Das Geheimnis der stählernen Stadt

 
  • Deutscher Titel: Das Geheimnis der stählernen Stadt
  • Original-Titel: Tajemstvi oceloveho mesta
  • Alternative Titel: Die stählerne Stadt | Die Stadt aus Stahl |
  • Regie: Ludvik Raza
  • Land: CSSR
  • Jahr: 1978
  • Darsteller:

    Jaromir Hanzlik (Marcel Zodiak/Moltke), Martin Ruzek (Dr. Sarrasin), Josef Vinklar (Dr. Janus), Jan Potmesil (Victor), Josef Somr (Vent), Petr Cepek (Filbank), Vilem Besser (Arminius), Tatjana Medvecka (Alice)


Vorwort

Eine gigantische Erbschaft fällt den entfernten Verwandten Dr. Sarrasin und Dr. Janus zu; dies ermöglicht beiden, ihren jeweiligen Lebenstraum zu erfüllen. Sarrasin gründet die dem Pazifismus und der friedlichen Forschung gewidmete Stadt Fortuna, Janus errichtet einen gewaltigen Industriekomplex, der unter dem Namen „stählerne Stadt“ bekannt wird und sich primär der Rüstungsindustrie verschrieben hat. Fünfzehn Jahre lang prosperieren beide Städte, die – wie und warum auch immer – auch politisch selbständige Entitäten sind, doch dann…

Ein Arbeiter aus der stählernen Stadt will über den Grenzfluss ins benachbarte Fortuna fliehen, wird aber von Janus‘ Grenztruppen angeschossen. Bevor er verscheidet, kann er nur noch eine kryptische Nachricht überbringen: „Das Eis ist da“. Nun kann’s ja sein, dass er nur ein Langnese-Vertreter auf der Suche nach neuen Abnehmern ist, aber Sarrasin ist beunruhigt, da die Quanten des Grenzgängers komplett erfroren sind. Im Sommer eher ein untypisches Phänomen. Zudem plagt Sarrasin, dass er einen Spion in der stählernen Stadt hat, einen gewissen Ingenieur Garmand, der sich aber seit fast einem Jahr nicht mehr gemeldet hat. Irgendetwas scheint also in Janus‘ Fabrikstadt vorzugehen. Er beauftragt daher seinen Schwiegersohn Marcel Zodiak, die stählerne Stadt zu infiltrieren und herauszufinden, was Garmand zugestoßen ist und was Janus vor hat.

Das fragt sich, zumindest was den ersten Teil der Frage angeht, auch Garmands Sohn Victor, der seit geraumer Zeit in einem staatlichen Internat der stählernden Stadt mehr oder minder gefangen gehalten wird und dem man erzählt, sein Vater wäre seit einem schweren Laborunfall im Krankenhaus. Ein Kollege Garmands namens Moltke besucht Victor immer wieder, kommt dem aber ausgesprochen unkoscher vor. Victor büxt aus und trifft Moltke in der Familienwohnung, wo der gerade seine Sachen zusammenpackt – sein Auftrag, Victor zu überwachen, ist ausgelaufen. Just in diesem Moment taucht auch Marcel dort auf und hält Moltke erst mal für Garmand. Als Marcel seinen Irrtum bemerkt, kommt es zu einem Handgemenge und am Ende hat Marcel Moltke in Notwehr erschossen. Er macht aus der Not eine Tugend und nimmt Moltkes Identität an. Während Victor zurück ins Internat gebracht wird – wobei Marcel ihm in die hohle Hand verspricht, ihn dort herauszuholen, landet Marcel/Moltke im „inneren Sektor“ von Janus und wird mit technischen Aufgaben betraut.

