anthony stellt sich existenzielle Fragen.
Anthony: Wohin gehen wir, wenn wir tot sind?
Rosemary: In die Erde.
Anthony: Und der Himmel? Wozu ist der gut?
Rosemary: Der ist für das Jetzt.
Aoife ist derweil eifrig bemüht, Tony davon zu überzeugen, seinem Sohn die Farm zu überschreiben, aber der hat einfach keine gute Meinung von seinem Sohn: Lahmarschig sei er, und den Ring seiner Frau hätte er ihm auch überlassen, ohne dass er etwas daraus gemacht hätte. Vielmehr hätte Tony gern von Aoife einen Teil des Landes zurück – und zwar das an der Stelle, wo Anthony Rosemary seinerzeit geschubst hatte. Das geht aber nicht, weil das Stück Land Chris zu Lebzeiten an seine Tochter überschrieben hat. Wegen eines von ihrer Farm entlaufenen Pferdes müssen die Muldoons schließlich aufbrechen. „Byebyebyebyebyebyebyebyebye“, verabschiedet sich Aoife repetitiv, weil sich Shanley das verschrobene Iren-Volk vermutlich genauso vorstellt.
Okay, es geht also zentral um den Konflikt zwischen Vater und Sohn um die Erbfolge. Und vielleicht um den Konflikt zwischen den Reillys und Muldoons um Landgrenzen. Und entwickelt sich da am Ende eine Love Story zwischen Rosemary und Anthony?
Rätselhafter Slapstick wartet auf uns, als Rosemary am nächsten Morgen – nachdem sie die ganze Nacht auf den Beinen war, um den entlaufenen Gaul wieder einzufangen – Anthony auf einem See paddeln sieht. Dabei führt er Selbstgespräche und verleiht ihnen mit Luftschlägen mit dem Paddel Nachdruck. Rosemary ruft nach ihm, und er fällt vor Schreck ins Wasser. Höhöhö. Durchnässt kommt er an Land und unterhält sich mit Rosemary. Er offenbart ihr, dass er die Farm eigentlich hasst, aber bleiben will – aus einem ganz bestimmten Grund: „Es sind die grünen Felder und die Tiere, die davon leben. Und dann sind wir da, und wir leben von den Tieren. Darüber ist etwas, das sich um uns kümmert, und das lebt vielleicht von uns. Es hält uns hier.“ Meinetwegen. Anthony rät Rosemary, ihre Farm aufzugeben, weil sie zu anständig sei; er hingegen sei verrückt. Er geht, und Rosemary ist sich sicher: Anthony ist der Mann ihrer Träume. Äh, ja.
Wieder zu Hause befreit Anthony eine Biene (Plotpunkt! Plotpunkt!). Dabei sticht ihm ein Brief ins Auge, mit dem er seinen Vater konfrontiert, denn es ist Post von Tonys Neffen aus den Vereinigten Staaten. Da sich Tony vehement weigert, ihn zu lesen, während Anthony dabei ist, wird der stutzig. Plötzlich werden Kühe eingeblendet (generell verbringt der Film einen auffälligen Teil seiner Zeit damit, Tiere ins rechte Bild zu rücken), und noch plötzlicher schmeißt Anthony eine Fensterscheibe kaputt. Offensichtlich hat sein Vater ihm was erzählt, was er nicht hören wollte. „Such dir endlich ’ne Frau!“, poltert Tony zurück.
Diese Aufforderung nimmt sich Anthony zu Herzen. Wie sich genau jetzt herausstellt, ist er mittlerweile selbst inzwischen total in Rosemary vernarrt, hat es aber bis zu diesem Zeitpunkt über all die Jahre nicht geschafft, ihr seine Liebe zu gestehen (obwohl sie selbst keinen Hehl daraus macht, ihn zu lieben). Um sich Mut zuzureden, probt er einen Heiratsantrag bei einem Esel. Gerade als er sich vor dem Esel niederkniet, lugt die vermeintliche örtliche Klatschbase, ein alter Mann namens Cleary, hinter der Mauer hervor, beobachtet das und missversteht das schräge Schauspiel. „Es stimmt also, du hast den Kelly-Wahnsinn!“, lacht er und ergänzt: „Du hast dich also mit einem Esel eingelassen.“ Peinlich. Anthony läuft Cleary wütend hinterher und läuft dabei fast Rosemary und ihrer Mutter vor den Wagen. Cleary entkommt, und Rosemary stellt Anthony zur Rede, der ihr erzählt, was ihm sein Vater eben erzählt hat: Tony will die Farm an den US-Neffen Adam verkaufen.
