Cut Character – Tödliche Trennung

 
  • Deutscher Titel: Cut Character - Tödliche Trennung
  • Original-Titel: Cut Character - Tödliche Trennung
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  • Regie: Stephan Lenzen, Thomas Manglitz
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 1993
  • Darsteller:

    Robert „Ted“ Sens: Bernd Roebers
    Thomas „Pietchy“ Pietsch: Kai Bentzin
    Zane Getty/Zack Getty: Stephan Lenzen
    Bogard: Alfred Lengert
    Prof. Stranzky: Gerhard Comelli
    Lisa: Jacqueline Piesche
    René Schnok
    Michael Rütten
    Michael Graf
    Alexandra Hütz


Vorwort

Es gibt sie noch, die unerwarteten Börsenerrungenschaften, über die man sich fast das Bein abfreut… so ging es mir vor (nunmehr doch schon wieder vier Monaten), als ich gleich am ersten Stand der Filmbörse in Nürnberg ein auffälligem Giftgrün eine DVD verortete – „Cut Character – Tödliche Trennung“, und das auch noch zu einem erschwinglichen Nicht-der-Rede-Wert-Preis. Umgehende Verhaftung der Scheibe erfolgte.

Warum war ich so begeistert? Nun, ich besitze das gelegentlich brauchbare Genrefilm-Kompendium „Hölle auf Erden“, in dessen zweiten Band auch die hiesige Amateurfilmerszene (auf dem Stand 1996/97, also noch deutlich übersichtlicher, aber deswegen noch lange nicht qualitativ besser) beleuchtet wurde. Bertler und Lieber kamen zu dem Schluss, dass eigentlich nur zwei Namen größere Beachtung verdient hätten – nicht Andreas Schnaas und Geistesgenossen, sondern Matthias Dinter und Stephan Lenzen. Dinter hat mittlerweile ja den Schritt ins Profi-Lager erfolgreich vollzogen (und sich noch nicht mal völlig von seinen Genre-Roots trennen müssen, „Nacht der lebenden Loser“, auch wenn er sonst hauptsächlich mehr oder weniger unterhaltsame Deppenkomödien wie „Feuer, Eis & Dosenbier“ oder Letzte Lude, Der schreibt. Aber er verdient damit Asche und dann ist das ja auch in Ordnung), von Stephan Lenzen war aber in der Folgezeit nicht wirklich viel zu hören. Angesichts der für einen Amateurfilm enthusiastischen Kritik von „Cut Character“ war ich zwar heftig neugierig, hatte mich aber andererseits damit abgefunden, den Film niemals persönlich in Augenschein nehmen zu können, es sei denn, mir fiel auf obskurem Wege mal ein VHS-Exemplar vor die Flinte. Traurig war ich schon, denn wenn es offenbar (auch wenn Bertler & Lieber nicht immer zu trauen ist) mal ein deutscher Independentfilmer schafft, ohne nennenswertes Budget eine patente SF-Dystopie auf die Beine stellt, hätt‘ ich das doch gern selbst gesehen.

Man muss also doch nur warten können. Das Label Unlimited Dreams Media hat „Cut Character“ im Rahmen seiner „No-Budget“-Serie in einer 666er-Edition veröffentlicht (wen’s interessiert – Nr. 134) und so kann Euer Lieblingsdoc nun doch persönlich überprüfen, ob die von Bertler/Lieber losgetretene Welle ihre Berechtigung hat.


Inhalt

Geht schon mal lustig los – vor einem vage futuristischen Kuppelbauten-Dingens latscht ein Alien rum (oder Mutant oder sonst ein Vieh, dass sich halt eine grüne Gummi-Maske von Props-R-Us übergezogen hat). Scheinbar sind die Grünköppe böse, denn ein edler Held, Typ Mischung aus Indiana Jones und Rambo für Mallorca-Touristen, schleicht schon durchs Geviert und zappt den Mutantenalien (mittels hinreißend aufkopierter Lasereffekte) nieder, bevor er ihm mit einem sicherlich ganz tödlichen Todesgas (peinlicherweise ist der entsprechende Flacon unschwer als „Autan“-Spraydose erkennbar… naja, vielleicht sind die Grünlinge insektoid…) zu einem Freiflug in den Mutantenhimmel verhilft. Und schon ist er drin im Alienkomplex, was nicht unbeobachtet bleibt – „Robert Sens ist in die Station eingedrungen“, belfert es (in untertitelter Alien-Grunzsprache) durch die Korridore, und der, also Robert, will nichts anderes als die Prinzessin befreien. Robert ballert sich durch die Gänge und öffnet ein sich ihm unrechtmäßig in den Weg stellendes Metallschott mit dem guten alten, auch in der Zukunft offenbar nicht totzukriegenden Kreditkarten- (bzw. hier EC-Karten)-Trick (schön, dass die EC-Karte augenscheinlich ein zukunftsträchtiges Zahlungsmittel ist). „Er darf nicht ins Zentralgehirn eindringen“, rülpst das aufsichthabende Oberalien, denn „dann fliegt alles in die Luft“. Mir deucht, die Grünspane sollten ihre Sicherheitsrichtlinien überdenken. Sens ist bereits vor Ort (das Zentralgehirn stellt sich in Form eines schnieke mit diversen Blitzkugeldingsis – ich weiß bis heute nicht, wie man die Teile nennt – dekorierte Räumlichkeit dar), pappt irgendein Sprengstoffpaket o.ä. an den Zentralrechner und verzupft sich, nicht ohne durch’s sich schließende Schott sein angefeuertes Zippo zu werfen (ist das eine Art ferngesteuerter Sprengstoff, der zündet, sobald in 10 Meter Umgebung ’ne offene Flamme flammt?). Die anschließende Explosion lässt das Herz eines jeden FX-Freund höher schlagen (und vor allen Dingen dankbar darüber nachsinnieren, dass der technische Fortschritt in den letzten 10-15 Jahren doch für ambitionierte Independent-Filmemacher etwas schickere Effekte möglich macht). Die Prinzessin, ein recht hübsches Gerät, hängt in einer Kerkerzelle in Ketten rum (Bondage! Yay!) und wünscht sich nichts weiter, als dass der tapfere Held sie an Ort und Stelle „nimmt“.

