Das Märchen der Märchen

 
  • Deutscher Titel: Das Märchen der Märchen
  • Original-Titel: Tale of Tales
  •  
  • Regie: Matteo Garrone
  • Land: Italien/Frankreich/Großbritannien
  • Jahr: 2015
  • Darsteller:

    Salma Hayek, John C. Reilly, Laura Pizzirani, Hayley Carmichael, Vincent Cassel, Christopher Lees, Jonas Lees, Shirley Henderson, Toby Jones, Bebe Cave, Guillaume Delauney


Vorwort

Drei parallel erzählte, aber inhaltlich nur sehr rudimentär verknüpfte Episoden:

Eine gebärunfähige Königin (Salma Hayek) lässt sich in ihrer Not auf schwarze Magie ein, um endlich Nachwuchs zu bekommen. Ihr Gemahl (John C. Reilly) erlegt ein Meeresungeheuer, dessen Herz, von einer Jungfrau (Laura Pizzirani) zubereitet, die Queen essen muss, um eine eintätige Instant-Schwangerschaft zu erzielen. Zwar geht der König bei der Ungeheuerjagd drauf, aber das Rezept funktioniert – mit der unerwarteten Nebenwirkung, dass auch die Köchin schwanger wird. Sechzehn Jahre später sind Königssohn Elias (Christopher Lees) und Jonah (Jonah Lees) nicht nur optisch einander so ähnlich, dass selbst die Königin sie nicht auseinander halten kann, sondern auch beste Freunde. Was der Königin ein Dorn im kalten Auge ist – schließlich hat ein Prinz nicht mit gemeinem Pöbel zu fraternisieren. Als Jonah realisiert, dass die Lage königinnnenseits brenzlig wird, flieht er – hinterlässt seinem Freund allerdings eine Wasserquelle: sollte sich das Wasser jemals trüben, wird Jonah in Schwierigkeiten sein und es an Elias liegen, ihn zu retten. Kurze Zeit später tritt dieser Fall ein…

Ein notgeiler König (Vincent Cassel) verknallt sich in die Stimme der Wäscherin Dora (Hayley Carmichael), ohne zu ahnen, dass es sich bei der und ihrer Schwester Imma (Shirley Henderson) um alte, hässliche Vetteln handelt. Das Liebeswerben des Königs ist aber nunmal schwierig abzuschlagen – Dora gelingt es mit einer List, den King etwas hinzuhalten, aber irgendwann will nun mal auch das gutmütigste royale Staatsoberhaupt das Objekt der Begierde seines kleinen Königs *sehen* und *flachlegen*. Dora bedingt sich aus, dass der Akt in totaler Finsternis vollzogen wird. Damit kann der Kini für den Moment leben, doch nach dem Fick ist er freilich neugierig genug, um eine Kerze anzuzünden. Nachdem ihm vermutlich vor Entsetzen der Schwanz abgefallen ist, lässt er Dora aus dem Fenster werfen (und nicht grad aus dem Erdgeschoss). Dora wird aber von einer Zigeunerin gerettet – und ein Wunder geschieht, aus der alten Schrumpel wird auf zauberhafte Weise eine wunderschöne junge Frau (Stacy Martin). Kein Wunder, dass der König, als er auf der Jagd über das himmlische wesen stolpert, schon wieder einen royalen Ständer kriegt…

Ein dritter König (Toby Jones) befasst sich hauptsächlich mit der Heranzucht eines riesigen Flohs (!), anstatt sich um seine Teenage-Tochter Violet (Bebe Cave) zu kümmern, die ihrer Meinung nach langsam im heiratsfähigen Alter angekommen und in die Welt hinausziehen möchte. Nachdem der Floh sein Leben aushaucht, kann König Toby sich um solche Dinge kümmern. Vor die Hand seiner Prinzessin hat er allerdings eine Aufgabe gestellt – wer erraten kann, worum es sich bei der aufgespannten Flohhaut handelt, kann Violet haben; ein vermeintlich todsicherer Plan, um Violet im Schloss behalten zu können. Da hat der King aber die Rechnung ohne einen riesigen, hässlichen Oger (Guillaume Delauney) gemacht, der das Gegerbte zielsicher identifiziert. Nun ist ein König ein König und ein Wort ein Wort – der Oger darf mit Violet in seine gemütliche Wohnhöhle abziehen. Begreiflicherweise ist Violet mit diesem Arrangement nicht ganz glücklich…


Inhalt

Die Sammlung neapolitanischer Volkslegenden und –märchen „Il Pentamerone“, im 17. Jahrhundert zusammengetragen vom Poeten Giambattista Basile, gilt als erste wirkliche Sammlung des Märchenschatzes einer spezifischen Region und beinhaltet u.a. die ältesten überlieferten Versionen von „Rapunzel“ und „Aschenputtel“. Die Gebrüder Grimm lobten die Sammlung über den grünen Klee und weckten so das neuzeitliche Interesse an der zwischenzeitlich vergessenen Kollektion. Matteo Garrone („Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“, „Reality“, „Körper der Liebe“) hat sich nun für seine aufwendige europäische Ko-Produktion aus der gut 50 Stücke umfassenden Sammlung drei herausgesucht und für die Leinwand adaptiert.

Wie es sich für anständige, urwüchsige Märchen gehört, die nicht disneyfiziert wurden, sind Garrones Geschichten rau, schrecken vor Sex und Gewalt nicht zurück und pfeifen auf eine Moral-von-der-Geschicht. Am Ende des Tages hat von den verschiedenen Protagonisten kaum einer was gelernt, und wenn, dann nichts, was man gemeinhim seinem Sechsjährigen vorliest, damit der anständig bleibt.

