- Deutscher Titel: Captivity
- Original-Titel: Captivity
- Regie: Roland Joffe
- Land: USA/Russland
- Jahr: 2007
- Darsteller:
Elisha Cuthbert (Jennifer Tree), Daniel Gillies (Gary Dexter), Pruitt Taylor Vince (Ben Dexter), Michael Harney (Bettiger), Laz Alonso (Di Santos), Chrysta Olson (Mary)
Vorwort
Trotz Reichtums und Berühmtheit lebt Supermodel/Schauspielerin/Werbeikone Jennifer Tree ein eher freud- und liebloses Dasein zwischen Luxuswohnung, Fotoshootings und hohlen VIP-Partys. Nach einer solchen Party allerdings wird sie gekidnappt und kommt in einem Kellerverlies wieder zu sich. Ihr Entführer hat es offensichtlich auf Psycho-Spielchen abgesehen, zeigt ihr Bilder von Folterungen früherer Opfer und simuliert diese auch bei ihr. Gerade, als sie an der Isolation zu zerbrechen droht, entdeckt sie, dass in einem weiteren Verlies neben dem ihren ein junger Mann, Gary, gefangengehalten wird. Es gelingt den beiden, miteinander zu kommunizieren, aber der Entführer nutzt die entstehende Vertrautheit aus. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch fängt sich Gary heldenmütig die Jennifer zugedachte Bestrafungs-Folter ein. Zum Ausgleich dürfen die Gekidnappten ein gemeinsames Gefängnis bewohnen – man kommt sich erwartungsgemäß näher…
SPOILER SPOILER SPOILER
Nach vollzogenem Sexualakt wird Jennifer betäubt und – Gary lässt sich selbst aus dem Gefängnis aus. Hinter der Entführung stecken nämlich er und sein Bruder Ben, die dieses Spielchen schon mehrmals betrieben haben. Nur ist Gary überzeugt, dass Jennifer „die Richtige“ wäre, mit der er sich durchaus ein längeres Zusammenleben vorstellen könnte. Ben gefällt das ganz und gar nicht, so dass Gary nichts anderes übrig bleibt, als ihn zu killen – justament Minuten, bevor die Polizei eintrifft und Ben ein paar unbequeme Fragen stellen will…
Inhalt
Oh weh, NOCH ein Folterporno? Ich meine, hatten wir davon jetzt nicht auch langsam wieder genug? Eigentlich schon, aber zwei Namen machen Hoffnung, dass man es hier nicht mit einem beliebigen „Hostel“-Abklatsch, der nur davon lebt, diverse widerwärtige Foltereinlagen aneinanderzureihen, zu tun hat, sondern mit einem doch eher ernsthaft angelegten Horrorthriller – zum einen ist der Drehbuchautor Larry Cohen, ein Veteran des Genres, der einiges an B-Semiklassikern wie „The Stuff“, „God Told Me To“, „It’s Alive“ oder „Maniac Cop“ (aber auch „Rückkehr nach Salem’s Lot“) zu verantworten hat und in den letzten Jahren mit kleinen, aber feinen Hochspannungsfetzern wie „Final Call“ und „Phone Booth“ ein Comeback in der A-Liga feiern durfte; zum anderen sitzt auf dem Regiestuhl mit Roland Joffé („The Mission“, „Killing Fields“) jemand, der nicht gerade als selbstzweckhafter Splatterpapst bekannt ist (allerdings auch den furchtbaren „Der scharlachrote Buchstabe“ mit Demi Moore auf dem Konto hat). Was kann also schiefgehen?
Antwort: natürlich so einiges. Joffé plante „Captivity“ als konsequenten Gegenentwurf zum „Hostel“- und „Saw“-Gedöns und inszenierte den Film als straighten psychologischen Thriller ohne jegliche spekulative Splatterexzesse. So wurde die in Moskau (!) gedrehte US-russische Ko-Produktion testhalber auf den spanischen und britischen Markt losgelassen und floppte erbarmungslos. Grund genug (so wird’s zumindest kolportiert) für die US-Produzenten gepflegt Panik zu schieben, Joffé quasi noch nachträglich zu feuern und den Film komplett umzuarbeiten: Polizeiermittlung raus, nachgedrehter Gore rein. Deswegen wurde der Film in den USA zwar auch ein Reinfall, aber man kann ja versuchen, mit einer „unrated“-Fassung auf dem DVD-Markt noch ein paar Dollar dazuzuverdienen… (sicherheitshalber noch mal eine SPOILER-Warnung, der Film ist nicht wirklich zu analysieren, ohne auf wichtige Plottwists und Storyentwicklungen einzugehen).
