Deep End

 
  • Deutscher Titel: Deep End
  • Original-Titel: Deep End
  • Alternative Titel: Na samym dnie |
  • Regie: Jerzy Skolimowski
  • Land: Großbritannien/ Deutschland
  • Jahr: 1970
  • Darsteller:

    Jane Asher (Susan), John Moulder-Brown (Michael), Karl Michael Vogler (Sportlehrer), Christopher Sandford (Chris), Diana Dors (Kundin #1), Louise Martini (Beata „Lovely Continental“), Erica Beer (Kassiererin), Anita Lochner (Kathy), Burt Kwouk (Hot-Dog-Verkäufer)


Vorwort

Nach seinem Abschluss ergattert der fünfzehnjährige Michael einen Job in einem heruntergekommenen öffentlichen Schwimmbad, wo er von Stund an dafür zuständig ist, dass die werte Klientel in ihren Umkleiden ausreichend Handtücher, Shampoo und ähnliche notwendige Utensilien zur Verfügung hat. Mike ist eigentlich für die Männerabteilung zuständig, aber Susan, der extrem heiße rothaarige Feger, der die Damenkabinen betreut, benutzt ihn gerne mal als Pausenvertretung, so dass der Jüngling sich ein ums andere Mal der Zudringlichkeiten älterer Damen erwehren muss. Weil Mike aber auf Susan verständlicherweise abfährt, lässt er sich das gefallen, zumal Susan auch zwischen den Zeilen durchblicken lässt, dass sie ihn auch durchaus mag.

Allerdings ist Susan mit Chris verlobt. Eines Abend schleicht Mike dem Pärchen in ein Pornokino nach und beginnt couragiert an Susan herumzufummeln. Susan macht zwar eine Szene und lässt die Polizei rufen, doch als die Ordnungshüter ankommen, ist Susan schon wieder weg – und Mike gelingt es sogar noch, den genervten Chris bei einem anderen Bobby als potentiellen Kinderschänder hinzustellen. Nun ist Chris allerdings nicht der einzige Kerl, den Susan am Start hat, nebenher betreibt sie noch eine engagierte Affäre mit einem Schwimmlehrer, der seinerseits gerne mal seinen jungen Schülerinnen auf den Arsch kuckt (und klopft). Als sich Mike an die Fersen *dieses* Pärchens klemmt, beginnt für ihn eine wilde Odyssee durchs Londoner Nachtleben – er findet Prostituierte, einen lebensgroßen Pappaufsteller einer stadtbekannten Sexarbeiterin, die Susan bis aufs Haar gleicht und einen Monatsvorrat Hot Dogs. Den Aufsteller kann Mike zumindest in seine erwachenden sexuellen Fantasien einbeziehen, aber dass die leibhaftige Susan von dem Schmalhemd zumindest in erotischer Hinsicht nichts wissen will, trifft ihn hart…


Inhalt

Gehen wir doch mal wieder ins Arthouse. Ich hab schon jetzt keine Ahnung mehr, warum ich mir vor ein paar Monaten „Deep End“ auf meine Einkaufsliste gesetzt habe (und dann auch pflichtschuldigst, aber wenigstens kostenbewusst second-hand erworben habe). Ich glaube, das war so ungefähr um die Zeit, als ich Permissive reviewed habe und nach anderen Filmen fahndete, die ähnliche Themen und ein ähnliches Setting aufarbeiteten. Was mir dabei allerdings entging, war der Umstand, dass „Deep End“ zu den Spätausläufern der „nouvelle vague“ gehört, einer Ära der Filmemacherei, mit der ich – zugegeben – nicht wahnsinnig viel anfangen kann (insert Hape-Kerkeling-in-„Hurz“-„da unterstelle ich, dass da kein intellektueller Zugang…“-Spruch here), und das Endprodukt weniger den rauh-psychedelischen low-budget-Charme, nach dem ich gesucht habe, ausstrahlt als vielmehr den erklärten Willen, neaurtige KUNSCHT zu machen.

