Dead or Alive

 
  • Deutscher Titel: Dead or Alive
  • Original-Titel: Dead or Alive: Hanzaisha
  •  
  • Regie: Takashi Miike
  • Land: Japan
  • Jahr: 1999
  • Darsteller:

    Riki Takeuchi (Ryuchi), Sho Aikawa (Jojima), Renji Ishibashi (Aoki), Hitoshi Ozawa (Satake), Shingo Tsurumi (Chen), Kaoru Sugita (Mrs. Jojima), Sei Hiraizumi, Michisuke Kashiwaya, Mizuho Koga


Vorwort

Wieder mal Machtkampf im Shinjuku-Distrikt in Tokio. Die Rückkehr seines Bruders Toshi vom Studium in den USA nimmt Ryuchi, ein chinesischstämmiger japanischer Gangster der zweiten Liga, zum Anlass, mit seiner Gang ebenfalls chinesischstämmiger Kumpels das bisherige Machtgleichgewicht zwischen expandierenden chinesischen Triaden und der klassischen Yakuza aufzubrechen. Zu diesem Zweck töten er und seine Gang sowohl den Chef der Chinesen als auch einen Yakuza-Leutnant, wohl in der Hoffnung, einen zünftigen Krieg vom Zaun zu brechen und dann, wenn die Trümmer zusammengefegt sind, den Bezirk übernehmen zu können.

Auf den Fall wird der Polizeiinspektor Jojima eingesetzt, der eigentlich rechts amtsmüde ist und zudem private Probleme hat – nicht nur, dass seine Ehe nicht besonders gut läuft, sondern auch weil seine Tochter eine lebensrettende Operation benötigt, die nur im Ausland durchgeführt werden kann und die Kleinigkeit von 20 Millionen Yen kostet – ein Sümmchen, dass ein japanischer Cop auf anständigem Weg schwerlich verdienen kann. Während Jojima mit seinem engagierten Partner ohne konkrete Anhaltspunkte vor sich hin ermittelt, bleibt Ryuichi fleißig. Ein größerer Überfall soll die Kriegskasse füllen, doch entfernt sich Hitochi, einer von seinen jungen Mitstreitern, unerlaubterweise mit der Beute zu seiner Mama, um ein wenig anzugeben. Ryuchi quittiert diese Anmaßung mit einer ordnungsgemäßen Exekution, was wiederum seinen kleinen Bruder entfremdet, dem Hitochi ein Freund war.

Nichtsdestotrotz laufen die Dinge nicht schlecht für Ryuchi – die taiwanesischen Dealer, die Tokio mit Stoff versorgen, willigen grundsätzlich ein, auch mit ihm Geschäfte zu machen, so er und seine Leute die last gang standing sind. Also muss die Konkurrenz ausgeknipst werden. Der Boss der Yakuza steht als erster auf der Abschussliste – Ryuchi, der im Zivilberuf in einer SM-Revue einen messerwerfenden Clown gibt (nicht fragen, it’s Miike), schleust seine Freundin, die im gleichen Club an der Poledance-Stange arbeitet, als Freudenmädchen in den Yakuza-Club ein, doch der Plan geht fürchterlich schief. Der Gangsterboss wittert Schande + Verrat und tötet das Mädchen auf exaltiert-ekelhafte Weise (feces will never be the same). Der persönliche Verlust wurmt Ryuchi ebenso wie die fortschreitende Kritik seines Bruders, der die gewalttätigen Methoden des Älteren ablehnt.

Dieweil haben Jojima und sein Partner tatsächlich Ryuchis Spur aufgenommen, d.h. soweit Jojima Zeit findet, sich der Nörgelei seiner Frau zu entziehen. Dennoch bereitet Ryuchi sein Meisterstück vor – bei einem Versöhnungs- und Fusionstreffen von Triaden und Yakuza will er zuschlagen, doch Jojimas Partner ist rein zufällig vor Ort und unterrichtet den gerade einen seltenen Familienmoment genießenden Inspektor. It’s massacre time – und doch ist das nur das Vorgeplänkel vor einem wahrhaft einzigartigen finale furioso…


