Darwins Alptraum

 
  • Deutscher Titel: Darwins Alptraum
  • Original-Titel: Darwin's Nightmare
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  • Regie: Hubert Sauper
  • Land: Frankreich/Österreich/Belgien
  • Jahr: 2004

Vorwort

Manchmal braucht es keine ausgedachten „mad scientists“ – vor ungefähr vierzig-fünfzig Jahren hielt es jemand für angebracht, im Rahmen eines kleinen wissenschaftlichen Experiments im Victoria-See in Tansania Nilbarsche auszusetzen. Der Nilbarsch ist seines Zeichens ein undiskriminierender, dafür aber um so gefräßigerer Raubfisch und schaffte es, die blühende Fauna des Sees im Alleingang auszurotten, mit vorhersehbaren Folgen für das diffizile Ökosystem des Sees. Soweit, so schlecht, bis europäische Feinschmecker auf den Trichter kamen, dass der Nilbarsch nicht nur ein gefräßiger Raubfisch, sondern auch eine wohlschmeckende Delikatesse ist. Rund um den Victoria-See entstanden voluminöse Fischfabriken, deren Erzeugnisse täglich tonnenweise mit ramponierten russischen Frachtmaschinen gen Europa ausgeflogen werden. Die einheimischen Fischer und ihre Familien haben von dem Fischboom wenig überraschenderweise kaum etwas; der Gipfel der Perversion ist es, dass in Tansania, einem Land, das täglich allein 500 Tonnen Fisch, mithin also Lebensmittel, auf die Tische des weißen Mannes exportiert, eine Hungersnot herrscht. Filmemacher Hubert Sauper beobachtet das Leben an den Ufern des Victoria-Sees und stellt sich die Frage, wie dieses „System“ funktioniert.


Inhalt

Globalisierung – allein mit diesem Wort kann man jeden ATTAC-Aktivisten mühelos zu einem mehrstündigen couragierten Monolog bewegen und in der Tat hat der Siegeszug des Kapitalismus speziell in den Drittweltländern mehr Schaden angerichtet als positives bewirkt. In der Theorie mag es ganz erbaulich klingen, dass die fortschreitende wirtschaftliche Vernetzung der Welt den armen Regionen den Zugang zu den Weltmärkten erleichtert, aber „Darwins Alptraum“ (ich danke übrigens Herrn Sauper dafür, dass er sich der Rechtschreibreform verweigert) zeigt anhand eines einzelnen Fallbeispiels nachvollziehbar auf, wo der Haken an der ganzen Sache ist, und der, was sicher keine grundlegend neue Erkenntnis ist, aber gar nicht oft genug herausgestellt werden kann, betrifft nun mal die einfache Bevölkerung der Entwicklungsländer, an denen der vermeintliche ökonomische Aufschwung entschieden vorbeiläuft.

Sauper zeigt die fatalen Fehlentwicklungen direkt auf – er redet mit Fabrikbesitzern, die sich finanziell gesundstoßen, besucht die Camps der Fischer und beleuchtet deren primitivste Lebensbedingungen, er erkundet die hoffnungslose Welt der Straßenkinder mit ihrer allgegenwärtigen Gewalt, er spricht mit den russischen Piloten, die die Augen vor der sich ihnen bietenden Realität verschließen und kommt ins Gespräch mit den Prostituierten, die die Ausländer bei Laune halten. Dabei lässt er es allerdings nicht bewenden – er ist politisch unbequem und wirft daher auch Themenkomplexe auf, die nicht an Einzelschicksalen festgemacht werden können, so als er eine Konferenz afrikanischer Staaten filmt und dabei klar wird, dass die afrikanischen Politiker deutlich machen, dass sie an vordergründiger wirtschaftlicher Entwicklung erheblich stärker interessiert sind als an einer Verbesserung der Lebensqualität ihrer Mitbürger, oder, ganz besonders greifbar und scheinheilig, als er einer EU-Delegation aufs Maul schaut, die schamlos dahersalbadert, wie der Fischexport doch den armen Nationen helfen würde, wo doch ein einziger Blick auf die Straße (in der Tat ist es einer der ergreifendsten Momente des Films, wenn die Kamera von der EU-Delegation wie beiläufig auf die Straße schwekt) deutlich macht, wie sehr die eingenommenen Devisen denen, die sie wirklich brauchen könnten, nicht zu Gute kommen. Möglicherweise macht Sauper es sich mit seiner Schlußfolgerung, wenn es denn eine ist, zu einfach. Sicherlich ist es vertretbar zu spekulieren, dass die afrikanischen Regierungen mit dem Geld aus Europa Waffen kaufen, andererseits darf man auch nicht wegreden, dass der Fischexport in Tansania Arbeitsplätze schafft und prinzipiell erst einmal Geld bringt – wofür das dann ausgegeben wird, steht auf einem anderen Blatt. Es ist halt eine Krux – die Drittweltländer sollen sich wirtschaftlich entwickeln, das steht außer Frage, aber wie kann kontrolliert werden, dass Regierungen ihre Nationen nicht kaputt ex- und importieren? Die Blauäugigkeit europäischer Politiker steht jedenfalls im Raum und die böse These, die ein tansanischer Journalist im Film äußert, wonach den Europäern es ganz recht sei, wenn’s läuft, wie’s läuft, weil sich die Afrikaner so selbst dezimieren und Europa (in diesem Falle mal deckungsgleich mit dem Rest der Welt zu verwenden) nicht nur am Fisch und an Waffengeschäften, sondern auch noch an humanitären Hilfsleistungen verdient, klingt so arg weit hergeholt auch nicht.