Grund genug für Rosemary, selbst wütend zu werden und Tony umgehend zur Rede zu stellen, wie er so etwas auch nur wagen kann. Dabei stellt sie klar, dass sie in Anthony verliebt sei: „Es ist mehr als nur Liebe.“ Für mein Empfinden reagiert Tony darauf entschieden zu ablehnend dafür, dass er ja offensichtlich seit Jahren damit hadert, dass sein Sohn noch keine Frau gefunden hat: „Ganz normal ist er nicht.“ Rosemary wäre aber dazu bereit, notfalls bis in alle Ewigkeiten auf ihren Liebsten zu warten. Und wenn Anthony nie heiraten würde? „Falls das passieren sollte, frier’ ich meine Eier ein!“
Anthony ist fest gewillt, endlich Butter bei die Fische zu geben und Rosemary zu fragen. Deshalb kramt er den Ehering seiner Mutter aus einer Vase hervor – nur um vor dem Tor der Muldoons festzustellen, dass er ihn verloren hat. Das entmutigt ihn nun doch mehr, als ihm lieb ist, und er belässt es lediglich bei ein paar Spannerblicken ins Esszimmer zu Rosemary und Aoife, um dann wieder zu gehen.
Tony schaut eine Bienendokumentation im Fernsehen (Plotpunkt! Plotpunkt!). Anthony kommt ins Wohnzimmer und stellt seinem Vater gegenüber klar, dass er recht hätte: Er werde nie heiraten.
Rosemary fährt am Friedhof vorbei und erblickt dabei Tony Reillys Wagen vor der Kirche. Schnell eilt sie zu ihrer Mutter und berichtet ihr aufgeregt davon. Warum aufgeregt? Nun, weil Tony eigentlich ungläubig ist. Und was bedeutet das nun? „Er kniet da, weil er weiß, dass er Unrecht hat“, sagt Aoife. Ihr merkt, bedeutsame Szene türmt sich auf bedeutsame Szene.
In einer Kneipe wird irische Musik gespielt. Tony ist ebenso anwesend wie Rosemary und ihre Mutter. Die Frauen versuchen, ihm wegen der ganzen Farmgeschichte ins Gewissen zu reden, aber Tony will nur essen. Das kann Rosemary nicht auf sich sitzen lassen: Sie geht auf die Bühne und singt dem Publikum ein Lied – und zwar genau das, das Tonys Frau zu Lebzeiten immer gesungen hatte. Tony kommen die Tränen, und alle um ihn herum singen lauthals mit. „Ich möchte doch nur das Richtige tun“, seufzt Tony.
Nur Anthony hat Besseres zu tun und albert betrunken mit einer blonden Zufallsbekanntschaft herum. Da sie sich niemals wiedersehen werden, gestehen sie sich gegenseitig ihre Sünden und Macken. Sie sagt, sie hätte mal mit einem Priester geschlafen, und auch Anthony hat ein Geheimnis, von dem niemand wissen darf: „Ich habe eine kleine, klitzekleine Winzigkeit in meinem Kopf.“ Er flüstert ihr das Geheimnis ins Ohr. Darüber lacht sie sich halbtot und fällt vom Mauervorsprung, auf dem sie gerade sitzen. Hier tun sich Abgründe auf – und das nicht gerade wenige.
Ich sprach vorhin von diesem dubiosen US-Neffen, an den Tony seine Farm verkaufen möchte. Dieser – Adam mit Namen – kommt anlässlich des Geburtstags von Tony zu Besuch und möchte dabei gleich mal bei einem Teil der Feiergesellschaft punkten, indem er mit einem geliehenen Rolls Royce vorfährt. Auf dem Fest muss sich Adam dann auch umgehend bei den hinterwäldlerischen Iren akklimatisieren und erfährt überdies, dass Anthony sich in einen Esel verliebt hätte.
Nur eine Person, die findet der Ami sofort ganz dufte: Rosemary! Die sitzt auf einer Bank und beobachtet Anthony, der mal wieder seinem Ruf als leicht zurückgebliebenes Dummbrot nachkommt und mit einem Metalldetektor über die Wiesen läuft (um den Ring seiner Mutter zu finden), wobei er sogar einmal stolpert und hinfällt. Adam gesellt sich zu ihr und stellt gleich zwei Dinge klar: a) Sie soll ihm das Stück Land verkaufen, das ihr damals ihr Vater vermacht hatte. b) Sie soll doch mal zu ihm nach New York kommen und dort „König der Löwen“ gucken. Das will aber sie nicht, sie hätte lieber Lust auf Ballett. Auf seine Andeutung hin, dass Anthony was mit einem Esel hätte, reagiert Rosemary empört und lässt ihn allein.
Im Folgenden setzt sich Adam mit seinem Cousin Anthony auseinander. Anthony fragt sich, ob Adam überhaupt Farmer sein und eine Farm besitzen möchte, was der unzweifelhaft bejaht. Dann berichtet der Amerikaner auch ihm, dass er da was von einem Gerücht mit Anthony und einem Esel gehört hätte. Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Vielleicht lache ich, wenn sie den Running Gag noch 57 weitere Male gebracht haben.
In der nächsten Szene stirbt Rosemarys Mutter Aoife. Im Krankenhausflur sitzend ist die Trauer bei den Angehörigen und Freunden groß – bei Tony sogar so sehr, dass er Adam zur Seite nimmt und ihm klar macht: „Ich kann die Farm nicht an dich verkaufen.“ Womit völlig unvermittelt der Punkt „Tony und sein Erbe“ abgefrühstückt wäre.
