Cyborg She

 
  • Deutscher Titel: Cyborg She
  • Original-Titel: Boku no kanojo wa saibôgu
  • Alternative Titel: Cyborg Girl |
  • Regie: Jae-young Kwak
  • Land: Japan
  • Jahr: 2008
  • Darsteller:

    Haruka Ayase (Cyborg), Keisuke Koide (Jiro Kitamura), Kenta Kiritani (Jiros Schulfreund), Rokurô Naya (Jiro als alter Mann), Naoto Takenaka (Professor), Hiromasa Taguchi (indiskriminierender Killer), Kazuko Yoshiyuki (Jiros Oma)


Vorwort

Jiro Kitamura ist ein ganz normaler Student in Tokio, vielleicht sogar etwas „normaler“ als der normale Student, so rein vom sozialen Umfeld her ist er nämlich ein totaler Loser. Sogar seinen Geburtstag verbringt er allein in einem Restaurant, mampft Spaghetti und macht sich selbst Geschenke. 2007 jedoch ist alles anders – ein ausgeflipptes Mädchen drängt sich in seine „Feier“, macht ihn zum Zechpreller, jagt mit ihm durch Vergnügungsparks und Theater bis hin vor seine Haustür, macht dort kryptische Andeutungen über ihren vermeintlichen Liebhaber, der sie wegen übertriebener Brutalität verstoßen habe, und verschwindet dann, nicht ohne Jiro zu verraten, dass sie eigentlich mehr als hundert Jahre aus der Zukunft komme…

Ein Jahr vergeht – Jiro hängt der vagen Ahnung nach, die Unbekannte könnte wieder an seinem Geburtstag (der auch der ihre sein soll) auftauchen, und tatsächlich, da ist sie. Zwar nicht ganz so flippig, nun aber offenkundig speziell seinetwegen da – und sie rettet ihm gleich mal das Leben, als das Restaurant von einem pyromanischen Amokläufer heimgesucht wird. Schon bald erfährt Jiro, das seine neue Freundin ein Cyborg ist, den niemand anderes als *er selbst* in der Zukunft gebaut und programmiert hat. In der „richtigen“ Timeline tauchte das unbekannte Mädchen nämlich nicht auf und Jiro wurde bei dem Anschlag des Wahnsinnigen schwer verletzt. Um sein früheres Selbst zu schützen, baute sein späteres Selbst (ja, es ist ein wenig kompliziert) den Cyborg als „Bodyguard“.
Allerdings gibt’s einen Haken – die Zeit selbst wird versuchen, ihren regulären Ablauf wiederherzustellen und Jiro zum Krüppel zu machen. Die Cyborgtussi fühlt sich allerdings durch den bloßen Beschützerjob nicht ausgelastet und avanciert zur nebenberuflichen Superheldin. Klar, dass früher oder später bei Jiro romantische Gefühle aufflammen, die das Maschinenwesen nicht erwidern kann. Nachdem Jiros Versuche, sie wenigstens eifersüchtig zu machen, schmählich scheitern, schickt er sie – im Suff – in die Wüste. Wieder nüchtern wird ihm klar, was er angerichtet hat, aber so’n Cyborg kann halt nicht aus seiner Programmierung – als ein enormes Erdbeben Tokio in Schutt und Asche legt, ist das Cyborgmädchen wieder da…


Inhalt

Und noch was aus REMs „Edition Asien“. „Cyborg She“ ist der – wenn ich mich so umschaue – immer noch recht seltene Vertreter des japanischen Films unter koreanischer Regie. Bekanntlich gibt’s zwischen Korea und Japan bis heute nationalistische Ressentiments, so dass mir eine solche Kooperation doch bemerkenswert vorkommt. Verantwortlich zeichnet mit Jae-young Kwak nun aber auch nicht irgendein Koreaner, sondern derjenige, der mit „My Sassy Girl“ vor einigen Lenzen einen echten Hit gelandet hat und sich seitdem als Spezialist für’s eher romantische Kino einen Namen gemacht hat. Etwas dermaßen… schräges wie „Cyborg She“ war aber, wenn ich das recht überblicke, in seinem Ouevre bislang nicht vertreten.

Eines kann man „Cyborg She“ jedenfalls nicht vorwerfen – dass keine Ideen drinstecken. Im Gegenteil, der Streifen ist ein derart im positiven Sinn hysterisches Füllhorn von Fug und Rechts wegen nicht zusammenpassender Ideen, beackert die Felder der Science fiction, des romantischen Liebesfilms ebenso wie der romantischen Fantasy, garniert das mit überdrehten Comic-Actionszenen, Slapstick-Humor und streut sogar noch eine Prise Ekel-Gags drüber, und trotzdem – die Melange funktioniert. Es ist ein Film, der in dieser Form sicherlich nur in Japan (oder zumindest geographisch naheliegenden Gebieten) entstehen konnte, denn mit einer (allerdings durchaus auffälligen) Ausnahme spielt sich „Cyborg She“ schlicht und ergreifend wie ein völlig durchgeknallter Anime, nur eben als Realverfilmung.