Lustigerweise schafft selbst der Einbau diverser Folter- und Gore-Elemente es nicht zu übertünchen, dass „Captivity“ schlicht und ergreifend ein psychologischer Thriller *ist*, dem es auch in der neuen Fassung nicht primär darum geht, armen hilflosen Opfern bei lebendigem Leib Organe zu entnehmen o.ä., sondern dass „mind games“ gespielt werden, es hauptsächlich darum geht, Jennifers Verstand und nicht ihren Körper zu schädigen und zu manipulieren (konsequent wird daher der Hauptfigur selbst kein Haar gekrümmt); die Änderungen „beschränken“ sich neben der Entfernung von als langweilig eingestuften Polizeiermittlungen auf graphische Darstellung der Folterung früherer Opfer der Kidnapper, eine (vermutlich vorgetäuschte) Folterung Garys, eine perfide Szene rund um Jennifers Schosshündchen, erläuternd gedachte (und doch eher verwirrende) Flashbacks in die Vergangenheit des fiesen Bruderpaars und (ausnehmend dämlich) die Umpositionierung des eigentlich als Twist-Ende gedachten Schlusses als Teaser-Sequenz an den Anfang. Es ist also nicht wirklich, wie von manch einem behauptet, ein komplett „anderer“ Film, nur halt einer mit anderer Gewichtung, da anstelle der reinen Psycho-Folter durch die nunmehr offen angedrohten und ausgesprochenen körperlichen Qualen zusätzlicher, aber eben auch plaktiverer Druck aufgebaut wird. Das funktioniert allen Unkenrufen zum Trotz für gut 50 Minuten sogar ziemlich gut – dann allerdings nimmt „Captivity“ den ersten gesetzlich vorgeschriebenen Plottwist und entscheidet sich mit eiskalter Präzision natürlich für den offensichtlichsten, nämlich den, den sicherlich JEDER sofort in dem Moment im Kopf hatte, als mit Gary der zweite Gefangene eingeführt wird. Zugegeben – für einige wenige Minuten hielt ich es tatsächlich für möglich, dass „Captivity“ diese Kurve mit einer anderen (im Zweifelsfall nicht minder tumben, aber wenigstens nicht ganz so qualvoll vorhersehbaren) Drehung kratzt, aber schließlich und endlich ist es dann halt doch die „der-vermeintliche-Freund-ist-ein-Komplize“-Karte, die ausgespielt wird und damit darf man heutzutage halt eigentlich nicht mehr kommen. Folgerichtig ächzt und knarzt das Storykonstrukt im Schlussakt dann an allen Ecken und Enden, muss so manches althergebrachte Psychokiller-Klischee aufwärmen (inklusive wieder „auferstehender“ vermeintlch Toter, was sogar zweimal bemüht wird) und schafft’s so einfach nicht, die Plotte zu einem wirklich befriedigenden Abschluss zu bringen (zur Ehrenrettung der „Neufassung“ sei allerdings gesagt, dass das nunmehr gewählte Ende deutlich besser ist als das ursprünglich vorgesehene, in dem (superextremSPOILER) Jennifer in die Fußstapfen ihrer Entführer getreten wäre und nun ihrerseits als düsterer Racheengel dem Gesetz durch die Lappen gegangene Verbrecher zu Tode foltert (superextremSPOILER Ende).
Über grundsätzliche logische Probleme (wie zur Hölle finanzieren unsere Bösburschen, die gerade mal einen etwas besseren Partyservice betreiben, einen vollelektronisch gesteuerten Folterkeller, der schätzungsweise etliche zigtausend Dollar gekostet haben muss?) empfiehlt es sich großzügig hinwegzusehen (musste man beim ersten „Saw“ ja angeblich auch, und nein, ich glaube keinen Meter Feldweg weit, dass das Ding von Anfang an als x-teiliger „ganzer“ Film geplant war. Ganz genau wie bei „Matrix“) – außer natürlich bei dem Haken, der mir den Film beinahe im Alleingang verleidet hätte (superduperSPOILERwarnung): die Flashback-Sequenzen, in denen gezeigt wird, dass einer der beiden Brüder, beobachtet vom anderen, im zarten Kindesalter die eigene Mutter gemeuchelt hat, gibt es im Film *als* Film. Wer zur Hölle hat das gedreht? Ihr Vater? Und wenn ja, warum? (superduperSPOILER Ende).
