Complex – Das Böse in dir

 
  • Deutscher Titel: Complex - Das Böse in dir
  • Original-Titel: Kuroyori danchi
  • Alternative Titel: The Complex |
  • Regie: Hideo Nakata
  • Land: Japan
  • Jahr: 2013
  • Darsteller:

    Atsuko Maeda (Asuka), Hiroki Narimiya (Sasahara), Kanau Tanaka (Minoru), Masaya Takahashi (alter Mann), Taru Suwa (Polizeidetective), Naomi Nishida (Asukas Mutter), Megumi Sato (Hitomi)


Vorwort

Die junge Krankenschwesternschülerin Asuka zieht mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder Satoshi in eine neue Wohnung in einem recht heruntergekommenen Apartmentkomplex. Mit den Nachbarn ist schwer Kontakt zu bekommen – der einzige, den Asuka wirklich trifft und kennenlernt, ist der kleine Minoru, der alleine den Sandkasten des Spielplatzes belagert und sich über die neue Spielkameradin freut. Weniger erfreulich ist der laute Wecker des Nachbarn, der direkt neben Asukas Zimmer steht und zu unchristlichen Zeiten langanhaltend bimmelt. Da man als neuer Mieter nun nicht gleich mit Beschwerden ins Haus fallen wird, lässt Asuka die Klingelei mit zusammengekniffenen Zähnen über sich ergehen.

An ihrer Ausbildungsstätte wird diskutiert – zum einen darüber, dass es in dem Wohnkomplex spuken soll, zum anderen über den tragischen Fall, dass ein alter Mann verhungert in seiner Wohnung aufgefunden wurde, weil seine ihn pflegende Frau gestorben war und er selbst keine Hilfe organisieren konnte. Das bringt Asuka auf den Gedanken, der bewusste Nachbar, nach Minorus Auskunft auch ein alter Mann, vielleicht Hilfe benötigen könnte. Da die Wohnungstür offen ist, kuckt sie nach – und findet in der labyrinthischen Wohnung tatsächlich die Leiche des alten Mannes, beunruhigenderweise offensichtlich gestorben, während er versuchte, sich zu Asukas Zimmer durchzukratzen…

Die Polizei ermittelt natürliche Todesursachen – dennoch fühlt sich Asuka schuldig. Hätte sie den alten Mann retten können, wenn sie früher auf die Idee gekommen wäre, nach ihm zu sehen? Da scheint was dran zu sein, denn der Alte erscheint ihr als Geist und kündigt ihren nahenden Tod an. Asukas fragiler Zustand wird dadurch natürlich nicht verbessert. Trost spenden ihr die Spielstunden mit Minoru und die Freundschaft mit Sasahara, einem jungen Mann, der die Wohnung des Verstorbenen ausgeräumt hat, und ihre Geistervisionen nicht von vornherein für Tinnef hält, nach seiner Philosophie bewegen sich die Lebenden und die Toten in unterschiedlichen Zeiten, die Lebenden bewegen sich vorwärts in der Zeit, die Toten bleiben an dem Zeitpunkt ihres Todes stehen. Als sie eines Tages nach Hause kommt, findet sich Asuka in einer leeren Wohnung wieder – ihre Eltern und Satoshi sind verschwunden, das Handy ihres Vaters nicht erreichbar. In Panik ruft sie Sasahara an… und der macht eine erstaunliche Feststellung.

Asukas Familie ist schon seit Jahren tot – bei einem Busunfall gestorben, den Asuka als einzige überlebt hat. Weil Asuka die Familie zu diesem Ausflug gedrängt hatte, fühlt sie sich verantwortlich und hat sich eine Scheinwelt aufgebaut. Sasahara bringt Asuka zu einer ihm bekannten Spiritistin. Die ermittelt, dass der alte Mann mitnichten eine Bedrohung für Asuka ist, sondern erstens dankbar dafür ist, dass sie ihn gefunden hat und zweitens vor der eigentlichen Bedrohung warnen will – Minoru! Der starb vor 15 Jahren beim Versteckenspielen – unglücklicherweise hatte er sich in einem Müllcontainer versteckt, konnte den von innen nicht öffnen und wurde mitsamt dem Abfall pflichtschuldigst in der Müllverbrennung entsorgt…

Sasahara versucht Asuka davon zu überzeugen, dass sie den Kontakt mit Minoru einstellen muss, aber der Dreikäsegeist ist hartnäckig und Asukas Widerstandskraft… mäßig. Zudem ist Sasahara auch nicht ohne seine eigene Leiche im Keller. Er hat einen Autounfall verursacht, der seine Freundin Hitomi ins Koma befördert hat. Während Sasaharas Spiritistenfreundin einen Exorzismus versucht, quält Minoru Asuka mit Visionen ihrer Familie – und als Sasahara versucht, Asuka aus deren Einflus zu befreien, projiziert Minoru Hitomis Bild…