An dieser Stelle verwandelt sich die Prinzessin (leider) in eine handelsübliche (höhö) Verkäuferin, die Robert Sens, einem langweiligen Biedermann, für schlappe 189 Ecu (erinnert sich noch jemand daran, dass der Euro mal so hieß, bevor er Euro wurde?) das neueste vom Neuen unter den „Gedankensimulationsgeräten“ verticken möchte. Robert legt das Headset ab und entscheidet, dass die Sache für ihn doch deutlich zu auf-, an- und erregend ist.

Also trabt er lieber an seinen Arbeitsplatz, wo er unter dem Motto „Datenschutz ist schön“ als absolut prinzipientreuer Aktenschubser für das Austeilen diverser Anträge zuständig ist, dies allerdings, nach einem eher unschönen Zwischenfall mit einem unzufriedenen Antragsteller, hinter einem Einweg-Spiegel. Persönlicher Service wird hier ganz besonders groß geschrieben… Nachdem er beinahe Monk-mäßig seinen Schreibtisch sortiert hat, kann die erste Bittstellerin vorgelassen werden. Die hat ihre „Passierkarte“ verloren und müsste aber ganz dringend einen Flug erwischen, und ohne den Darfschein darf man in dieser schönen neuen Welt einer unbestimmten Zukunft halt erst mal gar nix. Robert schickt die Gute auf eine Odyssee von „Asterix-Haus-das-Verrückte-macht“-mäßigen Dimensionen und zur allgemeinen Stimmungshebung seiner Klientin verdeutlicht er ihr auch noch, dass sie ohne eine „Prioritätskarte“ schon mal vergessen kann, den Aufzug zu benutzen (und da sie mindestens dreimal sieben Stockwerke hoch- und runtergeschickt wird, ist das wirklich nicht nett).

Privatgespräche während der Arbeitszeit werden aber wohl geduldet – ein gewisser Bogard ruft videophonisch bei Robert an und lädt ihn zu einer kleinen Féte in seinem Institut ein, eine „Selbstmordparty“ (hört-hört). Robert hält sich zwar absolut nicht für einen Partylöwen (und ich bin geneigt, ihm ausgesprochen deutlich zuzustimmen), aber weil Bogard ganz lieb bitte-bitte sagt, lässt er sich breitschlagen. Um bei der abendlichen Soirée, wo sich Hinz und Kunz der bessergestellten Kreise (könnte man zumindest meinen) gar köstlich amüsieren, nicht wesentlich deplazierter zu wirken als Dieter Bohlen bei einer Versammlung linksanarchistischer Liedermacher. Trotzdem baggert ihn eine gewisse Sandrine an. „Legaler Selbstmord soll bald wieder verboten werden“, informiert uns Sandrine smalltalkish (und etwas redundant. Etwas „legales“ kann man ja schlecht verbieten). Nach einer kurzen, aber um so ermüdenderen Ausführung seiner beruflichen Tätigkeit nimmt Sandrine, bevor sie Robert zu Tode gelangweilt wird, lieber Reißaus. „Was machen Sie?“, fragt er. „Ich mach’n Abgang“, sagt sie und ist weg. Kann’s ihr nicht verübeln.

Die peinliche Situation wird von Bogard gerettet, der in seinem Rollstuhl daher-, äh, -rollt, und Robert unbedingt ein paar wichtigen Freunden vorstellen muss. Da wäre Professor Stranzky nebst Assistöse, ein gewisser Barkovic und noch andere, für die weitere Handlung unwichtigen Gesellen. Robert verteilt wichtigtuerisch seine (transparenten) Visitenkarten zur überschaubaren Begeisterung der Empfänger. Barkovic, von seinen Freunden liebevoll „Barky“ genannt (Robert hört übrigens auf den Kosenamen „Ted“, den er sich wohl von den Kennedys abgekuckt hat), berichtet von seinem letzten Trip nach „Sin City“. Nein, er war nicht im Kino oder hat Frank-Miller-Comics im Print gelesen, sondern er war draußen in der Todeszone, wo die professionellen Spieler vor 30 Jahren nach dem Verbot des Glücksspiels durch die herrschende „Humanisten“-Partei ein offensichtlich illegales, aber nichtsdestoweniger populäres Sündenbabel errichtet haben, zwar im Testgebiet der „Biobombe“, weswegen Strahlenkrankheit ein ernstes und wahrscheinlich nicht versicherbares Reiserisiko darstellt, aber das ist die Sache, so meint Barky wenigstens, wert. Robert gibt sich alle Mühe, die Gesellschaft in ein gediegenes Koma zu versetzen, aber wir entnehmen dem einschlafenden Gespräch wenigstens, dass Robert ein Waisenkind war und von Bogard mehr oder weniger adoptiert wurde (zumindest erklärt das, warum der Rollimann an dem personifizierten Partytod einen Narren gefressen hat). Bevor Robert aber die juxige Fete endgültig in eine Trauerfeier (was dem Thema „Selbstmordparty“ ja auch irgendwie gerecht würde) verwandelt hat, schickt Bogard ihn lieber in sein Büro, Zigarren holen.

