Das Geheimnis der blauen Tropfen

 
  • Deutscher Titel: Das Geheimnis der blauen Tropfen
  • Original-Titel: Captain Nice
  •  
  • Regie: Gary Nelson, Charles R. Rondeau, Richard Kinon
  • Land: USA
  • Jahr: 1967
  • Darsteller:

    William Daniels (Carter Nash), Alice Ghostley (Mrs. Nash), Ann Prentiss (Sgt. Candy Kane), Liam Dunn (Mayor Finney), Bill Zuckert (Chief Segal), John Dehner (Medula)


Vorwort

Der linkische und schüchterne Chemiker Carter Nash forscht in Diensten der Polizei von Big Town mehr oder weniger unspezifiziert vor sich hin – man kann wohl guten Gewissens behaupten, dass er den Job hauptsächlich der Tatsache verdankt, dass Bürgermeister Finney sein Onkel ist, aber immerhin fährt die hübsche Polizistin Candy Kane auf ihn ab. Eines schönen Tages erfindet Nash ein Gebräu, nach dessen zweifelhaften Genuss eine völlig handelsübliche Labormaus mit einer ausgewachsenen Straßenkatze Schlitten fährt.
Der Bürgermeister und Polizeichef Segal sehen nicht wirklich Verwendung für superstarke Mäuse, zumal sie andere Sorgen haben – den aus dem Knast ausgebrochenen Super-Verkleidungskünstlergangster z.B. Der allerdings hat von den Tropfen Wind bekommen. Als der Ganove versucht, Candy zu entführen, schreitet Carter zum Selbstversuch und verwandelt sich prompt in den Superhelden Charlie Nonsens. Von nun an ist Charlie der offizielle Super-Beschützer Big Towns, und als solcher hat er alle Hände voll zu tun, sei es mit Scheichs mit dringlicher Haremserweiterungsabsicht, Diamantenräubern, die fehlgeschlagene Raubzüge einer Videoanalyse unterziehen, korrupten Architekten, die Brücken mit hauptsächlich aus Hafergrütze bestehendem Zement bauen, brandstifterisch veranlagten Hausbesitzern und natürlich seiner lieben Mutter, die als einzige seine Geheimidentität kennt und durchaus darauf achtet, dass Charlie öffentlichkeitswirksame Heldentaten vollbringt…


Inhalt

Und wieder einmal geht’s um TV-Nostalgie (was natürlich daran liegen kann, dass ich mal wieder einen Schwung Promos von Pidax bekommen habe, wofür ich natürlich zum verbindlichsten Dank verpflichtet bin). Die Ankündigung der „Das Geheimnis der blauen Tropfen“-Veröffentlichung löste bei mir einen heftigen Flashback in gute alte Zeiten aus – die Show kenne ich sogar noch aus persönlicher Anschauung; in der Jungsteinzeit des Privatfernsehens lief die Reihe mehr oder weniger als unangekündigter Pausenfüller wann immer auf Sat.1 zwanzig Minuten Sendezeit zu füllen waren, wenn ich mich recht erinnere. Die unregelmäßigen Ausstrahlungstermine machten es weitestgehend unmöglich, die Serie konsequent zu verfolgen, aber ein-zwei Episoden, die mir per Zufallsprinzip vor die Aufnahmetaste liefen, dürften immer noch Bestandteil meines videophilen Hausschatzes sein. Keine Frage, die Serie MUSSTE ich haben…