Der Herbst kommt, und nun steht auch Erzähler Tony kurz vor dem Exitus, worüber ein Schlauch in seiner Nase Rechenschaft ablegt. Wir sind eben schon knietief durch absolutes Kitsch-Terrain gewatet, aber endgültig vor dem Absaufen sind wir mit dieser Szene, in der Tony melodramatisch seine Abschiedsworte haucht und pathetisch noch alles gibt, was er so drauf hat: „Kannst du mir verzeihen? Mein fehlendes Vertrauen, dass du deinen eigenen Weg findest…“ Natürlich kann Anthony ihm verzeihen. „Ich liebe dich, Sohn! Ich kann es nicht oft genug sagen“, schluchzt Tony. „Ich liebe dich, mein Dad“, gibt Anthony schluchzend zurück. Sie umarmen sich weinend. „Du warst ein guter Sohn. Ich vertraue darauf, dass die Liebe dich finden wird.“ Dann lässt Anthony ihn allein.
Somit wären jetzt nur noch Rosemary und Anthony übrig, und der Voice-over-Erzähler Tony gibt keinen Mucks mehr von sich. Eines tristen Herbsttages besucht er sie und bringt ihr Schweine und Schafe vorbei. Sie erkundigen sich gegenseitig über ihre Gefühlswelt. „Es gibt niemanden mehr, der dich beim Lachen erwischt“, bedauert Rosemary. Anthony erzählt ihr von einem Traum, den er hatte. Darin kamen alle vor, die jemals gelebt haben, die Geschichte der Menschheit, und er ging voran und fühlte sich allein. Er schlägt ihr wie vorhin nochmals vor, das Land zu verlassen, und tatsächlich ist sie mittlerweile so weit, dass sie überlegt, eben das zu tun.
Plötzlich setzt wieder die „Schwanensee“-Melodie ein, und Rosemary geht analog zu der Szene, in der sie noch Kind war, aus dem Haus, um zu tanzen. „Ja, heute ist der Tag“, sagt sie laut zu sich – und entscheidet, mal einen kurzen Tagestrip nach New York zu unternehmen, um Adam zu besuchen. „Die Gebäude sehen aus wie Zähne“, stellt sie beim Treffen mit ihm fest. Zwei Karten fürs Ballett hat sie auch vorab bestellt, sodass sie mit Adam dorthin gehen kann.
Wer nun tippt, es handle sich beim Ballett um „Schwanensee“, liegt genau richtig. Rosemary ist von der Vorstellung berührt und weint, zumal sie sich selbst auf der Bühne tanzen sieht. Adam hat mehr Interesse an seiner Begleitung und schaut sie unentwegt an. Beim abendlichen Essen in einem Restaurant wirft er deshalb mit Komplimenten um sich: „Du hast wie eine Göttin ausgesehen. Du bist der weiße Schwan.“ Er fragt sie, ob sie heiraten möchte – generell natürlich und nicht ganz uneigennützig. Und schließlich kommt, was kommen muss: Bei einem Spaziergang am Wasser küsst er sie. Sie erschrickt: „Oh mein Gott, was hast du denn da getan?“ Mehr ist aber nicht. Am nächsten Morgen fliegt sie unverrichteter Dinge, aber offenbar schwer schockiert wieder zurück nach Hause. Womit auch der Nebenbuhler-Plot nach nur drei Minuten abgefrühstückt wäre. Allmählich kommt mir echt der Verdacht, Shandley möchte uns einfach nur kräftig auf den Arm nehmen. Dabei habe ich noch nicht mal das große Finale gesehen, das uns gleich ins Haus steht.
Nach diesem Intermezzo ruft Adam bei Anthony an und kündigt seinen Besuch an, um seine Meinung zu etwas zu hören. Wir hören nicht, was er im Detail zu ihm sagt. Es wühlt Anthony aber derart auf, dass er mit der Faust gegen die Wand schlägt, seinen Regenmantel aus dem Kleiderschrank schleudert, darauf herumtrampelt und ihn anzieht. Schnell den Metalldetektor geschnappt – und los geht die weitere Suche nach dem Ehering von Mama. Mitten in der Nacht.
Rosemary sitzt derweil nachdenklich – von Schuldgefühlen zerfressen? – zu Hause rum, mit dem Kopf auf dem Tisch. Eine Stimme ruft mehrmals: „Anthony!“ Das veranlasst sie dazu, trotz des aufziehenden Gewitters mit ihrem geliebten Pferd nach draußen zu gehen, vermutlich um nach Anthony zu suchen. Die Suche dauert nicht sehr lang, denn da ist er schon. Er will aus nicht unbedingt verständlichen Gründen am liebsten sofort umdrehen, aber zu spät. Da sie zudem ein Pferd mit dabei hat, auf dem sie Anthony notfalls bis zur absoluten Erschöpfung verfolgen kann, muss er schließlich aufgeben.
Damit hätten wir den fulminanten Auftakt zum eben schon angekündigten Showdown erreicht – und ich sage euch: Von diesem Moment an werden Rosemary und Anthony nur noch Dialoge sprechen, die kein Normalsterblicher auch nur zu denken wagen würde. Sie reden gleichermaßen Unfug, wie sie aneinander vorbeireden. Im Prinzip ist das komplette Gespräch, das sie gleich führen werden, samt und sonders zitierfähig.
