- Deutscher Titel: City Kill - Rechnung in Blei
- Alternative Titel: City Kill - The Director's Cut |
- Regie: Markus Hagen, Hendrik Thiele
- Land: Deutschland
- Jahr: 2009
- Darsteller:
Samuel Müller (Barry Dangle), Hendrik Thiele (Ronny McDyke), Hauke Hirsinger (Raoul Vasquez), Sven Schönmann (Polizeichef), Phillip Steinke (Leroy Scott), Berit Reiss (Carmencita Vasquez), Thilo Gosejohann (Jackson), Sebastian Stronzik (Aleksej), Michael Valentin (Bürgermeister), Heiko Schulz (Bodyguard)
Vorwort
Chaos in New York – Drogenlord Raoul Vasquez überzieht die Stadt mit einer Verbrechenswelle ungeahnten Ausmaßes (und der neuen Modedroge „White Snow“). In seiner Verzweiflung reaktiviert der Polizeichef die wegen unberechtigten Korruptionsvorwürfen in Ungnade gefallenen Supercops Barry und Ronny. Zwar hat sich der eine nach Tibet, zum Meditieren, zurückgezogen und der andere die erfolgreiche Laufbahn eines versifften Alkoholikers eingeschlagen, aber die Aussicht auf Rückkehr in dienstliche Würden bringen die beiden Buddies schnell wieder auf Spur. Zwar gelingt es ihnen, mit ihren rüden Methoden Raoul ans Bein zu pinkeln und einen größeren Drogendeal zu versauen, doch der kolumbianische Crimelord lässt sich nicht lumpen und versorgt dank seiner ihm treu ergebenen Privatarmee, den „Schakalen“ und seiner ihm inzestuös zugeneigten Schwester die Straßen weiterhin mit seinem Stoff und russischen AK-47. In der sicheren Erkenntnis, mit herkömmlicher Polizeiarbeit nicht weiterzukommen, holen sich Ronny und Barry die Erlaubnis, undercover zu gehen. Mit einem beeindruckenden Waffenarsenal (eingekauft beim superpatriotischen Militaria-Händler Leroy) sagen die letzten echten harten Cops der „Latino-Schmeißfliege“ den Kampf an…
Inhalt
Das Team von Deadly Nam schlägt wieder zu! Ich hatte ja zum „ersten norddeutschen Vietnamfilm“ so viele positive Worte zu vermelden, dass es glatt für einen Cover-Blurb gereicht hat (was natürlich dazu führen musste, dass ich trotz Vorliegen einer Vorab-Rezi-Scheibe noch ein Retail-Exemplar kaufen musste. Man will ja angeben können, ähem). Ich war sehr gespannt, was das Team Hagen/Thiele als Nachfolgeprojekt vorlegen würde, und das erste „City Kill“-Promoartwork, das ich, wenn ich mich recht erinnere, im „Deadline“-Magazin erblickte, machte durchaus Geschmack auf mehr – irgendwie (ich sollte mich nicht Dr. Acula, sondern Dr. Alzheimer nennen) verpasste ich aber völlig, dass der Streifen tatsächlich schon veröffentlicht wurde. Das hat sich offenbar auch zu den Machern durchgesprochen, die mich dankenswerterweise noch mit einem Exemplar versorgten.
Wie „Deadly Nam“ es für das Genre des Vietnamfilms war, so ist auch „City Kill“ gleichermaßen Hommage und Parodie an eine Art Film, wie sie es heute nicht mehr wirklich gibt – den guten, alten reaktionären 80er-Cop-Thriller, wie ihn einst, in der glorreichen Vergangenheit, Chuck Norris und Sylvester Stallone regelmäßig bevölkerten (wer denkt nicht gern zurück an die „City Cobra“?). Und wie schon in „Deadly Nam“ gelingt Hagen und Thiele – denen man wieder bescheinigen kann, dass sie die Essenz des parodierten Genres verstanden haben – das Kunststück, mit den Versatzstücken und Klischees, die das Genre nun einmal ausmachen, zu arbeiten und den Witz aus der Überhöhung dieser Klischees zu ziehen. So ist denn auch die Story nur ein rudimentärer Leitfaden, an dem sich die Charaktere von einer Actionszene zur nächsten hangeln, damit absolut im Einklang mit den Vorbildern – böser Drogenlord, Superdrogen, ein bisschen Waffenschmuggel, korrupte Obrigkeit, exakt die üblichen Hindernisse, die sich dem typischen 80er-Jahre-Actionhelden, gerne einem „renegade cop“, der in der Wahl seiner Mittel genausowenig zimperlich ist wie seine Gegenspieler, in den Weg stellten. Einzig der schon aus „Deadly Nam“ beliebte Ultra-Patriotismus ist kein Motiv, das wesentlicher Bestandteil des 80er-Cop-Action-Kinos ist (natürlich gibt’s auch da Ausreißer wie Chuck Norris‘ Opus Grande „Invasion U.S.A.“), aber es sorgt für Unterhaltung und ergreifendes Heldenpathos.