Marcel, der Augenzeuge eines Unglücks mit einem Eisgas wurde, das diverse unglückselige stählerne-Stadt-Bewohner schockgefrostet hat, arbeitet sich schnell in die Position von Janus‘ persönlichem Assistenten hoch und erkennt den wahnsinnigen Plan des diktatorisch regierenden Stadtchefs. Die Rohstoffe der stählernen Stadt sind nahezu erschöpft, aber Fortuna sitzt auf Unmengen Kupfer und anderer Erze, die Janus für seine Rüstungsfabriken benötigt. Daher will Janus – allen vor der Weltpresse geäußerten Friedensversprechungen zum Trotz – Fortuna angreifen und erobern. Aus diesem kühnen Grunde hat er sein Eisgas-Geschoss entwickelt, das die komplette Bevölkerung Fortunas ersticken oder erfrieren soll, aber Gebäude und Fabriken der Stadt intakt und übernahmetauglich belassen soll. Ausgerechnet zum Jahreswechsel soll der Angriff erfolgen. Marcel versucht, das entsprechende Geschütz zu finden und zu sabotieren, fällt aber Janus‘ Schergen in die Hände – ebenso wie Victor, der mal wieder aus dem Internat abgehauen ist. Marcel und Victor schmieden einen gefährlichen Plan, um Fortuna und Dr. Sarrasin zu warnen.


Inhalt

Jules Verne hat seit Anbeginn der kinematographischen Kunst Filmemacher aller Herren Länder angeregt und inspiriert – und das unabhängig von der jeweils vorherrschenden eigenen Kultur, politischer Systeme oder Ideologien. So war z.B. die Filmindustrie der CSSR, die ja sowieso ein überraschendes Faible für phantastische Stoffe hatte, immer wieder „Brutstätte“ für liebevolle und werkgetreue Verne-Adaptionen (man denke nur an die Filme von Karel Zeman).

„Die stählerne Stadt“ bzw. „Die Stadt aus Stahl“ oder „Das Geheimnis der stählernen Stadt“ entstand 1978 als Ko-Produktion mit dem tschechischen Staatsfernsehen. Die zugrundeliegende Geschichte gehört in unserem Sprachraum (und auch im anglophonen Sektor) zu den weniger bekannten Geschichten des französischen SF-Pioniers, und ist auch nicht ursächlich auf seinem Mist gewachsen. Verne bearbeitete unter dem Titel „Die 500 Millionen der Begum“ ein Manuskript des sozialistischen Politikers und Journalisten Paschal Grousset, einem führenden Kopf der gescheiterten Pariser Kommune, der im Exil auf den Geschmack utopischer Geschichten kam. Es ist unklar, inwieweit Verne und Grousset wirklich zusammenarbeiteten – manche Quellen sprechen davon, dass die beiden Autoren wirklich in der Form kooperierten, dass Grousset Ideen zu Papier brachte, die Verne dann ausarbeitete, andere sagen, dass z.B. das Manuskript zur „Begum“-Geschichte Grousset von Vernes Verleger abgekauft wurde und der die Story dann Verne zur Überarbeitung vorsetzte.

In jedem Fall ist die Geschichte durchaus charakteristisch für Vernes ideologischen Richtungswechsel, den der deutsch-französische Krieg 1870/71 ausgelöst hatte. Wie viele französische Patrioten entwickelte Verne, der bis dahin eigentlich einen eher unpolitischen Ansatz verfolgt und diverse positiv gezeichnete deutsche Protagonisten in seinen Geschichten verwendet hatte, eine gelinde gesagt dezent antideutsche Einstellung und schrieb eine Vielzahl von Geschichten, in denen nunmehr wahnsinnige Wissenschaftler (gerne teutonischen Zuschnitts), Superwaffen und Welteroberungsgelüste die Hauptrolle spielten. So waren denn auch die Schurken in „Die 500 Millionen der Begum“ eindeutig Deutsche, dieweil die Heldenrollen nunmehr ebenso eindeutig französisch besetzt wurden.

Die tschecheslowakische Adaption von Ondrej Vogeltanz bleibt, im deutlichen Unterschied zu den meisten westlichen Verne-Adaptionen, sehr dicht an der literarischen Vorlage, ändert allerdings einige Namen (und vermeidet eine räumliche Ansiedlung der Geschichte – im Original befinden sich beide Städte in Oregon, was die politischen Implikationen etwas… awkward macht). Janus und Sarrasin sind nun beide recht eindeutig Franzosen und, was die Originalgeschichte auch nicht hergibt, entfernte Verwandte (das hat den dramaturgischen Gag zur Folge, dass beim Tod des einen der jeweils andere automatisch dessen Stadt erbt. Was nun wieder Janus ziemlich doof erscheinen lässt, denn er müsste ja eigentlich nur Sarrasin ausknipsen, um völlig legal Chef von Fortuna zu werden). Neu ist die Figur des Victor (als gesetzlich vorgeschriebene Identifikationsfigur für ein jugendliches Publikum, denn das der Streifen für ein solches gedacht ist, liegt einmal mehr auf der Hand), dafür wurde Sarrasin der leibliche Sohn weggenommen, der in der Originalgeschichte zunächst auf Janus‘ Seite wechselt, aber rechtzeitig bekehrt wird und zu Marcels Freund und Helfer wird.

