Das Geheimnis der Mary Celeste

 
  • Deutscher Titel: Das Geheimnis der Mary Celeste
  • Original-Titel: Das Geheimnis der Mary Celeste
  •  
  • Regie: Hans Stumpf
  • Land: BR Deutschland/Österreich
  • Jahr: 1972
  • Darsteller:

    Hans-Joachim Kulenkampf (Benjamin Briggs), Wera Frydtberg (Ann Briggs), Herbert Fleischmann (Richardson), Karl Walter Diess (Eugene Argylle), Jan Hendriks (Edward Head), Harry Engel (Gus Williams), Hans Schellbach (Andrew Gilling), Panos Papadopulos (Boz Lorensen), Jan Koester (Quincy Butcher), Louis Edward Smart (Adrian Swift), Rolf Boysen (David Morehouse), Luitgard Im (Dolores), Tilli Breidenbach (Carmen), Marion Kracht (Sophie Briggs)


Vorwort

Am 5. Dezember 1872 entdeckt der Schoner „Dei Gratia“ ein paar hundert Meilen vor den Azoren die steuerlos treibende „Mary Celeste“. Das Prisenkommando stellt fest, dass das Schiff intakt ist, von der Besatzung allerdings jede Spur fehlt. Obwohl dem „Dei Gratia“-Kapitän Morehouse Vorwürfe gemacht werden, er sei Komplize eines Versicherungsbetruges, und obwohl sein Steuermann aussagt, er habe gesehen, wie Morehouse sich in der Kapitanskajüte der „Mary Celeste“ ein Dokument angeeignet habe, kann niemandem ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Das Rätsel der verschwundenen Crew wird ein solches bleiben… doch was ist geschehen?

Einen Monat zuvor wird Kapitän Briggs, der Eigner der „Mary Celeste“, gestraft mit Geldnöten und einem kranken Kind, ein unmoralisches Angebot unterbreitet. In Paris finden derzeit die Prozesse gegen die Rädelsführer der Pariser Kommune statt, den Angeklagten droht die Guillotine. Nun gibt es eine gewisse Person, die die Todgeweihten entlasten könnte – im Umkehrschluss aber wiederum den ein oder anderen regierenden Monarchen mächtig anschmieren könnte. Diese Person muss daher auf unauffällige und unoffizielle Weise nach Europa geschafft werden und an der Stelle kämen Briggs und sein Frachtschoner ins Spiel. 10.000 Dollar kann Briggs kaum abschlagen, auch wenn er hoch und heilig versprechen muss, dass außer ihm und seiner Frau niemand erfahren wird, wer da als geheimer Geheimpassagier mitreist.

Briggs‘ Geheimhaltungsmaßnahmen erweisen sich allerdings als völlig unzureichend – noch keine paar Stunden auf See weiß so ziemlich die gesamte Mannschaft, DASS ein Passagier an Bord ist, nur halt nicht, wer. Bei den eher gewinnorientiert ausgerichteten Matrosen wächst die Überzeugung, dass, wen auch immer Briggs an Bord geschmuggelt hat, es lukrativ sein könnte, sich zum geeigneten Zeitpunkt als Teilhaber aufzudrängen. Erst recht, als Briggs‘ Geschichte, zur Rede gestellt, bei dem Passagier handele es sich um einen Kranken, der aus gesundheitlichen Gründen nach Europa reise, erstens nicht voll überzeugt und zweitens, als Kapitänstochter Sophie auf hoher See an Symptomen, die verdächtig nach Beulenpest aussehen, verscheidet. Es kommt zur offenen Meuterei…


Inhalt

Ich erwähnte es bereits – der Fall „Mary Celeste“ ist eines der berühmtesten Rätsel der modernen Seefahrt und bis heute, trotz einer Vielzahl unterschiedlichster Theorien vom profanen Unglücksfall bis zu den üblichen UFO- und Bermuda-Dreieck-Hirngespinsten, offiziell unglöst. An diesem Zustand wird sich – Erfindung einer Zeitmaschine mal ausgeschlossen – vermutlich nichts mehr ändern, was bedeutet, dass Schreiberlinge, die sich mit fiktionalen Erklärungen realer Ereignisse befassen, bis zum St.-Nimmerleinstag tätig werden können.