Zumal sie durchaus eine recht interessante Entstehungsgeschichte aufweist. Mitte der 60er Jahre feierte die „Batman“-TV-Serie (siehe Batman hält die Welt in Atem) große Erfolge und es war damals so, wie’s heute ist – wenn jemand zufällig einen Hit aufgetan hat, ist die Konkurrenz schnell mit Kopien am Start. Und so wollten auch CBS und NBC auf den „camp superhero“-Zug aufspringen, den ABC mit den juvenilen Abenteuern des Caped Crusaders auf Spur geschickt hatte. CBS warf, produziert von niemand geringerem als Jack Arnold, „Mr. Terrific“ mit Stephen Strimpell ins Rennen (in Deutschland sehr erfolgreich als „Immer wenn er Pillen nahm“ gelaufen und mittlerweile auch auf DVD erhältlich; die Show litt beidseits des Atlantiks unter Kontroversen – während man hierzulande Nachahmungseffekte befürchtete [die Serie postulierte, wie der Titel schon sagt, dass der Held fliegen könne, sobald er sich eine Tablette einwirft], sorgte man sich in den Staaten grundsätzlich darob, dass der Held seine Kräfte durch „Drogen“ gewann); NBC setzte auf eine Kreation von Buck Henry, dem Co-Erfinder der Agentenparodie „Get Smart“ (dt. „Mini-Max“). Beide Serien debütierten „mid-season“ am gleichen Tag (sogar direkt hintereinander) und schleppten sich über 17 („Mr. Terrific“) bzw. 15 („Captain Nice“) Folgen und beendeten ihren Run juxigerweise, trotz der unterschiedlichen Staffellänge, auch wieder am gleichen Tag.
Während Strimpell in der Folge nicht über einige wenig bedeutende Nebenrollen in Kinofilmen hinaus kam, fand „Captain Nice“ William Daniels kontinuierliche TV-Beschäftigung (u.a. eine Hauptrolle in der Krankenhaus-Soap „St. Elsewhere“, hier als „Chefarzt Dr. Westphall“ gelaufen, eine kaum weniger wichtige Rolle in der schier endlosen Sitcom „Das Leben und ich“, und, vielleicht am wichtigsten, er sprach K.I.T.T. in „Knight Rider“; seine Kinoausflüge waren seltener, beinhalten aber immerhin Erfolgsfilme wie „Die Reifeprüfung“, „1776“, „Schwarzer Sonntag“, „Die blaue Lagune“ oder „Blind Date“).

Wie der Konkurrent von CBS (oder auch „Get Smart“) bezieht „Captain Nice“ sein Humorpotential daraus, dass sein Held das ist, was wir heute als „Nerd“ bezeichnen – schüchtern, beziehungsunfähig, tolpatschig, fachidiotisch und im „Auslieferungszustand“ sicherlich einer der letzten, den man fragen würde, wenn man dringend Hilfe braucht, und für den sein neues Superhelden-Alter-ego zumindest ansatzweise künstliches Selbstbewusstsein darstellt; allerdings ist Captain Nice in seiner Super-Form nicht minder schüchtern, beziehungsunfähig und tolpatschig (alle Nase lang bleibt er mit seinem Cape irgendwo hängen, fällt über irgend etwas) und steht auch als Superheld unter der Fuchtel seiner Mutter (die ihm auch das Kostüm geschneidert hat, was man in der deutschen Fassung allerdings selbst erarbeiten muss. Dazu später mehr).
Im Gegensatz zu Maxwell Smart ist Nash/Nice allerdings nicht *blöd* – er zieht zumeist die richtigen Schlüsse – und auch als Held nicht speziell *inkompetent * (es ist nicht wie bei „Get Smart“, wo der Titelheld meistens darauf angewiesen war, dass 99 die Kastanien aus dem Feuer holte); dabei hilft ihm natürlich die Tatsache, dass er in seiner Superheldenform kugelfest ist (zu seinen weiteren Superfähigkeiten gehören Superstärke und Flug), aber er löst seine Fälle nicht durch Zufall oder fremde Hilfe, auch wenn er sich ab und zu ungeschickt anstellt. Charlie ist dabei ein „reluctant hero“, der den Job nicht aus tiefster Überzeugung ausfüllt und mehr als einmal von seiner Mutter zum Eingreifen gedrängt werden muss (das liegt auch daran, dass Charlie stets einen Platz braucht, an dem er sich ungestört umziehen und seine Zivilklamotten ordentlich aufhängen kann, denn „Ordnung muss sein“). Während er ähnlich wie der Camp-60er-Batman der vollen Unterstützung der Obrigkeit versichert weiß (in der Tat hat „Captain Nice“ eine ähnliche Figurenkonstellation zu bieten – Finney und Segal entsprechend ungefähr Gordon und O’Hara), ist seine Schurkengalerie deutlich eindrucksloser – Nice bekommt’s nicht mit exaltierten Supervillains zu tun, sondern mit weltlichen Gangstern, Gaunern und Betrügern, manchmal mit dem organisierten Verbrechen, meist aber mit „Einzeltätern“; ab und zu tauchen schrägere Charaktere auf (z.B. der Verkleidungskünstler im Pilotfilm, der ein wenig nach „Batman“-Schurke-meets-Fantomas riecht, oder Magier/Hellseher Medula).

