Das Syndikat

 
  • Deutscher Titel: Das Syndikat
  • Original-Titel: La polizia ringrazia
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  • Regie: Steno (als Stefano Vanzina)
  • Land: Italien/BR Deutschland/Frankreich
  • Jahr: 1972
  • Darsteller:

    Enrico Maria Salerno (Bertone), Mariangela Melato (Sandra), Mario Adorf (Riccuiti), Franco Fabrizi (Bettarini), Cyril Cusack (Stolfi), Jürgen Drews (Michele Settecamini), Piero Tiberi (Mario Staderini, als Pietro Tiberi), Corrado Gaipa (Armani), Giorgio Piazza (Justizminister), Enzo Sancrotti (Santalamenti)


Vorwort

Commissario Bertone ist frustriert – in Rom tobt das Verbrechen, und wenn’s der Polizei einmal gelingt, einen Übeltäter zu fassen, dauert’s nicht lange, und irgendein Richter lässt ihn wieder frei. So z.B. den Mörder Bettarini, der sich mangels Beweisen wieder ungesiebter Luft erfreuen darf. Von der Presse bekommt’s die Polente sowieso ab – einerseits tut sie zu wenig, um Verbrecher zu fangen, andererseits geht sie mit denen, die sie erwischt, zu grob um oder knüppelt eh die Falschen nieder. Klassische Lose-Lose-Situation für Leute wie Bertone, die eigentlich doch nur ihre Pflicht erfüllen wollen.

Sein Mentor und väterlicher Freund, der Ex-Polizeichef Stolfi, kennt das Gefühl nur zur Genüge und kann, da im Ruhestand, nunmehr unbelastet von politischem Druck, freimütige Interviews geben und die Wiederherstellung des Vertrauens in die Justiz fordern.

Dieweil versuchen zwei jugendliche Tunichtgute, Mario und Michele, einen Juwelier zu beklauen. Weil die beiden Idioten sind, geht die Nummer natürlich schief – Michele legt die alte Juwelierin und einen Handwerker, der ihn aufhalten will, um. Angestachelt von der Presse fordert ein wütender Mob rollende Köpfe, und wenn die zufällig zuvor am Körper des tatsächlichen Mörders montiert waren, ist das ein nicht zwingend notwendiger Bonus.

Michele taucht ab, aber nicht allein, er nimmt ein achtzehnjähriges Mädchen als Geisel und sucht sich ein sicheres Versteck. Lästig für Bertone, denn das Vorhandensein einer Geisel macht größere Rücksichtnahme notwendig – selbst, wenn man den Lümmel findet, kann man ihn nicht einfach totschießen, erstens wegen der Gefahr für die Geisel und zweitens wegen der Presse. Mit der Reporterin Sandra hat Bertone zwar eine Verbündete in der Journaille, aber Staatsanwalt Riccuiti, mit dem Bertone schon seit der Bettarini-Geschichte auf eher unfreundschaftlichem Fuß steht, als auch die höheren politischen Instanzen geben Bertone unmissverständlich zu verstehen, dass der Fall mit aller Vorsicht angegangen werden muss.

Das bleibt aber nicht Bertones singuläres Problem – plötzlich sterben die Verbrecher in der ewigen Stadt wie die Fliegen. Da Mario, Micheles Komplize, praktisch standrechtlich am Tiberufer erschossen, dann Bettarini, an einem E-Werk elektrisch gegrillt. Bertone vermutet rasch, dass hier eine Vigilantengruppe am Werk ist, die Verbrecher, die dem System irgendwie durchgeschlüpft sind, auf kurzem Dienstweg der vermeintlich gerechten Strafe zuführt.

Der Zufall führt Bertone zu Micheles Versteck, doch der geplante Sturm auf den Schuppen wird von Riccuiti zurückgepfiffen, der Michele samt Geisel einen Fluchtwagen zur Verfügung stellt. Die Vigilanten sind indes fleißig und nun mehr dabei, eher generell unerwünschtes Gesindel abzumurksen – eine Hure, einen schwulen Freier und einen linken Politextremisten. Stolfi vermutet, dass es sich um Symbolpolitik handelt, die Organisation will zeigen, dass sie gesellschaftsfeindliche Umtriebe bestrafen will. Bertones Vorgesetzte allerdings machen deutlich, dass er gefälligst nicht in Richtung eines faschistischen Geheimbundes ermitteln soll. Tut er aber trotzdem, mit Hilfe seiner Journalistenfreundin Sandra.