Aber auch abseits der großen Politik gelingen Sauper einprägsame Bilder aus dem Alltagsüberlebenskampf der Einheimischen. Als Filmemacher hat Sauper allerdings das Problem, dass sein Streifen etwas willkürlich angelegt wird – es gibt keinen wirklich klaren Narrative in der Erzählstruktur, der Film wirkt nicht immer schlüssig montiert. Wenn ich den Film richtig interpretiere, ist er chronologisch angelegt, aber es wäre möglicherweise sinnvoller gewesen, die Szenen anhand des inhaltlichen Zusammenhangs aneinanderzufügen. „Darwins Alptraum“ fehlt es einfach an Struktur (böswillig könnte man behaupten, er fängt irgendwann an und hört irgendwann auf, und alles, was dazwischen stattfindet, könnte man in jeder beliebigen Reihenfolge zeigen), ein Eindruck, der sich durch den Verzicht auf einen erklärenden Kommentar verstärkt. Wo Michael Moore bei jeder sich bietenden Gelegenheit polemisierende Thesen verbreitet hätte, setzt Sauper darauf, dass seine Bilder und die eher lakonischen Gespräche mit seinen Interview-Partnern ausreichende Wirkung entfalten. Manchmal funktioniert das recht gut, manchmal aber auch nicht, wenn es (sicherlich nicht beabsichtigt) so aussieht, als würde Sauper versuchen, seine Interview-Partner in Richtung „erklärender Exposition“ zu dirigieren (gelegentlich wirkt die Fragestellung auch etwas redundant, weil Sauper etwas penetrant darauf herumreitet, dass die vorgeblich leer in Tansania landenden Frachtmaschinen ja wohl irgendwas an Bord haben müssten, und seien es Waffen).

Letztlich hat Sauper keine definitiven Antworten – mehr als ein fast schon hilfloses „das ist doch nicht in Ordnung“ kann auch er nicht beisteuern. Aber „Aufrütteln“ ist schon einmal besser als „tatenlos zusehen“.

Von der filmisch-technischen Seite her muss „Darwins Alptraum“ mit einfachsten Mitteln zurechtkommen. Die Drehbedingungen waren schwierig und wurden, wie dem Booklet zu entnehmen ist, oft durch Behörden blockiert oder durch misstraurische Einheimische behindert. Sauper setzt auf eine sehr intime, fast schon aufdringliche Kameraführung mit vielen close-ups – „visuelle Abwechslung“ sieht zweifellos anders aus, war aber natürlich nie beabsichtigt. Sauper beschäftigt sich nicht mit Montage- oder Animationssequenzen wie Michael Moore, das einzige, was er dem Zuschauer an erklärenden Zusatzinformationen zugesteht, sind kurze eingeblendete Vorstellungen der Interviewpartner und sehr selten kurze erläuternde Fakten per Texteinblendung. Das Ergebnis ist ein sehr rauher, ungeschliffener, dadurch aber naturgemäß sehr authentisch wirkender Film (auch auf begleitende – und manipulierende – Musik wird völlig verzichtet).

