Captain Berlin versus Hitler

 
  • Deutscher Titel: Captain Berlin versus Hitler
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  • Regie: Thilo Gosejohann, Jörg Buttgereit
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Jürg Plüss (Captain Berlin), Claudia Steiger (Ilse von Blitzen), Sandra Steffl (Maria), Adolfo Assor (Graf Dracula), Jörg Buttgereit (Germanikus), Michael Waechter (Conferencier), Rafael Banasik (Hitler/Stimme), Uwe Meyer, Anette Borchardt, Pilo Adrian Ilea


Vorwort

In den 40er Jahren erschufen Wissenschaftler im Widerstand den Superhelden Captain Berlin, der in der Folge einige vergebliche Attentate auf den Führer unternahm. Nach Kriegsende zog sich der verhinderte Weltenretter in den Zivilberuf des Journalisten zurück.
1973 – Hitlers ehemalige Leibärztin Ilse von Blitzen hat das Gehirn des Größten Feldherrn aller Zeiten wiederbelebt und vorerst in einen Computer eingepasst. Auch wenn der entkörperte Adolf zunächst eher sentimental Eva Braun und Blondi nachtrauert, ist das eigentliche Programm klar – der wache Geist braucht einen angemessenen Körper. Ilse hätte da schon einen auf Lager – den aus besten Landser-Einzelteilen zusammengestoppelten Supersoldaten Germanikus, und den Lebensfunken soll dem Homunkulus niemand anderes als der von ihr bereits aufgespürte und entpflockte Graf Dracula spendieren. Dracula allerdings fühlt sich an eine leichthin gegebene Zusage nicht sonderlich stark gebunden und nimmt lieber mit der von ihm ausgekuckten Jungfrau Maria (nicht die biblische, ähem) im Gepäck Reißaus.
Während Ilse feststellen muss, dass ihr sicherheitshalber schon entworfener Plan B (Germanikus auf die Frankenstein-Methode per Elektrizität das Leben einzuhauchen) nicht wirklich erfolgreich ist, weil ihre Kreatur schlichtweg blöde ist (ohne Hirn ehrlich gesagt kein großes Wunder), greift Captain Berlin ein und an – die vom Grafen geraubte Jungmaid ist nämlich niemand anderes als seine Tochter! Ilse baut indes auf Plan C und Hitlers Brägen in einen schwerbewaffneten Kampfroboter („Hitlerrobo“) ein und schlägt Captain Berlin vor, gemeinsam auf Vampirjagd zu gehen. Tochter hin, Vampir her – ein aufrechter antifaschistischer Superheld macht auch in persönlichen Notlagen keine gemeinsame Sache mit dem Erzfeind, sondern holt sich lieber fachkundigen Rat bei der Kirche.
Dracula hat sich in einem brandenburgischen Schloss verschanzt, um dort Maria zu seiner Braut zu machen. Captain Berlin aus nachvollziehbaren egoistischen Motiven und Hitlerrobo, der’s nunmal grundsätzlich nicht verknusen kann, wenn er hintergangen wird, suchen dies auf die ein oder andere Art zu verhindern…


Inhalt

Das ist doch mal ein ausgesprochen schräg-interessantes Projekt.

Jörg Buttgereit, den kennen wir ja alle – mit seinen „Nekromantik“-Filmen brach er nicht nur Tabus, sondern wurde auch weltweit gefeiert, musste aber im eigenen Land bis zu den obersten gerichtlichen Instanzen gegen den Zensur- und Verbotswillen der Obrigkeit kämpfen. Schlussendlich stand in der jahrelangen Auseinandersetzung um „Nekromantik 2“ das höchstrichterliche Gebot, dass der Streifen offiziell „Kunst“ wäre (was Buttgereit persönlich gar nicht so sehr recht war), und nach weiteren unliebsamen Erfahrungen als Special-FX-Designer am Set der grandios verunglückten (und deswegen zurecht im Troma-Vertrieb gelandeten) Ralf-König-Adaption „Kondom des Grauens“ warf der Meister entnervt das Handtuch, um sich zukünftig dem Schreiben von Standardwerken über die „Godzilla“-Filme und Kolumnen in Berliner Magazinen zu widmen. Was also veranlasste Butti – wenn auch im kleinen, bescheidenen und mehr oder minder unter dem Radar der meisten Filmfreunde durchlaufenden Rahmen – zur Rückkehr ins kalte, herzlose und undankbare Filmbiz?