Es ist nicht arg schwer zu erkennen, was für sozialistische Filmemacher das Reizvolle an dem Stoff gewesen sein muss – Verne kann zu seinem Füllhorn mehr oder minder korrekt erkannter Erfindungen oder gesellschaftlicher Entwicklungen den „kalten Krieg“ hinzuzählen. Fortuna und die stählerne Stadt sind nahezu perfekte stand-ins für die westlichen und östlichen Machtblöcke – Fortuna das friedliebende utopische Reich des Sozialismus, in dem niemand Not leidet und alles dem Frieden untergeordnet ist, die stählerne Stadt der kalte, ausbeuterische Kapitalismus, der am Krieg Geld verdient, nach außen hin vom Frieden redet, aber längst den Krieg vorbereitet. Die Ironie, dass Janus‘ Stadt exakt das repressive kommunistische System repräsentiert, in dem jede Abweichung geahndet wird, die Polizei alles und jeden überwacht, die Bevölkerung in Armut lebt, während alle Ressourcen der Rüstung zur Verfügung gestellt werden (und nicht zuletzt, dass alles, aber auch wirklich ALLES, von der Außenpolitik bis zum Zugfahrplan und den Tagesparolen, von der Mikro-Manager Janus abgesegnet werden muss, so dass es ein offenes Geheimnis ist, dass die stählerne Stadt vollständig zusammenbrechen wird, sollte Janus „ausfallen“ – eine großartige Parabel für die sozialistische Planwirtschaft), ist entweder ein Meisterwerk der subversiven Systemkritik (ähnlich wie der als SF unter dem Zensurradar durchgeflogene polnische „Sexmission“) oder ein Musterbeispiel dafür, wie Filmemacher ihren eigenen Stoff missverstehen (dazu passt natürlich auch, dass Fortuna ein utopisches Ideal darstellen soll, der Film aber nicht die geringste Erklärungsmühe übernimmt, wie Fortuna wirtschaftlich und/oder gesellschaftlich funktioniert). Heck, der Film BEGINNT damit, dass ein Flüchtling aus der stählernen Stadt beim illegalen Grenzübertritt von Truppen mit Schießbefehl aufs Korn genommen wird. WER hat das nochmal im richtigen Leben so gehandhabt? Glückwunsch zu diesem wunderschönen Eigentor…

Wie gesagt, vom Handlungsablauf her orientiert sich die Filmversion recht eng an Vernes Vorlage und übernimmt dabei – notgedrungen – auch dessen Schwächen. Charaktere waren nie Vernes forté, und das hat sich nach seinem oben angesprochenen Stimmungswandel auch nicht gebessert. Die Figuren sind sehr holzschnittartig – makellose, edle Helden auf der einen, schnurrbartzwirbelnde Schurken (ja, Janus trägt ’nen Vollbart. Es geht hier um das Prinzip), die böse um der Bosheit willen sind (ich sagte ja, es gäbe wesentlich einfachere Methoden für Janus, um an sein Ziel zu kommen). Frauen finden nicht statt – die einzige Frau mit einer Sprechrolle ist Alice, Marcels Ehefrau (und damit Sarrasins Tochter), die aber nicht im Geringsten in die Handlung integriert ist (ihr einziger Zweck ist die Dokumentation von Marcels „Tarnung“, an einem durch die Welt reisenden wissenschaftlichen Kongress teilzunehmen). Nichtdestotrotz wird’s im Finale schon ordentlich spannend, da Verne und Vogeltanz die odds in beträchtlicher Weise gegen die Helden aufstapeln (und, SPOILER, die Helden im Endeffekt auch nichts zur Lösung des Problems beitragen. Was den Tag am Ende rettet, sind nicht die heldenhaften Eigenschaften von Gutens, sondern schlicht die Hybris des Schurken).