Inhalt

Takashi Miike. Damit könnte grundsätzlich alles gesagt sein, aber wie üblich erwartet Ihr ja von mir noch ein paar Absätze konstruktive Manöverkritik – was bei einem Regisseur, dessen Ouevre mehr oder weniger kritikresistent ist, natürlich schwierig ist. Nun, wir haben es mit einem der früheren Werke von Miike zu tun, aus der Phase, in der der Maestro es unter sechs-sieben Filmen pro Jahr nicht machte und man gemeinhin erwarten könnte, dass er keinem seiner Projekte wirklich genug Aufmerksamkeit schenken konnte – wer zwei Monate für Drehen, Post und Schnitt hat, kann kaum auf alle Feinheiten achten, die wir leichtsinnigerweise als „ordentliches Handwerk“ klassifizieren. Aber Miike ist nun mal anders als der Rest und obschon es aus den 90ern genügend Miike-Filme gibt, die ich ohne weiteres als „unwatchable“ einstufen würde (z.B. das ultrabillig auf Video geschossene Yakuza-Drama „Agitator“), kann bei ihm auch bei drei Tagen Drehzeit und einem Budget von einer Handvoll Kieselsteine ein kleiner unterhaltsamer Schlager ‚bei rumkommen (im Umkehrschluss kann Miike auch mit mehr Zeit & Geld totale Katastrophen fabrizieren, wie den zwar ausgesprochen stylischen, aber hulle-doofen und sich dabei irgendwie für „bedeutsam“ haltenden „Izo“).

Yakuza-Filme sind nun auch eins von Miikes Lieblings-Territorien und auch, wenn ich der grundsätzlichen Ansicht anhänge, das niemand bessere Yakuza-Filme macht als Takeshi Kitano, ist das ja kein Ausschlusskriterium, zumal die (inhaltlich nicht weiter zusammenhängende) „Dead or Alive“-Trilogie mit dem Pfund der Doppel-Besetzung Riki Takeuchi und Sho Aikawa wuchern kann. Die Redaktion erwartet, dass hier kein Gras mehr wachsen wird.

„Dead or Alive“ ist dann auch ein komischer Film (was nun so ziemlich auch zu jedem Miike-Film als Adjektiv passt) – was der Meister uns hier zeigt, ist ein weitgehend konventioneller Cops-und-Gangster-Film, der von zehn hysterischen Minuten eingerahmt wird, wie sie eben nur ein Miike auf die Leinwand bringt, ohne sich darüber Gedanken zu machen oder dabei rot zu werden. Die ersten fünf Minuten sind ein einziger Bilderrausch – in einem Schnittfeuerwerk, für das die Metapher „videoclipartig“ erfunden wurde, zeigt uns Miike, praktisch ohne Dialoge, nur durch Musik und Schnitt befeuert, die Morde, mit denen Ryuchi seinen Weg zum Möchtegern-Crimelord startet; ein Trommelfeuer-Stakkato anfänglich zusammenhangloser Bilder, die sich erst im Nachhinein zu einem sinnigen und stimmigen Ganzen zusammenfügen. Ich hätte Miike durchaus zugetraut, den ganzen Film zu bestreiten („Izo“ geht ja auch ein wenig in diese Richtung, nur ist es da mit dem „sinnig und stimmig“ nicht weit her), aber das wäre auf die Dauer wohl selbst dem eingefleischtesten Asia-Gourmet zu anstrengend geworden. Wir können aber festhalten – es ist ein Einstieg, der den Zuschauer am Kragen packt, durchschüttelt und mit einer Mischung aus Verwirrung und Bewunderung in den Sessel zurückrutschen lässt. Die folgenden 90 Minuten sind gutklassiges Yakuza-Drama mit gelegentlichen Gewaltspitzen und der Parallelhandlung um Jojimas Ermittlungen und verhunztes Privatleben (wobei seine gefühlte eigene Inadäquatheit dadurch versteckt wird, dass sein junger Partner offenbar ein perfektes Familienleben führt). Miike wäre nicht Miike, würde er nicht auch hier gelegentlich, aber beinahe beiläufig an Tabus kratzen und Skurrilitäten einbauen (Jojima ermittelt bei Pornofilmern, die gerade eine Szene mit einem Hund drehen, die Methode, mit der Ryuchis Freundin abserviert wird, ist mit „unappetitlich“ äußerst verharmlosend umschrieben, und dass beim großen Mafia-Treffen ein Typ in einem kompletten Vogelkostüm rumläuft, überrascht auch nur Leute, die Miike-technisch mit „Dead or Alive“ entjungfert werden). Ganz leise lässt Miike Gesellschaftskritik anklingen, da man’s in Japan als Angehöriger der chinesisch-stämmigen Minderheit (da handelt es sich historisch gesehen wie bei der koreanischen Minderheit hauptsächlich um Nachkommen von Menschen, die vor und während des Zweiten Weltkriegs aus den von Japan besetzten Gebieten als Arbeitskräfte ins Land geholt wurden) ersichtlich nicht leicht hat und auf die Idee kommen kann, man könne es nur als Gangster zu etwas bringen (das bringt dann auch Tiefgang in die Brüder-Beziehung). Das hat alles nicht die Gravitas, die erzählerische Wucht, die Kitanos beste Yakuza-Dramen auszeichnen, aber ich hab das (auch von Miike) schon wesentlich inkompetenter gesehen. Miike befleißigt sich dabei eines bewusst nicht immer flüssigen Erzählstils, bricht durch den Wechsel der Perspektiven von Ryuchi zu Jojima und zurück immer wieder den Rhythmus und erlaubt sich den Luxus, auch hin und wieder durch *Weglassen* zu erzählen; nicht jede Plotentwicklung wird ausbuchstabiert, als Zuschauer muss man auch selbst schlussfolgern, Zusammenhänge herstellen, die der Film ersichtlich gewolltermaßen nicht vorkaut.

