Chained Girls

 
  • Original-Titel: Chained Girls
  •  
  • Regie: Joseph P. Mawra
  • Land: USA
  • Jahr: 1965
  • Darsteller:

    Joel Holt (Erzähler)


Vorwort

Ein dokumentarischer Einblick in die Subkultur der Lesben anno 1965 – was bedeutet Lesbianismus, wo kommt er her, was sind die Ursachen? Wie verhalten sich Lesben? Was ist der Unterschied zwischen einem „butch“ oder „dyke“ und einer „femme“? Welche Beziehungen führen sie? Wie lernen sie sich kennen? Und was läuft bei einer „coming out“-Party ab?


Inhalt

Wie wir alle wissen, waren die 60er eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs – was sich natürlich auch auf das Kino niederschlug. Wagemutige Produzenten begannen die Limitierungen der Zensur auszuloten und gelegentlich vorsichtig zu überschreiten. Aus den „nudie cuties“ wurden „roughies“, aus den „roughies“ sexploitation“ und der kurzlebige „Porno-Chic“ der frühen 70er.

Einer, der seiner Zeit ein gutes Stück voraus war, ohne je dafür die gebührende Anerkennung zu finden, war der kalifornische Selfmade-Produzent George Weiss, der seit 1948 mit Filmen wie „Test Tube Babies“ nicht gerade für Furore sorgte, aber die Tradition der früheren „roadshow pictures“ aufrecht erhielt, aber immer mit einem Auge auf die „Legitimierung“ seiner „Kunst“ schielte. So half er dann auch 1953 einem jungen Regisseur namens Ed Wood auf die Sprünge und ließ ihn bei „Glen or Glenda“ Regie führen – ein eigentlich als Exploitation-Film gedachter cash-in auf die gerade Schlagzeilen machende Geschlechtsumwandlung von Christine Jorgensen, die Eddie in ein herzzerreißendes Plädoyer für Toleranz gegenüber dem Transvestitentum umbaute.

Über eine Dekade später hatte Weiss sich künstlerisch immer noch nicht verbessert – immerhin hatte die Serie preiswert in jeweils drei-vier Tagen heruntergekurbelten „Olga“-Fetzer einigermaßen Kasse gemacht (und sich ein bis heute andauerndes cult following erspielt). Joseph P. Mawra, der Mann, der die vier Olga-Streifen inszenierte, bastelte für Weiss die „Dokumentation“ „Chained Girls“ zusammen, und wer sie ansieht, wird gewisse Ähnlichkeiten zu“ Glen or Glenda“ konstatieren können.

Zusammengepfriemelt aus völlig zusammenhanglosen stock-footage-Aufnahmen, die vor allem die ersten zehn-fünfzehn Minuten ausmachen, und hanebüchenen „Spielszenen“ (die aber vorsichtshalber komplett stumm geschossen wurden) versucht Mawra, seinem offensichtlich als total einblicksloser Außenseiter der Szene mehr oder weniger zusammenfantasierten Blödsinn als ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Materie zu verkaufen.

Ein omnipräsenter Erzähler quatscht daher alle Szenen mit einer Mischung aus schlicht erstunkenem Quark und dem damaligen Zeitgeist entlehnnte Fehleinschätzugen zu. Selbstverständlich ist Lesbianismus eine psychische Krankheit, die höchstwahrscheinlich auf ein schlechtes Verhältnis zum Vater zurückzuführen ist, selbstredend können lesbische Beziehungen nur im extremen Ausnahmefall länger als ein paar Tage oder Wochen andauern, natürlich ist jeder „dyke“ weniger nur maskuliner Teil der Beziehung sondern dominanter, besitzergreifender „Herr“ (da scheint Mawara BDSM- und lesbische Beziehungen in einen Topf zu werfen). Da führen „dykes“, die auf die gleiche „femme“ abfahren, von der „femme“ angefeuerte Kämpfe „oft bis zum Tod“. Diese wahnsinnigen Behauptungen werden ergänzt durch als bahnbrechende Erkenntnis verkaufte Platitüden, wonach Lesben sich Berufe suchen, in denen der Kontakt mit Frauen einfacher ist, College-Girls und Gefängnisinsassinnen überdurchschnittlich oft gleichgeschlechtlichen Sex haben oder in jeder größeren Gruppe von Frauen sich Lesben verbergen könnten (schockschwerenot!).

Den größten Teil des Films schlägt er mit der „coming out“-Party tot, in der eine „neue Lesbe“ – natürlich eine „femme“ – der örtlichen dyke-Versammlung vorgestellt, besoffen gemacht wird und sich dann einem Initiationsritus unterziehen muss. Das klingt irgendwie mehr nach Studentenverbindung… ich weiß nicht, ob sowas in Amerika anders funktioniert hier, aber von meinen hiesigen lesbischen Bekannten kenn ich sowas nicht.

Der andere Schwerpunkt, den Mawra inflationär setzt, ist die angebliche Unfähigkeit von Lesben zu langfristigen Beziehungen, selbst wenn sie in (meist von Schwulen) geleiteten Zeremonien „heiraten“.

Bemerkenswert dabei ist der Tonfall, den der Erzähler anschlägt. Der legt nämlich nicht etwa nahe, dass wir uns mit menschlichen Wesen befassen, sondern klingt durch die Band nach einer Tierdokumentation und der Erklärung der Verhaltensweisen eines Löwenrudels o.ä. Diese De-Humanisierung des „Untersuchungsobjekts“ ist vielleicht die bösartigste Facette des Films…

Was im Bild tatsächlich gezeigt wird, ist dann herzlich unspektakulär – die „Party“ besteht hauptsächlich aus beherztem Herumgesitze, das ach so grausame Initationsritual wird ausgespart, und wer nun auf explizite sexuelle Darstellungen hofft, wird wieder schwer enttäuscht, denn mehr als ein paar halbwegs attraktive Mädchen in Unterwäsche gibt’s nicht zu sehen (und der „bull dyke“, sowas wie der Endgegner im Lesbenland, geht mir schon allein durch die Pfeife auf die Nerven. Tut mir leid, aber Pfeife rauchende Frauen kann ich nich‘ ab, sexuelle Ausrichtung egal).

„Groß“ ist der pompöse Score, der jede gleichgeschlechtliche Berührung oder dezent fallen gelassene Bluse mit dem Äquivalent der Posaunen von Jericho beschallt, als wär’s mindestens der Untergang von Atlantis.

Die auf amazon prime rumschimmelnde Fassung ist zwar von Bild- und Tonqualität her ausgezeichnet, aber offensichtlich um einige der „faktenbasierteren“ dokumentarischen Parts gekürzt; deutlich bemerkbar, weil der Sprecher einige „schockierende“ Statistiken ankündigt, die im Print fehlen, aber durch Screenshots aus anderen Fassungen dokumentiert sind (eine vollständige Fassung findet sich vermutlich auf der Something-Weird-DVD).

Die ganze Nummer ist durchaus kurios genug, um mal einen Durchlauf zu verdienen, wenn man sich mit der Welt der roughies, Sex-Mondos und „Skandaldokus“ wie „Primitive London“ oder „Mysterien der Pornographie“ befasst, hat aber insgesamt nur sehr begrenzten Unterhaltungswert und wenig Rewatchability.

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 8

BIER-Skala: 3


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