Dead Man Running

 
  • Deutscher Titel: Dead Man Running
  • Original-Titel: Dead Man Running
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  • Regie: Alex de Rakoff
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Tamer Hassan (Nick), Danny Dyer (Bing), Brenda Blethyn (Mutter), Monet Mazur (Frankie), Curtis „50 Cent“ Jackson (Mr. Thigo), Philip Davis (Johnny Sands), Ashley Walters (Fitzroy)


Vorwort

Ex-Gangster und -Knacki Nick versucht’s, seiner attraktiven Freundin und – vor allem – seiner seit einem Schlaganfall gelähmten Frau Mama zuliebe, auf die ehrliche Tour. Seine visionäre Geschäftsidee: Skitouren nach Dubai. Dumm nur, dass in den zwei Monaten der Existenz seines kleinen Reisebüros in London nicht mal der kleine Zeh eines potentiellen Kunden die Türschwelle überschritten hat. Und so wartet nicht nur Nicks alter Kumpel Bing auf mehrere Monate Gehalt, sondern auch der Lieferant der nagelneuen Einbauküche in Nicks Wohnung auf Kaufpreisentrichtung. Wie jeder aufrechte Bürger, der die Marktwirtschaft anzukurbeln gedenkt, greift auch Nick beherzt zum Kredit, allerdings nicht bei der HypoRealEstate oder wenigstens der nächstbesten Sparkasse, sondern bei Mr. Thigo.

Und wer so heißt, ist selten Kundenberater der Filialbank, sondern eher öfter Kredithai. Nun wäre normalerweise für den verständnisvollen Thigo die Kleinigkeit einer verspäteten Ratenrückzahlung kein Grund zur Veranlassung, allerdings hat die Wirtschaftskrise und die damit einhergehende allgemeine miese Zahlungsmoral seiner Kundschaft ein ärgerliches Loch in seinen Gucci-Geldbeutel gerissen. Ein Exempel muss statuiert werden und Thigos streng unparteiische Auswahl fällt auf Nick – in 24 Stunden soll Nick 100.000 Pfund auftreiben, sonst geht nicht nur er über die Themse, sondern auch seine geliebte Mama, und damit es in der Hinsicht keine Probleme gibt, lässt Thigo den gedungenen Killer Johnny Sands mit zwei doppelläufigen Schrotflinten in Mamas Wohnzimmer Platz nehmen.

Nick greift sich Bing und schreitet zur Geldakquise. Die gestaltet sich allerdings schwierig, da Thigo breitflächig gestreut hat, eher nicht zu wünschen, dass jemand seinem säumigen Schuldner finanziell unter die Arme greift. Doch so ein echter Londoner Haudrauf gibt nicht so leicht klein bei – erstes Startkapital verschafft sich Nick durch einen vorgetäuschten Überfall auf einen alten Ex-Knacki-Kumpel, weitere Vermehrung der Penunze gelingt durch schnelles Arrangement eines Underground-Streetfights und gezielte Manipulation eines Rennens auf der Hunderennbahn. 35 Riesen sind also beieinander, aber die müssen noch mal eben verdreifacht werden. Bing hat einen genialen Einfall – für 35.000 Pfund bekommt man so ein lauschiges Kilo Koks – selbiges strecke man ein wenig und verticke das Mischprodukt an ein Rudel dringend drogenbedürftiger Raver, presto! Nick lässt zwar ob der bösen Rauschgiftvertickung ein wenig den Moralischen raushängen, aber am Ende ist ihm natürlich der eigene Arsch (plus der mütterliche) näher als das reine Gewissen. Keine Frage, dass der vermeintlich narrensichere Plan aber nach allen Regeln der Kunst schief geht – und zwar SO schief, dass Nick sich in seiner Verzweiflung als Auftragskiller anheuern lässt…


Inhalt

Der britische Ganovenfilm ist sei seiner Generalentrümpelung durch Guy Ritchie nicht mehr totzukriegen – zwar könnte man der Ansicht nachhängen, das Subgenre würde mittlerweile, ähnlich wie der Zombiefilm, ein wenig an seiner eigenen Formelhaftigkeit ersticken (coole Gangster, die sich gegenseitig über´s Ohr hauen, sind zwar immer wieder nett und lustig anzuschauen, aber es ist halt auch ein festgefahrenes Schema), doch “unterhalb” des gehobenen Mainstream-Gaunerfilms hat sich eine Art Subkultur gebildet, die teilweise mit Mitteln des Guerilla-Filmmaking, wenig finanziellem Aufwand, aber dafür um so mehr Enthusiasmus, kleine, dreckigere Filme aus dem Unterweltmillieu auf die Beine stellen (ein Beispiel dafür ist z.B. der ziemlich gute London to Brighton). DVD-Publisher Ascot Elite hat sich mit seinem “UK”-Sublabel der Aufgabe gewidmet, diese räudigeren Vertreter des Genres hierzulande zu vertreiben.

