- Deutscher Titel: Dead of Winter
- Original-Titel: Dead of Winter
- Regie: Arthur Penn
- Land: USA
- Jahr: 1987
- Darsteller:
Mary Steenburgen (Katie McGovern), Roddy McDowall (Mr. Murray), Jan Rubes (Dr. Joseph Lewis), William Russ (Rob Sweeney), Mark Malone (Roland McGovern), Ken Pogue (Officer Mullavy), Wayne Robson (Officer Huntley)
Vorwort
Die junge Schauspielerin Katie wartet auf den Durchbruch, der gar nicht schnell genug kommen kann, erst recht, weil ihr Ehemann sich eine Kufe gebrochen hat und sich für die Dauer der Rekonvaleszenz sein Bruder unbürokratisch im eh schon engen Ehenest einquartiert hat.
Doch endlich mal scheint ein Vorsprechtermin Glück zu bringen – Mr. Murray, dem Vertreter der Produktion, springt beim Anblick Katies schier der Draht aus der Mütze, und dazu hat er allen Grund. Wie er erklärt, ist der von ihm vertretenen Indie-Produktion die Hauptdarstellerin, eine gewisse Julie Ross, abhanden gekommen, und Katie gleicht der Arbeitsverweigerin bis auf’s Haarfollikel. Ein paar Probeaufnahmen, um den Regisseur, der gerade mit seiner Crew den Rest des Films, für den die weibliche Hauptrolle nicht gebracht wird, abdreht, zu überzeugen, sollten, meint Murray, eine reine, dafür aber gut bezahlte Formalität sein.
Die Aufnahmen sollen im Haus des Produzenten upstate NY stattfinden. Mr. Producer ist ein gewisser Dr. Lewis, ein retirierter Püschiater, der nun wohl seine angesparte Kohle mit dem teuren Hobby Film verbrennt. Lewis und Murray, der auch als sein Faktotum fungiert, sind sympathisch, aber ein bisschen seltsam. Außerdem funktioniert das Telefon nicht und als Murray sie zwecks Chaffeurdienst in die nächste Ortschaft bringen soll, auf dass sie ihrem Männe von der heilen Ankunft berichten kann, versagt die Karre den winterlichen Dienst.
Well, dafür gibt’s immer noch vernünftige Erklärungen. Und auch, dass ihre Vorgängerin Jamie Rose nicht einfach nur vom Set marschiert ist, sondern einen „Zusammenbruch“ unbestimmter Art erlitt, macht die ganze Geschichte noch nicht völlig unplausibel. Aber bei den „Probeaufnahmen“, die Lewis mit einer billigen Videokamera durchführt und bei der Murray als „clapper“ dilettiert, sollte eine professionelle Schauspielerin schon stutzig werden. Nunja, vielleicht ist Katie so aufgeregt wegen der gehaltvollen Rolle – in der Szene soll sie jemandem aufgebracht erklären, dass ein Mordanschlag auf sie verübt wurde.
Nach der Aufnahme beobachtet sie, wie Murray die Kassette sofort wegbringt (und das Auto vorzüglich funktioniert), obwohl der Regisseur doch eigentlich bald eintreffen soll.
Nun, Katie wird bald schon klar werden, dass sie in eine üble Erpressungsgeschichte geraten ist, die mit „Film“ nur insoweit zu tun hat, als dass sie einen guten Kinothriller abgeben würde. Fakt ist jedenfalls, dass Katie eine Gefangene in Dr. Lewis‘ Haus ist, der Doktor und sein Gehilfe auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, um sie festzuhalten. Fatal, fatal. Lewis setzt Katie unter Drogen und als sie aus ihrer Betäubung aufwacht, fehlt ihr zu ihrem verständlichen Schreck der Ringfinger der linken Hand. Durchaus ein Grund zur Panik – sie flüchtet auf den Dachboden, wo sie a) ein funktionierendes Telefon und b) die Leiche ihrer vermeintlichen Vor- und tatsächlichen Doppelgängerin findet. Ihr hilfeheischener Anruf beim Ehemann setzt diesen in Bewegung, nur weiß er nicht mal, wo er sie suchen soll.
