Das Schlitzohr und der Bulle

 
  • Deutscher Titel: Das Schlitzohr und der Bulle
  • Original-Titel: Il trucido e lo sbirro
  •  
  • Regie: Umberto Lenzi
  • Land: Italien
  • Jahr: 1976
  • Darsteller:

    Tomas Milian (Sergio „Makkaroni“ Marazzi), Claudio Cassinelli (Antonio Sarti), Nicoletta Machiavelli (Mara), Claudio Undari (Mario, als Robert Hundar), Henry Silva (Breschianelli), Biagio Pelligra (Calabrese), Giuseppe Castellano (Vallelunga)


Vorwort

Die Entführung der zwölfjährigen Camilla stellt die Polizei vor Probleme – das Mädchen ist nämlich nierenkrank und wenn sie nicht binnen Wochenfrist an die Dialyse kommt, können die Eltern sich das Lösegeld gepflegt sparen. Die Girlnapper juckt die medizinische Versorgung ihres Opfers herzlich wenig, so dass die Cops zu verzweifelten Maßnahmen greifen: Der in Ungnade nach Sardinien strafversetzte Kommissar Sarti soll undercover ermitteln.
Sarti befreit als erste Amtshandlung den mit großer Klappe gesegneten Ganoven Marazzi, genannt „Makkaroni“, aus dem Knast, da allgemein vermutet wird, dessen Erzfeind Breschianelli sei für die Entführung zuständig. Marazzi wiederum rekrutiert das Gangstertrio Mario, Calabrese und Vallelunga, das gerade einen Zug überfallen hat und dem Sorti und Marazzi den Bären aufbinden, Breschianelli hätte sie verpfiffen. Damit haben die Herren Verbrecher natürlich eine gesunde Motivation, an der Aufsprürung des Oberbösewichts mitzuwirken. Da gibt’s nur ein Problem – in weiser Voraussicht hat Breschianelli sich eine neue Visage modellieren lassen (in wesentlich unweiserer Voraussicht allerdigns die von Henry Silva), ergo weiß niemand, wie er aussieht und wo er steckt. Sarti und Marazzi hoffen, über Breschianellis Freundin Mara an ihn heranzukommen, doch wie’s der Deibel und die allgemeine gesellschaftliche Lage im Italien der 70er so wollen, just als unsere Helden sich das Mädel greifen wollen, findet an Ort und Stelle ein politisch motiviertes Attentat statt, in dessen Nachwehen Mara sich verpfeifen kann.
Dieweil man in Polizeikreisen Resultate sehen will und die Staatsanwaltschaft (warum auch immer) verhindert, dass Camillas Familie das Lösegeld bezahlt, finden Marazzis Gaunerfreunde heraus, dass sie über’s Ohr gehauen wurden. Der Hinweis, dass sich die weitere Mitwirkung positiv auf die Beurteilung ihres Strafregisters auswirken könnte, zieht noch – allerdings legt Mario die nächstbeste Spur, einen zwielichtigen Anwalt, der mit der Entführung in Verbindung steht, unmotiviert um. Damit wären unsere tapferen Undercover-Recken so weit wie am Anfang, mit dem Unterschied, dass ihnen die Zeit energischen Fußes wegläuft…


Inhalt

Ach ja, Italien. Unsere Freunde vom Stiefel schulten in den 70ern ja bekanntlich großflächig von Western auf Polizei- und Gangsterfilme um (und wieder ein paar Jahre später dann auf Horror und SF), gleichzeitig – motiviert durch den Erfolg der Spencer/Hill-Prügelorgien – fuhren sie den Comedy-Anteil ihrer Produktionen hoch. Einer der Top-Protagonisten dieser Krimiaction-meets-Komödie-Schiene wurde Tomas Milian. Gesegnet mit Paul-Breitner-Afro und Vollbart ist dieser Inbegriff des italienischen 70er-B-Kinos nicht mal’n Einheimischer, sondern Amerikaner mit kubanischen Wurzeln, der sich seine ersten darstellerischen Meriten am Broadway verdiente und Mitte der 60er für’s italienische Kino entdeckt wurde. Anfänglich gebucht auf sadistische Psychopathen, landete er 1976 mit der Rolle des Kommissars Nico Grimaldi in „Der Superbulle mit der Strickmütze“ einen überraschenden Volltreffer. Der Charakter, der – man glaube es oder nicht – durch Al Pacinos „Serpico“-Figur inspiriert wurde (und um drei Ecken damit als „based on true events“ gewertet werde kann), ein verdeckt arbeitender Ermittler mit großer Schnauze und Wumms in den Fäusten, wurde zu Milians „signature role“ – bis 1984 folgten insgesamt 11 „Superbulle“-Filme, die auch in Deutschland einigermaßen erfolgreich liefen (auch dank kalauernder Synchronisierungen, die aus „Nico Grimaldi“ „Toni Makkaroni“ machten); im Gegensatz zu den Fortsetzungen verstand sich der ursprüngliche“Superbulle“-Streifen übrigens ernst (gen Ende der Reihe hin entwickelte sich der Kram zu Schwänken für die Leute, denen Spencer/Hill zu subtil waren).