Dort kann Robert natürlich nicht aus seiner Beamtenhaut und muss auf dem Schreibtisch ein paar Utensilien zurechtrücken. Dabei fällt ihm eine Akte vor die Pupillen: „Projekt Cut-Character Robert Sens“. Langeweile hin, Beamtenmentalität her, die will er sich dann doch mal anschauen. So kann er zu seinem Erstaunen feststellen, dass er Opfer eines Experiments zur „Trennung der Hauptcharakterelemente“, nach dem Willen dieses Films „Vernunft“, „Genuss“ und „Agression“ geworden ist. Zwei andere Probanden hören auf die Namen Thomas Pietsch und Zane Getty. Noch bevor sich unser Held hierauf einen gesteigerten Reim machen kann, beamt sich Bogard ins Büro und erklärt sich. Robert wird doch sicher schon gemerkt haben, dass er weder Wut noch Freude und anverwandete Gefühle empfinden könne. „Veranlagung“, vermutet Robert, aber das ist in diesem Falle halt nur die halbe Wahrheit. Bogard führt aus, dass er seinerzeit eine Eizelle künstlich mit seinem Sperma befruchtet und anschließend die DNS „geteilt“ habe – was ihn nicht zur quasi zu Roberts Vater macht, sondern eben auch bedeutet, dass die drei bewussten Elemente auf drei Personen verteilt wurden. Robert hat nur die „Vernunft“ abgekommen, Pietsch ist der reine Genussmensch und Getty ausschließlich agressiv. Jetzt würde Robert schon das „Warum“ interessieren, aber letztendlich läuft’s auf nicht viel mehr als das wissenschaftlich motivierte „because I can“ – Herr Bogard hat eine Theorie aufgestellt (bzw. einer seiner Vorgänger namens Lindberg), und die hätte er gern bewiesen, nur hat die Humanisten-Partei Genforschung verboten (ist ja auch genauso böse wie Glücksspiel), und das, wo Bogard im Geiste schon das „Goldene Reagenzglas“ in seinen Händen gehalten hat (attention whore). Abgesehen davon soll Robert sich nicht so haben, er sei Teil von „etwas Großem“. Was genau, mag bzw. kann Bogard aber nicht genau darstellen, da „der Schierlingsbecher bereit ist“, wie ein Bogard-Helferling informiert. Ja, es ist Bogards Selbstmordparty! Zu triumphaler Musik rollt Bogard, den Becher mit gelbblubbernder Brühe in der Hand, in den Innenhof seines Instituts, dieweil die Gäste begeistert die Fensterplätze belegen, um den besten Blick auf den freiwilligen Exitus zu erhaschen. Bogard schlürft das Gebräu, doch der Braumeister hat’s ersichtlich weniger auf guten Geschmack im Abgang (höhö, ich bin in Form heute…) denn auf Wirkung angelegt. Er greift sich an den Hals, steht aus dem Rolli auf (ein Wunder! Ein Wunder!) und kracht tot zusammen. Die Gäste zerstreuen sich unter Ausübung der Manöverkritik: „War ja ganz nett“ – „Besser als letzte Woche“ – „Mir ging’s zu schnell“ – „Am Timing muss er noch arbeiten“ (last one’s my favorite).

Am nächsten Tag am Arbeitsplatz ist Robert irgendwie nicht ganz bei der Sache und merkt z.B. nicht, dass er den anwesenden Bittsteller genau in SEIN Büro zu dirigieren versucht. Überwachungsstaat rult allerdings okay und so weist sein Chef ihn unzweideutig darauf hin, seine Arbeitsleistung etwas konzentrierter zu gestalten: „Sie wissen ja, was mit Arbeitslosen passiert…“ (die BILD-Zeitung wäre vermutlich begeistert). Robert beschließt, seine Möglichkeiten im Job für seine private Sache zu nutzen und recherchiert den Aufenthaltsort seiner Gen-Genossen – Getty soll sich bei „RAS Leasing“ aufhalten und Pietsch ist zuletzt in Sin City gesichtet worden (hm, wenn Sin City ein illegales Glücksspiel-Paradies ist, wieso sind die dortigen Bewohner computertechnisch erfasst?). Sicherheitshalber sucht Robert aber zunächst Professer Stranzky auf und lässt sich durchchecken (nettes Detail am Rande – in einem Glaskasten hockt ein kleiner Junge und bekommt von Stranzkys Assistöse eine Spritze verpasst. Niemand weiß warum…). Stranzky hat eine erschütterende Diagnose parat: Robert leidet unter akutem Zellverfall – eine Nebenwirkung des Gen-Splittings. Seine Zellen reproduzieren sich nicht mehr (weswegen Robert auch unter Haarausfall leidet). Starnski veranschaulicht noch mal das Prinzip der DNS-Aufspaltung und stellt abschließend fest, dass Robert in sechs Monaten nur noch, bildlich gesprochen, ein sabbernder Zellhaufen sein wird, es sei denn, es gelingt, die fehlenden DNS-Komponenten zu reimplantieren (ich wage dezent am wissenschaftlichen Unterbau der Geschichte zu zweifeln, aber wie gesagt, dumme Ideen sind okay, wenn sie in sich schlüssig bleiben). Dazu müsste Robert aber seine Gen-Brüder apportieren und davon geht der Prof nicht wirklich aus – vielmehr lädt er Robert ein, seine „Abschiedsparty“ bei ihm zu feiern.

Robert allerdings mag sich nicht kampflos ergeben und ist schon einen Umschnitt später mit Barkovic, dessen Kumpel und einem Führer unterwegs in der Pampa Richtung Sin City. Die Armbandzwiebeln ermahnen stündlich zum Schlucken der Anti-Strahlungspillen. Bei einer Ruine wird zur Pause geblasen. Barkovic grübelt, dass er ohne die regelmäßigen Trips nach Sin City ordentlich Kohle auf’m Credit-Konto hätte, aber die Spielerei macht nun mal süchtig. Warum er dann nicht gleich in dem Sündenpfuhl bleibt? Tja, auch Sin City kommt nicht ohne Bürokratie aus – wer einreist, bekommt einen Stempel auf die Pfote wie anner Dorfdisco, allerdings einen, der genau eine Woche hält und als Aufenthaltsgenehmigung fungiert. Wer ohne gültigen Stempel erwischt wird, darf nieeee wieder in die Stadt (und was ist mit den Leuten, die dort LEBEN? Muss ja wohl ein paar geben). Bevor Robert durch eine Grundsatzdiskussion die Reisegruppe einschläfern kann, gibt der Führer ein Warnsignal: „Es geht los!“ Robert, der gerade seine Frühstücksstulle ausgepackt hat (stilecht in der Plastiktüte mitgebracht… während seine Compadres in Jagd-Tarnklamotten rumlaufen, ist Robbie eh mit Schlips und Anzug unterwegs), versteht natürlich nur Bahnhof, als seine Gefährten ihre Wummen zücken und sich in Deckung werfen. Barkovic erklärt, dass jetzt der zweite Teil vom Spaß der Sin-City-Trips kommt – das fröhliche Abschießen von „Links“, verstrahlten Bombenopfern, die durch die Todeszone streifen und sich in weiße Laken gewickelt haben. Diverse Weißkittel werden abgeschossen (Barkovic und sein Kumpel streiten sich um die Abschußquoten), bevor Barky selbst von einem Link aufgespießt und somit entleibt wird. Robert, der ja nur seinen gesunden Menschenverstand hat, reimt sich zusammen, dass die Links eigentlich gar nicht böse sind, sondern nur die Anti-Strahlen-Medis wollen! Generös offeriert Robert ein paar Pillen der gefallenen Kameraden und verdient sich so die ewige Freundschaft des Chef des angreifenden Link-Clans. „Wir wollen nur Hilfe“, sülzt der Link, „aber die betrachten uns nur als Sport!“ Ober-Bürokrat Robert bringt die Regierung ins Spiel, aber der Link weiß natürlich, dass die sogenannten Humanisten sich nicht im Geringsten um die Verstrahlten kümmert. Warum auch? Schließlich wurde die Bio-Bombe (jetzt „Öko-Bombe“ genannt) mit voller Absicht gezündet, als im Testgebiet eine große Anti-Bomben-Demonstration stattfand (hm, das ist 30 Jahre her. Und noch so viele Überlebende? Oder vermehren die sich noch und vererben ihre weißen Laken weiter?). Robert weist darauf hin, dass die Regierung mittlerweile einen Strahlenopfer-Fonds aufgelegt hat und erklärt sich bereit, die entsprechenden Antragsformulare zu beschaffen (viel Spaß)… Dankbar weisen die Links Robert den Weg nach Sin City.