Und weil das allein nicht reicht, wird der Gesprächsfluss immer wieder unterbrochen durch Adam, der sich auf seinem Flug nach Irland mit seiner Sitznachbarin unterhält. Ihr fällt nämlich auf, dass er gerade Artikel über das kleine Farmer-Einmaleins liest. Das führt dann zu abstrusen Dialogen wie: „Sie sind doch kein irischer Farmer… Sie sehen nicht erledigt genug aus, und Ihre Hände sehen nicht wie Füße aus“ oder auf die Frage, warum es sich die Iren immer so schwer machen: „Na ja, es ist eine Insel. Man will vielleicht keine Aufmerksamkeit erregen.“
Aber der wahre Höhepunkt ist wie gesagt der Dialog zwischen Rosemary und Anthony, die große Konfrontation in Rosemarys Farmhaus sozusagen, bei der am Ende herauskommen muss, dass sie füreinander bestimmt sind. Rosemary will reden, Anthony nicht. Das Unwetter ist mittlerweile in vollem Gange, es regnet und prasselt unaufhörlich. Sie nimmt ihm den Mantel ab, und er ist ganz erstaunt, wie hell erleuchtet bei ihr alles ist.
Anthony: So was! Du hast ja überall Licht an.
Rosemary: Das ist nur dir zu Ehren.
Immer noch ist Anthony unbehaglich zumute, und er drängt zum sofortigen Aufbruch, aber Rosemary hält ihn zurück und überreicht ihm ein Guinness-Bier aus der Flasche. Er will nicht, dass sie sie öffnet, aber sie tut es trotzdem.
Anthony: Na schön, teil es mit mir!
Rosemary: Was? Das geht nicht!
Anthony: Los! Schenk einfach zwei Gläser ein!
Rosemary: Das sagst du nur, damit du deine Zeit hier durch zwei teilen kannst. Du bist ein Dämon, der mich zum Trinken verführt.
Sie stoßen an und schweigen nachdenklich. Anthony hat eine Idee, wie er die Stille unterbrechen kann.
Anthony: Herrgott, hast du ein Seil für mich? Das ist ein perfekter Tag, um mich aufzuhängen!
Rosemary: Soll das ein Witz sein? Denkst du darüber nach?
Anthony: Was? Nein, wieso? Denkst du darüber nach?
Rosemary: Ich denke fast ständig an Selbstmord!
Rosemary gesteht, am liebsten die Schrotflinte ihres Vaters nehmen zu wollen. Sie zeigt ihm sogar, dass sie geladen ist. Sie sei zerfressen von Depressionen, seitdem sie mit dem Rauchen aufgehört habe.
Rosemary: Es ist wie ein Kessel kochendes Blut, das in mir aufsteigt, weißt du? All diese Gefühle.
Anthony: Jesus, dein eigenes Blut hat was gegen dich! Ich kann es sehen.
Rosemary: Es sind nur die seltenen Zeichen vom Himmel, die mir Hoffnung geben.
Anthony: Das, was du hast, ist eine Angststörung …
Rosemary: Ist das der Name dafür?
Anthony: Sicher. Sie überkommt mich auch in Wellen. Das ist gar nichts.
Rosemary: Es sind Gefühle, die plötzlich hochkommen, nicht?
Anthony: Genau! Ganz furchtbar! Gefühle sind nutzlos!
Rosemary: Ich denke, bei einem Mann ist es noch schlimmer. Ich kann es nicht ertragen, wenn ein Mann Gefühle hat.
Anthony (wütend): Einen Mann mit Gefühlen sollte man abknallen!
Rosemary: Soll ich dir mal ein Sandwich machen?
Nach dem Sandwichessen drängt Anthony allerdings zum Aufbruch. Er müsse nämlich seinen Cousin vom Flughafen abholen. Da zuckt Rosemary zurück.
Anthony: Ich glaube, er will sich eine Frau suchen, weil irische Frauen aus besserem Holz geschnitzt sind als die Frauen in Amerika.
Rosemary: Was ist denn mit Mary O’Connor? [WER?!]
Anthony: Ich hätte eher an dich gedacht.
Rosemary: Wieso denn an mich?
Anthony: Nur so. Ich habe gedacht, ich könnte ihn vielleicht einen Blick auf dich werfen lassen, auf deine Schönheit.
Rosemary: Du willst mich also vorzeigen wie ein rosa Kaninchen!
Rosemary schäumt vor Wut, und Anthony unterstellt ihr daraufhin miese Laune. Das will er sich nicht länger antun und sofort gehen, aber dann droht Rosemary mit Selbstmord.
Anthony: Jesus Christus, die Schrotflinte! Was soll das denn heißen? Wenn es so schlimm ist, fang wieder an zu rauchen!
Rosemary: Du möchtest, dass ich wieder rauche, habe ich recht? Fahr zur Hölle!
Anthony: Hey, ich will nicht verflucht werden!