Naja, jetzt muss ich da durch. Die britisch-deutsche Co-Produktion (der wir einen recht eklektischen Cast mit diversen deutschen Fernsehnasen verdanken) ist auf dem Mist des polnischen Regisseurs, Drehbuchautoren und Schauspielers Jerzy Skolimowski gewachsen, der sich, nachdem sein ’67er-Film“ Hände hoch“ von den Autoritäten seines Heimatlandes verboten wurde, im Westen schadlos hielt – kritikerseits durchaus wohlgelitten kam seine Karriere weitgehend ohne kommerziellen Erfolg aus. Sein bekanntester Film neben „Deep End“ dürfte seine 1985 entstandene Siegfried-Lenz-Adaption „Das Feuerschiff“ (mit Robert Duvall und Klaus Maria Brandauer) sein – aktiv ist er heute noch, 2010 z.B. reüssierte er mit dem Vincent-Gallo-Thriller „Essential Killing“. Als Schauspieler trat er zuletzt sogar in Marvels „Avengers“ auf, was zumindest unter Beweis stellt, dass er mit Kommerzkino per se keine gravierenden moralischen Probleme hat (auch in Tim Burtons „Mars Attacks!“ war er dabei). Sein hiesiger Drehbuchkollaborateur Jerzy Gruza ist außerhalb Polens nicht auffällig geworden, „Deep End“ ist seine einzige „internationale“ Arbeit.

Womit uns die beiden Jerzys da kommen, ist ein recht schnödes coming-of-age-Drama – ein junger Knabe entdeckt seine Sexualität, verkuckt sich in ein älteres Mädel und muss mit der Zurückweisung (und den üblichen männer-manipulierenden Fähigkeiten, die wir Sackträger dem vorgeblich besseren Geschlecht über die Jahrhunderte hin zugeschanzt haben) fertigwerden, was dann – weil wir sind ja in der nouvelle vague und da kann man nicht am Ende mit ’nem Happy End kommen – tragische Konsequenzen hat. Das ist jetzt an und für sich erstens durchaus brauchbares Drama, zweitens aber grad drum auch nicht sonderlich originell (zumal dann der Film dann auch nicht „mutig“ genug ist, den Altersunterschied zwischen Mike und Susan wirklich *deutlich* zu machen. Susan ist höchstens Anfang 20). Die beiden Autoren garnieren das hin und wieder mit humoresken Episoden, die auch dringend notwendig sind, weil ihre Figuren mal wieder ausgesprochen un-likeable sind. Mikes Naivität im Umgang mit Frauen schlägt schnell von „amüsant“ in „nervig“ um, seine angehimmelte Susan entpuppt sich – zu Mikes Ignoranz – als 1970-Äquivalent einer heutigen Erste-Klasse-Bitch, der namenlose Sportlehrer ist mindestens mal halb-pädophil und Chris‘ herausragende Eigenschaft ist es augenscheinlich, Kohle zu haben. Ganz besonders ärgerlich (aber irgendwie eben auch typisch für nouvelle-vague-Writing) ist, dass die Figuren keinerlei Entwicklung durchmachen – es gibt keine nennenswerten „character arcs“, ohne das ziemlich aufgepropfte melodramatische Ende hätte das Script keine Struktur, sondern würde einfach ohne Resolution einfach auslaufen. Das passt natürlich zum Mantra der damaligen „jungen Filmemacher“, ihre Figuren nicht mehr den Zwängen des klassischen Erzählkinos zu unterwerfen und sich auf eine Art Beobachterposition zurückzuziehen, doch wenn man als Zuschauer für die Hauptfiguren nichts empfindet, weil sie keinen Grund dafür bieten, sich irgendwie auf sie einzulassen, fällt es schwer, das Interesse am Film aufrecht zu erhalten (dazu kommen z.B. auch die oft improvisiert wirkenden Dialoge).