Sin City sieht unter der strahlenabwehrenden Kuppel aus wie ein durchschnittliches Großstadteinkaufszentrum und kann’s in Sachen Verruchtheit nicht wirklich mit der Fremont Street in Vegas aufnehmen, wenn man mich fragt. Aber immerhin werden Robert umgehend die üblichen unmoralischen Angebote hinsichtlich Spiel & Sex aufgedränt. Robi zieht, äh, dezent Erkundigungen über Pietsch ein. Leider ist Pietchy, wie er allgemein genannt wird, aufgrund fortgesetzten monetären Engpasses nicht sonderlich populär, bzw. verabschiedet jeder, bei dem Robert fragt, sich mit dem frommen Wunsch „Tritt ihn in den Arsch!“. Aber wenigstens kann ihm eine Dame des horizontalen Gewerbes die Adresse eines (vorgeblich) mieseren Hotels geben, in dem Pietchy momentan logieren soll. Robert pilgert hin und verschafft sich relativ easy Einlass (alldieweil Pietchy das elektronische Türschloss mit seinem Geburtsdatum gesichert hat). Die Suite macht für meinen Geschmack gar keinen schlechten (und billigen) Eindruck, aber ich kenne die örtlichen Hotelgepflogenheiten auch nicht. Pietchys Anrufbeantworter ist ein intelligenter welcher – er kann nämlich je nach Anrufer unterschiedliche Antworten runterleiern. Einem Typen, der lächerlicherweise auf Rückzahlung gewährter Darlehen besteht, wird vermittelt, dass Pietchy sich für mehrere Monate nicht in der Stadt aufhalte, ein anrufendes hübsches Frauenzimmer bekommt eine etwas akkuratere, aber für Robert immer noch nicht hilfreiche Auskunft. Und das höchst körperlich anwesende Frauenzimmer (namens Lisa) hält ihm eine Knarre vor die Nase. Dass er die Frage nach dem Grund seiner Anwesenheit zwar durchaus richtig, aber mistverständlich mit „er hat etwas von mir“ beantwortet, macht ihn ihr nicht sympathischer: „Ich hab’s gewusst, ein Gläubiger!“ Aber Lisa hat irgendwie doch’n gutes Herz und ballert Robert nicht in die nächste Welt, sondern lässt ihn sich erklären (naja, reinen Wein schenkt er ihr nicht ein). Relativ unvermittelt eröffnet Lisa ihm, dass sie zwar irgendwie Pietchys Girlfriend, der aber ein wild herumvögelnder Taugenichts sei, der von wahrer Liebe keinen Plan habe usw. usf. Robert befindet, dass Liebe mit Verantwortungsbewusstsein einhergehe (und zitiert eine lexikalische Definition von Liebe, der man sich nicht unbedingt anschliessen müsste, gibt aber wenigstens zu, dass er persönlich zu dem Thema mangels eigener Kenntnis nichts beitragen könne). „Du hast wohl das, was ihm fehlt“, trifft Lisa unbewusst den Nagel zwischen die Augen auf den Kopf. „Nicht alles“, antwortet Robert. Immerhin ist der hinterlassene Eindruck gut genug, dass Lisa ihm auf die Nase bindet, Pietchy würde wohl gerade im „Dekadento“-Club ’ne Runde Pokern. „Viel Glück und tritt ihm von mir in den Arsch.“

In selbiger Bar (nicht sonderlich stark frequentiert) outet sich Robert erneut als absolut unbeleckt in Sachen „negotiable affection“ (wie Terry Pratchett sagen würde) und beantwortet die Frage des Nuttchens Florence, ob er ihr denn einen Drink spendieren möchte, mit „Wieso? Sind die Getränke hier so teuer?“. Er hat zumindest einen edlen Geschmack, denn den Classico Central möchte er stilecht mit Fisch (! Es wird tatsächlich ein Drink mit quicklebendigem Goldfisch im Glas serviert. Und manche Leute wundern sich über den Tequila mit Wurm. Arg alkoholhaltig kann der Cocktail dann aber nicht sein, oder?). Zwei Tische weiter wird Karten gekloppt – ein gewisser Samtfinger (mit Brille und Handschuhen) zockt die Sin-City-Poker-Variante, und die ist schon irgendwie lustig… Man vereinbart zunächst die Anzahl der Punkte, die im Spiel sein sollen und dann druckt ein Computer das entsprechende Blatt (bei drei Spielern wie hier 15 Karten, die zusammen in diesem Fall 120 Punkte ergeben). Die erste Karte wird aufgedeckt, dann wird gesetzt, weiter aufgedeckt, und wer am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt (es IST knapp besser als „Jason“ aus Camp Corpses). Lustig übrigens, dass die Karten mit Barcodes bedruckt sind (auch wenn letztendlich die Codes nichts aussagen, sondern die Anzahl der Striche wichtig ist). Während Florence angesichts Roberts Drink bemerkt, dass niemand außer Samtfinger den Classico Central mit Fisch trinkt (aaa-ha!), bemerkt Robert, nachdem Samtfinger die Hand siegreich beendet hat, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann – nach seiner Beobachtung waren mehr als 120 Punkte im Spiel (er hat nämlich auf die Entfernung von 5 Metern fleißig die Punkte mitgerechnet… Respekt!), ergo muss einer, im Zweifelsfalle Samtfinger, geschummelt haben. Tatsächlich hat Samtfinger seine letzte Karte mit einer aufgeklebten Folie manipuliert! Samtfinger reagiert auf diese Enthüllung begreiflicherweise ungehalten – und uns überrascht natürlich weniger, dass Samtfinger niemand anderes als Pietchy ist. Trotzdem will Pietchy Robert erst mal eine prophylaktisch aufs Maul hauen, aber Robert weiß natürlich, dass der das mangels der genetischen Anlagen dafür gar nicht kann – wie sich auch bestätigt. Robi gibt seinem sort-of-Bruder (eigentlich ja eher Klon, oder? Aber ähnlich sehen sie sich nicht) einen kurzen Abriss über das, was wir alles schon wissen, nebst der 6-Monats-Deadline. Pietchy ist ganz der Spieler und der Ansicht, dass ein halbes Jahr ja ’ne nicht unwesentliche Zeitspanne ist, in der einiges passieren kann, oder anders ausgedrückt, Robert soll in sechs Monaten noch mal vorbeischauen. Aber ein Killerargument hat Robert noch – warum wohl trägt Pietchy ständig Handschuhe? Weil er keinen Stempel mehr hat und daher Sin City verlassen MUSS (hm, die letzte Zeit scheint er ganz gut ohne Erlaubnis zurechtgekommen zu sein…).