Allerdings sind die Vigilanten nicht uneffektiv – diverses kriminelles Gesocks bangt um sein armseliges Leben und stellt sich lieber selbst der Polente. Bertone allerdings wird damit konfrontiert, dass ein Gutteil seiner Abteilung mit den Methoden der Organisation sympathisiert.

Bei einer Verfolgungsjagd, bei der Bertone den Zugriff genehmigt, kommt Micheles Geisel ums Leben und der Verdächtige entkommt erneut. Doch angesichts der mordlüsternen Sebstjustizbrigaden bietet Michele über einen Anwalt an, sich zu stellen – doch nur Bertone und nur ihm allein…


Inhalt

Wenn man ein Genre langjährig verschmäht hat und dann doch irgendwann herausfindet, dass man was versäumt hat, ist das eigentlich ein Vorteil – hat man dann doch jede Menge zu sichtendes Material, auf das man sich freuen kann, vor sich. So ungefähr geht’s mir mit dem italienischen Polizeifilm, der mich abseits der Bud-Spencer-“Plattfuß“-Filme, die ja durchaus als semi-seriöse poliziottescos begannen, nicht weiter interessierte. Aber man kommt nicht drum rum – genug verdiente Darsteller und/oder Regisseure tummelten sich auch in diesem Sujet und ganz besonders aus zeitgeschichtlicher Hinsicht sind die Streifen hoch interessant. In den 70ern litt Italien unter linksanarchistischem Terror (der oft genug allerdings nur die Maske rechtsfaschistischen Terrors war, mit dem erzkonservative und kreuzkatholische Kräfte die in Italien stets starke sozialistische-kommunistische Fraktion zu kompromittieren suchte) und bis ins Mark korrupter Justiz und Politik.

Es mag daher verwundern, dass der traditionell linksorientierte italienische Genrefilm vermeintlich auf den „Dirty Harry“-Zug aufsprang und einzelkämpferische, Recht und Ordnung in ihrer Urform verpflichtete und vom System nach allen Regeln der Kunst behindert bis bekämpfte markige Männer mit losem Schusswaffengebrauch en gros servierte. Was oberflächlich wie ein Widerspruch aussieht, muss keiner sein, denn kaum einer der polizittescos verabsäumt herauszustellen, dass das Schweinesystem, das aufrechte Männer wie Maurizio Merli daran hindert, wirkungsvoll gegen die organisierte (bzw. auch unorganisierte) Kriminalität vorzugehen, ein rechtes System ist, das entweder ganz direkt durch Korruption am Verbrechen profitiert oder es, wie hier z.B. die Kriminalität bewusst soweit ausufern lässt, dass der Ruf nach „starker Hand“ unüberhörbar wird und sich quasi auf Volkswunsch eine faschistische Regierung, die hart gegen das Gelumpe durchgreift, installieren kann (ein Schelm, wer umgerechnet auf die heutige Situation gewisse Politiker und Parteien mit solch Taktik in Verbindung bringt). Insofern kann der Schrei nach einer funktionierenden Justiz, nicht umsonst als unabhängige dritte Säule der Demokratie gedacht, und einer Polizei, die die richtigen Prioritäten setzen darf und nicht zum Büttel politischer Befindlichkeiten verkommt, durchaus eine ur-linke, wenn auch eher linksliberale denn linkskommunistische Forderung sein (man darf auch nicht vergessen – auch wenn natürlich „Dirty Harry“ dem Genre Pate stand, ist auch der Einfluss von Sidney Lumets „Serpico“ als Anklage gegen Polizeikorruption und -brutalität ein direkter Taktgeber für den italienischen Polizeifilm, nicht nur, weil Serpico das direkte Vorbild für Tony Milians „Superbullen“ war).

