Dämon

 
  • Deutscher Titel: Dämon
  • Original-Titel: Kichiku
  • Alternative Titel: The Demon |
  • Regie: Yoshitaro Nomura
  • Land: Japan
  • Jahr: 1978
  • Darsteller:

    Ken Ogata (Sokichi Takeshita), Shima Iwashita (Oume), Mayumi Ogawa (Kikuyo), Hiroki Iwase (Riichi), Keizo Kanie (Akutsu), Takanobu Hozumi (Mizuguchi), Hideji Otaki (Kimura), Shinobu Otake (Polizistin)


Vorwort

Eines schönen Tages hat Kikuyo, die langjährige Geliebte des weitgehend erfolglosen Kleindruckereibesitzers Takeshita, die Faxen dicke, den Kanal voll und überhaupt das Ende ihres Geduldsfadens erreicht. Sie packt die drei gemeinsamen Kinder ein, schwingt sich in den Zug und fragt sich zu Takeshitas Heimstatt durch, wo sie ihrem Lover und dessen begreiflicherweise konsternierter Ehefrau Oume deutlich vor Augen hält, dass es so nicht weiter geht – vor allen Dingen finanziell. Arbeiten gehen kann Kikuyo der Blagen wegen nicht und die finanziellen Zuwendungen des Herrn Papa fließen nicht im notwendigen und zugesagten Umfang. Kurzum – Kikuyo verkündet die Scheidung des Liebschaftsverhältnisses, überlässt Takeshita das Sorgerecht und verpisst sich nunmehr kinderlos in ein neues Leben. Da kann der Vater (der an seinen Kindern tatsächlich hängt) nur noch blöde kucken – zumal sein treues Eheweib ihm deutlich zu verstehen gibt, dass sie nicht gedenkt, auch nur einen Handschlag zur Versorgung des spontanen Familienzuwachses zu rühren. Nicht nur die Kinder müssen den unverhohlenen Hass ihrer neuen Stiefmama ausbaden, auch für Takeshita wird das Leben in den eigenen vier Wänden zur persönlichen Hölle, denn Oume insistiert: die Kinder müssen weg! Bei Takeshita regt sich das Gewissen, doch Oume wird von solchen Kinkerlitzchen nicht beeinträchtigt. Shoji, der Jüngste, ist das kleinste Problem – der Kleene ist eh schon unterernährt, sein Oume-gefördertes Ableben unter einer Plastikplane fällt daher nicht weiter auf (und bringt Takeshita eine lang vermisste Runde Matratzenakrobatik ein). Die dreijährige Yoshiko „verliert“ Takeshita unauffällig bei einem Ausflug nach Tokio, doch der sechsjährige Riichi ist ein anderes Kaliber – der weiß, wo er wohnt und wie sein Papa heißt… Oume schlägt vor, den Knirps unbürokratisch mit Zyankali zu vergiften, aber Takeshitas halbherziger Versuch, den Jungen bei einem Ausflug in den Zoo mit einem vergifteten Sandwich zu entleiben, schlägt fehl. Oume ist unerbittlich – also macht sich der stolze Vater mit dem Sohne auf dem Weg ans Meer…


Inhalt

Und noch einer von Nomura, den wir ja erst gestern mit Das Dorf der acht Grabsteine hatten – auch diese Scheibe stammt aus der polyfilm-Reihe „Japanische Meisterregisseure“. „Dämon“ (der etwas reißerische Titel entspricht schlicht der wörtlichen Übersetzung des japanischen Titels „Kichiku“) war das direkte Nachfolgeprojekt Nomuras nach dem Samurai-Geister-Mörder-Spektakel und ist seines Zeichens ebenfalls eine Literaturadaption – die Vorlage, eine Erzählung des Krimiautors Matsumoto Seicho, erschien erstmals 1957 und ist von Stimmung, Intention und „Mechanik“ so weit wie irgend möglich entfernt von Nomuras Vorgängerfilm und Kassenknüller.

Obwohl von manchen Filmrezensenten ebenfalls kurzerhand in die Genre-Schublade gepackt (dank der Thriller-Elemente) ist „Dämon“ keineswegs einfache, leicht verdauliche Spannungskost. An die Stelle des breiten, epischen Stils des „Dorfs“ mit seiner Jahrhunderte übergreifenden Handlung und der unüberschaubaren Vielzahl von Charakteren kommt uns Nomura hier mit einem intimen, kammerspielartigen Thrillodram, das mit dreieinhalb wichtigen Figuren auskommt und das einen nur völlig kalt lässt, wenn man ein total gefühlloser Eisklotz ist.