Dieweil wird anderswo ein Soldat und Kriegsgefangener gefoltert – der Folterknecht hat seinen Spaß (das wird doch nicht wird er doch nicht??).

Robert und Pietchy genießen kurz danach eine spektakuläre „Modenschau“. Rent-a-Soldier Leasings bester Verkäufer präsentiert der vermeintlichen Kundschaft die Schlagermodelle aus dem Sortiment – Infanteristen kann die Firma innerhalb von 14 Tagen 50.000 Stückers auftreiben, bei Verlusten von mehr als 10 Prozent gibt’s ne saftige Preiserstattung. Empfehlenswert wäre sicher auch das Modell „Universal Soldier“ – beim Kauf von 1000 Männekens gibt’s 10 gratis dazu. Das Geständnis, dass unsere Helden nicht wirklich vor haben, einen Privatkrieg vom Zaun zu brechen, sondern nur über den Verbleib von Zane Getty unterrichtet werden wollen, erfreut den Salesman nicht wirklich, aber er schaut trotzdem in der Kartei nach. Schlechte Karten – Herr Getty, seines Zeichens Verhörspezialist und ein „guter Mann“, auch wenn er sich bei seiner Arbeit etwas zu sehr amüsiert (hatten wir’s uns nicht gedacht?) ist blöderweise irgendwo in den Wirren der Rohstoffkriegen in Gefangenschaft geraten (dumm gelaufen). Da kann man nix machen. Oder doch? Robert meldet sich nebst Bruder sofort freiwillig für den Kriegsdienst („WAS?“, schreit Pietchy, der in der Hinsicht keinerlei Mitspracherecht hat). Das ist natürlich kein Problem – im Gegensatz zu Arbeitslosen (die zwangsverpflichtet werden) genießen Freiwillige einige Privilegien wie sanktionierte Bordellbesuche und eine „vierundzwanzigstündige Plündererlaubnis“ und die Probezeit ist mit vier Wochen auch relativ kurz. „Ich bin Pazifist“, nölt Pietchy, aber die Durchsetzungskraft hat (mit der Vernunft eingehend) in dieser Familie halt Robert gepachtet.

Und so tuckern unsere Freunde schon einen Umschnitt später mit einem passablen Raumschiffsmodell durch die unendlichen Weiten des Alls. Pietchy, dem Ignoranten der Weltgeschichte, muss erst mal kurz begreiflich gemacht werden, wer hier wem warum auf den kollektiven Nüschel hauen will – auf irgendeinem Planeten wurden gigantische Rohstoffvorkommen entdeckt und, wie’s halt im richtigen Leben so ist, hierüber zanken sich diverse Parteien mithilfe ihrer Mietsoldaten. Das Schiff gerät in einen Meteoritenschauer, der den Kübel gut durchschüttelt. „Das passiert nur alle acht Jahre, sehr interessant“, kommentiert Robert, dem mit Genuss und Agression offenbar auch die Muffe abgezogen wurde. Pietchy erfreut die Bordkombüse mit extravaganten Menüwünschen, bekommt aber auch nur die gleiche nährstoffreiche Ekelpampe wie alle anderen – abgesehen von den gesunden Ingredenzien enthält der Mampf aber auch Stoffe zur Eindämmung von Sexualhormonen (nix ist peinlicher als Söldner mit Samenstau). Das kotzt Pietchy nun ganz persönlich an (auch wenn’s nicht wirklich was nettes zu poppen an Bord gibt). Der Spieler verfällt nun in die depressive Phase seines Biorhtyhmus – „mein Leben ist vorbei!“. „Das war’s vorher schon“, entgegnet Robert, schließlich hatte er nur ein Drittel seines „Lebens“ mit auf den Weg bekommen. Aber das amüsante Drittel, grumpft Pietchy. Robert macht aus seinem Herzen jetzt auch keine Mördergrube und gibt zu, dass er gerne mal über einen Witz gelacht habe. Er sei aber nur als „emotional blockiert“ eingeschätzt und deshalb sogar in Therapie geschickt worden. „Du magst meine Art nicht“, resümmiert er düster, „aber du musst sie nicht leben“. „Wie werde ich sein, wenn ich vollständig bin?“, fragt Pietchy. „Ein bisschen wie du, wie ich und wie Getty“, analysiert Robert.

Wenig später schon befinden sich die Kämpen in einer Schlacht um eine Kiesgrube. Pietchy panikt und will sich gleich ergeben, dieweil weitab vom Kampfgeschehen Major Krausewitz (!) seine tapferen Truppen anleitet und streng ermahnt, die Förderanlagen nicht zu beschädigen (Prioritätensetzung, gelle?). Immerhin will er auch das angrenzende Gefangenenlager angreifen, um dort einen Ausbruch zu forcieren. Robert mutiert zur wahren Kampfsau und stürmt munter vor (eh, keine „Agression“?), dieweil um ihn herum die Kameraden fallen wie die Fliegen (die silbernen Kampfanzüge sind übrigens schick… nicht praktisch, aber schick). Krausewitz jubelt sich über jeden Treffer im Feindesland ’nen zusätzlichen Orden an die Backe und sein Adjutant fragt vorsichtig an: „Nächstes Level?“ Schön, wenn die Lamettaträger den Krieg als Videospiel sehen (aber das machen ja die heutigen nicht anders). Doch da entfernen sich zwei Fußsoldaten unerlaubt von der Truppe – natürlich Robert und Pietchy, die gen Gefangenenlager abbiegen. Der Ausbruch ist bereits in vollem Gange und schnell haben die Brüder von einem Ausbrecher erfahren, dass Zane Getty echt Spaß hat und die Feinde mit bloßen Fäusten aufmischt. Robert überredet den Ausbrecher sanft zu Führungsarbeit gen Getty, wovon der unfreiwillige Führer nicht wirklich was hat, alldieweil er umgehend totgeschossen wird. Der Feind möchte auch Robert umlegen, wird aber von Zane hinterrücks kaltgemacht. Zane hält sicherheitshalber auch den sich kampftechnisch zurückhaltenden Pietchy für einen fiesen Feind. „Er gehört zu uns“, versichert Robert, aber das mag Zane nicht so recht glauben. Bevor Robert zu weitschweifigen Erklärungen ansetzen kann, schlägt eine Granate ein. BA-DA-BOOOM… von Zane bleiben leider nur handliche Einzelteile übrig.

