Code 46

 
  • Deutscher Titel: Code 46
  • Original-Titel: Code 46
  •  
  • Regie: Michael Winterbottom
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Tim Robbins (William), Samantha Morton (Maria Gonzales), Jeanne Balibar (Sylvie), David Fahm (Damian Alekan), Om Puri (Bahkland), Nabil Elouhabi (Nabil), Nina Fog (Wole), Christopher King (Paul), Taro Sherabayani (Jim)


Vorwort

Wieder einmal hat die Zukunft so einige Macken – weil eine Vielzahl der neuen Erdenbürger nicht mehr auf natürlichem Weg, sondern per bestelltem Kloning das Licht der Welt erblickt, hat die Regierung den „Code 46“ ersonnen. Heirats- bzw. zum Zweck der Fortpflanzug Paarungswillige müssen sich einem Gentest unterziehen und wenn eine zu große Übereinstimmung der DNS vorliegt, ist’s Essig mit der Verbindung, und wer schon vorher davon wusste, tja, der ist ein kriminelles Subjekt. Das ist nicht die einzige Einschräkung des zukünftigen Lebens – die Allmacht der Versicherungen hat dazu geführt, dass man für alles und jeden einen Darfschein, ein sogenanntes „Papel“ braucht – sei es zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, den Aufenthalt in einer bestimmten Stadt, eine Reise usw. Wer kein „Papel“ hat, muss „draussen“, außerhalb der sicheren und luxuriösen Städte hausen und sein Glück versuchen. Womit wir bei unserer Story wären – in der Erlaubnisscheinstelle in Shanghai scheint ein schwunghafter Papel-Schwarzhandel zu florieren. Regierungsermittler William, den man mit einem „Empathievirus“ künstlich zum temporären Fasttelepathen getrimmt hat, soll den dafür verantwortlichen Schuft ausfindig machen. Der entpuppt sich als Maria Gonzales, und die raubt dem braven Familienvater den Restverstand. Anstatt das Mädel ordnungsgemäß zu verknacken, deckt er sie und schanzt den Betrug einem Unschuldigen zu. Danach wird in die Kiste gehüpft, ehe bei William die Ratio wieder einsetzt und er nach Hause fliegt.

Könnte also alles bei einem netten one night stand bleiben, doch es treten Komplikationen auf. Einige von Marias Kunden beißen ins Gras (z.B. an tödlichen Krankheiten, die ursprünglich der Grund dafür waren, warum die Kandidaten ihrer Papels nicht auf legalem Wege erhalten konnten) und das nach der Verhaftung des vermeintlichen Täters. William wird, obwohl er nicht mag, zurück nach Shanghai geschickt. Maria ist aber verschwunden – Williams Recherchen ergeben, dass sie sich in eine Klinik „draussen“ begeben hat. Der Grund – eine Schwangerschaft! Als William Maria ausfindig macht, kann die sich nicht mehr an ihn erinnern. Weil die Schwangerschaft gegen den „Code 46“ verstieß, hat man ihr Gedächtnis teilweise gelöscht. Theoretisch spräche aus Willis Sicht jetzt nichts dagegen, Maria festzunehmen und ansonsten „Schwein gehabt“ in den Bart zu murmeln, aber die Liebe ist ein seltsames Spiel, zumal William schneller auf Marias Papel-Dienste angewiesen ist, als er es sich hätte träumen lassen..


Inhalt

Hurra, ein neuer Film von Michael Winterbottom. Dies bitte ich sarkastisch aufzufassen, denn die britische Universalwaffe für sämtliche Genres unternahm mit ihrem letzten von mir gesichteten Lichtspielwerk, dem herzensgut gemeinten, vielfältig ausgezeichneten und demzufolge komplett ungenießbaren Gutmenschen-Betroffenheitsepos „In This World“ einen seriösen Anschlag auf meine geistige und körperliche Gesundheit.

Mit „Code 46“ versucht sich Meister Winterbottom, der sich auch schon auf dem Gebiet der Komödie und des Thrillers („Butterfly Kiss“) ausgetobt hat, an einem düster angehauchten near-future-Science-Fiction-Film, der von der Prämisse und der filmischen Umsetzung, einen entsprechenden Vermerk kann sich auch der Coverblurb nicht verkneifen, an Andrew Niccols exzellenten „Gattaca“ erinnert.