“Dead Man Running”, eben in dieser Edition erschienen, ist quasi eine Art “Mittelding” dieser super-unabhängigen Herzblutprojekte und kommerziell kalkulierten Studiofilmen, produziert von dem doch recht renommierten Pikki Fearon (“Runnin´ with the Nines”) – unter freundlicher Unterstützung und finanzieller Hilfe u.a. der englischen Premier-League- und Nationalkicker Rio Ferdinand und Ashley Cole – und miteinem Schwung renommierter Darsteller.

Für Regie und Drehbuch zeichnet Alex de Rakoff verantwortlich, der sich erste Meriten mit der zweiten Folge der megaerfolgreichen “GTA”-Videospielserie verdiente und 2004 niemand geringeren als Schönling Orlando Bloom im Mockumentary “The Calcium Kid” als Amateurboxer, der mehr oder weniger zufällig in einen Weltmeisterschaftskampf stolpert, zeigte. De Rakoff schrieb ein Script von John Luton komplett um (auch, um den eintrudelnden “name actors” entsprechenden Raum zur Entfaltung zu geben) – Herzstück der Plotte ist ein im Prinzip unkaputtbares Konzept – das Zeitlimit, um eine bestimmte Aufgabe (mit im Zwefelsfall negativen Konsequenzen für körperliche Integrität) zu erfüllen, ist vermutlich eines der ältesten Motive der narrativen Erzählung und ganz speziell natürlich für Filmemacher ein dankbares Thema – Tempo und Spannungsentwicklung sind da quasi garantiert, ohne dass man sich um Charaktermotivation und ähnlichen Tinnef gesteigerte Gedanken machen muss, allerdings braucht man schon interessante Situationen und unerwartete Wendungen im Script – sonst könnte man auch einfach den Olympia-Marathon von 1928 nachstellen. (Disclaimer: for all I know kann der Olympia-Marathon von 1928 das spannendste und dramatischte Rennen aller Zeiten gewesen sein… ich hab das ehrlich nicht recherchiert…)

De Rakoff macht erst einmal vieles richtig – die wesentlichen Charaktere und das zu lösende Dilemma werden schnell etabliert: Nick und Bing sind “lovable losers”, trotz ihrer kriminellen Vergangenheit und notorischen Erfolglosigkeit nahezu bedingungslose Freunde (in der Tat ist die Geschichte ihrer Freundschaft mindestens ebenso wichtig wie die “Thriller”-Handlung); während Nick für seine Freundin (die der Geldnot wegen in ihren alten Job als Domina zurückkehrt, was Nick gar nicht recht ist) und seine Mutter (die Nicks Vergangenheit besser kennt als nick sich träumen ließe) aus tiefstem Herzen ehrlich werden will, trauert Bing der aufregenden (und offenkundig auch lukrativeren) Ganovenzeit durchaus hinterher. Thigo seinerseits ist kein tumber Schläger oder sadistischer Gewaltmensch, sondern betrachtet das zu statuierende Exempel als bedauerliche, aber eben unvermeidliche geschäftliche Maßnahme (und die kann natürlich nur wunschgemäß funktionieren, wenn das Exempel auch in aller Form statuiert wird, will sagen, dass für den Kredithai in der Tat die Darlehensrückführung eher kontraproduktiv ist).