Ebenso wie die Story sind auch die Charaktere Amalgame aus all jenen Schwarzenegger-/Stallone-/Norris-/Seagal-Figuren, die uns so viel Freude machten. Ständig wisecrackende gewaltgeile Fanatiker, die zunächst mal aus ihren jeweils selbstgewählten Exilen zurückgeholt werden müssen – tibetanischer Mönch (und Martial Artist, der gelegentlich mit pseudoorientalischen Mystizismen um sich wirft) bzw. versiffter Asi-Alki, die nur durch die Aussicht, endlich wieder legal kriminelles Gezücht umlegen zu dürfen, wieder in Form gebracht werden können. Dazu noch der väterliche Polizeichef und ein als dramatisches Bauernopfer einsetzbarer Sidekick, auf der Gegenseite ein völlig überspannter Schurke jenseits jeder politischen Korrektheit (wozu auch passt, dass die Helden frei von der Leber weg mit Platitüden wie „Latino-Geschmeiß“ um sich werfen), fertig.
Die Dialoge sind eine Schau – Ronny und Barry reden praktisch ausschließlich in schlechten Wortspielen, deplaziert eingesetzten Sprichwörten und Metaphern, gruseligen one-linern, gegen den jeder Spruch aus „Phantomkommando“ oder „City Cobra“ pure Poesie ist; und es funktioniert vorzüglich. Wer mit dieser Art Humor etwas anfangen kann, dürfte über die komplette Laufzeit ein leicht debiles Grinsen auf den Lippen haben, und gelegentlich wird die Grenze vom reinen Wahnsinn zum inspirierten Genius locker übersprungen (meine Lieblingsline: „Ich hab auf dem Stadtplan alle Verbrechen, die auf Vasquez‘ Konto gehen, mit Nadeln markiert.“ „Und jetzt?“ „Jetzt sind keine Nadeln mehr übrig.“ Das kommt knapp hinter Peter Falks legendärer „Eine Leiche zum Dessert“-Line: „Das kann nur eines bedeuten – nur… ich weiß es nicht.“) Einzig die Tendenz, jeden zweiten Satz mit englischen Vokabeln zu spicken, kann a bit auf den cookie gehen, wenn du knowst, was ich mean.
Darüber hinaus packen Hagen und Thiele tonnenweise Zitate ein, die in ihrer Bandbreite von „Rocky“ über „Rambo“ bis hin zu „Jackie Brown“ reichen (ein „chicks with guns“-Video, das Leroy als Werbespot für seinen Laden vorführt, ist ein direkter Abkömmling des Videos, das Samuel L. Jackson zu Beginn des Tarantino-Opus zeigt), und völlig bescheuerte Ideen werden schamlos eingebaut und zelebriert (Abschussprämien für Ninjas? Grundgütiger, das ist… brillant! Wo doch sowieso alles besser mit Ninjas ist). Ähnlich wie der neulich besprochene Isle of the Damned ist sich auch „City Kill“ nicht zu schade, seinen Darstellern auf zehn Meter gegen den Wind als fakes erkennbare Bärte anzukleben oder Perücken auf den Dez zu tackern, um das gewünschte Retro-Feeling herbeizuzaubern (dafür wurde aber beachtlicher Aufwand bei den Kostümen getrieben).
Bei einer Laufzeit von satten 101 Minuten (im Vergleich zu den knappen 70, die sich „Deadly Nam“ genehmigte) konnte man befürchten, dass der Witz sich, ähnlich wie bei „Isle of the Damned“, tot läuft, aber weit gefehlt – bis auf zwei eher unnötig angetackerte „Bonusenden“ und einige kleinere Längen im Mitteldrittel verfügt „City Kill“ über solides Pacing – dem Film hilft im Vergleich zum in Bezug genommenen Kannibalenepos natürlich, dass der 80er-Actionkracher mehr Potential für parodistische Übersteigerung bietet, keine reine „one joke“-Geschichte ist, und Hagen/Thiele einfach mehr abgedrehte Einfälle einbauen als die Dire-Wit-Jungs; selbst Klischees wie die von PM erfolgreich zu Tode gerittene „nachdenkliche-nächtliche-Songmontage“ (beschallt von einem scheußlich-schönen „In the Air Tonight“-Klon, der sich sogar erdreistet, das Vorbild in den Lyrics zu zitieren) halten den Betrieb nicht auf, sondern zeigen vielmehr, dass man selbst aus den Teilen, die man bei den alten Heulern spätestens beim dritten Ankucken im schnellen Vorlauf weggedrückt hat, gewinnbringende Parodien basteln kann.