In dieser Situation lernen wir auch unseren hiesigen Protagonisten, den Commissario Bertone, kennen, ein aufrechter Gesetzesmann, seiner Arbeit ehrlich verpflichtet, der damit leben muss, dass seine Verantwortlichkeit für die Kriminellen faktisch an der Eingangstür des Gerichts endet und Staatsanwälte, Verteidiger und Richter nach seiner Einschätzung jedes juristische Schlupfloch suchen und ausnutzen, damit der Delinquent keine oder eine möglichst leichte Strafe (die, falls mit Knast verbunden, dann noch dazu dient, dass der Gefangene sein kriminelles Handwerk dort im Kreise aufgeschlossener Kollegen verbessern kann), und in jedem Fall, egal, ob er nun einen Kriminellen verhaftet oder nicht, in den Augen der Medien und damit der Öffentlichkeit der Angeschissene ist. Das allerdings hindert ihn nicht daran, weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen seinem Job nachzugehen und der Versuchung, der Vigilantentruppe (die ihn für einen fähigen Mann auf der leider falschen Seite hält) beizutreten oder sie auch nur als etwas andere als gewöhnliche Verbrecher, denen das Handwerk zu legen ist, zu halten (eine Ansicht, die, wie sich herausstellt, wahrlich nicht unbedingt die der Mehrheit seiner Kollegen ist. Auch hier drängen sich wieder gewisse Parallelen zum zumindest ordentlich braun durchmengten Staatsdienst in den vor allem östlichen Bundesländern unserer schönen Republik auf). Bertone ist unkorrumpierbar, aber, im Gegensatz zu späteren poliziottesco-Antihelden, wie sie gerade eben Maurizio Merli des Öfteren verkörperte, auch unbedingt gewillt, im Rahmen des Systems zu bleiben und nicht direkt in den „bewaffneten Widerstand“ zu gehen, außergesetzlich den Verschwörern den Garaus zu machen. Regisseur und Co-Autor Steno (der Welt womöglich als Komödienregisseur bekannter, zuständig u.a. für „Plattfuß“, „Banana Joe“ oder Bud Spencers späte Krimiserie „Jack Clementi“) ist noch nicht ganz so nihilistisch oder zynisch wie die meisten seiner Nacharbeiter – er geht noch davon aus, dass ein paar gute, aufrechte Männer das Schlimmste verhindern können, auch, weil sich die Intriganten ihrer Sache vielleicht zu sicher sind.

Das Thema des Films ist also – leider – immer noch aktuell, auch wenn sich die rechten Rattenfänger mittlerweile einen anderen Popanz aufgebaut haben, auf den sie draufschlagen können, aber die Mechanismen sind durchaus die gleichen – man verteufele den Rechtsstreit als „zu lasch“, verweigere ihm aber gleichzeitig die Möglichkeiten, gegen vorzugehen, die die wahre Gefahr für Demokratie und Zivilgesellschaft sind (und die sind für die radikale Rechte bekanntlich zu überwindende Gegner und nicht erstrebenswerte Ideale), oder müssen es erst gar nicht, weil sie die Behörden eh schon durchsetzt haben.

Stenos Film wird vom deutschen DVD-Vertrieb als „Vater“ des poliziottesco bezeichnet. Keine Ahnung, ob das wirklich so ist, jedenfalls ist es ein früher Vertreter dieses sehr italienischen Genres (das italienische Kino hat halt wie keine andere kontinentale Filmindustrie auch vermeintliche reine Kommerzgenres wie Horror oder Krimi politisch aufgeladen), was heißt, dass noch nicht alle Formeln und Ideen, deren sich das Genre in den nächsten fünf-sechs Jahren bedienen sollte, vollständig entwickelt sind. Steno hält den Film bodenständig – ja, es gibt den ein oder anderen Shoot-out und Verfolgungen, aber alles ist noch in einem sehr realistischen Rahmen gehalten und geht noch nicht in die totale Exploitation-Schiene (keine Frage, zwei-drei Jahre später hatte Michele nicht explizit darauf hingewiesen, dass er seine Geisel nicht zu vergewaltigen beabsichtige, sondern das als hochwillkommene situationsbedingte Zulage gern mitgenommen. Dass das Mädchen sich ausziehen muss, ist für ihn nicht sexuellen Gelüsten, sondern praktikablen Erwägungen geschuldet. Anständiges Mädel wird nicht nackig stiften gehen wollen), beleuchtet das Zusammenspiel von Polizei, Staatsanwaltschaft, Politik und Medien (in einer kuriosen, aber effektiven Szene, die zwar eigentlich nothing mit anything zu tun hat, kutschiert Bertone die Medienvertreter in einer nächtlichen Stadtrundfahrt durch Rom, um den Journalisten mal den „underbelly“ der Kriminalität vorzuführen – Straßenstrich und Schwulenstrich, und veranschaulicht den Reportern, dass das hier generierte Geld das größere, spektakulärere Verbrechen finanziert).