Streng genommen gar nichts, denn „Captain Berlin versus Hitler“, Fortsetzung zweier Amateur-Kurzfilme, die Buttgereit lange vor seinem Ruhm als Splatterkünstler 1982 inszenierte, ist kein Film, sondern ein von ihm geschriebenes und inszeniertes Theaterstück, das 2007 in Berlin mehrmals aufgeführt wurde (wenn ich die kurzen Impressionen im Vorspann richtig interpretiere, wohl im BKA-Zelt, wo immer das auch heute stehen mag. Kaum ist man ein paar Jahre nicht mehr vor Ort…). Die nunmehr auf DVD veröffentlichte „Filmfassung“ ist denn auch weitestgehend das abgefilmte Theaterstück, das Thilo Operation Dance Sensation Gosejohann durch Schnitt und einige „live“ nicht umsetzbare Spezialeffekte rudimentär in Filmform brachte und mit einigen Comic-Sequenzen für Exposition und Szenenüberleitungen aufpeppte. Das Ergebnis ist insgesamt nicht mehr ganz Theaterstück und noch nicht ganz Film – will sagen, „gewöhnliche“ Sehgewohnheiten werden hier nicht bedient, das Prozedere ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber, wie man anglophil so schön sagt… „it grows on you“.

Zur Story – wie man schon der Inhaltszusammenfassung entnehmen kann, handelt es sich hier nicht wirklich um seriöses Kulturtheater; eine richtige Komödie in dem Sinne, dass jeder zweite Satz eine Pointe zündet, ist’s aber auch nicht. Ich denke, „Groteske“ (gerne mit der Vorsilbe „Trash-„) wird der Sache am gerechtesten. Aus der absurden They Saved Hitler’s Brain-Grundsituation entwickelt Buttgereit ein sich nicht wirklich um sinnvolle Dramaturgie kümmerndes „anything goes“-Szenario, das natürlich mit der Bereitschaft des Publikums, sich über Hitler (als plumpes Gehirn mit animatronischen Stielaugen – soviel Grips hatte man dem GröFaZ nie zugetraut) lustig zu machen, steht und fällt (ich persönlich stehe absolut auf dem Standpunkt, dass Hitler – ungeachtet des von ihm verbreiteten realen Schreckens – bedingungslos als Witzfigur-Kasper gebraucht werden kann – so ist der alte Wahnsinnige wenigstens noch zu etwas nütze).
Als bekennendem Horror-Trash-Nerd fällt es Buttgereit natürlich nicht schwer, seine eh schon abstruse Grundprämisse mit Superhelden-Comic- und Horrormotiven zu verquicken, Dracula und Frankenstein stehen ebenso Pate wie Captain America. Sämtliche Charaktere sind, sind wir ehrlich, nicht mal solche, sondern schlichte Archetyp-Karikaturen (speziell Ilse von Blitzen als Nazi-Mad Scientist und Titelheld Captain Berlin als intellektuell sicherlich nicht gerade bevorteilter Superheld, der dafür, dass er einer der beiden Titelfiguren ist, mit verhältnismäßig wenig Stagetime auskommen muss), die Dialoge sind pathoserfüllt, nicht zum Brüllen komisch, aber spitz – und gelegentlich mit Widerhaken – pointiert und werden von den Aktiven, wie noch ausführlicher zu besprechen sein wird, mit dem „gebotenen“ Ernst einer altgriechischen Tragödie dargeboten. Ob der Theaterherkunft des Stückes ist die Angelegenheit natürlich relativ textlastig und – begreiflicherweise – bis auf den Showdown arm an filmischer „action“. ADD-Geschädigte werden also ihre liebe Not mit „Captain Berlin“ haben (und idealerweise sollte man sich das Stück nicht als zehnten Film eines Abends um drei Uhr nachts zu Gemüte führen). Mit 75 Minuten lotet Buttgereit die sicherlich auch maximal denkbare Laufzeit für ein Stück dieser Art aus – viel länger dürft’s nicht sein, in der vorliegenden Form ist das aber noch, sofern man gewillt ist, sich auf leicht „fimisiertes“ Theater einzulassen, gut ankuckbar.

„Captain Berlin versus Hitler“ ist fraglos Low-Budget-Theater – großartige Szenenbilder werden nicht geboten, es gibt nur einen Bühnenaufbau, der für die verschiedenen Szenen nur leicht durch einzelne Props wie von Blitzens Pappmachécomputer aufgewertet wird; diese Requisiten sind aber in ihrer beabsichtigten Schlichtheit durchaus liebenswert gemacht (und der Hitlerroboter ist eine echte Schau!). Zudem regt eine solche sparsame Ausstattung (mit Ausnahme der schicken Kostüme, von denen speziell des Captains Strampelanzug mit dem Berliner Bären auf der Brust zu gefallen weiß) die Improvisationskünste unterhaltsam an – wenn Captain Berlin also in Draculas Schloss eindringen muss, wird das in der Form „symbolisiert“, dass ein Bühnenarbeiter einen Fensterrahmen hochhält, durch den der wackere Superheld kraxelt; die „Flugkünste“ des Helden ergeben sich daraus, dass der Captain mit einem nach vore gestreckten Arm von der Bühne ins Seitenaus hüpft, und was partout mit den Mitteln des Bühnenschauspiels nicht umgesetzt werden kann, wird (zu Lasten des anwesenden Livepublikums) eben durch einige hübsche Comic-Panele und nachträglich angebrachte Digitaleffekte kompetenter Art im Nachhinein geregelt. (Film-)Regisseur Gosejohann gibt sich auch redlich und überwiegend erfolgreich Mühe, die einem Theaterstück innewohnende Statik durch die Kameraführung und den flotten Schnitt zu kaschieren – niemand wird das Endprodukt mit einem richtigen „Film“ verwechseln, aber es ist in Verbindung mit der verrückten Story filmisch genug, um auch ein Publikum, das nicht regelmäßig ins Regietheater pilgert, um sich dort die neueste Modernisierung eines klassisch-erprobten Stücks zu Gemüte zu führen, bei Laune zu halten.

