Cargo (2006)

 
  • Deutscher Titel: Cargo
  • Original-Titel: Cargo
  •  
  • Regie: Clive Gordon
  • Land: Spanien/Großbritannien/Schweden
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    Peter Mullen (Brookes), Daniel Brühl (Chris), Luis Tosar (Baptist), Samuli Edelmann (Rhombus), Gary Lewis (Herman), Nikki Amuka-Bird (Subira), Ricky Grover (Elvis), Koen Balcan (Spike), Christopher Fairbank (Ralph), Carlos Blanco (Sasha), Louis Soaxe (Orlando)


Vorwort

Das Schicksal meint’s nicht gut mit dem deutschen Backpacker Chris – chronisch abgebrannt geht ihm in Nordafrika bei einer (vermeidbaren) Konfrontation mit der Polizei der Pass und damit die Mögilchkeit zur legalen Ausreise (die er sich eh nicht leisten könnte) verloren. In einer Hafenkneipe hängt er sich an eine Gruppe eher rustikaler Seeleute und schleicht sich heimlich als blinder Passagier an Bord ihres Schiffes, dem rostigen Seelenverkäufer „Gull“. Die „Gull“ und ihre Crew sind offenbar in zwielichte Geschäfte (wie den Export exotischer Vögel nach Europa) verwickelt. Relativ schnell wird Chris entdeckt – zum sichtlichen Unwillen der Crew gestattet Captain Brookes Chris, die Passage „abzuarbeiten“. Die Mannschaft, eine verschworene Truppe aus seltsamen Gestalten, begegnet Chris mit unverhohlener Feindseligkeit. Ersten Respekt verdient er sich zumindest beim Captain, als er dem durchgeknallten Herman (der nackt auf den Mast geklettert ist) gegen den Hohn und Spott der Kameraden beisteht, aber ihm wird auch rasch klar, dass die Mannschaft ein düsteres Geheimnis hütet. Nicht einmal Koch Baptist, einziger Seeman, der Chris gegenüber einen Anflug von Freundlichkeit entgegenbringt, lässt sich hierzu Einzelheiten aus der Nase ziehen. Als weitere blinde Passagiere, Afrikaner, die illegal nach Europa reisen wollen, entdeckt werden und die Besatzung sie schlicht und ergreifend über Bord wirft, beginnt sich das Geheimnis aufzudröseln – weil die Crew ihres früheren Schiffs verlustig ging, da sie die Liege- und Strafgebühren, die aufgrund der Ermittlungen über illegale Immigranten anfielen, nicht bezahlen konnte, haben sie einen Pakt geschlossen und der heißt – jeder entdeckte Afrikaner geht unbürokratisch über die Planke. Die Lage wird heikel, als Chris entdeckt, dass sich auch nach dieser Aktion immer noch ein junges afrikanisches Pärchen im Laderaum versteckt hält – und gleichzeitig *jemand* die Crew dezimiert. Chris versucht, unauffällig den Afrikanern zu helfen, doch früher oder später werden sie entdeckt werden und dann wird Chris sich entscheiden müssen, ob er sich gegen die Mannschaft der „Gull“ stellt – mit allen Konsequenzen…


Inhalt

„Cargo“, dies vorausgeschickt, ist eines nicht – ein „feel-good-movie“. Inspiriert von tatsächlichen Ereignissen (das Überbordwerfen von illegalen Immigranten ist, wegen der Strafen, die Seeleute ereilt, die solche blinden Passagiere pflichtschuldigst in einem europäischen Hafen abliefern, in der Tat eine bekannte Praxis weniger menschenfreundlicher Kapitäne) schufen Drehbuchautor Paul Laverty („Bread and Roses“ von Ken Loach) und Regisseur Clive Gordon, ein anerkannter Dokumentarfilmer, der sich mit Werken über den russischen Einmarsch in Tschetschenien oder den Balkankrieg einen Namen machte, einen düsteren, beklemmenden Thriller, der einerseits ein heikles politisches Thema anpackt, andererseits aber noch stärker am Drama um Schuld und Erlösung interessiert ist (was insofern nicht verkehrt ist, da ansonsten wohl ein herzlich gut gemeinter, aber unansehbarer Betroffenheitsfilm wie Michael Winterbottoms halbdokumentarischer In this World ‚bei rausgekommen wäre).