Vom handwerklichen Standpunkt her erfüllt der Streifen ohne Weiteres die gewohnten Standards einer soliden CSSR-Produktion. Kostüme und Ausstattung sind vorbildlich, der Kontrast zwischen dem lebenswerten Fortuna und der dunklen, schmutzigen Stahlstadt wird in jeder Hinsicht gut herausgearbeitet. Phantastische Elemente sind sehr spärlich gesät – der Streifen spielt ungefähr um 1910 und in einer „realen“ Welt, die technisch überwiegend auf dem tatsächlichen zeitgenössischen Stand ist. Lediglich Janus‘ Superkanone nebst Eisgeschoss sind eindeutig phantastische Elemente (und sind hier leicht erkennbares stand-in für das go-to-Thema des Rüstungswahns der späten 70er und 80er, die Neutronenbombe). Regisseur Ludvik Raza („Das Geheimnis des Weidenkorbs“, „Das Geheimnis der leeren Urne“) setzt nicht auf die ganz großen Bilder, verfehlt aber mit kleinen, subversiven Schlenkern wie einer „Wehrsportgruppe“ für die Internatszöglinge, den Unfall mit der Eisgasbombe oder Maurice, der den Lauf des Supergeschützs mit einem Zugang zu dem solchen verwendet, nicht die Wirkung. Generell könnte der Stoff natürlich ein wenig mehr Tempo vertragen – zwar sind 85 Minuten nicht die Mörderstrecke, aber ab und an neigt der Film ein wenig zum Schwafeln und die Behandlung von Victor ist mir schon an manchen Stellen etwas zu weinerlich. Humor ist die Sache des Films auch nicht – es gibt allerdings einen Running Gag mit dem Reporter Graf Filbank; der ist stets mit dem Automobil unterwegs und verschleißt etliche „Vorläufer“, die mit der roten Fahne vor dem Auto herrennen müssen…

Schauspielerisch wird das geboten, was wir auch aus den zahlreichen Kinder- und Familienserien, die in den 70ern und 80ern auch über die westdeutschen Fernsehschirme flimmerten, erwarten können. Jaromir Hanzlik („Das Krankenhaus am Rande der Stadt“) ist ein sympathischer Marcel, Martin Ruzek („Der fliegende Ferdinand“, „Der junge Herr Vek“) hat als Sarrasin nicht viel mehr zu tun, als mit Gravitas seinen grauen Vollbart zu raufen. Josef Vinklar („Das Krankenhaus am Rande der Stadt“, „Der rote Baron“) balanciert gekonnt auf dem Grat zwischen „charmanter Schurke“ und „mad scientist“. Jan Potmesil („Das Geheimnis der Teufelstasche“, „Die Tierklinik am Rande der Stadt“) ist mir, wie seine Figur, gelegentlich etwas zu nervig. „Alice“ Tatjana Medvecka war interessanterweise nur in der Neuauflage von „Das Krankenhaus am Rande der Stadt – 20 Jahre später“ mit von der Partie, nicht aber in der semikultisch verehrten Originalserie.

Der Streifen ist in einem eher mauen 4:3-Transfer von besserem VHS-Transfer-Zuschnitt bei MIG erschienen und in diversen Ausgaben der Jules-Verne-Kollektionen zu finden (z.B. in Vol. 2). Da diese Boxen ja ausgesprochen günstig verscherbelt werden, will ich da nicht meckern.

Der Film selbst ist… okay. Es ist sicherlich – trotz der „realpolitischen“ Implikationen – keine von Vernes Glanzleistungen, und während die westlichen Produzenten in solchen Fällen dem Publikum entgegenkamen und Vernes Geschichten bis auf ein paar Motive entkernten und ihren eigenen, potentiell interessanteren Kram einbauten, kleben die Tschechen hier halt weitgehend an der Vorlage. Der Streifen ist sicherlich als Kuriosum sehenswert, wie sehr die intendierte Message und die tatsächlich rübergebrachte Botschaft sich widersprechen, aber ein wenig mehr „Action“ und weniger Kinderaugen-Pathos hätten mir gefallen. Mittelklasse.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


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