Cargo (2009)

 
  • Deutscher Titel: Cargo
  • Original-Titel: Cargo
  •  
  • Regie: Ivan Engler, Ralph Etter
  • Land: Schweiz
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Anna Katharina Schwabroh (Laura Portmann), Martin Rapold (Samuel Decker), Regula Grauwiller (Anna Lindbergh), Yangzom Brauen (Miyuki Yoshida), Pierre Semmler (Pierre Lacroix), Claude-Oliver Rudolph (Igor Prokoff), Michael Finger (Claudio Vespucci), Gilles Tschudi (Klaus Bruckner), Marie Boettner (Arianne Portmann)


Vorwort

In einiger Zukunft ist die Erde aufgrund diverser ökologischer und militärischer Katastrophen weitgehend unbewohnbar, wer kann, drängt auf eine gigantische Raumstation im Erdorbit, und wer noch mehr kann, versucht, eines der raren Visa für die paradiesische Kolonistenwelt Rhea zu ergattern. Laura Portmann lässt sich der Kohle für ein Visum wegen darauf ein, als Krankenschwester einen mehrjährigen Routineraumflug mitzumachen, der überwiegend im Kälteschlaf absolviert werden soll. Weil Öko-Terroristen fortwährend Anschläge verüben, ist mit Samuel Decker auch ein „Sky Marshal“ an Bord.
Während Lauras Wachschicht gewinnt sie die Überzeugung, dass im riesigen Frachtraum ein blinder Passagier an Bord ist. Sie weckt den skeptischen Captain und den Sky Marshal – bei der Kontrolle des Frachtraums stürzt der Captain zu Tode. Tragischer Unglücksfall oder doch das Werk eines mörderischen Eindringlings? Während die Erste Offizierin Lindbergh das Kommando ergreift und über Lauras eigenmächtige Renitenz mindestens erbost ist, gewinnt Laura Decker als Verbündeten. Sie entdecken, dass in den Frachtcontainern Menschen im Kälteschlaf transportiert werden – Menschen, denen man neuronale Netzwerkzugänge gelegt hat…


Inhalt

Wer hat’s erfunden? Die Schweizer… blöde Witze mal außen vor gelassen, es ist schon recht bemerkenswert, dass das ziemlich ausgedünnte Feld seriöser Kino-Science fiction ausgerechnet von den Eidgenossen bestellt wird. Die meisten von uns würden auf Anhieb sicher keine drei Schweizer Kinofilme egal welchen Genres aufzählen können (bei mir würde es nach den „Nötzli“-Filmen schon glatt aufhören), so bedeutend ist die Filmindustrie aus dem Land der Käselocher und Tobleronenascher. Aber Ivan Engler und seine Mitstreiter hielten sich wohl an das bewährte Rezept „wenn’s kein anderer tut, muss man es am Ende eben selber machen“, kratzten irgendwie ein Budget von 4,5 Mio. Schweizer Franken zusammen (nicht gerade Kleingeld, aber sicher auch nicht der Etat, aus dem „Star Wars Teil IX“ gestrickt ist) und realisierten einen abendfüllenden Weltraumthriller, denn, jepp, „Cargo“ ist nicht nur ein „in-name-only“-SF-Film, der mit ein paar Gadgets und Dialogzeilen eine beliebige Story in einen utopischen Kontext setzt, sondern tatsächlich eine echte „space opera“ und dabei eine solche, der man ihre Herkunft aus der tiefsten filmischen Provinz und ihr im Vergleich zu Hollywoods Major-Liga verschwindend nichtiges Budget keine Sekunde lang ansieht.

Denn das darf ich mal vorausschicken – egal, ob’s um Kameraarbeit (von Ralph Baetschmann, der bis dato nur eine Geographie-Dokumentation gefilmt hat), Bauten (vom ebenso kaum erfahrenen Matthias Noger), Kostüme (von Rudolf Jost, ebenfalls Newcomer) oder die teilweise spektakulären visuellen Effekte (diese Orbitalstation… wow!) von Michael Scialpi (The Ring Thing) geht, das hat alles absolut internationales Format, das ist voll konkurrenzfähig, das muss sich vor niemandem verstecken. Große Klasse, das nötigt tiefempfundenen Respekt ab und beweist ein-, aus- und nachdrücklich, dass es eben DOCH geht, mit den beschränkten finanziellen Mitteln des europäischen (Independent-)Films (Ascot, die altehrwürdige Company von Erwin C. Dietrich, hat wohl den ein oder anderen Franken beigesteuert), Genrefilme hinzustellen, die vor den Anforderungen der jeweiligen Sujets nicht kampflos kapitulieren, sondern sie als Herausforderung annehmen und diese dann mit blendenden Resultaten bestehen.