Gordons Herkunft als Dokumentarfilmer ist es sicherlich zu verdanken, dass die von Laverty ins ursprüngliche Drehbuch geschriebenen surrealen Elemente, die der Story einen übernatürlichen, fantastischen Touch verliehen hätten, ersatzlos gestrichen wurden. Man kann sicherlich diskutieren, was für den Film an sich besser ist/gewesen wäre – dass Gordon die realistische Schiene fährt, lässt natürlich die politischen und gesellschaftlichen Implikationen der europäischen Einwanderungs- bzw. Einwanderungsverhinderungspolitik stärker hervortreten und macht sowohl das moralische Dilemma, dem Chris sich ausgesetzt fühlt, als auch den Konflikt des Kapitäns Brookes greifbarer und kraftvoller; auf der Kehrseite allerdings, das lässt sich nicht vermeiden, ist das rein „weltliche“ Geheimnis der „Gull“ vergleichsweise schnell gelüftet, filmisch etwas unergiebig (sobald die Katze aus dem Sack ist, wissen wir, wohin der Hase laufen wird… eh, biologisch ist das jetzt ein eher zweifelhafter Satz), und, nicht zu vernachlässigen, es sorgt dafür, dass eine zentrale Frage, die sich zumindest der Zuschauer stellen *muss*, unbeantwortet bleibt (SPOILER: nämlich, wer schließlich und endlich das geheimnisvolle Verschwinden der Crewleute zuständig ist).

Wie gesagt – Gordon ist weniger das Mystery an sich wichtig, sondern einerseits ein realistischer, „halbdokumentarischer“ Ansatz der Darstellung des Zusammenlebens auf einem baufälligen Frachtkutter, andererseits, und das ist die eigentliche Herzensangelegenheit des Films, eine wohl nicht von ungefähr neutestamentarisch-christliche Schuld-und-Erlösung-Allegorie, in der Chris (was ja von „Christ“ nicht weit entfernt ist) die Rolle des von außerhalb der Zweck- und Zwangsgemeinschaft der „Gull“-Crew kommenden Erlösers übernimmt (und nein, das muss man nicht mal reininterpretieren, das ist offensichtlich – schließlich hat man einen Charakter namens „Baptist“, ergo „der Täufer“, der Chris’ einziger „Vertrauter“ an Bord ist). Ein interessanter Ansatzpunkt ist sicherlich, dass auch die vermeintlich positiven Charaktere (so viele davon gibt’s ja eh nicht) „Schuld“ auf sich laden und (beinahe) jeder dafür einen Preis zu zahlen hat; allerdings ist ein Problem des Scripts, dass seine Figuren trotz dieser gewollten Ambivalenz insgesamt eher eindimensional und wenig zugänglich wirken (auch die positiven Figuren wie Chris, der sich ja mit einem Diebstahl einführt).

Die Story an sich entwickelt sich über weite Strecken hinweg aus der (aber nicht eben viele Möglichkeiten offen lassenden) Prämisse schlüssig, lediglich der Schlussakt wirkt, wie so oft, etwas gedrängt. Auch wenn für die Figur des Brookes im Verlauf der Geschichte immer wieder „Vorarbeit“ geleistet wird, die seine Reaktion am Filmende verständlich machen sollen, scheint trotzdem ein Bruch in der Figur zu liegen, der es schwer fallen lässt, diese Reaktion glaubhaft zu machen (obschon sich Peter Mullen alle Mühe gibt). Das Ende selbst kommt mir persönlich zu gewollt poetisch-versöhnlich daher und beißt sich für meine Begriffe mit dem „realistischen“ Anspruch des Regisseurs.

Die filmische Umsetzung durch Gordon kann man als durchaus gelungen betrachten. Der Produktion kommt – ganz im Sinne der gewünschten Realitätsnähe – außerordentlich zugute, dass an Bord eines echten, heruntergekommenen (und eigentlich stillgelegten) Frachtschiffs gefilmt wurde, die eigentümliche Atmosphäre also wirklich authentisch wirkt und nicht „aber es ist doch nur im Studio“ schreit (und überdies gebührt der Filmcrew Respekt, dass sie mit dem Seelenverkäufer tatsächlich für einige Tage in See stach). Kameraführung und Schnitt sind auf absolut international konkurrenzfähigem Niveau, wobei Gordon und sein D.O.P. Sean Bobbitt auf gefühlskalte, abweisende Bilder setzen (im dunklen Frachtraum liegt das in der Natur der Sache, aber auch die Tageslichtaufnahmen und Interiors sind kühl und wirken distanziert). Das Tempo ist der Geschichte angemessen gemäßigt, störend fallen allerdings (zumindest mir, der dieses Stilmittel relativ satt hat) Klischees wie „an der Kamera vorbeihuschende Schatten“ auf (zumal die mir nicht unbedingt durch die Story gedeckt erscheinen, sondern eher wie Überbleibsel aus der ursprünglichen übernatürlicheren Drehbuchfassung wirken).