Jedenfalls färbte Milians neue Star-Rolle auch auf seine weiteren Engagements ab – und umgekehrt, denn „Monnezza“ (zu Deutsch ungefähr „Mülleimer“), der Spitzname seiner Figur in den drei „Monnezza-„Filmen, entwickelte sich in Italien zur generischen Bezeichnung für ALLE künftigen Milian-Rollen (in Deutschland blieb man bei „Makkaroni“. Warum auch politisch korrekt sein, ne?). Und den ersten „Monnezza“-Film nehmen wir uns heute vor.

Geschrieben von Dardano Sacchetti, damals noch praktisch exklusiv im Poliziotto-Bereich tätig (später wurde er dann einer der umtriebigsten Autoren für Italo-Horror) und inszeniert von Umberto Lenzi, der ein halbes Dutzend mal mit Mlian zusammenarbeitete, zeigt „Das Schlitzohr und der Bulle“ deutliche Indizien einer Produktion auf, die ursprünglich mal als ernster Poliziotto konzipiert wurde und, um Milians neue komödiantischen Antics unterzubringen, hastig umgeschrieben wurde. Wobei… „umschreiben“ ist schon wieder zu viel der Ehre, das würde ja implizieren, Sacchetti und Lenzi hätten sich tatsächlich Gedanken gemacht, wie der Comedy-Shtick ihres Stars sinnvoll in den Narrativ eingebaut werden könnte. Der Film macht vielmehr den Eindruck, als hätten seine Macher so alle zehn Drehbuchseiten ein-zwei Seiten herausgerissen und durch „Milian-macht-komische-Sachen“-Szenen ersetzt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob der comic relief an der Stelle passt oder die eigentlich relevante Krimihandlung dadurch leidet. Und da Milians Shtick sich – zumindest hier – größtenteils darauf beschrenkt, die Augen aufzureißen, herumzuschreien und optional ein wenig zu grimmassieren, löst das schnell einen Ermüdungseffekt aus (anders ausgedrückt: sie sind halt nicht lustig). Und ein herumbrüllender Tomas Milian ersetzt halt keine Szene, die erklären würde, warum in der Krimihandlung etwas so passiert, wie’s passiert (z.B. warum zum Henker die Staatsanwaltschaft das Vermögen von Camillas Eltern beschlagnahmen sollte. Und warum sie es überhaupt dürfte).

Es ist natürlich nur meine durch nichts untermauerte Theorie, dass am Script herumgedoktort wurde, um Milian unterzubringen, aber man bemerkt deutlich, wie holprig „Das Schlitzohr und der Bulle“ dramaturgisch operiert – praktisch nichts, was Milians Figur macht, hat gravierende Bedeutung für den Plot. Ohne seinen Charakter wäre der Streifen deutlich packender – ein harter Cop, der gegen seinen Willen mit hartgesottenen Gangstern zusammenarbeiten muss, um unter Zeitdruck die Entführung aufzuklären, das ist ausgezeichnetes Material für einen straighten, seriösen Thriller. Klar, das ließe sich durchaus komödiantisch aufpeppen – nicht von ungefähr behauptet zumindest Publisher Anolis, Walter Hill hätte sich durch diesen Film zu „Nur 48 Stunden“ inspirieren lassen (als Querverbindung kann man auch gelten lassen, dass Eddie Murphys Stammsynchronsprecher Randolf Kronberg hier Milian – im vollen Murphy-Schnodderschnauze-Modus, nur ohne ein entsprechend witziges Synchronbuch – spricht. Ist ’ne optische Umstellung…) -, aber bei Hill ist die Verbindung von Thrill, Action und Sprücheklopferei einfach organischer, gewachsener, während sie hier aufgepfropft, wie sagt der Anglophile so schön, „shoehorned in“ erscheint.

Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass der Film sich praktisch selbst überflüssig macht – nachdem nämlich alle Versuche unseres Heldenteams, irgendwie an Breschianelli oder seine Matratze ranzukommen, schmählich gescheitert sind, verfallen sie auf eine gewagte Verzweiflungsaktion – sie (festhalten) ziehen Informanten von der Straße sachdienliche Hinweise gegen schnöde Penunze aus der Nase, was, wofür wir alles vollstes Verständnis entwickeln, selbstverständlich unter KEINEN UMSTÄNDEN 90 FILMMINUTEN VORHER GENAUSO MÖGLICH GEWESEN WÄRE (und, for the record, auch ein paar Leben gerettet hätte. Aber Schwund ist überall…). Ich hab schon manchen lahmen cop-out, um zu einem Showdown kommen zu können, gesehen, aber das ist diesseits Albert Pyuns völliger Verweigerung an ein Ende (in „Cyborg Warriors“) wohl eine der stumpfsinnigsten Methoden, sich aus einer totalen Sackgasse zu schreiben. Andererseits sollte ich an den Schreiberling von Killer Crocodile und Karate Warrior wohl keine übertriebenen Ansprüche stellen…

Handwerklich ist das alles auf einem passabel-routiniertem Italo-70er-nicht-totaler-Low-Budget-Kram-Level heruntergekurbelt. Auch wenn er für seine späteren Horrorwerke verdientermaßen Prügel einstecken muss, ist Umberto Lenzi, wie sein Sportskamarad Lucio Fulci, in den 70ern bereits solider Handwerker genug, um zu wissen, wie man mit den begrenzten Möglichkeiten einer nicht üppig budgetierten Produktion umgehen muss. Die Actionszenen sind unspektakulär (auch für den Entstehungsjahrgang), aber praktikabel, die Kameraführung nicht innovativ, doch brauchbar, das Tempo nicht übermäßig hoch, aber selten dazu angetan, den Zuschauer zu anderweitigen gewinnbringenden Tätigkeiten anzuhalten (auch wenn die „Komik“-Einlagen Milians schon in die Richtung tendieren, sie sind jedoch gottseidank nie ausschweifend genug, um den Film völlig zum Stillstand zu bringen).

Auf der Positivseite verbuchen wir einen geradezu genialen Einstieg (wir beginnen mit Cowboys, die durch’s Monument-Valley reiten und entsprechendem Theme, bis wir bemerken, dass wir nur einen „Film im Film“, den Milian und Genossen im Knast kucken, auf den Leim gegangen sind), auf der Negativseite eines der dussligsten „lustigen“ Enden der Filmgeschichte (Milian, der natürlich wieder zurück in den Knast müsste, „entkommt“ dem Commissario – erneut festhalten – mit der STRASSENBAHN, ein Vehikel, das man natürlich unmöglich verfolgen oder überwachen könnte, um den unautorisierten Schwarzfahrer beim Aussteigen abzupassen).

Der Score von Bruno Canfora („James Tont Operazione Due“) ist unauffällig, die FSK-16-Freigabe angesichts einiger blutiger Shoot-outs nicht unberechtigt (dass es „früher“ nur für gekürzte FSK 18 gereicht hat, dürfte sich angesichts der ruhmreichen Geschichte bundesdeutscher Filmverstümmelung von selbst verstehen).