Recht gelungen ist die Charakterisierung der Hauptfigur, also Jennifer, die deutlich erkennbar an Paris Hilton angelegt ist – ein attraktives Ding, das offensichtlich „famous for being famous“ ist, aber, wie – vermutlich – die echte Hilton auch, keine echten Freunde hat, kein wirkliches *Leben* und daher schon von Haus aus anfällig für die Zuwendung eines vermeintlichen Leidensgenossens ist (ich glaube auch nicht, dass es reiner Zufall ist, wenn manche „Aufnahmen“ Jennifers in ihrer Gefangenschaft den einen „Nachtsicht“-Filtereffekt verwenden, wie man ihn aus „One Night in Paris“ kennen könnte, täte man adult entertainment ansehen…). Wenn man, um vorzugreifen, Cuthberts darstellerische Leistung kritisiert, ist man eigentlich nicht fair, da sie hier jemanden spielen SOLL, der oberflächlich, nicht sonderlich helle, leicht zu beeinflussen und die psychologische Tiefe einer Butterstulle aufweisend ist. Mit einem „stärkeren“ Charakter in dieser Rolle würde das alles nicht ganz so „einfach“ hinhauen. Die Antagonisten fahren weniger gut, sind „evil for evil’s sake“ (in der Urfassung muss Joffé mehr oder weniger überhaupt keine Motivation für die Entführer angeboten haben, weswegen die erwähnten Flashbacks eingebaut wurden), vor allen Dingen wird in keiner Sekunde deutlich oder gar glaubhaft, warum Gary nun auf einmal so vernarrt in Jennifer ist, dass er die jahrelange brüderliche Gemeinsamkeit mit einem gezielten Messerstich aufzugeben bereit ist.
Die Regiearbeit ist bei einem Patchwork-Job wie diesem nicht fair zu beurteilen – es ist klar, dass „Captivity“ in der vorliegenden Form ganz sicher nicht das ist, was Joffé im Sinn hatte, allerdings wirkt der Streifen trotz der Nacharbeiten (die, so heißt es, von Produzent Courtney Solomon, der als Regisseur „Dungeons & Dragons“ und „An American Haunting“ auf dem Kerbholz hat, persönlich vorgenommen wurden) recht rund und einheitlich. Die Kameraarbeit von Daniel Pearl (der lustigerweise sowohl Original als auch Remake von „Texas Chainsaw Massacre“ fotografierte, ansonsten u.a. auch für „Pathfinder“, AVPR: Aliens vs Predator – Requiem und das „Friday the 13th“-Remake zuständig war) ist sehr gefällig, düster und profitiert von den ausgezeichneten Bauten des bislang nur für russische Produktionen tätigen Addis Gadzhiyev. Bei der knappen Laufzeit von ca. 77 Minuten ohne Abspann wird das Tempo, obwohl die psychologische (und damit charakterbezogene) Seite nicht völlig vernachlässigt wird, trotz eines neuen Prologs (die Urfassung stieg direkt mit der Entführung ein) hochgehalten und bis zum wie bereits geschildert klischeehaften und unglaubwürdigen Schlussakt ist der Streifen sogar recht intensiv und ziemlich spannend, wozu auch der hektische, aber durchaus passende Score von Marco Beltrami („Scream“, „Terminator 3“, Hellboy, „I, Robot“) beiträgt.
Ungeachtet der Nachdrehs ist „Captivity“ auch in seiner nunmehr „ungeschnittenen“ Glorie keine bluttriefende Schlachtplatte. Die abgefeimten Gore-Schübe werden dosiert als Schocker und nicht nur als reine Masturbationsvorlagen für geistig Arme eingesetzt. Am drastischten ist eine „Säuredusche“, die einem vormaligen Opfer der Entführer angediehen wird und als „Film-im-Film“-Flashback gezeigt wird, am köperlich schmerzhaftesten ist, wie so oft, eine Szene, die mit der gewaltsamen Entfernung von Kauwerkzeugen zu tun hat, dazu gesellt sich Grausamkeit gegen kleine Hunde (d.h. gegen einen), ein Messerstich und ein paar Erschießungen (plus eine allerdings wirklich magenumdrehende Szene, über die ich mich an dieser Stelle aus purer Bosheit ausschweige). Sicherlich keine leichte Kost, aber auch nicht mit den Exzessen eines Eli Roth zu vergleichen, weswegen vermutlich die düstere Gesamtstimmung und die obligate Selbstjustiz im Schlussakt die FSK-Freigabe entscheidend sabotierten. Abgesehen von einer extrem weichgezeichneten Kleiderwechsel-Szene bleibt der Streifen übrigens, was nackte Tatsachen angeht, züchtig und anständig, wie es sich eines US-Mainstream-Films geziemt.