Dennoch hält ihn die Androhung davon ab, das Weite zu suchen. Rosemary bietet ihm ein weiteres Bier an. Er trinkt.
Rosemary: Bist du ein Homosexueller?
Anthony (springt auf): Was?
Rosemary: Bist du schwul? Bist du schwul?
Anthony: Nein! Nein!
Rosemary fragt ihn, warum er sie dann an Adam weiterreichen möchte.
Anthony: Das ist eine solide Idee. Er ist ein feiner Kerl. Er ist reich.
Rosemary: Adam riecht nach Seife. Er riecht wie die Lilien auf den Feldern.
Anthony: Aber wieso willst du den Kuhgestank an mir riechen, wenn du die Lilien von ihm haben kannst?
Rosemary: Ich bin diejenige, die gut riechen muss. Ein Mann sollte stinken, genauso wie du … Dass du groß bist, finde ich gut. Männer können Bestien sein. Ihre Größe ist notwendig, um die Wahrheit und die Güte der Frauen auszugleichen … Hoffnung ist eine große Kraft, und Frauen können die Erlösung der ganzen Welt sein, daran glaube ich. Und ich möchte, dass du auch daran glaubst.
Dann bringt auch Rosemary kurz den lang vermissten Running Gag mit dem Esel, worauf Anthony aufbrausend reagiert. Und dann gesteht Rosemary, in New York gewesen zu sein. Stromausfall! Donner! Und schließlich – sie hat Adam geküsst! DONNER! (Ich denke mir das übrigens nicht aus: Es donnert wirklich wie aufs Stichwort.)
Während Anthony noch fassungslos ob dieser Enthüllung ist, bringt Rosemary eine Kerze, um den Raum wenigstens ein bisschen zu erhellen. Sie kommt ihm wieder mit Fiona, ob sein Herz wohl immer noch an ihr hängen würde, aber das kann er klar verneinen. Was aber ist es dann? Warum liebt Anthony Rosemary und will trotzdem nicht mit ihr zusammen sein? Sie startet über Umwege einen neuen Versuch, ihm eine Antwort auf diese entscheidende Frage abzuringen.
Rosemary: Hast du dich jemals gefragt, was ich getragen habe, als ich weniger anhatte?
Anthony: Das kapier’ ich nicht.
Rosemary: Hast du dir vorgestellt, wie ich nackt aussehen würde?
Anthony: Großer Gott, Rosemary! Nackt! Hör auf damit! Wir sehen uns in der Kirche.
Rosemary: Denkst du manchmal an meine Figur?
Anthony: Ich weiß es nicht.
Rosemary: Stellst du dir manchmal vor, mich hochzuheben und bis zum Mond zu tragen?
Anthony: Nein!
Rosemary: Bist du eine Jungfrau?
Anthony: Ich bin spät dran. Geküsst hast du Adam! Deswegen fühlt er sich ermutigt.
Mein Gott, du elender Schnarchzapfen, nun rück doch endlich raus: Was ist dein Problem? Rosemary bohrt unbeirrt weiter und will es wissen. Und tatsächlich – sie hat ihn weichgekocht, und er beichtet ihr endlich, endlich, endlich, was alle, die meinen vorangegangenen Text mit den entsprechenden Plotpunkt-Markierungen sich schon längst gedacht haben, zu eindeutig waren die Zeichen: „Ich glaube, dass ich eine Honigbiene bin!“
Ja, ganz genau, das ist Anthonys großes Geheimnis: Er glaubt, dass er eine Honigbiene ist! Eine HONIGBIENE! Summ, summ, summ, Hirnchen, summ herum. Rosemary fragt vorsichtshalber noch mal nach.
Rosemary: Was hast du gesagt?
Anthony: Ich glaube, ich bin eine Honigbiene.
Rosemary: Ich hol’ jetzt das Auto!
Genau, Rosemary, hol es und fahr ihn bitte auf dem schnellsten Wege in die Psychiatrie. (Ich glaube allerdings, sie will mit ihm lediglich zum Flughafen, um Adam abzuholen.)
Anstatt den bedauernswerten Kerl vorsichtshalber zu fesseln und zu knebeln, lässt Rosemary ihn ungefesselt und ungeknebelt auf dem Beifahrersitz sitzen und äußert ihr Unverständnis laut und deutlich. Die Hysterie der beiden schaukelt sich kontinuierlich weiter hoch.
Rosemary: Ich glaube es nicht! Du denkst nicht, du bist eine Honigbiene. Du willst mich verarschen. … Wie lange schon?
Anthony: Ich weiß es nicht. Ich denke, ich bin eine Honigbiene seit immer.
Rosemary: Du bist Anthony Reilly!
Anthony: Ganz egal, was ich bin – der Herrgott kennt mich.
Rosemary: Du hast mir also deshalb nie gesagt, dass du mich schön findest.
Anthony: Deswegen, und die Nähe deiner Farm zu meiner. Und es ist wahr – Bienen mögen nicht, wenn man raucht.
Rosemary: Es ist egal, wenn du dich für eine Biene hältst, Anthony! Du denkst, du bist eine Biene. Ich meine, du denkst, du bist eine Biene, du bist eine Biene! Denkst du, ich bin eine Biene?