Eine – bis auf den unerklärlichen Fauxpas, Captain Nice in der deutschen Fassung „Charlie Nonsens“ zu nennen, obwohl der „richtige“ Name in großen Lettern auf des Kapitäns Kostüm prangt – gut besetzte und ebenso gut gelungene deutsche Sychronisation sorgt durchaus für Freude und Frohsinn, was angesichts der formelhaften Episodenbücher auch nötig ist, denn sonderlich viel Abwechslung tischen uns die Autoren (neben Buck Henry u.a. Peter Mayerson [„Die Monkees“, „Welcome back, Kotter“], Peggy Elliott [„Der Geist und Mrs. Muir“, „Männerwirtschaft“], David Ketchum [„Sledge Hammer“, „Happy Days“], Ed Scharlach („Mork vom Ork“, „Nikola“ – ja, die deutsche Sitcom] und Bruce Shelly [„Super Mario Bros. Super Show“, „Captain Planet“, „Hammerman“]) nicht auf; die Schurken sind, wie gesagt, nicht originell oder sonderlich komisch, die Storys alles andere als komplex (bei einem klassischen Sitcom-Sendeplatz von 30 Minuten auch nicht verwunderlich) und stets ähnlich strukturiert („Captain“-Auftritt im Teaser, Nash dröselt ein paar Zusammenhänge auf, „Captain“-Auftritt als Höhepunkt und Schluss).

Das ist alles durchaus ordentlich von Profis wie Gary Nelson („Das schwarze Loch“, „Get Smart, Again!“, „Quatermain II“), Charles Rondeau („Partridge Family“, „Kobra, übernehmen Sie!“) und Richard Kinon („Ein Käfig voller Helden“, „Verliebt in eine Hexe“, „Hotel“) gefilmt, auch wenn das Budget ganz bestimmt nicht üppig war; besonders für aufwendige Effekt- oder Stuntsequenzen war da natürlich keine Kopeke übrig. Die Flug-Tricks sehen zwar ganz manierlich aus, werden aber äußerst sparsam eingesetzt (einmal pro Folge ist gerade noch finanzierbar…), ansonsten sind Nices Superfähigkeiten von der kostenneutralen Sorte.
Auch für sight gags ist nur wenig Platz (wenn, sind sie allerdings durchaus witzig, so z.B. ein Kinoplakat, das für einen Film wirbt, der „nur für Erwachsene und Kinder geeignet“ ist), hauptsächlich versucht die Show mit Slapstick und Wortwitz zu punkten. Besonders in der offenbar mit etwas mehr Aufwand realisierten Pilotfolge wird auch mal, wie in der „Batman“-Serie, den gekippten Kamerawinkeln gehuldigt, ansonsten bleibt die Inszenierung bodenständig-konventionell.

Die darstellerischen Leistungen sind ganz in Ordnung – Daniels ist durchaus sympathisch und bringt komödiantisches Timing mit, allerdings verbindet ihn nicht wirklich glaubhafte chemistry mit seiner „love interest“ Ann Prentiss, die über kleine Fernsehauftritte und Film-Bit-Parts nie hinauskam (ihre „größte“ Rolle dürfte die voice-Rolle des Handtaschen-Aliens in „Meine Stiefmutter ist ein Alien“ gewesen sein) und im fortgeschrittenen Alter offensichtlich mittelschwer durchknallte, ihren Schwager Richard Benjamin („Westworld“) und ihren Vater umbringen wollte und 1997 zu einer neunzehnjährigen Haftstrafe verknackt wurde. Sie verstarb 2010.
Alice Ghostley, eine Tony-prämierte Broadway-Aktrice, als Nashs herrschsüchtig-beschützende Mama angemessen nervig, spielte später in „Die Reifeprüfung“, „Verliebt in eine Hexe“, „Grease“ und „Addams Family und die lieben Verwandten“.
Bürgermeister Finney Liam Dunn (passenderweise, wenn ich das richtig überblicke, von de-Funes-Stammsprecher Gerd Martienzen synchronisiert) wurde in den 70ern in Mel Brooks‘ „Silent Movie“ und „Frankenstein Junior“ gebucht; Bill Zuckert (Chief Segal) trifft man in kleinen Rollen in so unterschiedlichen Werken wie „Hängt ihn höher“, „Tora! Tora! Tora!“, „Critters 3“, „Ace Ventura“ oder „Alien Intruder“ wieder.