Zu den Darstellern – ich habe schon angedeutet, dass ich es nicht für fair halte, Elisha Cuthbert („Tatsächlich Liebe“, „House of Wax“, „24“), die sicherlich nicht die größte lebende Schauspielerin ist, ob ihrer gezeigten Kunst zu kritisieren. Ich denke vielmehr, dass sie über ihre weite Strecken die naive, leicht hinters Licht zu führende und auszunutzende socialite auf den Punkt bringt. Im Schlussakt muss auch sie sich den Genreklischees ergeben. Daniel Gillies (Spider-Man 2) ist im Mittelakt durchaus überzeugend, wird im Finale aber auch vom Drehbuch im Stich gelassen und kann letztlich keine echten erinnerungswürdigen Akzente setzen. Pruitt Taylor Vince („Identität“, „Constantine“, „Deadwood“) hat eineinhalb Szenen und kann sich in selbigen nicht in ebenjene setzen (äh).
Bildqualität: „Captivity“ wird hierzulande, wie schon ganz oben angedeutet, in zwei Fassungen vertrieben – einer FSK-freigegebene gekürzte Version und der ungeschnittenen (US)-Fassung mit SPIO/JK-Siegel. Die Bildqualität des anamorphen 2.35:1-Transfers ist schlicht und ergreifend perfekt und bietet keinerlei Anlass für auch nur geringste Kritik.
Tonqualität: Englischer O-Ton in Dolby 5.1 sowie (gut gelungene) deutsche Synchronfassung in Dolby 5.1 und dts stehen zur Auswahl. Allen Tonspuren ist gemein, dass in treuer moderner Horror-„Tradition“ der Dialogton deutlich zu leise bzw. die Musik und Soundeffekte deutlich zu laut sind – bis man da lautstärketechnisch einen Kompromiss gefunden hat, der einen die Dialoge verstehen, aber gleichzeitig Wände und Fenster intakt lässt, ist ein wenig Fummelarbeit mit der Fernbedienung erforderlich. Von der Brillanz des Tons selbst gibt’s keine Kritik, aber dieses übertriebene beabsichtigte Schocken über die Tonspur geht mir persönlich schon seit einigen Jahren mächtig uf den Senkel.
Extras: Da gibt’s doch so einiges – ein Making-of, Interviews mit den wesentlichen Beteiligten, Trailer und Fernsehspots sowie umfangreiche deleted scenes sowie gleich zwei alternative Enden (das letztlich verwendete ist das deutlich beste). Dazu gibt’s noch eine Trailershow. Rundes Package. Ein Audiokommentar ist ob der Produktionsgeschichte nicht zu erwarten gewesen.
Fazit: Meines Erachtens ist viel Negativ-Hype „Captivity“ gegenüber nicht wirklich angemessen – klar, der Film hat aufgrund der Schwierigkeiten in der Produktion seine Probleme, aber er bekommt über weite Strecken den Spagat zwischen psychologischem Extrem-Thriller und „zeitgemäßem“ Torture-Horror ganz gut hin. Auf technischer Seite ist dem Streifen seine schwierige Geburt nicht anzusehen, der Look ist einheitlich hochklassig, das Production Design beeindruckend. Die darstellerischen Leistungen der Hauptdarsteller sind nicht so schlecht, wie sie gemacht werden, weil zumindest hinsichtlich Cuthbert einfach offensichtlich unverstanden. Das große Manko des Films ist der Stilbruch zum Schlussakt – hier gibt „Captivity“ jegliches Psycho-Drama zugunsten plakativer, aber nicht exzessiver simpler Gewalt mit kaum drehbuchunterfütterten character turns auf und verschenkt somit viel Potential, denn ansonsten könnte ich mit der Kombination von Psychothrill mit dramaturgisch sinnvoll eingesetzten Foltereinlagen durchaus leben. Schlusswort: keine totale Zeitverschwendung, aber aufgrund massiver Scriptschwächen im dritten Akt deutlich reizloser als notwendig und möglich.
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(c) 2009 Dr. Acula