Anthony: Nein.
Rosemary: Verrätst du mir, was ich bin?
Anthony: Du bist eine Blume. Du bist die schönste Blume auf der ganzen Welt.
Rosemary: Das findest du wirklich?
Anthony: Ja.
Rosemary: Anthony, du bist der Richtige für mich!
Von ihren Emotionen überwältigt kracht Rosemary mit ihrem Wagen in einen Baum. Das regt Anthony mehr auf als sie. Rosemary schert das nicht.
Rosemary: Sag es mir! Hier auf diesem heiligen irischen Boden! Wieso solltest du mich nicht heiraten?
Anthony: … Um Himmels willen, Rosemary! Ich glaub’, ich bin ein Insekt!
Rosemary: Ja und? Und ich denke manchmal, ich bin eine Katze.
Anthony: Das tust du nicht.
Rosemary: Aber natürlich ist das nicht so, weil ich weiß, ich bin ein schöner Schwan.
Anthony: Was ist? Du denkst doch nicht wirklich, du bist ein Schwan?
Rosemary: Gib uns doch einfach eine Chance!
Anthony ist aber immer noch skeptisch, denn er meint, dass er den verlorenen Ring mit seinem Metalldetektor schon gefunden hätte, wenn das Schicksal es gewollt hätte. „Du kannst den Wind und die Felder haben. Sieh mich einfach als offene Tür an“, seufzt Rosemary und überreicht ihm sogleich den Ring, nach dem er so lange gesucht hatte. Sie hat ihn nämlich an ihrem Tor gefunden. Das Schicksal meint es also gut mit Anthony. Dem Glück steht damit nichts mehr im Wege: Trotz geäußerter Ängste küsst er sie und besiegelt damit die gegenseitige Liebe. Ist es nicht romantisch? Die beiden haben sich echt verdient!
Die Abschlussszene führt uns in die Kneipe, in der schon Rosemary gesungen hatte – und diesmal singt Anthony und bittet Rosemary mit auf die Bühne, sodass sie im Duett jenes Lied trällern können, das auch seine Mutter früher immer trällerte. Und wisst ihr was? Unter die begeisterten mitsingenden Zuschauer haben sich neben Adam und seiner neuen Freundin (seine Sitznachbarin aus dem Flugzeug!) auch diejenigen Menschen gemischt, die eigentlich schon tot sind: Tony, seine Frau, Aoife… Denn wie sagte Erzähler Tony doch gleich zu Beginn: „Es heißt: Wenn ein Ire stirbt, während er eine Geschichte erzählt, kann man sich sicher sein, dass er zurückkommt.“
ENDE.
Um zum Vergleich mit Tommy Wiseau zurückzukommen: Nein, „Der Duft von wildem Thymian“ ist kein neuer „The Room“ – zumindest nicht ganz. Zum einen fehlt dafür ein selbstverliebter Egomane in der Hauptrolle, zum anderen sieht der Film mit seinen naturbelassenen Bildern aus der irischen Landschaft einfach zu schön aus, kitschig schön geradezu, während man sich ja bei „The Room“ die ganze Zeit die Frage stellte, wo denn wohl das angebliche Millionenbudget abgeblieben sein soll, wenn der Film doch fast nur in einem Raum spielte.
Wo der Film allerdings besagtem referenzierten Werk durchaus Konkurrenz macht, ist seine hoffnungslose Absurdität, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Aneinanderreihung von Szenen, die willkürlich und nicht plotbezogen erscheint. Klar geht es letzten Endes um die Liebesgeschichte zwischen Rosemary und Anthony – das kann man sich vom Anfang an denken –, aber der Film fokussiert sich letzten Endes weder konsequent darauf noch auf irgendein anderes der Handlungselemente, sondern mäandert bis zur großen Konfrontation im Finale ziellos vor sich hin. Und selbst die große Aussprache am Ende unterbricht er immer wieder mit einer rätselhaften Parallelmontage, in der sich US-Cousin Adam und seine Sitznachbarin im Flugzeug unterhalten, obwohl nichts dagegen gesprochen hätte, diese Szene bereits vorher abzufrühstücken (mal ganz davon abgesehen, dass sie ohnehin völlig sinnlos ist, außer am Ende zu implizieren, dass Adam dabei auch unverhofft sein persönliches Glück gefunden hat). Etwaiges Konfliktpotenzial wie die Farmnachfolge wird auf halber Strecke einfach so aufgegeben, anderes wiederum mal für fünf Minuten eingestreut und sogleich aufgelöst (Adams „Liaison“ mit Rosemary).