Was man nicht tun sollte, ist über den Plot nachzudenken; eine Geschichte, die sich über fünf Zeitebenen und (mindestens) drei Zeitlinien erstreckt, quasi als Möbiusband konzipiert ist (das Finale ist gleichzeitig die Prologszene) – „leider“ folgt noch ein etwas angetackert wirkendes Happy End, und das mehr Zeitparadoxa aufwirft als man in zwei Menschenleben an eine Wand klatschen kann, kann akuten Synapsenkollaps verursachen – *intern* ist die Story zwar schlüssig, aber mit Logik, Wissenschaft und gesundem Menschenverstand nicht zu erfassen (die diversen Zeitreiseeskapaden sorgen dafür, dass es mindestens einen Gegenstand gibt, der rein logisch gesehen nicht existieren *kann*), doch „Cyborg She“ ist die nette Ausnahme von der Regel – es stört zumindest mich nicht die Bohne…

Kwak beweist mit „Cyborg She“ Fähigkeiten, die mit den Sternstunden eines Joss Whedon vergleichbar sind, nämlich in eine vollkommen abstruse, durchgeknallte Comic-Geschichte echte, glaubwürdige Emotion zu packen; trotz der quietschebunten Bonbon-Farben und der irgendwie punkig-anarchistischen Verweigerung, für länger als fünfzehn Minuten einen Tonfall, ein Genre, ein künstlerisches Konzept durchzuhalten, packt „Cyborg She“ den empfänglichen Zuschauer genau an den richtigen Gefühlsschaltstellen, denn obwohl Kwak keine Hemmungen hat, seinen Film mit opulenten Effekt-Sequenze zu spicken, so bleibt das „Herz“ der Geschichte doch die kleine, leise verschrobene (und, wie gesagt, völlig unmögliche) Liebesgeschichte zwischen dem pickligen Nerd und der Nanotechnologie-Maschine, die sein künftiges Ich aus enttäuschter Liebe in die Vergangenheit geschickt hat, quasi, wie einige Rezensenten durchaus berechtigt anmerken, eine Art romantische Version von „Terminator“ (wozu auch passt, dass die Sequenz, mit der der Cyborg in der „Gegenwart“ ankommt, durchaus so die eine oder andere Remineszenz an den Cameron-Kracher beinhaltet, um nicht zu sagen, sie ist beherzt abgekupfert).

Kwaks große Stärke neben der glaubhaften Emotionalität ist der schon fast geniale Drahtseilakt, mit verschiedensten Genreversatzstücken zu jonglieren, und das über weite Strecken ohne einen Bruch im „flow“ des Films zu verursachen. Egal, ob der Cyborg nun drei Möchtegern-Westentaschengangster vermöbelt, per Superkräfte einen Schul-Amokläufer ausschaltet, Jiro in seine eigene Kotze drückt, aus seinem Kuschelleguan einen leckeren Eintopf kocht oder ihn in einer brillanten, leisen, poetischen Sequenz per Zeitreise in sein altes Heimatdorf (das von einem Erdbeben zerstört wurde – unter dem Verlust seiner Heimat und damit seiner „Identität“ leidet der Junge) zurückbringt, alles wirkt aus einem Guss.

Einen richtigen dramaturgischen „Bruch“ erlaubt sich der Streifen allerdings schon – und selbst der funktioniert – Kwak packt zum Schlussakt apokalyptischen Disaster-Porn aus und verwandelt mit fantastischen visual FX Tokio in eine Trümmerlandschaft und die bis dahin dezent melodramatische Action-Liebeskomödie in eine Tragödie ersten Ranges (mit Disaster-Porn. Erwähnte ich das?). Dass Kwak, wie gesag, nicht der Versuchung widerstehen kann, ein Happy-End an den eigentlich abgeschlossenen Storyarc ranzukleben, mag dramaturgisch fragwürdig sein (vor allem, weil die letzten 15-20 Minuten des Streifens ein wenig vom „Return-of-the-King“-Problem der zu vielen Enden geplagt werden), emotional ist es befriedigend.

Der gravierende Unterschied zum typischen durchgeknallten Anime ist das Pacing. Kwak nimmt sich Zeit – VIEL Zeit (wiviel Zeit er sich nimmt? Es dauert fast 19 Minuten bis zur Titeleinblendung). Er bedient sich eines ungeheuer langsamen Erzählrhythmus, der für ADS-Geschädigte geradezu enervierend sein muss. Sogar die Slapstick-/Comedyeinlagen inszeniert er ausgesprochen behutsam, bereitet die Gags lange vor (man könnte sogar despektierlicherweise behaupten, wenn er dann endilch mal den Gag bringt, den er minutenlang vorbereitet hat, verliert er ein wenig an Wirkung) und würzt das Ruhige, Elegische des Films mit den kurzen, pointierten Action-Spitzen. „Tempo“ im Wortsinne benutzt Kwak nur im Schlussakt, und auch dort nur in der Disaster-Sequenz, das eigentliche „Finale“ ist wieder ruhig, sanft und übertreibt für meine Begriffe ein wenig damit, die Eröffnungsszene quasi noch einmal komplett aus umgekehrter Sicht abzuspielen (was natürlich im konzeptionellen Sinn, den Film in eine Schleife zu packen, durchaus Sinn ergibt, aber das hätte etwas gestrafft werden können).