Nicht übel (aber speziell in seinen incidental cues übertrieben LAUT) ist der Score von Stephen Warbeck (De Zaak Alzheimer, „Billy Elliott“, „Corellis Mandoline“).

Auf der Darstellerseite kann sich der geneigte Zuschauer nicht grämen – einer europäischen Co-Produktion angemessen amtieren patente Schauspieler aus allen Ecken des Kontinents. Den zerrissenen Kapitän Brooks spielt der Brite Peter Mullen („Trainspotting“, Young Adam, „Children of Men“) vielleicht schon etwas zu distanziert und zurückhaltend, sein finaler Gefühlsausbruch, auch wenn er mir, wie gesagt, nicht unbedingt vom Script gedeckt scheint, erzielt Wirkung. Daniel Brühl („Good Bye Lenin!“, „Die fetten Jahre sind vorbei“) überzeugt in der Rolle des Chris (auch wenn sie dick aufträgt, die Rolle jetzt, nicht das Schauspiel) und bestätigt den Eindruck, eines der hoffnungsvollsten deutschen Talente zu sein, das des öfteren besser ist als das Material, das es zu spielen gilt. Der Spanier Luis Tosar („One Day in Europe“, „Miami Vice“), der extra für die Rolle des Baptist Englisch lernte, liefert eine eindrucksvolle Vorstellung ab. Die weiteren Darsteller haben nur vereinzelt Möglichkeit, sich auszuzeichnen – Samuli Edelmann, hauptberuflich finnischer Musiker, der auch schon am Eurovision Song Contest teilnehmen wollte, allerdings in der nationalen Vorentscheidung hängen blieb, ist ’ne ordentliche physische Präsenz (und darf im Frachtraum nackt onanieren… inkl. full frontal), Gary Lewis („Gangs of New York“, „Billy Elliot – I Will Dance“) hat als durchgeknallter Herman einige prägnante Szenen (und auch eine Nacktszene…). Christopher Fairbank kann man u.a. in der Fußballtrilogie „Goal!“ oder in „The Bunker“ sehen, der Bodybuilder Koen Balcaen, der Comedian Ricky Grover („Revolver“) und einige spanische Nasen komplettieren die – größtenteils recht eindimensional gezeichnete – Mannschaft. Nikki Amuka-Bird, die eine afrikanische Emigrantin spielt, war auch im 2006er-„Omen“-Remake mit von der Partie.

Bildqualität: Legend Home Entertainment legt „Cargo“ in einem (nicht sonderlich attraktiven) Steelbook vor. Die Bildqualität ist ausgezeichnet, der anamorphe Widescreen-Transfer bringt die unterkühlte, düstere Stimmung des Films gut zur Geltung und kommt ohne Störungen oder Verschmutzungen aus. Schärfe-, Kontrast- und Kompressionswerte sind im überdurchschnittlichen Bereich angesiedelt.

Tonqualität: Der Konsument kann zwischen deutschem Synchron- und englischem O-Ton in Dolby Digital 5.1 wählen, deutsche Sprache wird zusätzlich im dts-Format angeboten. Die Dolby-Tonspuren können durchaus überzeugen, was Klangqualität und Rauschfreiheit angeht, allerdings ist für meinen Geschmack die Musik deutlich zu laut eingemischt (es empfiehlt sich, den Finger auf der Volume-Taste der Fernbedienung ruhen zu lassen).

Extras: Auf der Disc selbst finden sich ein Making-of, eine Fotogalerie, der englische und der deutsche Trailer sowie eine Trailershow. Bemerkenswert ist das schön gestaltete und ausführliche Booklet mit vielen Informationen über Film, Drehbuch und Hauptdarsteller. Lobenswert.

Fazit: „Cargo“ bietet dem geneigten Zuschauer sicherlich keine atemlose Hochspannung, aber ein schick gefilmtes, gelegentlich anrührendes Psychodrama mit Thriller-Elementen und kaum verhüllten religiösen Untertönen. Ein-zwei Plotholes, die aus der heftigen Umschreibung vom Suspense-Thriller zum Drama hin resultieren können, hätte man sicherlich mit etwas gutem Willen noch zunähen können, aber von der filmtechnischen und schauspielerischen Seite kann der Streifen alle Mal überzeugen. Wer einen horriblen Hochsee-Mysterythriller wartet, liegt hier falsch, aber als moralisches Drama mit leichtem politischen/sozialkritischen Kommentar kann „Cargo“ punkten. Und wenn alle Stricke reißen, ist’s immer noch ein mehr als passabler Showcase für die darstellerischen Fähigkeiten von Daniel Brühl.

3/5
(c) 2008 Dr. Acula


mm
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