Interessanterweise hinkt die Filmbranche hier dem altmodischen Papier deutlich hinterher – dieweil man mit Abhandlungen um und über den Fall Mary Celeste ganze Bibliotheken füllen kann, scheint’s in der Tat nur zwei Verfilmungen des mysteriösen Vorfalls zu geben – die hier bereits besprochene Hammer-Version mit Bela Lugosi (Phantom Ship) und diesen, mir bis vor wenigen Wochen noch völlig unbekannten deutsch-österreichischen Fernsehfilm mit „Kuli“ Hans-Joachim Kulenkampff, der sicherlich bekannter für seine legendären Überziehungsorgien als Moderator der Samstag-Abend-Show „Einer wird gewinnen“ (die vermutlich mehr für die Akzeptanz der europäischen Einheit getan hat als jeder Politiker – vielleicht wär’s an der Zeit für eine Neuauflage) ist als für seine schauspielerischen Einlagen (wobei diejenigen, die sich tatsächlich noch an „EWG“ erinnern können, sicher auch noch wissen, dass aufwendige Einspielfilme, in denen Kuli gerne in die Haut historischer Persönlichkeiten schlüpfte, ein integraler Bestandteil der Show waren).

Nun, dass Kuli immer schon begeisterter Segler war, ist mir nicht neu (und schlug sich auch in der Serie „Ein Mann macht klar Schiff“ nieder), und wenn man einen spannenden Abenteuerfilm auf hoher See nach wahren Begebenheiten machen und trotzdem weitestgehene Storyfreiheit behalten will, kann man schlechtere Einfälle haben als sich mit der „Mary Celeste“ zu befassen. Und wenn das Drehbuch dann von niemand geringerem als Parade-Schmutzfink Rolf Olsen stammt (unmittelbar im Anschluss an seine St.-Pauli-Phase und vor seinem Ausflug in die Welt der unappetitlichen Mondos), darf man, ja, sicherlich keine zynische Exploitation erwarten, immerhin ist das eine Fernsehproduktion mit Deutschlands beliebtestem Showmaster, aber zumindest, wie sagt man im Englischen so schön, „outlandish entertaiment“ erhoffen.

Dafür ist „Das Geheimnis der Mary Celeste“ dann aber doch beinnahe überraschend „straight“ geworden – es ist zweifellos eine reichlich obskure Querverbindung, die Olsen vom „Mary Celeste“-Zwischenfall zu den Pariser Kommunarden und den Prozessen, die denen seitens des Franzmannskaisers gemacht wurden, zieht, aber das ist letztlich ein bloßer MacGuffin, ein nettes Schmankerl für Historiker, aber nicht wirklich elementar wichtig für den Plot, insoweit jede andere beliebige „wertvolle“ Person ebenso den passenden Auslöser für die Meuterei abgegeben hätte.
Hält sich Olsen zu Beginn noch einigermaßen dicht an etablierte „Celeste“-Lore, zumindest was die handelnden Personen angeht (von der Neuerfindung des Kommunarden-Zeugen und den üblichen Abweichungen bei Namen und Alter der Figuren mal abgesehen… fast alle Charaktere sind zu alt, nicht alle Funktionen stimmen mit den realen Vorbildern überein und wieso ausgerechnet eine deutsche Produktion darüber hinwegsieht, dass vier der echten Celeste-Seeleute Deutsche oder deutscher Abstammung waren, kann man nur damit erklären, dass man vermeiden wollte, Landsleuten die Schuld für das Unglück zuzuschanzen…), gerät er so ungefähr zur Halbzeit endgültig ins freie Fabulieren – nicht nur, dass er die Beulenpest einführt, er lässt die Meuterer dann auch noch eine Azoreninsel, die nur von zwei Adeligen und ihrem Faktotum in einer Art Ferienschloss bewohnt wird, heimsuchen und dort diversen bösartigen Schabernack, der zu multiplem Lebensverlust führt, treiben.
Das ist dann doch wieder auf der einen Seite „plausibel“ genug, um in einem ordentlichen Fernsehfilm präsentiert werden zu können, andererseits ziemlich weit entfernt von selbst gewagteren Theorien, und vor allen Dingen, nicht unbedingt interessanter und spannender als die „rächender Serienmörder“-Karte des Lugosi-Vehikels oder andere Hypothesen, wie ich sie im „Phantom Ship“-Review exemplarisch skizziert habe.

