Cannibal – Sie hat dich zum Fressen gern

 
  • Deutscher Titel: Cannibal - Sie hat dich zum Fressen gern
  • Original-Titel: Cannibal
  •  
  • Regie: Benjamin Viré
  • Land: Belgien
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Nicolas Gob (Max), Helena Coppejans (Bianca), Jean Collard (Alex), Eric Godon (Le Gitan), Pierre Nisse (Cuneyt), Jonathan Demurger (Jannot), Miguel Molina (Hubert), Phiilppe Nahon (Vater), Fatih Cam (Fatih)


Vorwort

Max ist Agoraphobiker, nebenher ehemaliger Kleingauner, und hat sich – offenbar nach einer Art Familienkrise – in eine einsame Waldhütte zurückgezogen, wo er seinem Eremitendasein nachgeht und sich der Welt im Allgemeinen und seiner Familie im Speziellen nach Kräften verweigert. Seine Zeit verbringt er mit der Jagd und Golfspielen im Wald. Bei letzterer Beschäftigung stolpert er eines schönen Tages über den bewusstlosen, blutüberströmten Körper einer jungen Frau.

Wider besseres Wissen schleppt er das Girl in seine Hütte. Körperlich scheint dem Mädel nichts zu fehlen, doch ist sie unwillig, etwas über sich zu erzählen, was Max auch ganz recht ist, will er doch auch nichts über sie wissen. Er „tauft“ sie auf den Namen Bianca und wird sie nicht so einfach los, obwohl er sogar versucht ist, sie an den Fundort zurückzubringen und dort zu erschlagen, um seine selbstbewählte Einsamkeit zurückzugewinnen. Ihre Annäherungsversuche wehrt er zunächst ab, doch über die Zeit erliegt er einer gewissen Faszination des rätselhaften Mädchens.

Problematisch an der sich anbahnenden Pseudo-Romanze sind zwei Dinge – zum einen neigt „Bianca“ dazu, bei Intimitäten reichlich bissig zu werden, zum anderen ist sie einer Organisation entkommen, die sie nun gern wieder hätte und den gedungenen Auftragsschergen „Der Zigeuner“ nebst Handlanger auf ihre Spur zu hetzen. Es gelingt dem Zigeuner, Bianca zu kidnappen. Und jetzt geht Max der Knopf auf, dass er sich in das Mädchen verliebt hat. Er MUSS sie wiederfinden, um jeden Preis, auch wenn er ahnt, dass dieser Preis ultimativ sein Leben sein wird.


Inhalt

Wenn ein Label wie „Great Movies“, das nicht gerade dafür bekannt ist, cineastische Meilensteine en gros zu publizieren, einen Film schamhaft als un-annoncierten „Bonusfilm“ auf der Blu-ray eines undistinguierten B-Horror-Hobels wie „The Bates Haunting“ verklappt, gehen die Alarmlampen bei mir schon mal von Haus aus an. Falls sich irrtümlich mal ein Qualitätsfilm ins Programm geschlichen hätte, würde so ein Label das doch wohl lautstark verkünden…

„Cannibal“ ist wieder ein Fall des von mir herzlich verachteten Typus „Festival-Horror“ – ein pseudokünstlerisches Machwerk, das man einem normalen zahlenden Publikum nicht vorsetzen kann, aber im Rahmen eines Festivals zeigen kann, ohne (eigentlich verdiente) Prügel zu beziehen. Das FFF hat jedes Jahr ein paar dieser Schinken im Angebot. „Cannibal“ stammt aus Belgien und aus der Feder des Writer/Director Benjamin Viré und ist über weite Strecken ein Kammerspiel für Menschen, die von mehr als einer Dialogzeile pro Viertelstunde überfordert sind und glaubt, irgendwelche bedeutungsschwangeren Erkenntnisse über Menschlichkeit, Zwischenmenschlichkeit und Beziehungen zu haben, und am Ende doch nur irgendwelchen schädelsprengenden Tinnef zusammenspinnt – dagegen ist „The Survivalist“ von den letztjährigen FFF-Nights z.B. ein furioser Actionfilm mit tiefgründiger Philosophie.

Wir haben Charaktere, die uns völlig am Arsch vorbeigehen, weil wir nichts über sie erfahren. Max und Bianca sind bloße Chiffren, Schablonen, in die der Zuschauer offensichtlich seine eigenen Interpretationen, wenn nicht seine eigenen Neurosen projizieren soll, und die uns „menschlich“ ferner bleiben als der Mars. Dennoch hätte der Stoff vielleicht sogar noch als Beziehungsdrama funktionieren können (insbesondere, wenn man Biancas Freßfetisch, der im fertigen Film keine besonders prägnante Rolle spielt, etwas stärker herausgestellt hätte) – ein Sozialphobiker, der einer Frau verfällt, die auf ganz direktem Wege „nicht gut für ihn“ ist, das hätte vielleicht nicht unbedingt feines Genrekino, aber zumindest intensives Charakterkino sein können. Aber dabei kann’s Viré ja nicht belassen und postuliert, dass Bianca so etwas wie die Sklavin eines perversen Extrem-Porno-Underground-Clubs ist, diesem wie auch immer entkam und nun wieder eingefangen werden muss. Das verbindet sich nicht nur nicht so richtig mit dem „Beziehungsdrama“, sondern ist auch mal wieder ein „nettes“ Beispiel dafür, wie Filme jegliche Abweichung von der sexuellen Norm als abartig, bösartig, abzulehnend schildern. Ich hatte eigentlich gehofft, wir wären über dieses Stadium hinaus.

Viré schleppt den Film in gletscherhaftem Tempo über die ermüdenden 105 Minuten, setzt, weil Arthouse, gerne auf wacklige Handkamera und inflationär auf formatfüllende Gesichts-Close-ups, was bestimmt wieder ’ne Aussage an und für sich ist. Für die letzten 40 Minuten – für den Part von Max‘ Suche nach Bianca – schaltet Viré aus unerfindlichen Gründen auf schwarz-weiß-Fotografie um und versucht ein bisschen Gangsta-Kino-Ikonographie zu plündern (jetzt gibt’s dann auch Dialoge), die Farbe kehrt erst für den letzten Shot zurück.

Schauspielerisch ist das nicht übel – Nicolas Gob ist einigermaßen glaubhaft als freiwilliger Eremit, Helene Coppejans ist angemessen leicht entrückt, aber es wäre halt besser, hätten sie auch irgendwas zu spielen – sie bleiben trotz alles Bemühens weiße Blätter, Form ohne Inhalt. Einen Viertel Anerkenntnispunkt dafür, dass Viré Philippe Nahon, den „Menschenfeind“ persönlich, als Max‘ Vater verpflichten konnte.

Was – gerade in Festivalprogrammheften – gerne als „anspruchsvoll“, „künstlerisch“ oder“ experimentiell“ verkauft wird, erweist sich im Fall von „Cannibal“ einmal mehr als unansehbare prätentiöse Grütze, die weder Genre- noch Arthousefan auch nur das geringste Argument für ein Viewing liefert. Ist als „Bonusfilm“ auf einer Billo-Blu schon ganz gut aufgehoben, da sieht’s wenigstens keiner.

0,5/5
(c) 2017 Dr. Acula


mm
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