Wenn einen also der Haupthandlungsstrang und die dort handeltenden Charaktere kalt lassen, bleibt einem nur übrig, sich an den diversen Episoden zu ergötzen, die Mike bei seinem ambitionierten Susan-Stalking erlebt. Da gibt’s dann in der Tat ein paar recht witzige Segmente – sei es der fiktive Aufklärungsfilm „The Science of Sex“, den Chris, Susan und Mike sich im Pornokino ansehen (der drolligerweise unter Beweis stellt, dass man schon 1970 polnische Busenwunder in Sexfilmchen als „seriöse Wissenschaftlerin“ auftreten lassen konnte) und den ich jederzeit lieber sehen würde als „Deep End“ nochmal, Mikes unfreiwilligen Besuch bei einer Nutte mit Gipsbein (Louise Martini, späterer Stammgast in so ziemlich jeder deutschen Heile-Welt-Fernsehserie), die darüber räsonniert, mit ihrer maladen Stelze mehr Geschäft zu machen als vorher (Gips-Fetische waren also 1970 auch schon erfunden), oder der sort-of-running-gag, dass Mike einem Hot-Dog-Verkäufer in Soho (Burt Kwouk aus den „Clouseau“-Filmen) aus Tarnungsgründen immer wieder was abkaufen muss, bis der ihm quasi als Kunden-des-Monats noch einen heißen Hund auf’s Haus aufdrängt. In diesen Momenten erwacht „Deep End“ tatsächlich für ein paar Minuten zum Leben, aber dann wenden wir uns unabdingbar wieder der „Story“ zu und versumpfen in öder Langeweile.

Dabei ist die ganze Nummer durchaus gefällig gefilmt – Charly Steinberger, ansonsten auch gern im deutschen Fernsehen aktiv und Kameraschwinger für so unterschiedliche Werke wie „Die Delegation“, „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, „Die Elixiere des Teufels“, „Didi, der Doppelgänger“, „Feuer Eis und Dynamit“ oder – schluck – „Eine Robbe zum Verlieben“) steuert hübsche Bilder ein (auch in den unnötigen surrealen Elementen, wenn Mike mit seinem Pappaufsteller schwimmen geht und die Pappe sich in seiner Fantasie in Susan verwandelt), aber aus manchen Albernheiten kann eben auch der beste Kameramann nicht viel rausholen (wie eben im Finale im geleerten Pool des Schwimmbads, in dem Mike und Susan in einem Teekocher Schnee schmelzen, um einen verlorenen Diamanten wiederzufinden. Don’t ask. Really, don’t ask). Ich möchte wetten, dass Skolimowski die Kulisse des sicher mal edlen, inzwischen aber heruntergekommenen Badehauses als schwer gesellschaftskritisch-symbolisch konzipiert hat, aber welchen Punkt er zu machen gedenkt (und der über „fuffzehnjährige Teenieboys sind schwanzgesteuert und Weiber sind sexgeile, manipulierende Schlampen“ hinausgeht), bleibt verdammt vage. Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Sexualität? Allgemeine gesellschaftliche Verkommenheit? Verklemmte Spießbürgerlichkeit, die unter der „Tarnung“ einer Badeanstalt abgelegt werden kann? I just don’t know.

Was ich weiß, ist, dass „Deep End“ sich mühsam von Episode zu Episode hangelt und nie wirklich einen echten nachvollziehbaren Narrative aufbaut (was auch daran liegt, dass der Film konsequent Mikes Perspektive verfolgt und daher die Figuren, denen er begegnet, für uns so rätselhaft bleiben wie für ihn selbst). Wenn sich Jane Asher dann nach gut 82 Minuten tatsächlich splitterfasernackt auszieht, kann man das nur noch als Belohnung für den standhaften Zuschauer sehen, der bis dahin durchgehalten hat (andererseits tut John Moulder-Brown gleiches und das ist dann doch eher Minderheitenprogramm).