Aber wie üblich bei „based on a true story“-Legenden, lassen wir die Fakten (die wenigen, die wir kennen) mal außen vor und kucken mal, ob die Olsen-Version als Filmscript an und für sich ‚was taugt. Grundsätzlich, sage ich mal, schon, mit zwei Einschränkungen – zum einen hadere ich mit der Form des „flashback movies“; der Streifen beginnt mit der Entdeckung der „Mary Celeste“ durch die „Dei Gratia“, fliegt durch die Untersuchungskommission in Gibraltar und spult dann zurück zum Ausgangspunkt der ganzen Chose. Mir ist schon klar, dass man den durchschnittlichen Zuschauer erst mal auf den wesentlichen Stand der Dinge in Sachen „Celeste“ bringen muss, aber deswegen muss es mir ja strukturell nicht gefallen (ebensowenig wie der voiceover-Erzähler, der eigentlich stets nur Dinge erläutert, die dem nicht gänzlich auf den Kopf gefallenen Zuschauer ohnehin klar sind).

Mein zweiter Kritikpunkt ist, dass Kapitän Briggs als Protagonist sehr passiv ist – so passiv, dass er für eine ziemliche Strecke (ab der Meuterei bis zum „Showdown“) aus der Handlung herausgenommen werden kann; der Haken daran ist, dass der Film nicht unwesentilch auf Kulis knurrigem Seebären-Charme fußt (und er eh erst nach knapp 20 Minuten in den Film einsteigt) und ihm leider kein anderer Darsteller in Sachen schierer Präsenz das Wasser reichen kann. Und wenn dann eben die Story, so wie Olsen auspackt, jetzt nicht super-mitreißend ist, kann’s passieren, dass ein Film trotz des Bemühens, mit der Insel-Landung und den zwei portugiesischen Damen eine neue Komponente ins Spiel zu bringen, ein wenig durchhängt.

Es mag auch daran liegen, dass Regisseur Hans Stumpf der Plotte nicht wirklich Fahrt verleihen kann. Obschon Stumpf einem gewissen Stanley Kubrick (als assistant director bei „Paths of Glory“) über die Schulter kucken durfte, reichte es in seiner eigenen Regiekarriere immer nur für Fernseharbeiten (und ironischerweise waren Stumpfs nächste Regiearbeiten einige Folgen der Kinderserie „Kli-Kla-Klawitter“), und man ist geneigt, dafür gewisses Verständnis zu entwickeln. Die „Mary Celeste“ ist womöglich die Produktion mit dem größten Scope, die Stumpf zu stemmen hatte, und er bekommt trotz eigentlich günstiger Umstände (vernünftiges Zeitkolorit der „Land“-Szenen, Dreh auf echten Segelschiffen auf hoher See und nicht nur im Studio) nicht wirklich „kinematischen“ Schwung hin. Stumpfs Regie ist recht träge, in den Actionszenen hakelig und teilweise lächerlich (den Moment, in dem Briggs von den Meuterern k.o. geschlagen wird, sollte man einrahmen und an die Wand hängen. Das ist nicht mal mehr Benny-Hill-Niveau).

Andererseits – so viele Filme, in denen Kuli Straßenganoven prügelt oder sich shoot-outs mit Meuteren liefert, gibt’s ja nun wieder auch nicht. Wie’s in deutschen Filmen manchmal der Fall ist (man denke an Niemand weint für immer) wird dann, wenn niemand mehr dran denkt, ein sudeliger Make-up-Effekt ausgepackt (hier, als einer der Meuterer Salzsäure ins Gesicht bekommt) und für die Freunde schäbiger Trickkunst wird dann auch noch ein lächerliches Burgen-Modell abgefackelt.
Die nicht sonderlich erwähnenswerte Kameraarbeit leistet Bert Meister („Percy Stuart“, „Drei Damen vom Grill“), der Schnitt ist teilweise ziemlich rumplig (wobei zu bedenken ist, dass der Print allgemein nicht mehr sonderlich gut in Schuss ist und da schlicht einige Filmrisse ursächlich sein können, dass manchmal der direkte Anschluss etwas zu fehlen scheint).