Um das Szenario zu schlucken, muss man natürlich geistig den Kulturkreis wechseln – in jeder halbwegs normalen „westlichen“ Ehe würde die Ehefrau, täte die Geliebte drei Bastarde abliefern und vom Hof reiten, ihre Koffer packen, zu Mama zurückkehren und nur noch über ihren blutsaugerischen Rechtsanwalt mit Männe kommunizieren, aber in Japan macht frau das halt nicht (offenbar). Von dieser Situation ausgehend braucht es dann nur noch zwei extreme Charaktere und das Feld ist bereitet für einen an die Nieren gehenden filmischen Tiefschlag, der selbst hartgesottenen Kinderhassern wie dem Doc einen Kloß in den Hals zaubern kann. Wir hätten einerseits Takeshita, ein Weichei, wie es im Buche steht. Beruflich zwar kompetent, aber notorisch erfolglos (und noch dazu bei seinen Berufskollegen ob seiner Dumpingpreise unbeliebt), ein Pantoffelheld vor dem Herrn, nicht in der Lage, sich gegen seine Frau (oder seine Geliebte, die er sich augenscheinlich nur angelacht hat, um wenigstens ab und zu nicht unter der Fuchtel seiner Alten zu stehen) durchzusetzen, auf der anderen Seite Oume, gegen die die böse Stiefmutter aus Aschenputtel eine herzensgute Samariterin ist – der einzige Schwachpunkt der Konstruktion ist, dass mir die Ursachen dieses Hasses (der freilich irgendwo verständlich ist, wenn auch nicht in dieser Ausprägung) nicht sauber herausgearbeitet werden; das Script deutet da und dort an, dass einerseits ihre Ehe keine Liebeshochzeit war (anscheinend brauche Takeshita ihre Kohle für seinen Betrieb), es andererseits mit seinem Kinderwunsch bei ihr nicht hinhaute (ob sie nicht kann oder nicht will, bleibt offen).

Takeshita steht vor dem Dilemma, dass er im Grunde seines Herzens treusorgender Vater sein *will*, es ihm aber an Rückgrat fehlt (und, wie seine Geliebte durchaus treffend anmerkt, Verantwortungsgefühl), gegenüber Oume im Wortsinne „seinen Mann zu stehen“ und mal ’ne klare Ansage zu treffen – vielmehr hat er offenkundig vor seiner Frau Angst (in der Tat sind die einzigen gezeigten Gewaltakte die, in denen er von Oume verprügelt wird. Der Kerl ist ein Fall für’s Männerhaus); selbst bei einer nicht mordlustigen Stiefmama wäre das ein Spannungsfeld, in dem kein Kind auch nur mit einer annähernden Chance auf geistige und körperliche Gesundheit aufwachsen könnte und der aufgeweckte Riichi (der wie seine Geschwister auch wirklich an seinem Papa hängt) bemerkt, was Sache ist (nicht zuletzt aber auch, weil speziell Oume aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und dekora- und demonstrativ, als Takeshita Yoshiko „wegbringt“, vor Riichis Augen ihre Spielsachen in den Müll wirft). Aber wirklich wichtig ist Takeshitas character arc, der sich Oumes erdrückendem Einfluss nicht erwehren kann und immer tiefer in ihren blindwütigen Hass hineingezogen wird – ist er nach Shojis Tod noch ehrlich entsetzt und bemüht er sich, Yoshiko nach Möglichkeit – und unter heftigen Gewissensbissen „human“ loszuwerden, muss er bei Riichi dann selbst Hand anlegen – ich will das Finale nicht spoilern, aber der emotionale Zwiespalt und Takeshitas Bestürzung über sein eigenes Verhalten wird überdeutlich.

Das macht den Film zu einem sehr intimen und sehr intensiven Erlebnis – Nomura unterstützt dies filmisch dadurch, verstärkt auf Großaufnahmen der Gesichter zu setzen, so dass auch die kleinste emotionale Regung nicht unbeobachtet bleibt. Die Innenaufnahmen sind schon klaustrophobisch zu nennen (auch, weil Takeshitas kleines Haus buchstäblich vollgestopft ist – im Erdgeschoss stehen die diversen Druckmaschinen, drüber haust die Familie, teilweise im Lager), zwangsläufig rückt die Kamera den Figuren daher stark auf die Pelle. Die Atmosphäre ist feindselig, kalt, abweisend – selbst in der „Liebesszene“ nach Shojis Tod existiert kein Gefühl, es ist mechanischer, berechnender Sex. Die kleinen, durchaus vorhandenen leisen Glücksmomente spielen sich ausschließlich in den Außenaufnahmen ab (auch wenn ein durchgängiges Thema ist, dass diese kurzen Schübe glücklichen Familienlebens stets Widerhaken haben: der erste Ausflug auf den Rummelplatz mit allen Kindern kommt nur zustande, weil Takeshita sich nicht nach Hause traut, weil er die Kids nicht wieder bei ihrer Mutter abliefern konnte, und bei den späteren Exkursionen mit Yoshiko respektive Riichi geht’s letztlich darum, die Kinder loszuwerden), hier erlaubt Nomura dann auch der Kamera weite Winkel, Totalen, quasi „Freiheit“ per se.

