- Deutscher Titel: Da waren's nur noch neun
- Original-Titel: Ten Little Indians
- Alternative Titel: Geheimnis im blauen Schloß |
- Regie: George Pollock
- Land: Großbritannien
- Jahr: 1965
- Darsteller:
Hugh O’Brian (Hugh Lombard), Shirley Eaton (Ann Clyde), Mario Adorf (Grohmann), Daliah Lavi (Ilona Bergen), Leo Genn (General Mandrak), Stanley Holloway (Blore), Wilfrid Hyde-White (Judge Cannon), Dennis Price (Dr. Armstrong), Marianne Hoppe (Frau Grohmann), Fabian Forte (Mike Raven)
Vorwort
Eine Einladung zu einer Dinnerparty führt zehn völlig unterschiedliche Personen, Richter, Arzt, Detektiv, Ingenieur, Popstar, Schauspielerin usw. auf ein abgelegenes Schloss auf einem alpinen Bergesgipfel. Ihr Gastgeber, der ominöse Mr. Gendwer, glänzt durch auffällige Abwesenheit. Die illustre Runde muss sich aber nicht lange fragen, was gespielt wird. Ein Tonband bringt es an den Tag – Mr. Gendwer beschuldigt ausnahmslos jeden Anwesenden, ungesühnt den Tod eines oder mehrerer Menschen verursacht zu haben. Und getreu dem Kinderlied von den „Zehn kleinen Negerlein“ soll die Gerechtigkeit nun doch noch ihren Lauf nehmen. Das fröhliche Sterben lässt nicht lange auf sich warten – nach den ersten Todesfällen setzt sich bei den Überlebenden die Erkenntnis durch, dass einer der ihren der mysteriöse Mr. Gendwer sein muss. Von der Außenwelt abgeschnitten und ohne Möglichkeit, das Schloss zu verlassen, wird die Atmosphäre durch Paranoia und gegenseitige Verdächtigungen vergiftet – zumal sich herausstellt, dass die Anschuldigungen im Kern der Wahrheit entsprechen. Immer weiter wird der Kreis der Verdächtigen durch die simple Methode „wer tot ist, kann’s kaum gewesen sein“ dezimiert…
Inhalt
Mit Agatha-Christie-Romanen und den dazugehörigen Verfilmungen ist das so ’ne Sache. Den Unterhaltungswert von Miss-Marple-Mördersuchspielen oder den elaboraten Hercule-Poirot-Detektivspielen (an dieser Stelle ein kleiner Einschub: Peter Ustinov IST Hercule Poirot) wird keiner bestreiten, als ernsthafte Kriminalfilme qualifizieren sich die wenigsten (und die Romane, obwohl deutlicher auf den „Thrill“ hin konzipiert, unterscheiden sich da nicht so wesentlich). Oder anders ausgedrückt – die Stoffe altern nicht unbedingt gut, wie man besonders an den Margaret-Rutherford-Miss-Marple-Filmen schön beobachten kann (die kommen schließlich oft genug im Pantoffelkino).
„Da waren’s nur noch neun“ (oder eigentlich richtiger: „Geheimnis im blauen Schloss“, unter dem Titel lief der Streifen nämlich im Kino, Sunfilm hat für den DVD-Release Verleihtitel und Tagline umgedreht, was aber insofern sinnig ist, als der „neue“ Titel besser und treffender ist) ist da schon unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten – erstens ist’s die Verfilmung eines der Christie-Romane ohne Miss Marple oder Poirot (sogar ganz ohne einen superschlauen Detektiv oder sonstigen Ermittler) und zweitens ist die Verfilmung in einiger Hinsicht stilprägend für die Entwicklung eines ganzen Genres, und zwar, ohne mich da zu weit aus dem Fenster zu lehnen, in direkter Linie zum Giallo (der natürlich seine Einflüsse auch zum Großteil aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen der 50er und 60er zieht, aber das liegt ja so weit auch nicht auseinander) und damit zwangsläufig zu dem, was man gemeinhin den modernen Slasherfilm nennt. „Da waren’s nur noch neun“ ist vordergründig zwar ein klassisches Whodunit-Suchspiel, aber eines, das nicht wirklich als solches funktioniert. Gut, es ist bei Agatha Christie und vielen ihrer schreibenden Zeitgenossen nicht ungewöhnlich (weswegen sie im wunderbaren „Eine Leiche zum Dessert“, dessen Grundsetup dem hiesigen verdammt ähnlich ist, auch ordentlich ihr Fett abbekamen), dass die Auflösung deus-ex-machina-mäßig auf den letzten Seiten (bzw. übertragen auf Film in den letzten Minuten) kommt, und das ist hier genau so – zwar liefert der Film bzw. sein Script einige red herrings (wobei der Film bzw. seine Buchverlage diesen Begriff prägt, genauso wie das „Zehn-kleine-Negerlein“-Prinzip), aber keine ernstlichen Anhaltspunkte, an denen der geneigte Zuschauer eigene Überlegungen