Bildqualität: Ich habe neulich im „Nobody Knows“-Review aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht und angedeutet, wie sehr es mir auf den Magen schlägt, dass Sunfilms Mastering-Studio scheinbar nicht wirklich weiß, was es tut. „Darwins Alptraum“ bereitete mir wieder einmal gravierende Probleme – zur Abwechslung verweigerte die Scheibe mal im ansonsten durch nichts zu erschütternden PC-DVD-Laufwerk ab dem Layerwechsel (identisch mit dem Chapter-Break 6/7). Ironischerweise war es dann ausgerechnet mein Scott-Player, der nun normalerweise mit Sunfilm-Scheiben auf Kriegsfuß steht, der sich dazu bereit erklärte, die Scheibe unproblematisch abzuspielen. Wie schon gesagt, ich könnte damit leben, wenn sich irgendwann mal ein Muster erkennen liesse, mit welcher Hardware Sunfilm-Scheiben inkompatibel zu sein scheinen…
Gut, zur Disc an sich. Bei einer unter schwierigen Bedingungen entstandenen Dokumentation erwarten wir keine epischen „Herr der Ringe“-Bilder und das schlägt sich folgerichtig auch auf den Bildtransfer nieder. Der anamorphe 1.85:1-Print zeichnet sich typische grieselige Video-Grobkörnigkeit aus, die Schärfewerte bewegen sich maximal im durchschnittlichen Bereich, der Kontrast ist recht gut, die Kompression dagegen sorgt für einiges an Nachziehern, wenn auf dem Bildschirm mal schnellere Bewegungen oder Schwenks durchgeführt werden. In Anbetracht des Ausgangsmaterials und der Drehbedingungen aber wohl kaum zu vermeiden.

Tonqualität: Da, wie gesagt, auf einen begleitenden Erzähler völlig verzichtet wird, kann Sunfilm den Film ohne weiteres in seiner „Originalversion“ mit Untertiteln präsentieren. Die vorherrschende Sprache im Film ist Englisch mit gelegentlich eingestreuten lokalen Idiomen. Die Untertitel sind optional zuschaltbar und sehr knapp ausgefallen. Beim Tonformat kann der Konsument zwischen Dolby 5.1 und Dolby 2.0 wählen, aber Ihr wisst selber – es ist eine Video-Dokumentation, also kaum ein Surround-Festival. Die Tonqualität ist einer Dokumentation angemessen, manchmal etwas zu leise.

Extras: Leider ein wenig knapp, was Sunfilm an Extras mitliefert. Es findet sich der Kinotrailer, ein Spenden-Werbespot der Aktion „Gemeinsam für Afrika“ sowie ein Musikvideo von Wolfgang Niedecken zum gleichen Thema, die Sunfilm-Trailershow darf nicht fehlen. Filmbezogenes Zusatzmaterial, wie z.B. ein Audiokommentar oder ein Interview mit dem Filmemacher, fehlt leider ganz, gewissen Ausgleich verschafft das 24-seitige Booklet mit Statements des Regisseurs sowie weiterführenden Informationen von Greenpeace und „Gemeinsam für Afrika“. Greenpeace steuert noch eine scheckkartengroße „Checkliste“ bei, welche die ökologische Bedenklichkeit diverser Speisefischarten aufführt.

Fazit: Das Wohlwollen seitens der Filmkritik, dem sich „Darwins Alptraum“ ausgesetzt sieht, impliziert, dass der Film zweifellos einen Nerv trifft und damit seinen primären Sinn erfüllt hat. Der Streifen erzählt demjenigen, der mit offenen Augen durch die Welt geht (und die Medien nicht exklusiv dazu nutzt, sich „heile Welt“ vorgaukeln zu lassen) sicherlich nichts ganz speziell Neues, aber es gibt genügend Menschen, die gewisse globale Zusammenhänge ausblenden oder als unvermeidlichen „Kollateralschaden“ auf dem Weg zur freien kapitalistisch perfekten Welt abqualifizieren mögen, und die sind es dann auch, die das „richtige“ Publikum für den Film darstellen. Diese Zielgruppe, also die der Meinungslos-Uninteressierten und der Neoliberalen, wird von den unbeschönigenden, direkten Bildern wohl schockiert werden. Globalisierungskritiker dürften weniger überrascht und sich in ihren Ansichten bestätigt fühlen. Insgesamt sicher sehenswert, eine ordnende, strukturierende Hand hätte dem Film aber nicht geschadet und ihm noch mehr konkreten Biss geben können (filmgewordenes Gutmenschentum im negativen Wortsinne wie Michael Winterbottoms ach-so-gut-gemeinter „In This World“, mein diesbezüglicher „Lieblingsprügelknabe“ wird von „Darwins Alptraum“ ohne weiteres k.o. geschlagen).

Sunfilms DVD glänzt mit den schon gewohnten Mastering-Problemen und hätte für meinen Geschmack das ein oder andere filmbezogene Bonusmaterial mehr verdient, punktet aber durch die angemessen hochwertige Aufmachung (ich hoffe, das ist alles aus Recycling-Material).

3/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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