Wie es in letzter Zeit häufiger vorzukommen scheint, plagt sich auch „Code 46“ mit der Krux, dass die Welt, in der der Film spielt, wesentlich interessanter ist, als die Geschichte, die erzählt wird. Anstelle einer tragischen Liebesgeschichte, die ihren gentechnischen Aufhänger m.E. mehr als MacGuffin denn als wirklich tragendes Element benötigt, wäre mir ein etwas schärferer Blick in das System, das in dieser Zukunft herrscht, lieber gewesen. Hier muss sich der Zuschauer wieder mal viel selbst zusammenreimen (dass das Konzept der „Papel“-Darfscheine auf dem Mist der Versicherungen gewachsen ist, die sich dadurch vor horrenden Schadenersatzzahlungen schützen wollen, erschließt sich am deutlichsten aus den Interviews im Begleitmaterial). Für mich werden die entscheidenden Fragen im Hintergrund aufgestellt – darf „der Staat“, wer auch immer das im Einzelfall sein mag, seine Bürger daran hindern, bewußt unnötige Risiken einzugehen? Und wer darf auf die Gen-Daten eines Menschen zugreifen? Wir haben hier durchaus aktuelle Bezugspunkte – einer von Marias Kunden im Film möchte nach Delhi reisen, um dort Fledermäuse zu beobachten. Es wird ihm nicht erlaubt, weil seine Gendaten zeigen, dass er eine hohe Veranlagung für eine bestimmte, dort vorkommende Krankheit aufweist (an der dann auch prompt verscheidet). Es ist eine brisante Frage – inwieweit darf der Staat oder eine andere übergeordnete Instanz in die persönliche Freiheit des Einzelnen eingreifen, auch wenn zumindest eine Teilmotivation darin liegt, den Betreffenden vor Schaden zu bewahren? Hat jeder Einzelne ein Recht darauf, persönliche Risiken eingehen zu dürfen? Da brauchen wir uns gar nicht mal aufs heikle Feld der Gentechnik gehen. Erinnern wir uns doch mal kurz an den Fall der in der Sahara verschleppten Touristen – auch damals gab es eine Diskussion, ob der Staat wirklich alle Hebel in Bewegung setzen sollte, um Menschen zu retten, die sich bewusst in ein gefährliches Gebiet begeben hatten, um dort einen „Kick“ zu suchen. Wie gesagt – der Film reißt diese Problematik leider nur im Hintergrund an, stellt vielmehr einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt.

Natürlich ist in dieser Hinsicht dieser andere Aspekt, die Frage nach Sex und Kinderwunsch eine hübsch-griffig plakative, schließlich ist nichts persönlicher als die Beziehung, in der man lebt, bzw. der Partner, den man sich auskuckt. Nur leider ist es zumindest in diesem Film, in dieser Geschichte nicht die ergiebigste. Versteht mich nicht falsch, auch hier gibt es genügend reale Anknüpfungspunkte (das „Pre-Screening“ von Embryonen auf etwaige Erbkrankheiten fällt einem natürlich ein), aber in Winterbottoms Film kommt entsetzlich wenig ‚bei rum, was man sich nicht auch schon vorher anhand des ein oder anderen SPIEGEL-Artikels erarbeiten konnte. Ein Manko ist, dass die Liebesbeziehung zwischen William und Maria grundsätzlich unglaubwürdig ist – William hat eine hübsche, ihn liebende Frau (und seine Gefühle scheinen auch nicht erkaltet zu sein), einen Sohn, den er abgöttisch liebt und dann trifft ihn Amors Pfeil bei einer (nicht mal sonderlich attraktiven) Verdächtigen zwischen die Augen und der Herr lässt von Stund an jegliche Vernunft fallen? Jaja, ich weiß, Liebe macht blind, aber William verhält sich wie ein pubertierender Teenager. Störend ist auch, dass sich die verhinderte Liebesgeschichte sich trotz des futuristisch-technischen Hintergrunds nicht wahnsinnig anders spielt als eine beliebige andere „sie konnten zueinander nicht kommen“- Love-Story. Es fehlt dieser Geschichte an Überraschungsmomenten als auch an einer eindeutigen Positionierung. Dem Film fehlt es m.E. etwas an der Chuzpe, wirklich Stellung zu beziehen. Zwar sympathisiert die Story sicherlich mit den „Outsidern“, drückt sich aber um eine wirkliche Verurteilung des Regimes (dazu passt auch das zwar nicht gänzlich unüberraschende, aber inkonsequent wirkende Ende).

