Das letzte Einhorn

 
  • Deutscher Titel: Das letzte Einhorn
  • Original-Titel: The Last Unicorn
  •  
  • Regie: Jules Bass, Arthur Rankin jr.
  • Land: Japan/USA/Großbritannien
  • Jahr: 1982
  • Darsteller:

    Schmendrick (Alan Arkin)
    Prinz Lir (Jeff Bridges)
    Einhorn/Amalthea (Mia Farrow)
    Molly Grue (Tammy Grimes)
    Schmetterling (Robert Klein)
    Mommy Fortuna (Angela Lansbury)
    König Haggard (Christopher Lee)
    Captain Cully (Keenan Wynn)
    Mabruk (Paul Frees)
    Schädel (Rene Auberjonois)
    Ruhk (BrotherTheodore)
    Katze (Don Messick)
    Baum (Nellie Bellflower)
    (Sprecher der deutschen Fassung: Traudel Haas, Tilly Lauenstein, Arnold Marquis, Barbara Ratthey, Thorsten Sene, Wolfgang Spier, Joachim Tennestedt, Evelyn Künnecke, Christopher Lee, Frank Zander)


Vorwort

Wieder mal ein Film, mit dessen Einordnung auf diesen Seiten ich mich moralisch irgendwie schwertue. THE LAST UNICORN ist für mich das, was die Anglophilen gerne eine „guilty pleasure“ nennen, also etwas, von dem man schamgebeugt zugeben muss, dass es einem gefällt. Seit ich den Film bei seiner Erstaufführung in Deutschland, anno 1983, im Kino gesehen habe, bin ich sowohl in den Film selbst als auch seine Musik gewissermassen verliebt. Auf der anderen Seite muss THE LAST UNICORN oft Prügel einstecken und da wir diese Seiten ja auch Filmen gewidmet haben, die unverdientermassen das Etikett „BADMOVIE“ verpasst bekommen haben, stimmt die Einordnung dann ja vielleicht doch noch.

THE LAST UNICORN basiert auf einem Fantasyroman von Peter S. Beagle, der 1974 erschien. Über Jahre versuchte Michael Chase Walker, der die Filmrechte sogleich erworben hatte, den Streifen zu realisieren, aber erst, als er mit den Zeichentrickproduzenten Arthur Rankin jr. und Jules Bass zusammentraf, die auch die Tolkien-Verfilmung THE HOBBITT sowie einige US-Christmas-Specials wie RUDOLPH THE RED-NOSED REINDEER geschaffen hatten, kam die Produktion ins Rollen, aber auch so dauerte es noch Jahre, bis in einem britisch-amerikanisch-japanischen Joint-Venture der Zeichentrickfilm seine Premiere feierte (es gibt übrigens Hinweise, dass der Film zunächst als Realfilm gedreht werden sollte, ein Glück, dass das njichts wurde…).


Inhalt

n einem „enchanted“, d.h. verzauberte Wald lebt ein Einhorn. Solange das Einhorn sich dort aufhält, wird es dort ewig Frühling sein und die Tiere stehen unter dem Schutz des Einhorns. Eines Tages verirren sich zwei Jäger in den Wald und ihrer achtlosen Konversation entnimmt das Einhorn, dass sie (Einhörner sind hier per se weiblich) das letzte ihrer Art sein soll. Derart verunsichert versucht sie, einen umherziehenden Schmetterling, der nur in Liedern und Gedichten spricht (in der deutschen Fassung relativ nervig von Frank Zander gesprochen, aber diverse Anachronismen verbricht auch der Original-Butterfly), näheres zu entlocken, aber der gibt nur kryptische Anmerkungen von sich, nach der ein geheimnisvoller roter Stier (interessanterweise im Original „Red Bull“, die Erfinder der gleichnamigen Brause mögen sich ärgern, dass es damals noch keine Möglichkeiten für Product Placement gab) alle Einhörner vertrieben hat. Das Einhorn beschliesst, der Sache auf den Grund zu gehen und ihre Artgenossen zu suchen (mann, das ist ganz schön ungewohnt, einem sächlichen Artikel weibliche Pronomen zu verpassen… mitlesende Deutschlehrer bitte gnädig darüber hinweggehen). Gewöhnlichen Sterblichen erscheint das Einhorn als normale, wenngleich schöne weisse Stute. Die Wanderschaft des Einhorns dauert Monate und schliesslich kann sie im Schlaf von der Hexe Mommy Fortuna, die sie als das erkennt, was sie ist, gefangen und in ihrem „Mitternachts-Rummel“ ausgestellt werden. Der tölpelhafte Zauberer Schmendrick erkennt das Einhorn ebenfalls und will ihr helfen. Die Befreiungsaktion gelingt, das Einhorn befreit die anderen gefangenen Tiere, grösstenteils gewöhliche Tiere, die mittels illusionistischer Tricks von Mommy Fortuna in Fabelwesen „verwandelt“ wurden, auch die Harpyie, neben dem Einhorn einzig echtes Fabelwesen, das prompt seine Rache nimmt und Mommy Fortuna tötet. Dem Einhorn und Schmendrick gelingt die Flucht.