In Salma Hayeks Geschichte geht es um die Selbstsüchtigkeit einer Mutter, die glaubt, weil sie ein Opfer gebracht hat, quasi auf Lebenszeit ein Anrecht darauf zu haben, über Schicksal und Umgang ihres Sohnes zu bestimmen und so droht, ihn zu verlieren. In der einzigen halbwegs moralisierenden Auflösung des Films muss die Königin ein weiteres, noch schwereres Opfer bringen, um ihren Sohn zurückzugewinnen. Bei Vincent Cassel, dessen Story quasi die humorige Auflockerung bringt, spielen Moral und Anstand sowieso keine Rolle. Hier geht’s um Sex und nix anderes. Sein König will alles ficken, was nicht bei drei auf’m Baum ist, lehnt Dora ob ihrer Hässlichkeit selbstverständlich ab und sorgt indirekt gerade dafür, dass sie sich in die junge Schönheit verwandelt, der er verfällt – und die Dora direkt den Weg auf den Thron der Königin ebnet. Aber wird geht Imma, die immer noch alt und runzlig ist, damit um? Violets Geschichte dauert ein Weilchen, bis klar ist, wohin die Reise geht, da wir uns zunächst mal mit des Königs rätselhafter Flohzuchtleidenschaft befassen. Aber auch danach hat die Story keine wirkliche moralische Wertung – ja, was der König macht, ist grausam und falsch, aber andererseits steht er zu seinem Wort, man darf es nicht einfach brechen, nur weil einem die Visage der Gegenseite nicht passt, also heben sich hier die moralischen Werte sozusagen auf. Violet darf das ausbaden, aber wer erwartet, dass die Geschichte sich in „Beauty and the Beast“-Territorium entwickelt und Violet den grobschlächtigen Oger schätzen und lieben lernt, der ist schief gewickelt. Sowas gibt’s im neapolitanischen Märchen nicht, da ist ein solches Dilemma nur blutig zu lösen.

Die Storys sind, wie ihr seht, nett, aber nicht sonderlich gehaltvoll – besonders bei der Hayak-Geschichte wartet man relativ verzweifelt auf eine Pointe, einen Twist, der aber einfach nicht kommen will; die Cassel-Geschichte ist umgekehrt bis auf ihre Pointe quasi nur ein gespielter Herrenwitz und dieweil die dritte Story die vergleichsweise „interessanteste“ ist, braucht sie zu lange, um zu Potte zu kommen. Zwar umgeht Garrone Probleme im Pacing und Timing der einzelnen Episoden dadurch, dass er im Zweifesfall dann einfach wieder zu einer anderen Geschichte umschaltet, dennoch entwickelt „Tale of Tales“ (der übrigens als „Das Märchen der Märchen“ auch einen regulären Kinostart bekommen wird) nie wirklich einen „kinematischen“ Drive. Es ist, und das auch eher auf altmodische Weise, TV-Erzählweise und würde vielleicht besser zu einer Miniserie passen.

Leider ist der Film auch nicht halb so bildgewaltig, wie der Trailer suggeriert – es ist alles sehr konventionell, ohne besonderes Auge für Bildkompositionen gefilmt, was aber nicht soo stark ins Gewicht fällt, da die Locations sensationell sind und für sich allein fesseln. Die Effekte (wie auch FFF-Sprecher Max sagte, ist es ausnahmsweise mal ein richtiger Fantasyfilm auf dem Fantasy Film Fest, es gibt Drachen und Seemonster) sind auf der Höhe und die Darsteller lassen nichts anbrennen. Salma Hayek gibt sich im Vergleich zu „Everly“ mal wieder zugeknöpft und würdevoll – aber sie kann eben die elegante Königin ebenso spielen wie die Vampirschlampe in „From Dusk Till Dawn“. John C. Reilly verschwendet sich eher unnötigerweise in einem Fünf-Minuten-Kurzauftritt, Vincent Cassel (der mir auch ein wenig mit der englischen Sprache zu kämpfen scheint), geht ab und zu etwas zu heftig in den overacting-Modus, aber seine Story ist auch die „most campy“, also mag das in Ordnung gehen. Und Stacy Martin ist ein Hinkucker vor dem Herrn… rawwrrr. Toby Jones macht als milde durchgeknallter König einen guten Job und auch Bebe Cave liefert eine anständige Leistung ab. Alpträume bereiten werden mir aber Christopher und Jonas Lees, die „children of the damned“… shudder.

Was „Tale of Tales“ fehlt, sind die großen dramaturgischen Höhepunkte – von allen drei Geschichten liefert nur die um Violet (zumindest in der Schlussphase) ein bisschen blutiges Remmidemmi, ansonsten ist das alles vergleichsweise bedächtig, „very european“ erzählt, ist dafür dann aber auch wieder nicht artsy genug. Es ist ein Film, dem mir irgendwie die rechte Zielgruppe zu fehlen scheint. „Märchen für Erwachsene“ ist zwar ehrenwert, aber ich denke, da wollen wir dann doch noch etwas mehr an Action, an Spannung, Thrill und, ja, verdammt, auch Romantik (denn wir wissen, ne Sexszene allein macht noch keine Romantik). Ich sehe den Film insgesamt nicht ganz soo kritisch wie der Wortvogel, kann aber insoweit seinem Resümmee „interessanter, als er gut ist“ zustimmen. Es ist weder dieser fulminante Bilderreigen, wie der Trailer verspricht, noch so „erwachsen“ wie er sein möchte, setzt sich zwischen die Stühle. Wem das nicht zu unbequem ist, kann sicher einige schöne Szenen, schöne Bauten, schöne Kostüme bewundern. Es ist halt mit ein bisschen Arbeit verbunden…

3/5
(c) 2015 Dr. Acula


mm
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