Neben Kuli, der wie gesagt all seinen robusten Charme spielen lässt und dem man wünschen würde, er hätte zwischen Filmmitte und Showdown etwas mehr zu tun, agiert ein mittelmäßig prominentes Ensemble. Kulis Eheweib wird gemimt von Wera Frydtberg („Ich denke oft an Piroschka“, „Wir Wunderkinder“), die den halben Film in einer Art Schock-Katatonie verbringt (das sorgt zwar für etwas psychologische Tiefe, macht sie aber nicht unbedingt zu einer sehr sympathischen Figur).
Herbert Fleischmann („Alle Menschen werden Brüder“, „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, „Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli“) gibt einen ziemlich überzeugend fiesen Schurken ab; Jan Hendriks („Im Schloß der blutigen Begierde“, „Der Mönch mit der Peitsche“) steht ihm in nicht viel nach, auch Harry Engel („Die Gentleman bitten zur Kasse“) als Säureopfer und Hans Schellbach („Was Schulmädchen verschweigen“, Perrak) sind nicht schlecht.
Karl Walter Diess („Die Schwarzwaldklinik“, „Auf Achse“) hat als französischer Kronzeuge nicht viel zu tun; Marion Kracht beweist, dass eine schlichtweg grauenvolle Kindervorstellung nicht zwangsläufig bedeuten muss, als Erwachsene keine Karriere machen zu können (exemplarisch: „Diese Drombuschs“, „Hallo Robbie“, „Familie Sonnenfeld“, „Ein Fall für Nadja“, und das sind nur ihre Serienhauptrollen).

Quasi als Gaststars fungieren Ralf Boysen („Trauer muss Elektra tragen“, „Der Tanz des Sergeanten Musgrave“ und Spezialist für Klassiker von Goethe über Shakespeare bis Hugo von Hoffmansthal) als Kapitän Morehouse sowie Luitgard Im (ebenfalls eher im schweren-dramatischen Fach zu Hause) und die unverwüstliche Tilli Breidenbach („Lindenstraße“, Titanic – Nachspiel einer Katastrophe) als geplagtes Damen-Doppel ohne Happy End.

Bildqualität: Pidax entschuldigt sich schon auf dem Backcover für den doch reichlich lädierten 4:3-Print, der nicht gerade scharf ist, eingies an Defekten und Verschmutzungen aufweist und, wie angedeutet, wohl auch vor Filmrissen und dadurch bedingten Frame-Verlusten nicht gefeit ist.

Tonqualität: Dolby 2.0 Mono und auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Teilweise sind Dialoge (insbesondere die von Sophie und Ann Briggs) bei normaler Lautstärke nur noch als indifferentes Gemurmel zu vernehmen.

Extras: –

Fazit: Ich bin erklärtermaßen großer Anhänger jeglichen fiktiven Materials zu realen Mysterys – demzufolge die personifizierte Zielgruppe dieses Streifens. Und als solche bin ich doch ein wenig enttäuscht. Ja, ich weiß natürlich, dass ich von einem 70er-TV-Film aus Deutschland nicht erwarten darf, dass er mich ob seines Einfalls-, Aktions- und/oder Exploitationsreichtums pausenlos vom Stengel fetzt, aber selbst gemessen an den Maßstäben, die deutsche TV-Thriller eine Dekade zuvor schon erfüllten (das haben wir ja in letzter Zeit einige Male klären können), ist „Das Geheimnis der Mary Celeste“ eine recht dröge Angelegenheit. Rolf Olsens Erklärungskonstrukt ist ebenso weit hergeholt wie überraschend unspannend, Hans Stumpfs Regie einfach zu schlapp, da kann selbst ein durchaus gut aufgelegtes Ensemble, angeführt von einem ideal-brummigen Seebären wie Kuli, nur noch bedingt die Kastanien aus dem Feuer holen. Doch eher eine Kuriosität als ein spannendes Filmabenteuer – „Phantom Ship“ bleibt in der Hinsicht, trotz der fast vier Dekaden mehr, die er auf dem Buckel hat, der bessere, spannendere „Mary Celeste“-Streifen.

2/5
(c) 2012 Dr. Acula


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