Dies also recht elegant vorausgesetzt, können die Figuren in die eigentliche Jagd nach der Kohle gestürzt werden. Zunächst scheint es, als fiele Nick und Bing das Geldscheffeln verhältnismäßig leicht, aber natürlich muss den Protagonisten verschiedentlich der Boden unter den Füßen weggezogen, selbstverständlich die Grwissens- und Gretchenfrage “wie weit würdest du gehen…” gestellt (die Tamer und Bing begreifilcherweise unterschiedlich beantworten) und – selbstverdingens – zum Finale hin der ein oder andere Twist und Turn aus dem Hut gezaubert werden; vom Konstrukt her nicht die Originalität in Tüten, aber eine eben bewährte Methode, die de Rakoff auch ziemlich sauber und für das magere Budget von einer schlappen Million Pfund auch recht slick inszeniert (die zahlreichen location shoots sorgen selbstredend für Authenzität).
Was dem Film – etwas überraschend für sein Story-Gimmick – abgeht, ist der letzte Drive, die letzte Entschlossenheit, das letzte Quäntchen Dynamik und Rasanz. Bis de Rakoff in der Schlussviertelstunde das Tempo wirklich deutlich anzieht, ist es, man verzeihe den obligatorischen Kalauer, weniger “Dead Man Running” denn “Dead Man Walking”. Die Dramatik, der Druck, unter dem speziell Nick stehen sollte, wird nicht so richtig deutlich, das wirkt noch sehr gemütlich und vergleichsweise entspannt, was auch dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass der Streifen sich nach eigenem Selbstverständnis nicht bierernst zu verstehen wünscht, durchaus unbefangen mal Situationskomik oder einen Dialogwitz einbaut, aber zwangsläufig mit diesen humoristischen Auflockerungen das Tempo aus der eigentlichen dramatischen Geschichte herausnimmt. Es wird um Himmels Willen nicht langweilig, aber wenn man (was zugegeben unfair ist, weil “Dead Man Running” einen ganz anderen Anspruch an sich stellt) den Streifen mit einem einzigen konzertierten Adrenalin-Stoß wie “Crank” vergleicht, kommt einem die Sache vergleichsweise bieder und zurückgenommen vor.

Dies auch, weil de Rakoff auf die mittlerweile üblichen Mätzchen des neumodisch-hippen Gangsterfilms weitgehend verzichtet und auf eine geradlinige, charakterorientierte Inszenierung setzt. Mehr als kurze Zwischenschnitte oder Rückblenden, die eine gerade getätigte Äußerung eines Charakters illustrieren, lässt sich de Rakoff als Anbiederung an den Zeitgeist nicht aus dem Kreuz leiern; wie schon angedeutet, ihm sind die Charkaterbezieungen und -entwicklungen wichtiger als vordergründige Action, ein hehres Anliegen, das aber Zuschauer, die anhand Titel, Cover, Klappentext und Promotion-Material an einen Nonstop-Action-Thrillride denken, enttäuschen könnte (speziell, wenn die Handlung zu Nicks Mum und ihrem Killer-Wachund schaltet, wird es, durchaus beabsichtigt und schlüssigerweise, vergleichsweise statisch, weil da nicht viel mehr “passiert”, als dass zwei ältere Herrschaften sich gegenübersitzen).

Was bleibt, ist ein exzellent zusammengestellter Soundtrack und die Feststellung, dass “Dead Man Running” für seine 16er-Freigabe auch in Punkto Härten vergleichsweise harmlos ist (der Bodycount beläuft sich, wenn ich richtig mitgerechnet habe, auf drei) – das gilt auch für den “underground-Straßenkampf”, der zu den durchschaubarer choreographierten Filfights der letzten Dekade gehören dürfte (Luftlöcher schlagen war nie schöner).