und Theorien anknüpfen könnte, was das „Mitraten“, also den eigentlichen Reiz an einem Whodunit-Mystery, relativ witzlos werden lässt – es spricht praktisch für jeden Charakter die gleiche Wahrscheinlichkeit, dass er der Täter ist. Gerade darin liegt die Verbindung zum fünf-sechs Jahre später aufkommenden italienischen Giallo, der an der Person des Täters und seiner Motivation erheblich weniger bis gar nicht interessiert war denn an den eigentlichen Mordtaten selbst (ein von mir an dieser Stelle immer wieder herzlich gern herangezogenes Beispiel ist „Sieben Toten in den Augen der Katze“). Wie gesagt – den Tadel muss sich schon die literarische Vorlage gefallen lassen (jetzt dreht er durch, er kritisiert Agatha Christie…), da kann die Adaption recht wenig dran schrauben oder drehen, man muss den Film also losgelöst vom eigentlichen Mördersuchen betrachten – ’s hat eh keinen Sinn, auf die Lösung kann man unter normalen Umständen nicht kommen, es gibt keine Hinweise, keine versteckten Tipps (das lässt auch wiederholtes Ansehen in vergleichsweise kurzem Abstand eher sinnlos erscheinen). Die Morde selbst sind vergleichsweise elaborat und pfiffig für einen frühen 60er-Mainstream-Film, natürlich völlig unblutig, aber vergleichsweise einfallsreich (wobei die deutsche Synchro leider etwas den Gag ruiniert, dass die Todesarten abgestimmt sind auf den jeweiligen Vers des Kinderlieds. Liegt aber halt daran, dass sich der deutsche und der englische Liedtext leicht unterscheiden, und das nicht nur hinsichtlich „Negerlein“/“Indians“ – dem zeitgenössischen deutschen Kinopublikum dürfte aber der (fehlende) Zusammenhang zwischen dem Negerlein-Lied und den Indianer-Figuren, die als Bodycount-Zähler fungieren, ein Rätsel geblieben sein). Weniger einfallsreich als vielmehr etwas nervig sind die unlogischen Verhaltensweisen der Charaktere – Beispiel (aufgrund Spoilers etwas neutralisiert, wer gar nix wissen mag, sollte vorsichtshalber den Rest dieses Absatzes auslassen): Charakter X stellt eine völlig logische und aufgrund des Kenntnisstandes der Charaktere absolut schlüssige Theorie auf, die auf Charakter Y als Täter hindeutet. Charakter Z akzeptiert diese Theorie nur deswegen nicht, weil er und Y die programmierten Überlebenden sind – aus logischer Sicht ist dieses Verhalten vollkommen unverständlich (und es ist beileibe nicht das einzige Beispiel. Generell brauchen die Charaktere viel zu lange, um zu offensichtlichen Schlüssen zu kommen).
Ebenfalls störend – es fehlt an echten Identifikationsfiguren. Da ja drehbuchgemäß alle auftretenden Figuren Dreck am Stecken haben, will einem nicht so recht aufgehen, warum man nun diesem oder jenem Charakter eben nicht die „gerechte Strafe“ wünschen sollten. Ganz besonders nervig ist der Charakter Hugh Lombard, leider Gottes eine extrem zentrale Figur, der als dermaßen arroganter, unsympathischer Widerling gezeichnet ist, dass man ihm eigentlich als ersten den Tod an den Hals wünscht. Als Held ist DER jedenfalls völlig untauglich.
Formal ist der Streifen in Ordnung – George Pollock, der auch die wesentlichen Miss-Marple-Filme zu verantworten hat, kommt eigentlich recht gut damit zurecht, dass auch „Da waren’s nur noch neun“ eigentlich ein prädestiniertes Theaterstück ist (nur eine Location, begrenzter Cast). Zwar ist der Film ungeheuer dialoglastig, aber Pollock gelingt es im Rahmen eines britischen Films von 1964 (wo man mit Ausnahme der James-Bond-Filme technisch sicher nicht ganz auf Höhe der Zeit bzw. der Hollywood-Konkurrenz war), den Streifen durch solide Kameraarbeit von Ernest Steward (der auch den vor kurzem besprochenen „Nobody Runs Forever“ und etliche der späteren „Carry On“-Filme fotografierte), schönes Production Design (das in Farbe aber sicher noch besser wirken würde) und einige geschickt eingestreute Außenaufnahmen visuell durchaus sehenswert zu gestalten. Die schmissig-swingende Filmmusik von Malcolm Lockyer (der auch für einige der von Harry Alan Towers, der auch hier finanziell Hand anlegte, produzierten Sumuru- und Fu-Man-Chu-Filme komponierte) tut ihr übriges zu einer insgesamt eher relaxten Stimmung.