Was am Ende übrig bleibt, ist ein sparsam eingesetzter, aber famoser Soundtrack von Cat Stevens und den Krautrockern Can. Ich glaube, von einem Soundtrackalbum hätte ich mehr gehabt als vom Film…

Der Cast ist nicht zu beneiden, müht sich aber redlich. Jane Asher („Der Verführer lässt schön grüßen“, „Heinrich VIII. und seine sechs Frauen“, „Wiedersehen mit Brideshead“ und zuletzt in „Das hält kein Jahr“ zu sehen) ist ein steiler Zahn, zugegeben. Fragt sich nur, ob Asher ihre Susan wirklich so gefühlskalt und unsympathisch spielen sollte (vermutlich ja, so wie ich diese Art Film kenne). John Moulder-Brown („Ludwig II“, „Circus der Vampire“) ist, wie Kollege Unshaved Mouse so gerne sagt, „a nice young gentleman doing his best“, aber weitgehend ohne echte Emotion. Karl Michael Vogler („Alpha Alpha“, „Patton – Rebell in Uniform“, „Ein Mann will nach oben“, „Ein Fall für TKKG“) spielt den an etwas SEHR an seinen Schülerinnen interessierten Schwimmlehrer angemessen schmierig (auch wenn sezhr unausgesprochen bleibt, was Susan an einem Typen wie ihn finden sollte) und auch Christopher Sandford („Die Screaming Marianne“, „Runter mit dem Keuschheitsgürtel“) gibt seinen Charakter überzeugend unmögbar.

Als Gaststars fungieren das ehemalige (und in die Breite gegangene) Sexsymbol Diana Dors (Das Dunkel der Nacht), Erica Beer („Der Glockengießer von Tirol“, „Mein Vater, der Schauspieler“, „Der rote Kreis“), Anita Lochner („Schwarzwaldklinik“, „Der Landarzt“), Dieter Eppler („Schwarzwaldkliniik“, „Der Landarzt“, „Mit Leib und Seele“, „Kampf um Rom“) und Erika Wackernagel („Jagdszenen aus Niederbayern“, „Hilfe, die Amis kommen“ und Mutter des späteren RAF-Mitglieds Christof Wackernagel).

Bildqualität: Mir liegt die Blu-Ray aus dem Hause KochMedia vor. Der restaurierte 1.85:1-Print hält naturgemäß keinen Vergleich mit aktuellen Releases aus und ist stellenweise schon recht grieselig, dafür aber bietet er gefällige Farben, guten Kontrast und ist frei von Verschmutzungen und Defekten.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton in DTS 2.0. Ich hab mich auf die englische Fassung beschränkt, die gut verständlich ist und angenehmen Musik-Mix bietet. Untertitel fehlen leider.

Extras: Trailer, Fotogalerie, deleted scenes und eine ausführliche (74 Minuten!) making-of-Featurette.

Fazit: Wer, wie es verschiedentlich getan wird, „Deep End“ in einem Atemzug mit unbestrittenen Meisterwerken wie „Blow Up“ oder (besonders) Ekel nennt, sollte sih echt schämen und seine Cineastenclub-Mitgliedskarte abgeben (es sei denn, es ist ein Atemzug, der sich ungefähr wie „Blow Up“ und „Ekel“ sind viel besser als „Deep End“ anhört). Das scheint mir eher Ausdruck einer Tendenz zu sein, jeden seinerzeit mit Recht kommerziell gestrandeten und vergessenen Kunstfilm retroaktiv zum „Kultfilm“ zu erklären, ohne darauf zu achten, ob der so geadelte Film diese Lorbeeren überhaupt verdient. „Deep End“ ist kein ausnehmend *schlechter* Streifen und, wie gesagt, einzelne Passagen sind durchaus sehenswert, aber es ist eben auch ein furchtbar gegenstandsloser Streifen – alles, was er womöglich aussagen will, sagen andere Filme deutlicher oder besser (und seien es die von nouvelle-vague-Kollegen wie Truffaut). Das ist alles ganz hübsch anzusehen, aber es hat keine echte Substanz. Wer krampfhaft ALLES braucht, das die Londoner Nachtleben-Szene der späten 60er thematisiert, wird aus „Deep End“ auch ein paar Erkenntnisse ziehen können, doch auch in der Hinsicht gibt’s (gerade mit „Blow Up“) gehaltvollere Vertreter. Die Baskenmützenfraktion mag hier jubilieren, ich bleibe dann doch lieber bei Polanski oder gleich den näher am wahren Puls der Zeit agierenden low-budget-Filmern.


mm
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