Leider, und das tut mir in Herz und Seele irrsinnig weh, ist das aber so ungefähr ziemlich alles Lob, das ich über „Cargo“ ausschütten kann. Ich bin nun mal nur in begrenztem Maße durch technische Perfektion zu begeistern, originär bin ich ein Story-Freak und in der Abteilung hapert’s bei „Cargo“, trotz oder gerade wegen eines Rudels von nicht weniger als fünf Autoren, dann doch ziemlich vernehmlich. Was auf dem DVD-Waschzettel mit Verweisen auf „2001“ und Cube beworben wird und damit die Erwartung auf ein durchaus auch intellektstimulierendes SF-Vergnügen schürt, ist dann doch eine recht lieblose, arg vorhersehbare und quasi immer die naheliegendste Abzweigung nehmende Standardplotte, die sich, wenn man kurz und griffig formulieren will (was ich bekanntlich nie nicht tute) als „Imitatoren der Nostromo-Mannschaft merken, dass sie außerhalb der Matrix leben“ zusammenfassen lässt (‚tschuldigung, diese ganze „Rhea-ist-eine-Simulation“-Geschichte liegt so offen auf der Hand, dass sich erstens eine SPOILER-Warnung nicht lohnt und zweitens die Hauptfiguren ziemlich beschränkt wirken. Spätestens, wenn sie das Mädchen mit dem Netzwerkanschluss aus dem Container fischen UND auch noch merken, dass ihr Schiff Kurs auf „Rhea“ hält anstatt auf die Außenbasis, die sie angeblich ausbauen sollen, müsste selbst bei Didi Dödel der Groschen fallen). Ich behaupte nicht, dass das grundsätzlich eine schlechte Story-Idee ist (ganz im Gegentum, die Idee der „vorgetäuschten Kolonie“ ist sogar so gut, dass ich sie seit zehn Jahren als Aufhänger für ein potentielles Buch mit mir rumschleppe. Herzlichen Dank, Schweizer, jetzt kann ich die auch ablegen), nur tut das Script nicht wirklich irgendetwas aufregendes damit und da die Autorenschar praktisch keine überraschenden Wendungen (ich würde sogar un-überraschende nehmen) aus dem Hut zaubert, erweist sich die Laufzeit von fast zwei Stunden als mächtig lang für vergleichsweise wenig Story. Die referierten „Cube“-Bezüge erschöpfen sich darin, dass im Frachtraum des Raumschiffs Container automatisiert rumgeschoben werden und dadurch die dazwischen herumkrauchenden Crew-Mitglieder gefährden und von den philosophischen Aspekten eines „2001“ ist weit und breit nichts zu sehen. Es ist ein vergleichsweise simpler Thriller, der so tut, als wäre er wesentlich intelligenter als er wirklich ist (und das noch nicht mal sonderlich gut).

Was „Cargo“ dazu schwer bekömmlich macht, ist, dass es ein sehr kalter, sehr abweisender Film ist – natürlich schon allein von der einerseits sehr technisierten, andererseits aber eben auch nicht auf Ästhetik, sondern Funktionalität ausgerichteten Optik, aber auch von Dialogen und Charakteren her. Es ist nicht zu übersehen, dass Engler & Co. auf eine „Alien“-mäßige Atmosphäre abziehen, also eine der lakonischen, sparsamen Interaktion von hart arbeitenden „blue collar“-Typen, die in eine sie überfordernde Situation geschleudert werden, nur überzeugt dieesr Ansatz nicht. Was „Alien“ so gut funktionieren ließ, ist, dass jederzeit deutlich wurde, dass die „Nostromo“-Besatzung trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten ein ziemlich verschworener Haufen ist – unsere hiesige Crew hat dagegen nicht nur einen, sondern gleich zwei Fremdkörper, so dass diese „wortlose“ Kommunikation, die sich auch mal nur auf Gesten und Blicke beschränken kann, sich schlechterdings nicht in der gewünschten Form einstellen kann – immerhin: es ist durchaus logisch, dass mit Laura und Decker gerade die beiden „Neuen“ zueinander Vertrauen fassen und ja, dass die „Alten“ in der Crew den Neuen gegenüber ablehnend bis feindselig eingestellt sind, kommt rüber, es macht die Charaktere aber extrem unzugänglich, zumal auch Laura und Decker nicht gerade Wonneproppen und Ausbünde der überschwänglichen Sympathie sind (auch der Kunstgriff, eine Narration zu konstruieren, in dem Laura an ihre Schwester auf Rhea Videobotschaften schickt, die sich zu einem ähnlich vorhersehbaren Plotpunkt entwickeln wie die ganze Rhea-Simulations-Kiste an sich, hilft nicht wirklich, ihr eine echte Persönlichkeit zu verleihen). Es spricht, das möchte ich noch einmal betonen, nichts gegen eher abweisende Figuren, sterile Optik und knappe Dialoge, allerdings möchte ich das nicht alles in einem Gesamtpaket haben, speziell, wenn die Story an sich nicht sonderlich packend ist (weil ihre Geheimnisse klar und offen auf dem Tisch liegen, ohne dass der Film es merkt). Das „Cargo“-Gesamtpaket ist einfach kalt, abweisend, wenig involvierend und langatmig – nicht die beste Kombination für einen Unterhaltungsfilm (und „Cargo“ setzt sich ja erfreulicherweise keine „das-ist-jetzt-Kunst-verdammt“-Baskenmütze auf), erst recht, wenn die moralischen (ist das „Leben“ in der Simulation nicht für die Betreffenden das beste? Immerhin holen die hiesigen Helden die „Schläfer“ nicht aus ihrer Matrix, spielen somit nur „halb“ Gott im Vergleich zu Neo und seinen „Zion“-isten) und politischen (es gibt Öko-Terroristen, die „Maschinenstürmer“, die die Abhängigkeit der Menschen von der Technik beenden wollen und herausgefunden haben, dass die angeblich verseuchte Erde wieder bewohnbar ist) Aspekte nur schwach beleuchtet werden und dadurch nicht wirklich zusätzlicher Tiefsinn ins Prozedere kommt.