Und so muss Robert an Bord des Lazarettschiffs, in dem er zusammengeflickt wird (und in dem wir auch die einzigen kurzen Gore-Passagen haben), traurig einen Brief an Stranzky entwerfen. Da Zane hinüber ist, gibt’s keine Hoffnung mehr. Aber die Abschiedsparty bei Professors unterm Sofa sagt Robert auch gleich ab – „ich bin nie gern im Mittelpunkt gestanden“. (Hm, kann man nicht die DNS aus einem von Zanes übriggebliebenen Reststückchen verwenden?) Robert kontempliert kurz, sich noch im Lazarettraumer das Hirn rauszublasen, doch eine Krankenschwester o.ä. bringt ihm überraschenderweise ein Päckchen mit persönlichen Gegenständen von Zane. Ob Robert die nicht vielleicht Zanes Familie, d.h. seinem Zwillingsbruder Zack mitbringen möchte? TA-DAAA! Rettung in letzter Not… zumal auch bekannt ist, dass Zack einen Gebrauchtroboterersatzteilhandel betreibt und ergo relativ easy-peasy aufzutreiben wäre…

Schon ist man vor Ort – Pietchy ist skeptisch. Wenn Zack nach seinem Zwilling kommt, wovon ja, rein gentechnisch gesehen, auszugehen ist, wird der wohl auch erst ungebetene Besucher umnieten und erst dann die Fragen stellen. Robert will mit einem Dingsi aus der „persönliche Sachen“-Kiste Zanes Zacks Vertrauen gewinnen und entert mutig die Lagerhalle, in der Zack hausen soll. Die ist mächtig groß und vollgestopft mit Roboter-Einzelteilen in Kisten. In einem Gang stehen drei (weißgeschminkte und in weiße Overalls gehüllte) Roboter, anscheinend defekt. Aber nur zwei davon – der dritte ist aktiv und recht killfreundlich, packt Robert mittels choke hold und jagt ihn anschließend mit’m Gabelstapler durch die Gänge (Staplerfahrer Klaus – Der erste Arbeitstag muss ich mir auch mal wieder ansehen. Alle halbe Jahre muss dat…). Sähe wieder mal schlecht aus für Robert, aber in letzter Sekunde killt Zack, seines Bruders absolutes Ebenbild, den Robot, aber nur, um den Abschuss bevorzugt persönlich vorzunehmen: „Ich leg dich erst um und stell dann die Fragen!“ Es gelingt aber Robert wirklich, den Durchgeknallten durch Vorlage des bewussten Dingsis vorübergehend zu besänftigen: „Das hat mir und Zane mal das Leben gerettet“, seuzft Zack und kunftet anschließend aus, dass er persönlich seine Roboter auf Mord & Totschlag programmiert habe, um seine Reflexe in Schuss zu halten. „Hier gibt’s nur mich und die Blechbüchsen, bis nur einer übrigbleibt.“ Und apropos „einer übrigbleibt“, das sollte nach Möglichkeit nicht Robert sein, der soll sich nämlich dringlich verpissen. Robert versucht, die Lage zu erklären und stellt fest, dass Zack unter seiner ungehemmten Agression leidet wie’n Hund: „Ich hätte gern Freunde, aber dann denk ich mir wieder, dass die mich alle nur verarschen werden!“ Zack redet sich erfolgreich in blinde Wut und übersieht so leider einen seiner eigenen Killerroboter… Robert gelingt es allerdings in höchster Not, den Robbi vom Schuss auf Zack abzuhalten – mit dem Preis, dass er sich selbst die Kugel einfängt. „Du blöde Sau“, kommentiert Zack augenrollend, dieweil Roberts Bewusstsein sich empfiehlt…

Aber keine Panik – eine unbestimmte Zeitspanne später kommt Robert in einer Art Krankenhaus (mit entspannenden „bewegten Bildern“ – mit Ton! – an den Wänden) wieder zu sich. Freundlicherweise hat man ihm seinen Anzug gelassen. Er kleidet sich an und betritt einen Fahrstuhl, wo er seine Frisur überprüft und feststellt, dass die Haarpracht fest sitzt – von wegen Haarausfall (naja, vielleicht ja nur angeleimt). Das Gebäude entpuppt sich als weitläufiges Exemplar eines Innenarchitekten-Alptraums. Nach Heruntersteigen endloser Treppen entdeckt er Zack und Pietchy, ziemlich lobotimisiert wirkend an ein Stück bizarre Maschinerie angeschlossen. Stranzky nebst Gehülfen marschiert auf und unterrichtet Robert, dass Zack ihn hierhergebracht habe. „Sind sie tot?“, erkundigt Robert sich hinsichtlich seiner Gen-Brüder, aber… „NEEEIIN, genauso wenig wie ich“, tönt es aus dem Hintergrund. Und da ist der große Schlusstwist – es ist natürlich Bogard, der seinen Selbstmord nur vorgetäuscht hat und in guter alter talkin-madman-Tradition dem nicht wirklich verblüfften Robert auseinandersetzt, was Sache ist. Als Genie der Biophysik stets nur wegen seiner Behinderung bemitleidet zu werden, war Bogard ein Dorn im Auge. Da’s aus unerfindlichen Gründen für Behebung seiner Stelzenleiden nicht reicht, will er wenigstens „mentale Vervollkommnung“ und da kommen unsere drei Brüder ins Spiel. „Jeder für sich ist auf seine Art vollkommen“, und durch ein den Brüdern entzogenes und zusammengepantschtes Serum könnte Bogard seine eigene Mentalpower auf „300 %“ steigern (?). Den Zellverfall hat er nur in die Jungs eingebaut, um so einen verlässlichen Indikator für die 100-Prozent-Mentalkraft der Burschen zu haben. Den wieder rückgängig zu machen, war für den Superdoc (also Bogard, nicht mich, ähm) kein Problem. Einziger Haken: da das Serum auf Bogard wie ein „Fremdorganismus“ wirkt, muss es monatlich nachgetankt werden. Und die edlen unfreiwilligen Spender hätte er deswegen ganz gern zu ständiger lobotomisierter Disposition. Robert hat da nicht wirklich Bock drauf und versucht die Flucht mit der Spritze voll fertigem Serum. Die Laborassis ballern aus ihren mitgebrachten Kanonen (Stranzky versucht zu verhindern, dass die Robert überenthusiastisch totschießen). Leider erweist sich Robert als nur eingeschränkt heldentauglich – beim beherzten Sprung in den Fahrstuhl verliert er die Spritze und bei der versuchten Wiederaneignung des Pieksers wird er gestellt und an die Maschine angeschlossen. Unter äußerster Willenskraft gelingt es Robert, Zack das bewusste lebensrettende Dingsi aus der Hosentasche zu ziehen und zu aktivieren!