Darstellerisch haben wir einen starken Kontrast – aber auch keinerlei Chemie – zwischen dem hyperaktiv herumkreischenden Tomas Milian und dem „unterspielenden“, keine Emotion zu viel zeigenden (und bartlosen) Claudio Cassinelli.
Das von ihnen rekrutierte Trio jovialer Gangster besteht aus Robert Hundar alias Claudio Hundari („Die Bestie aus dem Weltraum“, „Buddy haut den Lukas“, Von Wölfen gehetzt, Todesmarsch der Bestien), Biagio Pelligra („Der Schatz im All“, „Die letzte Rechnung schreibt der Tod“) und Giuseppe Castellano („Insel der neuen Monster“, „Milano Kaliber 9“), wobei Pelligra den „besten“, spielfreudigsten Eindruck hinterlässt.
Nicoletta Machiavelli („Navajo Joe“, „Matchless“) hat als nominelle weibiche Hauptdarstellerin viel zu wenig zu tun (und viel zu wenig Screentime), um über „gelegentlich schmückendes optisches Beiwerk“ hinauszukommen. Was – ohne den „optisches Beiwerk“-Halbsatz – auch auf den mal wieder verschwendeten, da nur sein Image als harter Maxe spazierentragenden (und vielleicht 10 Minuten Screentime habenden) Henry Silva zutrifft, der die ganze Angelegenheit dann verdientermaßen auch nur mit gebremstem Schaum spielt. Ja, ich gehe davon aus, dass der Streifen ursächlich mal verhältnismäßig ernst gemeint war, aber wenn ich Silva habe, dann lass ich Silva auch die Overacting-Sau Gassi führen.
Als „Gaststars“ vermelden wir Antonio Casale („Das Geheimnis der grünen Stecknadel“, „Todesmelodie“, „Zwei glorreiche Halunken“) in der eigentlich nicht wirklich wichtigen Rolle des minderwichtigen Gangsters „El Greco“, und den faszinierenden neuen Barbarentyp Peter McCoy alias Pietro Torrisi im Bitpart eines namenlosen Gauners.

Bildqualität: anolis lässt im technischen Bereich selten was anbrennen – die Jungs *lieben* Film und das überträgt sich meistens auch auf die Releases. Das „Schlitzohr“ wird im originalen 2.35:1-Widescreen-Format (anamorph) präsentiert. Sieht natürlich nicht ganz so aus wie frisch aus dem Ei gepellt, aber für einen italienischen 70er-B-Film durchaus ansprechend. Die Farben könnten vielleicht etwas kräftiger sein, Schärfe und Kontrast sind aber in Ordnung.

Tonqualität: Deutscher und italienischer Ton in Dolby Mono, deutsche Untertitel werden mitgeliefert. Es gilt analoges zum Bild – das reizt High-End-Equipment sicher nicht aus, aber es ist brauchbar (und dass mir im Zweifel ein originalgetreuer Mono-Mix lieber ist als

Extras: Trailer und Bildergalerie.

Fazit: Egal, wie man es dreht und wendet – letztendlich läuft alles darauf hinaus, dass man „Action/Thriller“ und „Comedy“ nicht so kombinieren kann wie Lenzi es hier tut („10 Minuten seriös gewesen, okay, jetzt macht Milian mal wieder drei Minuten Wahnsinn“). wenn man Action-Comedy machen will, hat man die Wahl zwischen der Slapstick-Route a la Spencer/Hill oder man entwickelt die Comedy aus den Charakteren, so wie es eben bei „48 Hours“ oder auch „Beverly Hills Cop“ passierte, die ihren Humor, ihren Comedy-Anteil flüssig, schlüssig, glaubhaft aus den Figuren heraus entwickelten. Wenn – wie hier – das Endresultat so aussieht, als hätte man aus einer Deppen-Komödie (denn leider geht Milians Herumgeschrei spätestens nach der zweiten Einlage heftig auf den Keks) einfach ’ne halbe Stunde herausgeschnitten und nach Gutdünken in einen vorhandenen ernsten Krimi reingefummelt. Was bleibt also? Ein großartiges Opening, ein ziemlich nerviger Milian, ein unterforderter Cassinelli, dito Silva, routinierte Technik, ein überraschungsarmes und gelegentlich ziemlich dümmliches Script, aber alles immerhin so flott serviert, dass man sich nicht langweilt. Das reicht beileibe nicht für ’ne Empfehlung, sollte unter der trauten Leserschaft aber Hardcore-Tomas-Milian-Fans sein, sollten die mal reinkucken. Ansonsten dürften weder Poliziotteschi- noch Italo-Klamotten-Freunde sonderlich zufrieden mit „Das Schlitzohr und der Bulle“ sein.

2/5
(c) 2012 Dr. Acula


mm
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