Das liegt zumindest teilweise auch an Winterbottoms erneut eher spröder, spannungsarmer Inszenierung, obschon zumindest die Locations gut gewählt sind – sowohl Shanghai als auch das in weiteren Filmverlauf genutzte Dubai sind prinzipiell die richtigen Backdrops für einen „near future“-Thriller, wenn man sich aufwendige eigene Bauten sparen will (in der Hinsicht folgt Winterbottom der Tradition von z.B. Jewisons originalem „Rollerball“, der auch reale futuristische Bauten, damals solche in München, als Hintergrund für einen SF-Film verwendete). Besonders in Shanghai gelingen seinen Kameraleuten Alwin Kuchler und Marcel Zyskind auch einige gefällige Einstellungen, speziell der nächtlichen City. „Atemberaubend“, wie der Coverblurb blökt, ist allerdings dann doch was anderes.

Winterbottom entwickelt die Geschichte in einem eher schlafwandlerischen Tempo. Trotz der vergleichsweise kurzen Laufzeit von 89 Minuten wird die Story nie richtig spannend – das Set-up der Situation ist viel zu lang (nimmt beinahe die Hälfte des Films in Anspruch), und auch die Auflösung gestaltet sich zu unspektakulär, zu bieder, um jemanden, der nicht gerade seine erste Anti-Utopie sieht, nachhaltig zu beeindrucken.

Der Streifen bedient sich, ähnlich wie „Gattaca“, des Kunstgriffs, die Zukunft als eine nur minimal „upgedatete“ Gegenwart darzustellen. D.h. es gibt nichts an futuristischen Bauten oder spekulativen Spezialeffekten – mehr als einige kleine technische Gizmos (Fingerabdruck- Lesegeräte, Videoprojektoren etc.), die aber nicht wirklich so aussehen, als würden sie erst in hundert Jahren erfunden werden hat sich die Produktion nicht gegönnt. „Gattaca“ tat das zwar auf ähnliche Weise, wirkte aber dennoch eindeutig „utopischer“. Bei „Code 46“ hat man stets das Gefühl, dass einfach im zeitlichen Kontext etwas nicht stimmt (schließlich müsste der Film, selbst bei optimistischter Betrachtung, gut vierzig bis fünfzig Jahre in der Zukunft spielen, und dass wir bis dahin immer noch in Autos rumfahren, die exakt so aussehen wie die Modelle, die heute vom Band laufen, wage ich dann doch zu bezweifeln).

Es mag sein, dass Winterbottom seinen Film als „Gegenentwurf“ zu „In this World“ sieht – denn wo dort die Protagonisten von „draussen“ nach „drinnen“, also von der Dritten Welt in die unsere, gelangen wollten, fliehen unsere Helden hier von „drinnen“ nach „draussen“, in die Zone der Ausgestossenen, der Verbannten. Wobei man dann wiederum Regisseur und Autor vorwerfen muss, dass die Unterschiede zwischen beiden Welten vergleichsweise marginal sind (so ganz *schlecht* scheint’s denen „draussen“ auch nicht zu gehen).

Ein eigentlich ganz pfiffiges Stilmittel des Films geht zumindest mir mit fortschreitender Laufzeit auf den Senkel – die verwendete Sprache ist eine Art „Weltsprache“, ein Englisch (bzw. Deutsch, in der Synchronfassung), das von spanischen, französischen, arabischen und chinesischen Wörtern, Formulierungen und Floskeln durchsetzt wird. Gottseidank liefert das Booklet ein kleines „Wörterbuch“, dessen Auswendiglernen sich empfiehlt, will man dem Film wirklich folgen.