Das Dingsi produziert einen funkensprühenden Klecks (anders kann ich’s nicht beschreiben), der erst Bogards echten Picasso, dann die Maschine schrottet und anschließend kreuz und quer durchs Areal zischt und dabei den ein oder anderen Assi (denen der re-animierte Zack noch nicht aufs Maul gehauen hat) grillt. Stranzky wird von dem Ding in einen Fahrstuhl verfolgt (und dort vermutlich platt gemacht). Doch Bogard hat den Rachefeldzung des Funkenkleckses unbeschadet überlebt und jagt sich hämisch grinsend das Serum in den Hals. Es schlägt an – mit den drei Wesenszügen der Brüder hält er selbigen einen Vortrag (wobei vor allem die Agression deutlich zum Ausdruck kommt), ehe es sich doch als eher unverträglich erweist. Weißen Schaum sabbernd reicht Bogard den Abschied ein. Pietchy stellt die entscheidende Frage: „Wie wird’s bei uns wirken?“

Einen Umschnitt später kommt Robert in sein Büro und richtet wie üblich seine Schreibtischutensilien millimetergenau aus. Doch das Foto, das vorhin nur ein tristes Portrait seiner traurigen Visage zeigte, ist jetzt ein glückliches Familienbild mit Frau und Kind… und über den Abspann sehen wir fröhliche Szenen seiner Hochzeit (und Zack fängt den Brautstrauß, hihi)…

Bekanntlich gebe ich nur äußert ungern Reviews recht, die ich nicht selber geschrieben habe, aber ich muss neidlos zugeben, Bertler und Lieber haben Recht. „Cut Character“ ist zweifellos einer der besten Amateurfilme, der sich mir bislang vorgestellt hat und wenn man zudem noch berücksichtigt, dass der Streifen aus einer Dekade stammt, in der man sich noch nicht in jedem MediaMarkt für 399 Euro Equipment kaufen konnte, mit dem man etwas halbwegs nach professionellem Film aussehendes runterkurbeln konnte, hat man gleich noch ’ne Prise mehr Respekt.

Bekanntlich bin ich von Haus aus begeistert, wenn aufstrebende Jungfilmer im Genrebereich mal was anderes machen als öde Splatterei, und wenn’s dann gleich noch ein dystopischer SF-Film ist (ein Subgenre, für das ich eh ein Faible habe), hat der Verursacher von Haus aus ein Stein im Brett. Wenn nichts anderes, ist „Cut Character“ allein schon der Beweis, dass man mit wenig Kohle und vergleichsweise wenig Bedarf an Special FX auch ein solches Thema anpacken kann (wenn man so will, ist „Cut Character“ von der produktionstechnischen Anlage das Amateur-Gegenstück zu „Gattaca“, der als SF-Film ohne Effektoverkill auskam und mehr oder weniger mit „aktueller“ Technik arbeitete).

Natürlich gibt’s zunächst mal den Aufhänger des Drehbuchs mit der gesplitteten DNS zu schlucken. Ich bin nun wirklich kein Genforscher, aber für wirklich glaubhaft halte ich die Prämisse nicht :-). Macht aber nix, weil wir ja als clevere Menschen bereits vielfach auf diesen Seiten etabliert haben, dass eine doofe/absurde/abgedrehte Grundidee völlig in Ordnung ist, wenn auf Basis derselben schlüssig weitererzählt wird. Man mag sich über den Schlusstwist (ergo Bogards gesamten Plan) streiten können, aber der Film selbst behandelt seine Idee konsequent – die Charakterisierungen der drei Gen-Brüder passen. Der „vernünftige“ Robert ist Bürokrat mit Leib und Seele, „Genussmensch“ Pietchy ist Zocker aus Leidenschaft und der agressive Zane hat seine Berufung im Krieg gefunden. Das ist logisch, das ist nachvollziehbar, und es *bleibt* vor allem so (man könnte kritteln, dass Roberts „lucky guess“ im Finale, das Lebensretterdingsi zu aktivieren, nicht „vernünftig“ ist, weil die Aktion nur auf einer Vermutung/Hoffnung basiert, aber die Vernunft setzt halt manchmal in einer ausweglosen Situation auch auf eine kleine Chance). Robert ist immer derjenige, der das Ziel, die Zusammenführung der drei Brüder, verfolgt, Pietchy versucht sich aus allem rauszuhalten und Zane bzw. sein „Nachfolger“ Zack sind die tumben Haudraufs (wobei das Script trotz der gedrängten Laufzeit sogar die psychologische Komponenente bei Zane/Zack nicht außer Acht lässt). Scriptmäßig funktioniert alles, es läuft flüssig und durch das klassische „Quest“-Motiv, also in diesem Falle das Aufsammeln der Brüder, hat der Streifen sogar die Möglichkeit, einen ganzen Haufen unterschiedlicher Subgenres abzugrasen und trotzdem in sich rund zu bleiben; ob es die Episode um die strahlenverseuchten Links ist, die „verruchte Unter“-Welt von Sin City, Weltraum-Krieg und mad-scientist-Motiv, alles fügt sich zusammen und bietet einen sozusagen „kompletten“ Blick auf das „Cut Character“-Universum – politische und gesellschaftliche Hintergründe werden angerissen, ohne dass die eigentliche Story zu kurz kommt. Ideen wie „Selbstmordpartys“ oder isolierte „Sündenstädte“ sind zwar nicht neu, sondern selbstredend gern genutzte Standard-Elemente der (vor allem geschriebenen) SF, aber für das Drehbuch eines Amateurfilms regelrecht ambitioniert.