Inhalt

Mit J-Horror ist das so ’ne Sache. Ich glaube, die wenigstens Filmfreunde werden bestreiten, dass das erste Auftreten des modernen japanischen Gruselfilms in den späten 90ern hochwillkommen war, um einem im eigenen Saft innovationsfrei vor sich hin schmorenden Genre neue Impulse zu verleihen, andererseits… auch das ist nicht zu verleugnen, J-Horror erwies sich relativ schnell als das sprichwörtliche „one-trick pony“, das einem, sofern man die grundlegenden Mechanismen durchschaut hatte, auch nur noch schwer etwas neues, originelles bieten konnte. Und Hollywoods Tendenz, wirklich jeden J-Horror-Film, der international mehr als drei Zuschauer hatte, mit allem Gedöns zu remaken, laugte das Subgenre zusätzlich noch aus. Aber man konnte immerhin meinen, dass das Genre vielleicht ein paar asiatische Regietalente an die Oberfläche spülen würde, die sich weiterentwickeln, mit der neuen internationalen Reputation vielleicht doch noch neue Ideen verwirklichen könnten. Pustekuchen. Takashi Shimizu stellte schnell klar, dass er vollkommen zufrieden damit war, bis in alle Ewigkeiten „Ju-on“-Sequels, -Prequels, -Sidequels, -Spin-offs und -Reimagenings herunterzukurbeln, bis die bloße Masse von Filmen und Fernsehserien die Implosion des Universums verursachen wird, und das oberste Aushängeschild der Welle, „Ringu“-Regisseur Hideo Nakata, durfte zwar den zweiten Teil des US-Remakes inszenieren, sah sich danach aber auch nicht gerade in der ersten Klasse des Karrierezuges. Nur das oddball-Teenage-Suicide-Drama „Chatroom“, in England produziert, bot sich ihm als internationale Chance, und Kritik und Publikum straften den Streifen dann mit Nicht- bis Verachtung.

Nakata packte also seine Siebensachen, ging zurück in die Heimat und machte sich daran, dem Genre, dem er seinen kurzlebigen Ruhm verdankte, ein weiteres Mal seine Aufwartung zu machen. Enter „Complex“. Ausnahmsweise nicht auf einem Manga oder einem Roman basierend, sondern auf einem Originaldrehbuch von Jun’ya Kato („Meatball Machine“, „Death Trance“) und Ryuta Miyake („Tales of Terror from Tokyo“), allerdings „inspiriert“ vom schwedischen Vampirstück „Let the Right One In“ [Minoru muss freiwillig „hereingelassen“ werden, kann sich also nicht gegen den Willen seines Opfers in sein Leben drängen], spielt sich „Complex“ nichtsdestoweniger als reichlich generisches Stück J-Horror, das die üblichen Stimmungen, Gefühle und Motivationen des Genres einmal mehr aufgreift, ohne ihnen wirklich neue Facetten hinzufügen. Der Plot ist, wie es auch gute Genrekonvention ist, labyrinthisch, legt falsche Fährten und Plottwists aus, und doch – am Ende überrascht uns kaum etwas, weil wir mittlerweile vom J-Horror so geprägt sind, dass wir diese falschen Fährten und Twists erwarten – und sie dann wie nach dem Uhrwerk auch kommen (ich war immerhin schon begeistert darüber, dass meine Vermutung nach 30 Minuten [Asuka ist selbst tot und ein Geist] sich als Trugschluss erwies).

Es ist halt inzwischen eine Binsenweisheit, dass der J-Horror ein Kommentar auf die Entfremdung der japanischen Gesellschaft, den Konflikt zwischen der in ritualisierten Tagesabläufen steckenden älteren Generation und den unzufriedenen, aber keine Freiräume findenden jüngeren Menschen, die sich dann als hikikomori in selbstgewählte Isolation oder in den Suizid flüchten, zu sehen ist. Das ist gesellschaftlich sicherlich folgerichtig, das Problem ist allerdings, dass dieser Punkt nun schon seit geraumer Zeit gemacht ist; dass sich in Japan selbst offensichtlich nichts ändert, so dass die Filmindustrie sich weiterhin an dem Thema orientiert, ist zweifellos dramatisch, macht die Sache, jetzt mal fernab von jeder soziologischen Verortung, für den internationalen Betrachter nicht wesentlich interessanter.