Zusammenfaselnd kann man feststellen, dass „Cargo“ unter einem altbekannten Symptom leidet – seine enthusiastischen Macher sind ein wenig zu dicht dran an ihrem Einfall, da fehlt ein wenig die ordnende Hand eines erfahrenen Produzenten, der da eine Straffung durchsetzt, dort eine Actionszene mehr verlangt und ein wenig die Selbstverliebtheit in die zugegeben beeindruckende Optik bremst (und vielleicht einen zweiten, dritten oder zwölften Script-Draft fordert).

Womöglich hätte es aber auch „schon“ gereicht, einen externen Regisseur mit mehr Erfahrung ans Ruder zu lassen – der hätte dann vielleicht auch aus den Schauspielern mehr rausgeholt. Anna-Katharina Schwabroh (in einem „Tatort“ aufgetreten) ist mir als zentrale Figur zu entrückt, zu distanziert und vielleicht auch ein wenig zu verblüfft von ihrer eigenen Rolle, glaubwürdig ist sie in keiner Sekunde (schon gar nicht ihr Turn zur engagierten „Kämpferin“ gegen das Unrecht), Martin Rapold („Mit Herz und Handschellen“) fährt als Decker schon besser – zugegeben, seine Rolle ist von Haus aus etwas interessanter, er wirkt aber auch deutlich engagierter als Schwabroh.
Regula Grauwiller soll die Lindbergh sicherlich kaltherzig und abweisend spielen, es ist mir aber etwas zu eindimensional-automatenhaft, was sie abliefert. Yangzom Brauen hat quasi nichts zu tun, TV-Routinier Pierre Semmler hat bis zu seinem Abgang auch wenig zu spielen, und was die Herrschaften sich dabei gedacht haben, den vermutlich größten Namen im Cast, Claude-Oliver Rudolph („Die Welt ist nicht genug“) in einer fast dialogfreien Nebenrolle zu verschwenden, wird ihr Geheimnis bleiben (aber vielleicht ist Rudolphs Auftritt auch eine Gefälligkeitsnummer). Michael Finger ist zumindest recht lebhaft.

Bild: Die Ascot-DVD präsentiert den Film in wunderbarem, auch auf großem Flatscreen voll überzeugenden 2.35:1-Widescreen (anamorph), was besonders die visual-FX-Sequenzen bestens zur Geltung kommen lässt.

Ton: Deutscher Ton in Dolby 5.1 und 2.0. Kein Grund zur Klage, sehr differenziert und durchaus laut und dynamisch, wenn’s sein muss.

Extras: Trailer und Bildergalerie. Etwas mager, liegt aber natürlich mal wieder nur daran, dass ich Vollhonk mir die Single-DVD-Fassung hab aufschwatzen lassen, obwohl’s für drei Euro mehr eine entsprechend ausgestattete Doppeldisc-Edition gibt.

Fazit: „Cargo“ ist ein hochambitionierter Versuch, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln einen großen SF-Film Made in Europe zu stemmen. Technisch, da gibt’s kein Vertun, ist dieser Versuch hochgradig erfolgreich, nur leider haben Ivan Engler und seine Mitstreiter vergessen, den passenden Inhalt hinzuzimmern – letzten Endes ist „Cargo“ der bei aller technischen Perfektion doch ermüdende Versuch, das Äquivalent einer 20-seitigen SF-Kurzgeschichte auf zwei Stunden aufzublähen. Ich respektiere in aller Form die handwerklichen und technischen Leistungen, aber beim nächsten Anlauf (den’s hoffentlich bald gibt), bitte ich doch um deutlich mehr Story-Kreativität. Dann kann’s mit amtlicher SF aus Europa doch noch hinhauen.

2/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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