Strukturell bleibt Steno beinahe ausschließlich bei seinem Protagonisten Bertone, schaltet nur ab und zu, damit wir diesen Subplot nicht vergessen, zu Michele und seiner Geisel (auch wenn da die Zeitabläufe etwas… wirr sind), und zeigt uns die Verbrechen der Vigilanten, primär aber operieren wir aus der Sicht und mit dem Kenntnisstand Bertones, versuchen mit ihm, das Rätsel zu entwirren und den Verantwortlichen auf die Schliche zu kommen (seine entscheidende Entdeckung allerdings blendet Steno aus, um sie uns als Überraschung im Showdown servieren zu können. Kann man für Schummel halten, aber letztlich ist „Das Syndikat“ keine Doku, sondern ein Spannungsfilm, der sich für sein Finale eben noch Enthüllungen aufheben muss und darf). Trotzdem entwickeln sich einige interessante Nebenfiguren wie Betterini, der „übliche Verdächtige“, Junior-Psychopath Michele, und die beiden „Wände“, gegen die Bertone seine Bälle spielt, Sandra, die Journalistin, die zwischen der Kritik an den Institutionen und an der an ihren Vertretern (sprich Bertone) zu differenzieren weiß, und Riccuiti, der liberale Staatsanwalt, der prinzipiell zwar das selbe will wie Bertone, sich aber nicht auf Bauchgefühle verlassen will, sondern „by the book“ vorgeht. Nicht notwendigerweise die alleroriginellsten Figuren, aber solche, anhand derer der Film sich entwickeln kann.

Das Hin- und Her-Hopsen zwischen den zwei Haupthandlungssträngen Michele+Geisel einer- und Vigilantenmorden andererseits bringt den Flow des Films zwar manchmal ein wenig ins Stottern, aber die beiden Plotlines verbinden sich schließlich durchaus schlüssig.

Wie bereits gesagt ist „Das Syndikat“ kein Exploitation-Film, für einen Italo-Film, den man ja immer gern ein wenig mit Sleaze in Verbindung bringt, ist er ziemlich zahm (FSK-16-tauglich), trotz einiger Morde und Actioneinlagen. Zu dieser Phase hat der poliziottesco noch nicht die Stilmittel des Italo-Westerns in sein Strickmuster einverleibt. Stelvio Cipriani besorgt einen recht fetzigen Score.

Auf Darstellerseite lässt Western-Veteran Enrico Maria Salerno („Der letzte Zug nach Durango“, „Django – Unbarmherzig wie die Sonne“, „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) als Bertone nichts anbringen, den unbestechlichen Copper, der den Job aus Überzeugung macht, nimmt man ihm ab. Mario Adorf gibt in der Rolle des Riccuiti eine eher untypische (und glattrasierte) Vorstellung, an Mariangela Melato („Flash Gordon“, „Mimi – In seiner Ehre gekränkt“) werde ich mich irgendwie nie gewöhnen, ihr Gesicht hat etwas irritierendes, muss an den weit auseinanderstehenden Augen liegen… Routinier Franco Fabrizi („Ein Skandal in den besten Kreisen“, „Ginger und Fred“) gefällt als Berufs-Verdächtiger Betterini, der verdiente Mime Cyril Cusack („Der Spion, der aus der Kälte kam“, „Fahrenheit 451“, „Sacco und Vanzetti“) überzeugt als Stolfi. Die wahre Überraschung im Ensemble ist aber Onkel, König von Mallorca und Taubert-Freiwilliger Jürgen, der Drews („Sheba – Die dunkle Seite der Macht“), der als Michele einen wirklich eindrucksvoll schmierigen Jungkriminellen abgibt, taff, solange Herr der Lage, weinerliches Weichei, wenn’s brenzlig wird. Laura Belli („Die Nonne von Monza“, „Der unerbittliche Vollstrecker“) mimt angemessen verängstigt seine Geisel und zeigt ihre Knospen.

Colosseo Film bringt den Film in einer schönen Blu-Ray-/DVD-Kombo m Schuber (den man allerdings auch benutzen sollte, denn das eigentliche Amaray-Covermotiv ist erlesen scheußlich und könnte beinahe von einem aktuellen Seagal-DTV-Hobel stammen). Sowohl Blu als auch DVD beinhalten die ungekürzte Version (der früheren deutschen Kinofassung fehlte die Eröffnungssequenz, die nächtliche Standrundfahrt sowie zwei kleine weitere Dialogpassagen zwischen Bertone und Stolfi) in feinem 2.35:1-Widescreen (2K). An Sprachen wird Deutsch, Italienisch und Englisch nebst deutschen Untertiteln geboten.

Auf der Bonus-DVD findet sich eine gut einstündige Dokumentation mit Interviews mit Produzent Dieter Geissler, Mario Adorf und Jürgen Drews.

Insgesamt ist „Das Syndikat“ ein packender, spannender Polizeithriller, mit guten Darstellern, einem guten Drehbuch und einer sehr seriösen, unspekulativen Regie. Jeder Freund des politisch geladenen Genrekinos sollte sich diesen Streifen in seinen Schrank stellen.

© 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 7


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