Die Willkür der Szenenfolge ist aber noch nicht alles. Hinzu kommt, dass sich vor allem die Hauptfiguren, wie sicherlich klar geworden ist, durchweg seltsam benehmen – eben nicht wie Menschen, sondern wie Außerirdische, die Menscheneigenarten kopieren, aber noch nicht so ganz die Essenz des menschlichen Verhaltens erfasst haben. Rosemary gibt sich mal schroff, dann wieder gefühlvoll, dann will sie am Ende auch depressiv (gewesen) sein. Ihr Verhalten gibt allerdings nie her, was gerade in ihr vorgeht, was sie wirklich denkt. Das macht es dann eben auch schwer zu verstehen, was sie an so einem phlegmatischen einfältigen Jammerlappen wie Anthony überhaupt findet, dass sie notfalls ihr ganzes Leben auf ihn warten möchte. Anthony ist leicht auf die Palme zu bringen und begehrt auch mal gegen seinen Vater auf, bleibt aber eben doch immer Pantoffelheld. Mit ihm empfindet man eher Mitleid, als ihn ernsthaft als Identifikationsfigur ins Auge zu fassen. Rosemary ist gleich dreimal keine Sympathieträgerin, weil sie mit ihrer zumindest nach außen hin meist gefühlskalten Art keinerlei Anknüpfungspunkte bietet. Auf der Schlussgeraden haben beide dann sowieso nicht mehr alle Tassen im Schrank, ein hysterisches Gefühls-Auf und -Ab, bei dem sie erst über Selbstmord spricht, um ihm dann ein Sandwich zu schmieren, während er von impulsiv bis wehleidig die gesamte Klaviatur der Emotionen durchspielt.
Tja, und dann die Frage nach dem Genre. Ich liebe ja Filme, die völlig gegen den Strich gebürstet sind, sich von einem Moment auf den anderen von einem finsteren Familiendrama in ein grelles Actionspektakel verwandeln können, von einem schwarzhumorigen Gangsterfilm in eine blutrünstige Splatter-Groteske, und tatsächlich bringt da auch „Der Duft von wildem Thymian“ einige Zutaten mit. Das Drehbuch lässt sich auf mehrere Arten lesen, ist dabei aber nichts so richtig: Ob Romanze, Familiendrama, Komödie, Parodie, Fantasy gar (Tonys Voice-over als Engel oder so) – von allem ist etwas dabei.
Halten wir fest: Der große Casus knacksus, wieso Rosemary und Anthony ihr ganzes Leben bis dato sinnlos in Einsamkeit verplempert haben, ist der, dass die männliche Hauptfigur nur deshalb keine Gefühle zulassen will, weil sie glaubt, eine Biene zu sein. Da kann mir keiner erzählen, dass der Regisseur das ernst gemeint haben kann – und Ehre, wem Ehre gebührt: Ich habe mich halbtot gelacht. Der Gag dahinter ist dermaßen abseitig, dass man gackernd gegen die nächste Fensterscheibe laufen will. Das wollte ich zugegebenermaßen aber bei der gesamten, oben sehr ausführlich gewürdigten Schlusssequenz, in der der Wahnsinn endgültig in den Film einfällt. Da wird echt kein vernünftiger Satz mehr gesprochen, weshalb das Ganze geradezu nach einer Parodie auf etablierte Love Stories riecht, in denen sich die Hauptdarsteller mit ihren Gefühlsduseleien so lange auf die Nerven gehen, bis das Gegenüber endlich einknickt. Das inkohärente Gebrabbel, das schließlich bei der Autofahrt zur reinen Hysterie ausartet, muss man wirklich gehört haben, um es zu glauben.
Dann wiederum gibt es Stellen, die gegen eine Parodie sprechen, wenn nämlich so sehr auf die Emotionstube gedrückt wird, dass man glaubt, man sei direkt in der nächstbesten ZDF-Sonntagabend-Rosamunde-Pilcher-Verfilmung gelandet. Die Aussprache zwischen Vater und Sohn kurz vor Tonys Tod mit seinen unerträglichen Liebesschwüren ist offenkundig herzzerreißend gedacht. Andererseits – vielleicht steckt auch gerade in dieser hemmungslosen Übertreibung der Witz, denn wenn wir ehrlich sind: Als zum Schluss auch noch ein Unwetter in die Geschichte einbricht und der Donner gerade dann lautstark auf die Pauke haut, sobald Rosemary gesteht, Adam geküsst zu haben, kann man auch das als in vollem Bewusstsein eingebautes Klischee verbuchen. Dann wäre da auch noch der hinreißend unkomische Running-Gag-Holzhammerhumor rund um Anthony und seinen Esel, der mit einer Penetranz durch den Film geprügelt wird, dass man fast schon wieder lachen will, weil es gewagt wird, den so oft zu bringen. Möglicherweise hat Shandley sich mit „Der Duft von wildem Thymian“ auf unsere Kosten einfach einen Spaß erlaubt und schaut amüsiert zu, wie die Kritiker dieser Welt seinen Film in Bausch und Bogen verreißen. Auch schlechte Presse ist bekanntlich gute Presse.
Zu diesem Erklärungsansatz passen dann auch die eher ungenießbaren schauspielerischen Leistungen. Jamie Dornan als schrulliger Trottel Anthony macht vielleicht aus Badmovies-Sicht noch die meisten Punkte. Man muss nämlich schon sagen: Für die undankbare Rolle, die er hier spielt, legt er sich schon mächtig ins Zeug und holpert mit Leidenschaft durch seine nur Irritationen hervorrufenden Gefühlswelten. Wenn er dann am Ende völlig am Rad dreht und nicht mehr aufhören will, sich als menschliche Honigbiene zu bezeichnen, kann man eigentlich gar nichts anderes mehr tun, als sich mitreißen zu lassen. Irgendwie ist er dabei schon herzig und liebenswert.