Inhalt
Die Wege der Filmdistributoren sind unergründlich. Ich schätze ja das britische Indie-Label 88 Films sehr für seine erschwinglichen Blu-Ray-Auflagen restaurierter Genre-Klassiker, und dass ein kleiner, fast vergessener Chiller wie „Dead of Winter“ so einer interessierten Öffentlichkeit verfügbar gemacht wird, ist sowieso ein gutes Werk, aber eine Veröffentlichung im Rahmen der „Slasher Classics Collection“, in deren Rahmen das Label sonst so großartige Lichtspielwerke wie „Scalps“, „Drive-in Massacre“ oder „Sleepaway Camp 3“ herausbringt? Das erschließt sich nicht auf Anhieb. Andererseits – ich will mich nicht beschweren…
„Dead of Winter“ spielt allerdings in einer deutlich anderen Liga als „Bloodsucking Pharaos in Pittsburgh“ (ein weiterer Titel aus der Reihe), handelt es sich doch um ein Spätwerk von Arthur Penn, dem Regisseur des Gangsterfilm-Klassikers „Bonnie & Clyde“, des Western-Opus „Little Big Man“ und anderer Filme, die man nicht unbedingt als Low-Budget-Ramsch bezeichnen sollte, ohne von den „richtigen“ Filmkritikern Prügel angedroht zu bekommen. Wie so viele Star-Regisseure der 60er und 70er war es auch für Penn nicht leicht, in der Spätphase seiner Karriere Projekte gestemmt zu bekommen und so lief seine Karriere ab Mitte der 80er eher unspektakulär aus – neben „Dead of Winter“ inszenierte er 1989 noch einen Kinoausflug des Illusionisten-Duos Penn & Teller („Penn & Teller Get Killed“, zwei mittelprächtig aufgenommene TV-Dramen und zuletzt 2001 eine Episode der nicht sonderlich erfolgreichen Gerichtsserie „100 Centre Street“.
„Dead of Winter“ ist damit praktisch von Amts wegen das „Highlight“ aus Penns Karriereherbst, ein winterlicher Thriller, der vielleicht sogar etwas die kurze Vogue von spannenden sorta-Kammerspielen wie „Misery“ oder „Der Tod und das Mädchen“ vorwegnimmt. Primär handelt es sich um ein Drei-Personen-Stück (vielleicht sollte man besser „Drei-Schauspieler-Stück“ sagen, spielt Mary Steenburgen doch gleich drei verschiedene Charaktere), was noch an Nebendarstellern aufgeboten wird, spielt letztlich für die eigentliche Handlung kaum eine Rolle.
Das Drehbuch von Mark Malone und Mark Shmuger basiert lose auf dem 1945er-Thriller „My Name is Julia Rose“ (eine Hommage an das Vorbild ist der Name Julie Ross), greift ein paar Ideen und plot points aus der Vorlage auf, spielt sich aber insgesamt doch eigenständig. Von Anfang an wissen wir als Zuschauer mehr als die Heldin – klassische suspense im Hitchcock-Sinn. Während sich das Mystery für Katie nur langsam aufdröselt (vielleicht sogar etwas langsamer als es sein müsste – Katies Naivität ist eigentlich nur durch ihren Hunger auf den schauspielerischen Durchbruch erklärbar), ist uns durch einen Prolog bereits klar, dass hier böse Ränke geschmiedet werden, auch wenn die Zusammenhänge erst im Filmverlauf aufgedeckt werden (ich habe, um künftigen Generationen die Freude am Rätseln nicht zu verderben, daher auch in der Inhaltsangabe bewusst fast nichts zum Mystery geschrieben und versuche mich auch in der Nachbetrachtung dahingehend zurückzuhalten).
„Dead of Winter“ mag streng genommen nicht sonderlich originell sein, spielt aber die bekannten Tarotkarten des Genres gekonnt aus – wir haben eine beinahe viktorianisch anmutende Villa, vollgestopft mit mehr oder minder geschmackvollem Tinnef inklusive eines automatischen Klaviers, Gastgeber, die auf den ersten Blick sympathisch und harmlos, ein wenig versponnen vielleicht, aber nett, erscheinen und doch dunkle Geheimnisse verbergen, eine Heroine, die sich nicht sicher ist, ob sie nur einer gepflegten Paranoia anheim gefallen ist oder an ihren üblen Bauchgefühlen doch einiges dran ist. Das Script und Penns Regie drehen die Eskalationsschraube sanft, aber bestimmt an – „Dead of Winter“ ist sicher kein Horrorfilm per se, aber spätestens, wenn Katie ihres Ringfingers verlustig geht, stellt der Streifen klar, dass er nicht *nur* auf einer psychologischen Ebene spielen will, sondern durchaus gewillt ist, einem guten Schocker nicht im Wege stehen zu wollen.