Worauf man sich im aktuellen britischen Kino gemeinhin verlassen kann, sind die darstellerischen Leistungen, und die enttäuschen auch bei “Dead Man Running “ keineswegs. Kurioserweise ist am ehesten Hauptdarsteller Tamer Hassan (“Layer Cake”, “The Business”, “Sucker PUnch”, “Kick-Ass”, “Wrong Turn 3”) ein Schwachpunkt; zwar ist er engagiert bei der Sache und die Chemie, die ihn mit Danny Dyer verbindet, ist unübersehbar, aber für den lead ist er mir ein wenig zu uncharismatisch, zu austauschbar. Nicht *schlecht*, aber steigerungsfähig. Was dazu führt, dass er in den zahlreichen unterhaltsamen Dialoggefechten mit Danny Dyer (“The Football Factory”, “Severance”, “Doghouse”), obwol im Scriptkontext meist siegreich, schauspielerisch klar den Kürzeren zieht. Dyer (der komischerweise im Begleitmaterial wesentlich weniger “likeable” rüberkommt als der im Film deutlich “unzugänglichere” Hassan), erweist sich als veritabler “scene stealer” und hochgradig entertaining.
Viel Spaß machen auch Oscar-Nominentin und BAFTA-Preisträgerin Brenda Blethyn (“Stolz & Vorurteil”, “A River Runs Through It”, “Secrets & Lies”, wie unschwer zu erkennen, normalerweise eher im Arthouse-Bereich tätig) als Nicks gar nicht so naive Mama und Phlip Davis (“Quadrophenia”, “Alien 3”) als ihr potentieller Mörder, die mit wenig Aufwand maximale Wirkung erzielen.
“House Bunny” Monet Mazur (auch in Live! und dem unsäglichen “Hart am Limit” zu sehen, nebenberuflich noch Ehefrau von Regisseur Rakoff) hat als Nicks freiberufliche Domina-Freundin einige lustige Szenen, aber – und das hat mich wirklich verblüfft – die eigentliche Überraschung ist Rap-Supermegaweltstar 50 Cent. Nicht nur, dass ein zigfacher Plattenmillionär tatsächlich cool genug ist, in einem kleinen Low-Budget-Film eine Nebenrolle (wenn auch eine wichtige, da die Thigo-Sequenzen quasi die Bookends des Films darstellen) zu übernehmen (das fädelte Produzent Fearon ein, der zu 50s Plattenfirma Violator Records Verbindungen hatte, probehalber das Script hinschickte und selbst erstaunt war, dass 50 auf die Thigo-Rolle abfuhr), nein, er macht das auch wirklich gut – sicherlich auch ein Verdienst von de Rakoff, der das Script speziell für den Rapper umschrieb und sich nicht an dessen “öffentlichen” Gangstarapper-Image orientierte, sondern vielmehr an der “real-life”-Persona des Stars, dem erfolgreichen Geschäftsmann und Vorsteher eines Firmenimperiums; das macht der halbe Dollar dann auch überzeugend, fein nuanciert und durchaus mit einem sympathischen Augenzwinkern. Kudos (da sieht man dann doch wieder, dass die amerikanischen Sprechgesangsakrobaten ihren teutonischen Rivalen in der Hinsicht deutlich überlegen sind, nicht wahr, Herr Bushido?).

Bildqualität: Die BluRay von Ascot überzeugt mit einem guten anamorphen 1.85:1-Transfer, der – die Low-Budget-Herkunft lässt sich halt mit allen technischen Kniffen nicht gänzlich verleugnen – sicherlich nicht ganz auf dem Level einer “Avatar”-Scheibe spielt, aber in Punkto Kontrast, Schärfe und Farben vollkommen zufriedenstellend ausfällt.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton werden in dts-HD 5.3 geboten. Für den O-Ton (den man der hinreißenden cockney-Akzente halber bevorzugen sollte) empfiehlt sich die Zuschaltung der (leider nur deutschen) Untertitel (der hölisch schwer zu verstehenden cockney-Akzente wegen… ähem), die deutsche Synchro ist qualitativ gut ausgefallen.

Extras: An Zusatzmaterial findet sich der Originaltrailer, eine ausführliche Sektion mit Videointerviews, in der fast alle wesentlichen Beteiligten zu Wort kommen (sicherlich knapp 45 Minuten), ein längeres unkommentiertes behind-the-scenes-Segment und eine kurze Promo-Featurette, deren Interview-Statements sich aber komplett in den längeren, ungekürzten Interviews wiederfinden. Eine Ascot-Trailershow rundet das Paket ab.

Fazit: “Dead Man Running” kann sich nun nicht gerade auf die Fahnen schreiben, den britischen Gangsterfilm neu zu erfinden – die Story gewinnt keine Originalitätspreise und so gut 70 Minuten lang befleißigt sich der Streifen für einen Film mit diesem Gimmick eines eher gemächlich-gemäßigten Tempos, aber als charakterorientierter Gegenentwurf zu den pseudocoolen hippen Ganovenfilmen, die sich um ihre Figuren kaum scheren, sondern nur danach streben, immer *noch* einen Twist, noch einen unvorhersehbaren Turn hinzulegen (was in den richtigen Händen zweifellos enorm viel Spaß machen kann, da frage man nur bei Ritchies “Bube Dame König Gras”, “Snatch” oder RocknRolla) und dank überwiegend gut- bis oberklassiger schauspielerischer Leistungen qualifiziert sich das Werk ohne weiteres für die Kategorie “solides Entertainment”. Wer das junge britische Thrillerkino mag, macht hier nichts verkehrt.


mm
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