Emily Blunt hingegen bleibt ausgesprochen farblos in ihrer vergleichsweise defensiven Rolle. Immerhin: Auch sie geht am Ende voll in der Hysterie auf und legt eine absurde Vorstellung ab, die kein Auge trocken lässt. Bis dahin schlafwandelt sie aber durch den Film, was dann auch dazu führt, dass sie nie Chemie mit ihrem hibbeligen Filmpartner entwickeln will – eigentlich ein Muss für diese Art Film.
Am besten weg kommt vermutlich noch Jon Hamm („Mad Men“) als Adam, weil der gar nicht erst vorgeben muss, irische Wurzeln zu haben. Seine Rolle ist ähnlich rätselhaft wie die anderen, weil sein erster Auftritt mit dem Rolls Royce noch so eine „Achtung, hier komm’ ich!“-Attitüde ausstrahlt und er auch dezent an Rosemary baggert, aber später lässt er dann derartige Allüren Allüren sein und scheint wohl ernsthaftes Interesse am Farmleben zu entwickeln.
Die beiden einzigen noch nennenswerten verbliebenen Darsteller wären dann noch die alten Recken: Christopher Walken als Tony Reilly und Dearbhla Molloy als Aoife Muldoon (puh, bei den Vornamen der Frau bricht man sich ja die Finger). Letztere hat immerhin im Gegensatz zu Walken den Vorteil, aus Dublin zu sein und sich keine vermeintlichen irischen Dialekte ausdenken zu müssen, aber so richtig einprägsam bleibt sie auch nicht. Walken wiederum liefert ebenfalls eine wenig bemerkenswerte Performance als Möchtegern-Ire ab, der den Zuschauer als Toter stimmlich über weite Strecken des Films begleitet und immer dann, wenn er im Bild ist, teilweise doch etwas übertreibt. Er soll aber auch der Grantler vom Dienst sein, insofern passt das schon. Und wie gesagt: Man muss ihn eigentlich im Originalton hören!
Was dem Film am Ende entschieden zu „The Room“ fehlt, ist ein dauerhaft hoher Unterhaltungswert. Unbestritten verfügt er über reichlich „What the fuck?!“-Momente und hält einen allein deshalb bei der Stange, weil er so komplett neben der Spur läuft und ein großes Geheimnis bleibt, weil er offenbar selbst nicht weiß, was er uns überhaupt erzählen will. Mitunter ist er aber schon eine arge Geduldsprobe, suhlt sich in seinen schönen Landschaftsbildern und streut überdurchschnittlich viele Kühe, Schafe, Esel und Pferde ein, und dröhnt einem mit einem knalligen Score monumental die Ohren voll, selbst wenn die doch sehr zahme und ziemlich konfliktfreie Story das gar nicht hergibt. Allerdings entschädigt der Schlussakkord quasi für jede bis dahin aufgekommene Langeweile. Eine solche Skurrilitätenshow mit Figuren, die sich um Kopf und Kragen quasseln, während sie vermutlich selbst nicht verstehen, was sie da gerade von sich geben, muss man in der Form auch erst einmal hinbekommen. Die Dialoge sind pures Cringe-Gold!
Letztlich ist „Der Duft von wildem Thymian“ also eher kein Film für diejenigen, die sich in Liebesgeschichten verlieren können – dazu wird diese Zielgruppe sich viel zu oft am bekloppten und garantiert nicht miteinander harmonierenden Pärchen stoßen –, sondern eher für solche, die sich über jede Kuriosität in diesen doch müden Kinozeiten freuen, in denen Remakes, Superheldenfilme und allgemeine Ideenarmut die Filmlandschaft dominieren. Und seien wir ehrlich: Welcher Film hat sonst Jamie-Dornan-förmige Honigbienen?
BOMBEN-Skala: 6
BIER-Skala: 6
Review verfasst am: 02.07.2021
Schönes Review! Bin ebenfalls durch Wessels auf den Film aufmerksam geworden, sie hatte ihn bei Kino Plus erwähnt. da stellten sich direkt meine „Fan des Absurden“ Antennen auf und er war vorgemerkt. Nach diesem Text weiß ich aber das ichs lieber sein lasse, die Aufarbeitung hier hat mir gereicht. Wahnsinn was alles in Hollywood finanziert wird, hat niemand das gegengelesen? Hoffe das der Showdown mal irgendwann auf Youtube landet, die Szene muss man wahrscheinlich mal selbst gesehen haben um es zu glauben….
Danke schön! Ja, vermutlich reicht es auch, das Ende zu sehen. Insgesamt ist der Film schon eher zäh – schön anzusehen, aber zäh. Das Finale macht allerdings sehr vieles wieder wett. Man kann sagen: sechs Bier für die Rückblende in die Kindheit in den ersten Minuten, drei bis vier Bier für die Stunde danach, neun bis zehn für das letzte Drittel.