Natürlich gewinnt der Film enorm durch die dichte Atmosphäre, die Penn aufbaut (und eigentlich nur stört, wenn er tatsächlich da und dort zu Katies Mann und seinem Versuch, die Angetraute anhand ihrer vagen und eher kryptischen Hinweise aus dem hysterischen Anruf zu lokalisieren, umschaltet) – generell bin ich bekanntlich ein großer Freund von „Winterfilmen“ („Fargo“, „A Simple Plan“, „Der Gejagte“ – alles Streifen, die enorm von ihrem verschneiten Setting profitieren), und auch hier, obschon der Schnee ein wenig sehr künstlich wirkt, verfehlt das Setting nicht seine Wirkung, verstärkt das Gefühl von Abgeschiedenheit, Isolation und Hilflosigkeit, dem Katie ausgeliefert ist. Mary Steenburgen („Zurück in die Zukunft III“), eine aus diesem Rudel begabter Schauspielerinnen, die Ende der 80er/Anfang der 90er auftauchten und trotz prägnanter Auftritte nie wirklich *abhoben* und sich in die dauerhafte A-Liste vorkämpfen konnte (andere Kandidatinnen aus diesem Fundus: Jeanne Tripplehorn, Mary Elizabeth Mastrantonio, Julia Ormond), gelingt es auch sehr gut, den zunehmend fragilen Geisteszustand der Protagonistin umzusetzen – vielleicht strapaziert das Finale ein wenig die Glaubwürdigkeit (wenn Ihr beim Kucken soweit seid, werdet Ihr verstehen, was ich meine), aber, mei, letztendlich ist es ein Thriller. Erwähnt werden muss natürlich auch, obschon ich bislang aus SPOILER-Gründen kaum darauf eingegangen bin, dass Steenburgen es auch vollbringt, ihre drei unterschiedlichen Charaktere auch wirklich distinkt anzupacken und jeweils völlig anders zu spielen.
Neben Steenburgen braucht der Streifen aber natürlich auch würdige Antagonisten, und das Duo Roddy McDowall („Planet der Affen“)/Jan Rubes („The Amityville Curse“, „Der einzige Zeuge“) lässt sich nicht lumpen. Man muss es erst einmal hinkriegen, dass aus einem geriatrischen Rollstuhlfahrer (Rubes als Lewis) und einem kaum weniger alten devoten Mäuschen (McDowall als Murray) eine glaubhafte Bedrohung erarbeitet wird. Besonders McDowall ist beeindruckend intensiv, spielt Murray überraschend feminin und verleiht dem Film damit eine pikante homoerotische Note, die die fast schon symbiotische Beziehung Murrays zu seinem Arbeitgeber/Freund/Arzt Lewis noch etwas eindringlicher (äh) macht (es fällt übrigens auf, dass das Script selbst wenig tut, um diese homoerotische Komponente einzubringen, sondern diese sich fast exklusiv aus McDowalls Spiel ergibt. Rubes muss da gar nicht groß drauf einsteigen, da sein Charakter zwar oberflächlich freundlich, aber herrisch-dominant, McDowalls Murray von einer devoten Unterwürfigkeit ist, die Beziehung also allein durch die gezeichneten Machtverhältnisse glaubhaft wird).
Gerade für McDowall, der sich in dieser Phase seiner Karriere auch oft und ungern mit Doofsinnsparts in Deppenfilmen begnügen musste, ist es ein sehr gehaltvoller Part, den er auch mit allem Gusto angeht.
Dass der Film sich zum Finale, zur Auflösung hin einigen Genreklischees ergeben muss (aber immerhin auch eins sanft persifiliert), nun, das ist halt so – Klischees werden ja solche, weil sie erst mal funktionieren und letztlich ist „Dead of Winter“ kein Film, mit dem man Oscars abstauben wollte, sondern der als Spannungsfilm konzipiert ist und sich demzufolge den Konventionen unterwerfen muss. Nichtsdestoweniger ist „Dead of Winter“ atmosphärisch, spannend und ausgezeichnet gespielt – gutes Futter für kalte Winterabende.
Die Blu-Ray von 88 Films ist erfreulicherweise nicht zu Tode gefiltert/entrauscht, der geneigte Zuschauer darf sich daher durchaus noch an Körnung erfreuen. Die Farben sind ein wenig matt (was aber durchaus gewollt sein kann, um die bedrückende Atmosphäre zu unterstreichen – ein Kaleidoskop von brillanten Farben würde diesen Ansatz sicher untergraben), der Ton nicht herausragend, aber brauchbar. Extras gibt’s leider keine, dafür ist die Scheibe nicht teuer.
© 2017 Dr. Acula
BOMBEN-Skala: 3
BIER-Skala: 7
Review verfasst am: 15.11.2017