Schmendrick weiss, dass der rote Stier einem gewissen König Haggard gehören soll, also macht man sich auf in dessen Königreich. Auf dem Weg dorthin wird Schmendrick aber von einer Räuberbande aufgebracht. Der erfolglose Zauberer kann dort zwar erstmals richtige Magie bewirken (sein Zauberspruch „Magie, tu was du willst“ hat Klassiker-Potential), aber Räuberhauptmann Cully ist ob des plötzlichen Auftretens eines Phantom-Robin-Hood, dem seine gesamte Mannschaft gleich hinterherläuft, wenig begeistert und plant, Schmendrick zu verkaufen. Eher missglückte Magie führt dazu, dass sich der Baum, an den Schmendrick gefesselt wird, in eine liebende Baum-Frau verwandelt, aber das Einhorn kann Schmendrick befreien. Molly Grue, eine desillusionierte ältere Frau, die der Räuberbande angehörte, erkennt das Einhorn als solches und schliesst sich den beiden an. Der rote Stier greift an, Schmendrick kann das Einhorn nur retten, indem er sie in eine menschliche Frau verwandelt. Es gelingt den dreien tatsächlich, an den Hof Haggards zu kommen, wo sich dessen Adoptiv-Sohn Lir in das Einhorn, nun Lady Amalthea, unsterblich verliebt, welche ihn aber ungeachtet diverser Heldentaten, die er für sie vollbringt, zunächst abweist. Während Schmendrick und Molly versuchen, einen Weg zum roten Stier zu finden, vergisst Amalthea in ihrer menschlichen Hülle allmählich ihr Einhorn-Dasein und ihre „Mission“. Haggard hingegen hat Amalthea durchschaut und will sie früher oder später seiner Einhorn-Sammlung, die der rote Stier für ihn angefertigt hat, einverleiben. Als es Schmendrick, Molly und Lir, der sich ihnen anschliesst, endlich gelingt, in die Höhle des roten Stiers einzudringen, ist es fast zu spät. Amalthea hat sich in Lir verliebt und will Mensch bleiben. Auf der erneuten Flucht vor dem Stier verwandelt Schmendrick sie gegen ihren Willen wieder in ein Einhorn. Dem Stier gelingt es beinahe, das Einhorn zu den anderen ins Meer zu treiben, Lir stellt sich ihm in den Weg, wird aber getötet. Daraufhin entschliesst sich das Einhorn zu kämpfen und treibt ihrerseits den Stier ins Meer, wodurch die anderen Einhörner befreit werden und Haggards Schloss zusammenbricht. Mittels Einhorn-Magie erweckt das Amalthea-Einhorn Lir wieder zum Leben und kehrt in seinen Wald zurück. Lir übernimmt Haggards Königreich, Molly und Schmendrick ziehen zusammen weiter.

Heute eine komprimierte Inhaltsangabe, die, wie ich denke, aber ausreichend ist. THE LAST UNICORN ist eigentlich weniger Fantasy als vielmehr klassisches Fairytale. Und als solches ist es ein recht düsteres Märchen (also eigentlich durchaus in der Grimm´schen Tradition, denn kaum jemand kann bestreiten, dass der gute alte Märchenhausschatz nicht mehr und nicht weniger als der Grundstock für praktisch den gesamten Themenbereich des Horrors in Literatur und Film ist), weswegen ich ein leichtes Problem damit habe, den Film als „Kinderfilm“ oder „geeignet für Kinder jeden Alters“ zu empfehlen. Einige Elemente könnten Kinder m.E. doch ziemlich verstören, der rote Stier ist eine schon fast klassische Horrorgestalt, die durchaus auch noch zartbesaiteteren Erwachsenen ein Gruselgefühl geben kann, recht heftig ist auch der Angriff der Harpyie auf Mommy Fortuna, auch wenn vieles off-screen bleibt, kann sich doch die begabte Fantasie einiges ausmalen, wenn man die Harpyie auf Mommy´s Körper sitzen und hacken sieht; Haggard´s finsteres Königreich ist auch nicht unbedingt anheimelnd. Die Szene, in der sich ein Baum in ein liebeshungriges Weibsstück mit, ähm, ganz schön dicken Brüsten verwandelt, erscheint mir auch heutzutage etwas deplaziert in einem Film, der sich an ein kindliches Publikum richtet.

Weitere Mankos: das Drehbuch hat doch auch in sich einige Flaws… die Szene, in der Schmendrick das erste Mal „richtige“ Magie ausübt, ist etwas unmotiviert. Molly Grue erwähnt Robin Hood und Schmendrick wirft sich mit einem „Magie, tu was du willst“ auf den Boden und zaubert den (ohnehin anachronistischen, da offensichtlich nicht in eine reine Fantasy-Welt gehörenden) Bogenschützen umgehend herbei, ebenso ist der Schmetterling ein reiner Anachronismus (dass er irgendwo „See you later, alligator“ aufgeschnappt hat, erscheint mir eher … zweifelhaft). Zugute halten kann und muss man Beagle allerdings, dass er es schafft, seinen Figuren zwar ein (relativ) glückliches, allerdings nicht unbedingt ein klassisches „happy end“-Ende zuzubilligen.