Technisch ist „Cyborg She“ exzellent – vielleicht dem ein oder anderen etwas zu gelackt, zu hochglanzpoliert, was jedoch einen netten Kontrast zur „Love Story“ setzt (außerdem ist es halt verdammt schwierig, einen Film in Tokio anzusiedeln und NICHT mit Hochglanz-Ästhetik dabei rauszukommen). Während Kwak zunächst antäuscht, einen SF-Film komplett ohne Effekte auf die Leinwand zu zaubern, gibt er diese Zurückhaltung immer weiter auf – zunächst mit der „zweiten“ Ankunft des Cyborgs mitten auf einer belebten Straße, dann mit der Schilderung der „Superkräfte“ des Maschinenwesens (Superkraft und Superspeed – recht gelungen ist der Gedanke, ihren ersten „superschnellen“ Einsatz aus zwei Perspektiven zu zeigen – „superschnell“, wie’s für Normalsterbliche wirkt, und aus Cyborg-Sicht, in der der Rest der Welt nach „Zeitlupe“ wirkt). Die Actioneinlagen mit ihren Wire-Stunts sind eher auf den Lacher hin ausgerichtet und heftig übertrieben (auch wenn z.B. natürlich der Schul-Amokläufer einen ernsten Hintergrund hat), machen aber Spaß und die dezenten FX, mit denen Kwak in der vielleicht zentralen Sequenz (die Reise in Jiros Vergangenheit) die Zeitreise darstellt, sitzen exakt. Im Schlussakt lassen die FX-Techniker denn die Sau raus, machen mit wie bereits gesagt überragenden CGI Tokio platt und hauen zum Finale hin noch exzellente Matrix-artige Effekte raus. Woah.

Die Kameraführung ist stets mindestens überdurchschnittlich, manchmal sogar hervorragend, da verzeihe ich sogar den ein wenig überflüssigen Splitscreen-Einsatz in einer Szene, die eigentlich aufgrund ihrer Emotion, nicht aufgrund technischer Spielereien funktionieren sollte (und würde). Naoki Otsubos Score fügt sich ausgezeichnet ein.

Zu guter Letzt hängt aber viel bis nicht alles an den beiden Hauptdarstellern. J-Schnucki Haruka Ayase („Ichi – Die blinde Schwertkämpferin“) absolviert die schwierige Aufgabe, über weite Strecken einen „gefühllosen“ Cyborg spielen und dabei trotzdem das Publikum berühren zu müssen, mit Bravour; Keisuke Koide („Gokusen“, „Kirasagi“) bringt sowohl die sympathische Natürlichkeit, das komödiantische Timing als auch die emotionale Bandbreite für die Jiro-Rolle mit.

Bildqualität: REM bringt „Cyborg She“ in feinem anamorphen Widescreen (2.35:1), das besonders im Hinblick auf Schärfe und Farben brilliert, vielleicht in dunkleren Szenen etwas mehr Kontrast vertragen könnte, aber frei von jeglichen Defekten, Verschmutzungen und Störungen ist und sich allemal in der bildqualitativen Oberklasse einsortiert.

Tonqualität: Ausschließlich japanischer O-Ton in Dolby Digital 5.1, sehr differenziert abgemischt, einzig die Katastrophen-Sequenzen können vielleicht etwas mehr Druck verdienen. Die optionalen deutschen Untertitel machen ’nen vernünftigen Eindruck.

Extras: Ein „Guide to Cyborg She“, der eine Art kombinierte Making-of/alternative bzw. deleted scenes-Featurette darstellt sowie der Trailer.

Fazit: „Cyborg She“ ist ein toller Film – für ein eingeschränktes Publikum. Anime-Fans müssten prinzipiell einiges mit dem Streifen anfangen können, könnten aber über die „Entdeckung der Langsamkeit“ in Kwaks Inszenierung stolpern, Arthouse-Freunde, die mit bedächtigem Erzählrhythmus vertraut sind, könnten das wilde Stilgemenge und die überdrehten Action-/Katastropheneinlagen ins Bockshorn jagen. Eine leichte Straffung hätte „Cyborg She“ da und dort vielleicht gut getan, aber es fällt mir sehr schwer, diese bewusst anti-blockbusterhafte Gestaltung, die komplizierte interne Struktur oder das, ich wiederhole mich, in meinen Augen etwas kontraproduktive Happy End angesichts der Fülle der Ideen, der technischen Perfektion des Streifens und des gekonnten Stilbruchs zu kritisieren. Es ist einfach ein bezaubernder Film…

5/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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