Der Cast ist von guter, aber leicht schwankender Qualität. US-TV-Western-Star Hugh O’Brian hat mit der schon angesprochen unsympathischen „Heldenrolle“ zu kämpfen – er macht es einem nicht leicht, sich mit ihm anzufreunden. „Goldfinger“-Girl Shirley Eaton sorgt für den Hauch harmloser Erotik, ist mir insgesamt aber auch einen Tick zu blass. Der routinierte Rest-Cast rettet viel: Leo Genn („Der Hexentöter von Blackmoor“, „Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse“) kann als General ebenso überzeugen wie Stanley Holloway („Caesar and Cleopatra“) als ruppiger Privatdetektiv, Wilfrid Hyde-White („Kampfstern Galactica“) als Richter und Dennis Price („Vampyros Lesbos“, „Dracula vs. Frankenstein“, „Murder Must Foul“) als alkoholisierter Doktor. Dieser gut aufgelegte Gentleman-Club punktet vor allem im direkten Zusammenspiel. Dazu stossen noch Film- und Schlagersternchen Daliah Lavi („Nobody Runs Forever“), die große deutsche Schauspielerin Marianne Hoppe und ihr Film-Ehemann Mario Adorf (ganz groß!, nur der Altersunterschied zu Hoppe fällt doch gravierend ins Auge) sowie der 50er-US-Teenstar Fabian Forte.
Bildqualität: Sunfilm legt den Film in einer restaurierten Fassung in anamorphem 1.85:1-Widescreen vor. Die Bildqualität ist dabei gut, aber nicht spektakulär – besonders zu Beginn sind doch einge Verschmutzungen und Abnutzungserscheinungen zu erkennen, die man dem Master nicht mehr austreiben konnte. Der Kontrast ist für einen s/w-Film passabel, die Schärfewerte sehr gut. Natürlich fällt die s/w-Krankheit, bei gewissen Mustern zu Farbverfälschungen zu neigen, auch hier auf. Insgesamt aber ein voll zufriedenstellender Transfer.
Tonqualität: Erfreulicherweise hat man auf einen künstlichen Surround-Mix verzichtet und legt die beiden Tonspuren (englisch und deutsch) im Dolby 2.0-Mono verfahren vor. Beide Tonspuren sind rauschfrei und vom Musik- und Soundeffekt-Mix her identisch, die deutsche Fassung bietet wesentlich lautere Dialoge – die etwas zurückhaltendere englische Fassung kommt der Stimmung deutlich näher. Deutsche Untertitel werden mitgeliefert, kleben aber natürlich an der deutschen Sprachfassung (die aufgrund der schon geschilderten Schwierigkeiten von der Originaltonspur stellenweise deutlich abweicht).
Extras: Leider nicht allzuviel – neben dem Trailer findet sich noch eine Artwork-Galerie mit alten Aushangfotos (etwas sehr grünstichig) sowie recht ausführliche Textbiographien für Agatha Christie, Regisseur Pollock sowie die Stars Eaton, Lavi, Adorf und Hoppe.
Fazit: „Da waren’s nur noch neun“ funktioniert als Krimi nicht wirklich – dafür ist das Script (bzw. die literarische Vorlage) zu unlogisch und die Auflösung zu sehr an den Haaren herbeigezogen (wer sich an den schon zitierten Neil-Simon-Klassiker „Eine Leiche zum Dessert“ erinnert, wird spätestens nun verstehen, welchen Punkt Simon machen wollte). Dennoch ist der Streifen aufgrund seiner größtenteils überzeugenden darstellerischen Leistungen (ironischerweise schwächeln ausgerechnet die Leads) und der routinierten filmischen Umsetzung auch heute noch recht kurzweilig. Rein filmhistorisch ist der Streifen nicht nur aufgrund der Prägung einiger später wichtiger Genre-Begriffe, sondern auch des direkten Vorläufertums zu späteren gewalttätigeren Eskapaden interessant. Giallofans, die wissen wollen, welche Ahnengalerie ihr bevorzugtes Genre denn aufzuweisen hat, sollten mal reinschmecken. Für Agatha-Christie-Fans ist die Anschaffung sowieso obligatorisch. Die Sunfilm-DVD kann in Bild und Ton durchaus überzeugen, ein paar Extras mehr wären liebenswert gewesen.
(c) 2006 Dr. Acula