Das grösste Problem ist zweifellos die Animation selbst. Natürlich kann man einen nunmehr knapp zwanzig Jahre alten Film nicht mit den modernen Disney-Filmen vergleichen, aber selbst 1983 war THE LAST UNICORN technisch nicht auf der Höhe und Konkurrenzprodukten wie Don Bluth´s SECRET OF NIMH weit unterlegen. Backgrounds sind oft arg simplifiziert und auch die Flüssigkeit der Animation lässt stellenweise doch zu wünschen übrig, wobei auch unterschiedliche Zeichenstile auffallen, klassische UK/USA-Charaktere werden offensichtlichen Anime-Charakteren gegenübergestellt, aber zumindest das stört weniger.

Kritiker führen oft die Musik von Jimmy Webb als unpassend, zu süsslich oder zu aufdringlich an. Dem kann ich mich nicht anschliessen. Die drei Songs, die die US-Softrocker von AMERICA interpretieren, sind hervorragend, der Titelsong war ja nicht einmal von der obligatorischen 90er-Dance-Bearbeitung totzukriegen und bescherte 1983 AMERICA einen Welthit. Lediglich zwei Songs werden „in character“ dargeboten und während Mia Farrow sich mit ihrem Soloauftritt „Now that I´m a woman“ sangestechnisch nicht mit Ruhm bekleckert (im englischsprachigen Original-Cut wurde die Sangeseinlage prompt geschnitten), kann sich Jeff Bridges durchaus beweisen (in der Duetteinlage wurde Mia Farrow allerdings gedubbed). Auch die incidentals sind durchaus passend, der Soundtrack ist insgesamt sehr gut gelungen.

Äusserst positiv fällt auch die „Bewertung“ der Charaktere aus, die pure schwarz/weiss-Malerei grösstenteils geschickt vermeidet. Alle Charaktere, auch die programmatischen „Helden“ haben Ecken und Kanten. Das Einhorn ist zunächst selbstsüchtig, dann selbstbemitleidend und mehr eine tragische Figur als „Heldin“, Schmendrick wiederum ist der „Tölpel mit dem guten Herzen“ und fast der eindimensionalste Charakter (aber auch der witzigste), Molly hingegen der ausgefeilteste (vgl. das erste Aufeinandertreffen von Molly und dem Einhorn, eine zu Herzen gehende emotionale Szene). Selbst der Schurke Haggard hat eine nachvollziehbare Motivation und wird auch mehr zur tragischen Gestalt als zum wirklich Bösen; sogar Mommy Fortuna, der einzig wirklich abgrundtief „bösen“ Gestalt, kann bis zu einem gewissen Punkt Verständnis entgegengebracht werden. Hier hat Peter S. Beagle wirklich gekonnt die Fairytale-/Fantasy-Klischees geschickt umschifft und reizvolle und reizbare Charaktere geschaffen.

Dem kommt natürlich auch entgegen, dass die Stimmen in der Originalfassung exzellent besetzt sind. Mia Farrow kann zwar nicht singen, aber ihre „entrückte, ätherische“ Stimme gibt gut das „Überweltliche“ der Einhorn-Figur wieder, Alan Arkin verleiht dem nicht ganz so tiefgründigen Charakter Schmendrick Tiefe und Emotion, und Christopher Lee … ist einfach Christopher Lee (er spricht seinen Part übrigens auch in der deutschen Fassung). Die deutsche Fassung kann da nicht so ganz mithalten und drückt sich auf absolut unelegante Weise vor der Herausforderung der Songs. Anstelle entweder deutsche Songtexte zu fabrizieren oder die Songs zu untertiteln, sprechen die Charaktere rudimentäre deutsche Texte über die Original-Songtexte! Motto: wie verhunze ich schöne Szenen…

Was sagen wir also? Objektiv gesehen haben wir hier einen technisch etwas altbackenen Old-School-Zeichentrickfilm vor uns, der aber durch hervorragende Charakterisierungen und einen ausgezeichneten Voice-Cast trotz der technischen Schwächen immer wieder zu einem bezaubernden Erlebnis wird. Der sentimentale alte Knochen Merkwürden kann sich auch beim fünfzehnten Ansehen (okay, ganz so viele waren´s vielleicht dann doch noch nicht) ein paar Tränen nicht verkneifen. Ein Märchenfilm, der auch Erwachsene ansprechen wird, für die Jüngsten dagegen vielleicht nicht ganz so geeignet ist. Concorde hat den Film jüngst in einer liebevoll ausgestatteten DVD-Edition auf den Markt gebracht, die erfreulicherweise auch die englische Originalfassung beinhaltet und aus Bild- und Tonmaterial das Optimale herausholt.

Zur Bewertung: die Bomben beziehen sich heute eigentlich ausschliesslich auf die technischen Merkmale, die Biere sind nicht unbedingt als reine Spass-Bierchen zu verstehen.

(c) 2001 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 7


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