Und hat man sich dann damit „abgefunden“, dass „Dead or Alive“ ein für Miike relativ geradliniger, nachvollziehbarer Film ist, den man beinahe (wären die erwähnten speziellen Spitzfindigkeiten nicht) auch einem unbelasteten Publikum vorsetzen könnte, haut uns der Maestro ein Ende um die Ohren, das sich gewaschen hat – das kann und darf man nicht spoilern, das muss man erlebt haben. Es ist so abgefahren, dass es beinahe wieder „typisch Miike“ ist, und selbst doch für ihn immer noch bemerkenswert…

Filmisch ist „Dead or Alive“ – der auch nicht viel gekostet hat – eine Art Zwischending zwischen den besseren Garagenfilmen, wie sie „Agitator“ oder die „Shinjuku“-Trilogie darstellen und seinen späteren, durchaus gelackten Big-Budget-Werken, mit denen er bewies, auch mit einem Haufen Kohle und modernster Technik umgehen zu können. Die Kameraarbeit ist deutlich besser als bei den früheren Yakuza-Filmen, ohne den kantigen Low-Budget-Charme zu verleugnen. Actionszenen gibt’s eigentlich nur drei, die sind ordentlich gearbeitet, wenn auch Blut- oder Mündungsfeuereffekte einen eher rustikalen Charme haben (dito die CGI-„Flammen“ im Finale, die ich in deutschen Amateurfilmen aus gleicher Zeit ungefähr gleich gut gesehen habe). Da Miike zwar keine Splatterorgie aus dem Film macht, aber aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, wenn mal ein drastischer praktischer Effekt benötigt wird, trägt der FIlm seine 18er-Freigabe durchaus gerechtfertigterweise. Ein paar nackte Tatsachen gibt’s auch (und eine schwule Vergewaltigung). Positiv zu bemerken ist der ordentliche Score.

Schauspieltechnisch lassen Riki Takeuchi als eine Art japanischer knarrenschwingender Elvis-Imitator (die Tolle muss man gesehen haben) und Sho Aikawa als resignierter, anständig bleiben wollender Cop nichts anbrennen. Beide sind Miike-Regulars (Aikawa war z.B. „Zebraman“, wohingegen ein breites Publikum Takeuchi als Kitano-Nachfolger in“ Battle Royale II“ gesehen haben dürfte). In weiteren Rollen finden sich durchaus vertraute Gesichter wie Hitoshi Ozawa („Score 2: The Big Fight“), Renji Ishibashi („The Bird People of China“, „Tetsuo“) oder Shingo Tsurumi (grad erst in „Shin Godzilla“ zu sehen gewesen). Mizuha Koga, die Ryuchis unglückliche Freundin spielt, hat keine weiteren Filmrollen zu verzeichnen und ist bzw. war wohl hauptsächlich Erotik-Model, soweit sich das nachvollziehen lässt.

Shock Entertainment hat „Dead or Alive“ in ein hübsches Mediabook gepackt – die Bildqualität der Blu-Ray ist, der preisbewussten Herkunft des Materials angemessen, nichts besonderes, aber tauglich, der deutsche Synchronton ist okay. Das Booklet verfasste Nando Rohner. Ich konnte das Teil für zehn Euronen bei Drogenmüller verhaften – zu dem Preis sollte der geneigte Fan allemal zuschlagen.

„Dead or Alive“ ist sicher nicht Miikes bester Film (ich würde wahrscheinlich „Audition“ oder „Like A Dragon“ – durchaus zwei Extreme in seiner Vita – nominieren) – der Mann ist tatsächlich einer, der auch nach gefühlt 3375 Filmen immer noch dazulernt, vulgo seine Entwicklung wohl auch noch nicht abgeschlossen ist. Ich halte es immer noch für möglich und wahrscheinlich, dass er uns eines Tages noch einen Film bringt, der international explodiert wie kaum ein japanischer Film zuvor… „Dead or Alive“ macht allerdings durchaus Spaß – sowohl das, was Miike unter einem „konventionallen Yakuza-Thriller“ versteht, als auch und insbesondere seine schier unbegreiflichen bookends. Auf jeden Fall gehört der Streifen in eine aufgeklärte Sammlung japanischen Randalekinos…

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 7


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