Die DVD: Und jetzt geht’s an die Grundsatzkritik – „Das Geheimnis der blauen Tropfen“ lief im deutschen Fernsehen in einer radikal gekürzten Fassung. Von den gut 25-minütigen Originalfolgen blieben in der deutschen Fassung nur jeweils ca. 15 Minuten übrig; die hiesigen Bearbeiter konzentrierten sich offenkundig speziell darauf, die besonders lustigen oder aktionsreichen Szenen zu verwenden, ohne gesteigert darauf Wert zu legen, dass die Handlung der Episoden nachvollziehbar bleibt; wilde Storysprünge oder fehlende Enden sind also ein Dauersymptom der deutschen Fassung (besonders „witzig“ ist das z.B. bei der Folge „Das Notizbuch“, die darum kreiselt, dass das titelgebende Dingens den Mafiaboss Mr. X überführen könnte. Die Folge endet aber umgehend, nachdem Captain Nice einen Anschlag der Mafia auf die mutmaßliche Kronzeugin vereiteit); auch die Vor- und Abspannsequenzen wurden brachial verkürzt (William Daniels ist der einzige Beteiligte, der in den deutschen Credits *überhaupt* erwähnt wird). Diese Rumpffassung ist dann leider die, die auch dem Pidax-DVD-Release zugrunde liegt – ich halte es durchaus für möglich, dass die alten deutschen Master überhaupt die einzig verfügbaren sind (im englischsprachigen Raum gibt’s meines Wissens weit und breit keine Veröffentlichung der Serie) und man höchstwahrscheinlich froh und dankbar sein muss, wenigstens diese Fassung in den heimischen Medienschrank stellen zu können… aber schad‘ ist’s schon, hätte ich doch zumindest gerne, wenn schon nicht die vollständigen Folgen, den Originalton probehören wollen…

Von der technischen Seite her gibt’s an der DVD (bzw. an den beiden Scheiben) nicht viel auszusetzen – der 4:3-Transfer ist so gut, wie man es von einer über vierzig Jahre alten Low-Budget-Serie erwarten kann, mittelprächtig scharf, schön bunt, guter Kontrast. Der deutsche Ton entspricht Durchschnittsniveau. An Extras gibt’s leider nichts.

Fazit: „Das Geheimnis der blauen Tropfen“ ist zweifellos eine Serie, die man als hypothetischer Zehnjähriger wesentlich toller findet denn als Erwachsener; die Show versucht, auf der „camp craze“-Welle der 60er mitzuschwimmen, obwohl sie letztlich vielleicht mehr eine „klassische“ Superhelden-Parodie als wirklich „camp“ im Wortsinne ist. Zur alten „Batman“-Serie fehlen ganze Lichtjahre an haarsträubender Bizarrheit – keine Cartoon-Schurken, keine irren Gimmicks (vom bewusst lächerlichen Kostüm abgesehen), das orientiert sich vom Humorverständnis her stärker an herkömmlichen Sitcoms als an der schieren Abseitigkeit der „Batman“-Show. Das heißt nicht, dass die „blauen Tropfen“ nicht passable Unterhaltung für Freunde des leichtgewichtigen Humors sind – manche Episoden sind auch heute noch richtig lustig, andere (bei denen auch die Kürzungen stärker durchschlagen) fallen flacher. Es ist eh eine Veröffentlichung für Fans – große Käuferschichten wird Pidax sich nicht erschließen können – und die Nostalgiker können sicher auch damit leben, dass die Serie genau so präsentiert wird, wie sie „damals“ in der Glotze lief. Es ist einfach so – ich hatte nicht damit gerechnet, „Captain Nice“ *jemals* in mein DVD-Regal einsortieren zu können. Wem’s ähnlich geht, wird sich über den Pidax-Release auch in der gekürzten Form freuen.

3/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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