Natürlich gibt es auch Schwächen – ab und an müssen sich Lenzen und Manglitz mit „expository dialogue“ behelfen, anstatt die wichtigen Informationen elegant en passant einzubauen, die Dialoge sind nicht immer überzeugend, aber daran sind auch größere Geister gescheitert. Aufgrund der Beschränkung auf knapp eine Stunde Laufzeit wirkt das Script manchmal etwas gehetzt, zehn-fünfzehn Minuten mehr hätten nicht geschadet.

Filmisch ziehe ich meinen Hut vor den Herren Lenzen und Manglitz. Der Film macht größtenteils einen professionellen Eindruck. Es wird nicht versucht, mehr zu zeigen als mit dem Budget möglich ist, die gewählten Locations passen und der Verzicht darauf, auf Teufel komm raus nach „richtiger“ SF auszusehen, sondern vereinzelte kleine Gimmicks wie Roberts (schicke) Visitenkarte, die Videofonie und ein-zwei kurze Weltraumeffekte einzusetzen, um den utopischen Eindruck zu vermitteln, ist goldrichtig. Gelegentlich müssen natürlich Abstriche in der Ausstattung hingenommen werden – „Sin City“ sieht halt nicht wirklich nach einem futuristischen Babel aus, sondern halt nach einer stinknormalen Einkaufspassage mit etwas farbenprächtigerer Kundschaft, keine Glitzerwelt, wie man sie sich vorstellt; hier hätte man, wenn man schon notgedrungen kein zweites Vegas hinstellen kann, etwas in ausgeflipptere Kostüme stecken können.

Beeindruckend ist die Kameraarbeit – sie ist im Vergleich zu selbst heutigen Independentfilmern ausgesprochen dynamisch, es gibt gelungene steadycam- und Dolly-Aufnahmen, die, weiß man, mit welcher Sorte Film und welchen monetären Mitteln man es hier zu tun hat, schon mit den Ohren schlackern lassen. Der Schnitt ist auf gutem Niveau – es gibt leichte Ausreißer (die Dialogszene bei Bogards Abschiedsparty ist mit ihrem Schuss-Gegenschuss-Gegengegenschuss-System vor einfallslosem Hintergrund ein wenig ermüdend, zumal hier eben auch haufenweise Exposition gelabert wird). Das Tempo wird forsch vorangetrieben, zumal auch der Film auch mit einigen größeren (und solide inszenierten) Actionszenen aufweisen kann (vier an der Zahl).

Nicht zu vergessen ist der ausgezeichnete Score von Chris Hülsbeck, den wohl jeder Besitzer eines Commodore-Computers als Musik-Hexer zahlloser Computerspiele kennen- und schätzengelernt hat und der beweist, dass er auch jenseits der Möglichkeiten von Commodore-Soundchips ordentlich was auf der Komponisten-Pfanne hat.

Kleines Budget und mangelnde technische Möglichkeiten äußern sich auch in den eher bescheidenen Effekten. Während in der Eröffnungsszene die billigen ZAP-Effekte (auf dem Amiga entstanden) und die aufkopierte Explosion noch dadurch entschuldigt werden können, dass sie im Filmsinne auch nicht „real“ sind, wirkt der Funkenklecks im Finale auch bei wohlmeinender Betrachtung nicht wirklich gut (auch wenn die Kamerafahrten alles objektivmögliche tun, darüber hinwegzutäuschen). Die Weltraum-Modelltricks sind okay, die sekundenkurzen Gore-Effekte sind eben kurz genug, um effektiv zu sein, ohne durchschaubar zu werden.

Schauspielerisch kann man zufrieden sein – Bernd Roebers als Robert ist überzeugend steif und emotionslos, Kai Bentzin (Pietchy) kommt gut als affektiertes Weichei und Stephan Lenzen himself gibt einen glaubhaft-durchgeknallten Schläger Zane/Zack ab. Alfred Lengert ist zwar prinzipiell okay als Bogard, aber seine übertrieben deutlich-theatralische Aussprache ist speziell im Finale ein wenig nervig. Gerhard Comelli agiert durchaus gut als Stranzky.

Die DVD von Unlimited Dreams Media bringt den Film in guter Bildqualität (Vollbild) ohne Defekte, solider Detail- und Kantenschärfe und leider nur mittelprächtiger Kompression – stellt sich aber halt die Frage, mit welchem Ausgangsmaterial UDM hier arbeiten konnte.

Der Ton (übrigens wurde der Streifen gut nachsynchronisiert) liegt in Dolby 2.0 vor und ist absolut zufriedenstellend für einen Amateurfilm.

Natürlich gibt’s auch einiges an Extras. Neben einem Audiokommentar gibt’s sowohl ein kommentiertes Making-of als auch ein unkommentiertes behind-the-scenes (jeweils so 8 Minuten rum), Trailer, Slideshow sowie als Hidden Feature eine (dankenswerterweise gestrichene) deleted scene.

Ergo – für Freunde des Amateur-/Indiefilms ist „Cut Character“, auch wenn der Streifen mittlerweile schon 15 Jahre auf dem Buckel hat, immer noch ein absolute Empfehlung. Lenzen und Manglitz schaffen ein interessantes Universum, füllen es mit einer interessanten Story (um deren Plausibilität wir uns mal an der Stelle nicht scheren), sehr gut gefilmt und brauchbar gespielt. Den Film sollte man als Indie-Fan unbedingt haben und toll finden – der Streifen ist natürlich nicht fehlerlos, aber mit mehr Verve, Einfallsreichtum und handwerklicher Finesse gedreht als die meisten esiner No-Budget-Indie-Konkurrenten. Sehr schade, dass Lenzen zwar noch eifrig Kurzfilme dreht, aber den Sprung ins wirkliche Profi-Fach wohl nicht geschafft hat. Aber man darf ja weiter hoffen…

(c) 2008 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 4

BIER-Skala: 7


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