Asuka ist dann auch eine geradezu archetypische J-Horror-Figur. Allein gelassen von der Gesellschaft, aber auch selbstgewählt in eine Fantasiewelt geflüchtet, in der noch „alles in Ordnung“ ist und dennoch die Monotonie der japanischen Gesellschaft herrscht. Sogar in ihrem Wahn scheint Asuka zu bemerken, dass sich am Frühstückstisch stets der gleiche Dialog zwischen ihren Eltern entspannt – ihr „Ersatzleben“ ist eine endloser (Alp-)Traum, aus dem sie durch den Tod ihres Nachbarn, das Auftauchen Minorus und die Freundschaft zu Sasahara, dem ersten echten Menschen, der sich seit Jahren für sie interessiert, gerissen wird. Alles nicht von Haus aus uninteressant, aber eben auch nicht in einer Form präsentiert, die den Zuschauer packt.

Schon klar – J-Horror ist von Haus aus ein Genre des „slow and brooding“-Zuschnitts, weniger auf plakative Effekte oder drastische Schocks aus denn auf den build-up, die Atmosphäre, das Gefühl ständiger unterschwelliger Bedrohung ausgelegt. Und dennoch – es ist halt SEHR langsam, bis Nakata seinen Plot in die Spur bringt. Dass der Gorehound in der letzten Reihe sitzt, ist kein Problem, es ist nur, dass Nakatas Inszenierung dröge, zu nüchtern ist, oft mehr Sozialdrama zu sein scheint als Genrefilm. Ein paar kryptische „Visionen“ Asukas sind nicht viel mehr als optische Auflockerung. „Complex“ ist einer dieser Filme, bei denen „mehr“ tatsächlich mehr wäre – mehr Tempo, mehr Effekte, mehr Schocks… so plätschert der Streifen aber ziemlich höhepunktfrei über seine doch ordentlich lang wirkenden 102 Minuten Laufzeit, bis Nakata im Finale etwas aus sich herausgeht – dann wirkt’s dafür aber etwas albern…

Natürlich ist „Complex“ objektiv kein „schlechter“ Film, dafür ist auch ein mit angezogener Handbremse inszenierender Nakata ein zu guter Regisseur; die Kamera hat hin und wieder ganz patente Einfälle und in der Tat vermittelt auch „Complex“ ganz brauchbar das Gefühl sich langsam verstärkenden Unbehagens, aber es fehlen dem Film einfach ein paar Momente, die dem Zuschauer vermitteln, der langsame build-up führe irgendwo hin, habe einen pay-off, der das Warten lohnt. Zu oft verlässt sich Nakata darauf, dass das langsame Schleichen durch schlecht beleuchtete Zimmer per se ebenso spannend ist wie das viel zu lange Verharren auf einer bedeutungsschwangeren Einstellung oder ein close-up auf Asukas abwesendes Gesicht.

Die schauspielerischen Leistungen sind nicht schlecht – Atsuko Maeda, vormaliges Idol aus der Girl-Group AKB48, und mit einer kleinen Rolle in „Shin Godzilla“ gesegnet, bekommt den schleichenden Übergang in den Wahn und die Abhängigkeit von Minoru durchaus gut hin, wobei das make-up ihren geistigen Verfall auch mit einem dezenten, aber sichtbaren körperlichen Verfall kombiniert. Hiroki Nariyama („Phoenix Wright – Ace Attorney“ himself) ist grundsympathisch als Sasahara, Kanau Tanaka („Ultraman Saga“) ist als Minoru auch solide. In einem kleineren Part als Polizei-Detective reüssiert Charakterplayer Taru Suwa („Tomie: Re-Birth“, „Shin Godzilla“, „Raining Blood“, „Battle Royale“, „Uzumaki“, „Ring 2“).

Die DVD von Koch Media ist okay – solide Bildqualität (1.85:1 anamorph), gute Synchro (Dolby DD 5.1/dts 5.1), wobei ich mir wünschen würde, es gäbe Untertitel für die diversen japanischen Einblendungen, Zeitungsüberschriften etc. und nicht nur eine allgemeine deutsche Sub-Spur. Als Extra gibt’s nur den Trailer.

Abschließend – wie gesagt ist „Complex“ kein schlechter Film im Sinne von Handwerk oder Schauspiel, er bietet nur nichts, was nicht andere, frühere J-Horror-Filme auch – und oft genug besser und spannender – geboten hätten. Wer vom Subgenre noch nicht die Nase voll hat, findet hier vermutlich genug, um ihn bei Laune zu halten, ich persönlich erwarte dann aber von einem Regisseur von Nakatas Potential dann doch mehr als das x-te Aufgießen bekannter und abgenudelter Tropes und Twists.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 4


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