Filmtechnisch ist „City Kill“ für eine Do-it-yourself-Produktion aller Ehren wert – obwohl der Löwenanteil des Streifens in Hamburg und Umgebung gedreht wurde (und Autokennzeichnen, Schilder etc. dies auch offenlegen), hat man sich einen Location-Dreh in New York gegönnt und dort ein Rudel establishing shots fabriziert, die dem Streifen tatsächlich *scope* verleihen (und überhaupt besser integriert sind als z.B. in Pyuns doofer in Tschechien gedrehter Ghetto-Trilogie um Urban Menace). Die Production Values sind für einen Film dieses Kalibers beachtlich, es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Locations, die nicht improvisiert wirken (d.h. man filmt nicht in einem Wohnzimmer und tut so, als wäre das dann das Polizeirevier, wie es in [[Blood Angel II], der aber nun wirklich kein Budget hatte, von dem er wüsste, getan wurde), wie schon gesagt respektable Kostüme und ebensolche Props (was der Militaria-Laden halt so hergibt…). Neben der lustigen Sprücheklopferei liegt das Augenmerk natürlich auch auf Action – die shoot-outs haben durchaus annehmbares B-Niveau, die mano-a-mano-Gefechte sind sichtlich auf den Lacher hin inszeniert, und auch wenn Raoul Vasquez garstig foltert, ist immer noch Zeit für eine auflockernde ironische Brechung. Ein Achtungszeichen setzt auch eine nicht unkompetente Autoverfolgungsjagd, etwas, was man im Indie-Bereich nun wirklich selten sieht. Ein paar (zwei, genau gesagt) Splatter-/Gore-Effekte können sich Hagen und Thiele nicht verkneifen – hätte meinetwegen nicht sein müssen, wird aber auch jeweils für einen Gag verwendet.
Ein Sonderlob geht an den Score von Jan Glembotzki, der das Feeling eines 80er-Jahre-Actionkloppers perfekt einfängt, und einen ganz besonderen Anerkenntnispunkt verleihe ich an den richtig fetzigen Titelsong, der an so famose Gassenhauer wie „The Cobra Strikes“ (aus „American Ninja III“) erinnert.
Die Darsteller machen ihre Sache durchaus gut – Samuel Müller und Hendrik Thiele geben ein hübsch harmonierendes und zwerchfellmarterndes Buddy-Gespann ab, Hauke Hirsinger übertreibt als Vasquez so hemmungslos, dass ich schon fast an Helge Schneider denken musste, Sven Schönmann scheint den Polizeichef als Kojak-Parodie angelegt zu haben, in Gastauftritten finden sich Thilo Gosejohann (selbstredend als sein legendärer Charakter Jackson aus „Operation Dance Sensation“) sowie die Goreholios Michael Valentin und Heiko Schulz (Wie gedruckt… / Moloch) als korrupter Bürgermeister und sein Bodyguard. Aber auch Phillip Steinke als ultrapatriotischer Waffenhändler und Berit Reiss als Vasquez‘ nicht minder grausame Schwester und Geliebte sind nicht zu verachten – alle hatten sichtlich Spaß an ihren beknackten Rollen und das kommt rüber.
Bildqualität: Auch für „City Kill“ fanden Hagen und Thiele einen professionellen Vertrieb. starmedia hat sich der Scheibe angenommen. „City Kill“ kommt in anamorphem Widescreen (1.85:1). Die Bildqualität ist mittelprächtig, aber vermeidet weitestgehend, trotz qualitativer Schwankungen, den klassischen billigen shot-on-video-Look, das wirkt recht „kinematisch“. Schärfe und Kontrast bewegen sich im durchschnittlichen Bereich, die Kompression könnte besser sein. Mein Exemplar hat allerdings den Hau, dass sich der Film nach dem ersten Kapitel selbsttätig abschaltet, wählt man dann Kapitel 2 über die Kapitelauswahl, läuft der Restfilm klaglos durch
Tonqualität: Der deutsche Ton in Dolby Digital 2.0 ist nicht herausragend, aber klar verständlich, da man sich eine Nachsynchronisation gegönnt hat. Der Dialogton ist stellenweise etwas dumpf, dafür überzeugt der Musik- und FX-Mix.
Extras: Hier gibt’s einiges an Material – neben einem alternativen Ende (der eher… bizarren und reichlich terminalen Sorte) gibt’s Outtakes und B-Roll, ein hysterisch komisches „Videotestament“ von Raoul Vasquez in character, Impressionen vom New-York-Dreh, eine Bildergalerie und den Trailer. Solides Package.
Fazit: Schau an, schau an, „Deadly Nam“ war keine Eintagsfliege. Mit deutlich gesteigertem Aufwand und haufenweise enthusiastisch investiertem Herzblut erweist sich auch „City Kill“ wieder als heftig unterhaltsame Wundertüte – eine gleichermaßen liebevolle wie freche Parodie auf die reaktionäre, politisch unkorrekte 80er-Action, mit viel Verständnis für das Genre, wahnwitzigen Dialogen, satter Action, vorzüglichem Soundtrack, die eins klar macht… bei aller nostalgischen Verklärung, mit der man heutzutage „Die City Cobra“, „Invasion U.S.A.“, „Phantomkommando“ etc. begegnet, es waren wirklich wirklich doofe Filme, und „City Kill“ macht sich aus diesem Umstand einen Riesenspaß, den mal als Fan des Genres nicht versäumen sollte. Mein Wunsch für die Zukunft – wenn Hagen und Thiele es sich offensichtlich schon zur Aufgabe gesetzt haben, das deutsche Cannon des 21. Jahrhunderts zu werden, darf ich mir als nächstes einen Ninja-Film wünschen? Man wird ja mal fragen dürfen…
4/5
(c) 2009 Dr. Acula