Was auch ein Verdienst der gut aufgelegten Darsteller ist. Jürg Plüss (zu sehen auch in dem unter meinem Radar durchgeflogenen Schweizer Splatterfilm „Deuteronomium – Der Tag des jüngsten Gerichts“) gibt einen ansprechend einfältig-heroischen Captain Berlin ab, der in Chile gebürtige Adolfo Assor („Vollidiot“, „Lammfromm“) legt in seine m.E. stark Lugosi-beeinflusste Dracula-Vorstellung genügend Pathos und (stellenweise, schon allein aufgrund seines Akzents, an Kurt Raab erinnernde) theatralische Diabolik.
Claudia Steiger überzeugt als erzböse Ilse von Blitzen ebenso wie Sandra Steffl („Video Kings“, „Sumo Bruno“) als naive Marie.
Nicht zu unterschätzen ist auch Rafael Banasiks Leistung als Hitler-Stimmimitator; ein netter Theatertrick ist, dass der kleinwüchsige Michael Waechter nicht nur die Conference übernimmt, sondern auch überall, wo ein „Nebendarsteller“ gebraucht wird, hilfreich einspringt.
Meister Buttgereit selbst macht sich als „schwachsinniges“ Frankenstein-Monster Germanikus mit Wonne zum Horst.
Allen (Sprech-)Rollen ist gemein, dass theaterbedingt dick aufgetragen wird – Gestik, Mimik und Betonung erinnern daran, dass die Darsteller nicht primär für die Kamera, sondern für ein anwesendes Publikum agieren und dementsprechend die subtile Gangart, was aber auch zum überdrehten Inhalt der Plotte passt, eher selten angeschlagen wird.

Bildqualität: Die DVD-Version von Media Target ist nicht von schlechten Eltern – der anamorphe 1.85:1-Print ist makellos: schöne Farben, satte Schärfen, problemloser Kontrast, keinerlei Verschmutzungen, Störungen oder Defekte.

Tonqualität: Auch in Punkto Audioqualität muss man sich keine Gedanken machen; obschon meines Erachtens der Original-Bühnenton Verwendung findet, sind die Dialoge stets bestens verständlich (auch die leicht verzerrten Hitler-Lines), es gibt keine Lautstärkeschwankungen, das ist schön abgemischt.

Extras: Für’s Geld wird auch einiges an Bonusmaterial geboten – neben einem Audiokommentar von Buttgereit & Gosejohann findet sich eine englische „Exportfassung“, ein „Backstage-Report“, Impressionen von der Weltpremiere beim „Geheimnisvollen Filmclub BUIO OMEGA“, eine Bildergalerie, die beiden 1982er-Super-8-Kurzfilme sowie diverse Trailer. Rundes Paket.

Fazit: Zweifellos handelt es sich bei „Captain Berlin versus Hitler“ nicht um „normales“ Entertainment, nicht mal um schrägen Genre-Trash, wie man ihn von der produzierenden Neverhorst-Company der Gosejohänner erwarten würde – der Streifen erfordert, im Gegensatz zu Gosejohann-Werken wie „Operation Dance Sensation“ oder „Captain Cosmotic“, nicht die Verhaftung der ein oder anderen Kiste Bier vor, während und nach des Filmkonsums, das ist, obwohl auch irgendwo gewollter „Trash“, ’ne deutliche Ecke anspruchsvoller – und das nicht nur, weil ein „veredeltes“ abgefilmtes Theaterstück nun mal ganz andere (beschränktere) Möglichkeiten hat, sein Publikum zu unterhalten. Man wird sich bei „Captain Berlin versus Hitler“ nicht pausenlos auf die Schenkel klopfen und halb totlachen, aber, wenn man sich auf die ungewöhnliche Präsentationsform einlässt, ein ständiges Grinsen auf den Lippen haben und dann und wann ein anerkennendes Kopfnicken spendieren; quasi „intellektueller Trash“, wenn’s sowas überhaupt gibt, clever gemacht und lebhaft gespielt. Der Gorebauer wendet sich mit Grausen ab, doch dem Freund des Experimentielleren, irgendwo auch Avantgardistischen und dennoch unterhaltsam-doofen wüsten Genremix sei „Captain Berlin“ ans Herz gelegt.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


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