Im Gegensatz zum „Dorf“ nimmt der Gegensatz Moderne/Tradition hier nur begrenzten Raum ein – und dann eher auf ungewöhnliche Weise, projiziert in den Frauenfiguren. Kiyoku, die Geliebte, ist die „traditionell“ geprägte Frau, die im ordentlich gebundenen Kimono rumläuft, Oume, die „Hexe“, ist eine moderne, selbständige, eigensinnige Frau, die sich von keinem Kerl vorschreiben lässt, was sie zu tun oder zu lassen hat. Letztlich ist keine dieser Figuren auch nur ansatzweise positiv (wenngleich das Script etwas mehr Sympathie – bzw. überhaupt welche – in Richtung Kiyoku verteilt, und man daher vorsichtig leichte Kritik an der „modernen“ Welt postulieren könnte – im Endeffekt gibt es überhaupt keine positive Figuren, da Takeshita letztlich auch kein Mitleid verdient. Es ist eine harte, düstere Welt, in der selten bis nie etwas „Gutes“ passiert.

Nomura – der sich erneut eines bedachten, ruhigen Erzähltempos bedient, hier aber etwas deutlicher als beim „Dorf“ ein dramaturgisches Ziel vor Augen hat und daher einen griffigeren Spannungsbogen schafft – kommt dabei, wie erwähnt, ohne Gewaltdarstellungen aus (außer eben den Schlägen, die Takeshita sich von seiner Alten einfängt), schafft aber dennoch allein schon aus den Charakterzeichnungen und der bedrückenden Enge des Hauses eine verstörende, bedrohliche Atmosphäre. Unterstützt wird diese Stimmung durch einen sparsam, dafür aber umso pointierter eingesetzten Score von Yasushi Akutagawa, der sich merklich am Stil von Bernard Herrmann orientiert.

Schauspielerisch ist „Dämon“ hauptsächlich die one-man-show von Ken Ogata („Izo“, „Gonin 2“), der die zunehmende Verwirrung und Verzweiflung seiner Figur beinahe körperlich greifbar macht. Ganz große Darbietung. Shima Iwashita („Spätherbst“, „Verdacht“, „Richard Sorge – Spion aus Leidenschaft“) muss nicht diese Gefühlsbandbreite aufbringen, brennt sich aber als hassenswerteste böse Stiefmutter seit Menschengedenken unvergesslich ins Gedächtnis. Mayumi Ogawa („Das Dorf der acht Grabsteine“), die sich nach gut 20-25 Minuten aus der Handlung verabschiedet, hinterlässt ebenfalls einen guten Eindruck. Selbst die Kinderdarsteller, speziell Hiroki Iwase, sind nur so „nervig“, wie’s die Geschichte eben verlangt und dann wieder richtig liebenswert (und Hirokis – obligatorische – kurze Hosen sind zumindest länger als die beim typischen „Godzilla“-Kenny).

Bildqualität: polyfilm zeigt den Streifen in deutschsprachiger Erstveröffentlichung in anamoprhem 1.85:1-Widescreen. Der Print zeigt ein paar Abnutzungserscheinungen mehr als das „Dorf“, die sind aber kaum der Rede wert, etwas lästiger ist ein leichtes Bildflimmern, das sich zum Filmende hin zu verstärken scheint. Insgesamt aber noch ein guter Transfer für einen hierzulande völlig unbekannten Film (der in Japan aber sehr erfolgreich war und etliche Filmpreise abräumte).

Tonqualität: Wie generell in dieser Reihe hat sich polyfilm nicht mit einer Synchronisation aufgehalten, sondern bietet lediglich optionale deutsche Untertitel zum originalen, leicht knarzigen japanischen Dolby 2.0-Mono-Ton. Erfreulicherweise hat der Untertitelsetzer hier besser aufgepasst als beim „Dorf“, es gibt keine Tippfehler.

Extras: Wie schon beim „Dorf“ erwähnt, gibt’s leider keine filmspezifischen Extras, nur das allgemeine Booklet zur Reihe.

Fazit: Ich war, als ich die DVD einlegte, skeptisch – Filme, in denen’s um Kinder geht, sind nicht mein Fall und ich hatte nach Genuss der Inhaltsangabe die Befürchtung, stark mit den Rabeneltern zu sympathisieren, aber, surprise, „Dämon“ hat mich „umgedreht“. Nein, ich mache mich jetzt nicht sofort ans Kinderzeugen oder auf den Weg ins Waisenhaus, um ein paar Blagen zu adoptieren… der Film packte mich trotzdem an den richtigen Stellen, drückte die richtigen Knöpfe, schüttelte mich da durch, wo’s angebracht war. Von der Höchstwertung halten mich nur ein paar kleine Schönheitsfehler (wie schon beim „Dorf“ verliert Nomura im Schlussakt ein wenig den Fokus) und die selbst einem Zyniker wie mir schon zu negative, depressive Weltsicht ab. Dennoch ein hochgradig bemerkenswerter Film, künstlerisch sicher noch um einiges wertvoller als das „Dorf“, aber auch wesentlich schwieriger, sperriger und unangenehmer anzusehen. Ideal dafür, wenn man sich aus blendender Strahlemann-Laune wieder auf realistischeres Niveau runterdeprimieren will und ganz gewiss nichts zum flockigen Nebenherkucken aus reinen Unterhaltungsgründen… Ich wurde amtlich in den Magen geboxt – ich weiß nicht, ob ich den Film jemals wieder sehen *will*, aber er ist ganz ganz groß.

4,5/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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