Nicht schlecht ist die verwendete Filmmusik – so steuern z.B. Coldplay einen Song bei und einen Bonuspunkt gibt es für die witzige Idee, in einer Karaokebar „Should I Stay Or Should I Go“ singen zu lassen, und zwar von niemand geringerem als dem einstigen The-Clash- Gitarristen Mick Jones.

Womit wir auch schon bei den Schauspielern wären. Eigentlich ist „Code 46“ ein Zwei- Personen-Stück, alle weiteren Darsteller haben nur kleine Nebenrollen (wobei einige, wie Nina Fog, durchaus gefallen). Tim Robbins, Teil des sozialen Gewissens Hollywoods (und als solches in „Team America“ gnadenlos karikiert), dürfte die Rolle instinktiv angesprochen haben, das ist mir klar. Dennoch wirkt er irgendwie nicht auf voller Betriebstemperatur. Mag sein, dass die Rolle einfach nicht wirklich zu ihm passt (sowohl den unfehlbar-kühlen Ermittler als auch den heißblütigen ehebrechenden Liebhaber würde ich jetzt nicht sofort mental mit Tim Robbins in Verbindung bringen). Samantha Morton („Minority Report“) ist mir irgendwie etwas zu steif, da fehlt mir die Ausstrahlung, die glaubhaft machen würde, warum Robbins so auf sie abfährt. Sorry, die Chemistry, von der im Begleitmaterial geschwärmt wird, kann ich nicht nachvollziehen.

Btw, was die FSK-16-Freigabe soll, versteht mal wieder keiner ausser dem Prüfungsgremium. In „Code 46“ gibt’s weder explizite noch implizite Gewalt, keine übermäßige Freizügigkeit, die über Vorabendserienniveau hinausgeht und natürlich auch keinen expliziten Sex…

Bildqualität: Wie üblich gibt’s bei einer Sunfilm-Scheibe nicht wirklich was zu meckern. Der anamorphe 1.85:1-Widescreentransfer läuft in gefälliger Qualität über die Mattscheibe. Keine Störungen, Defekte oder Verschmutzungen, gute Schärfe- und Kontrastwerte, gute Farbdarstellung, klaglose Kompression. Etwas seltsam dünkt mir allerdings, dass offenbar ein 2.35:1-Print mit schwarzen Balken künstlich auf 1.85:1 maskiert wird (es fehlen keine Bildinformationen, aber auch 16:9-ausgerüstete Zuseher dürfen sich an schwarzen Balken erfreuen). Io non capisco.

Tonqualität: Drei Tonspuren werden angeboten, deutsche Synchronfassung (ausgezeichnete Sprachqualität, aber hinsichtlich Geräuschen stark heruntergereget, daher sehr steril) in DTS und Dolby Digital 5.1, englischer O-Ton in Dolby Digital 5.1 (wesentlich lebendiger wirkend, aber teilweise nicht immer optimal verständlich). Deutsche Untertitel sind natürlich dabei.

Extras: Neben ausführlichen Biographien für Winterbottom, Robbins und Morton auf Texttafeln gibt’s ca. 3 Minuten an deleted scenes (die nichts entscheidendes beitragen und daher im Endschnitt nicht vermisst werden), den Trailer und ein ca. 16 Minuten langes Making-of, natürlich auf der Promo-Seite, aber dennoch mit einigen brauchbaren Informationen.

Fazit: Mit „Code 46“ werde ich irgendwo nicht warm. Obwohl die Thematik als solche tagesaktuell, brisant und hochinteressant ist, macht der Film eindeutig zu wenig daraus, verschleisst sich zu sehr in einer konventionellen tragischen Liebesgeschichte als die gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen der Hintergrundstory zu beleuchten, zu hinterfragen und hierzu Stellung zu beziehen (und das wundert mich bei einem Regisseur, der durchaus auch eine politische Agenda hat, schon ein wenig). Wer einen wirklich gut gemachten SF-Film zu ähnlichem Thema sehen will, sollte lieber zu „Gattaca“ greifen. Schade, verpasste Chance, aber ein paar Denkanstösse sind vielleicht doch drin…

2/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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