(CAM)

 
  • Deutscher Titel: (CAM)
  •  
  • Regie: Andreas Arimont
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Sven Hundertmark (Sven), Jan Hendrik Meyer (Jan), Andreas Arimont (Andy), Geraldine Spurgarth (Waldmädchen), Günter Arimont (Waldkiller)


Vorwort

Am Stadtrand von Hannover vergammelt ein leerstehendes Gebäude vor sich hin, in den 80ern mal Sitz einer universitären Forschungseinrichtung. Nachdem die Hütte jahrelang frei zugänglich war, ist sie seit neuestem abgesperrt und wird von einem Sicherheitsdienst bewacht. Dieser Umstand ruft drei Studenten auf den Plan, Jan, Sven und Andy, die darauf spekulieren, dass es für diese Maßnahmen einen spezifischen Grund gibt und es wissenswert/interessant/cool/besser-als-daheim- vor-der-Glotze-hängen wäre, selbigen wissenschaftlich, d.h. durch einen kleinen Landfriedensbruch unter Freunden und eine Übernachtung im Gemäuer, ausgerüstet mit Videokameras, zu ermitteln.
Nachdem lebensnotwendige Utensilien wie die Würstchen für’s Indoor-Grilling eingekauft sind, kann zur Tat geschritten werden. Zunächst scheint die Bude nur ein stinknormales verlassenes Stück Industrieruine zu sein, aber als, nach dem After-Grill-Verdauungschläfchen, Jan verschwindet und nur seine Kamera mit beunruhigenden letzten Aufnahmen zurückbleibt, dämmert es Andi und Sven, dass sie nicht nur nicht allein im Haus sind, sondern in Gesellschaft etwas Bösem…


Inhalt

Als wir neulich drüben beim Wortvogel mal wieder ins Plaudern kamen und den Niedergang des deutschen Genrefilms (sofern man davon ausgehen will, dass der deutsche Genrefilm an sich irgendwann in den letzten 50 Jahren ein Niveau erreichte, von dem aus ein „Niedergang“ physikalisch möglich ist) einerseits und den totalen Zusammenbruch des Lizenzmarkts für Independent-Produktionen andererseits beklagten, schaltete sich ein junger unabhängiger Filmemacher mit seinen leidgeprüften Erfahrungen auf diesem Gebiet ein, um etwas später freudig zu berichten, einen Vertrieb für sein stolzes Werk gefunden zu haben – was Vogel et moi natürlich kurzerhand zur unverzüglichen Bestellung von Rezensionsexemplaren nutzten… Nun trudelte pflichtschuldigst ein (herzlichen Dank dafür an Wolfpack Power).

gehört, wie der Name unschwer durchblicken lässt, zum Genre des first-person-narrative- aka quasi-dokumentarischen Fiktionsfilm, dessen Urvater der selige „Cannibal Holocaust“ von Deodato ist, den „Blair Witch Project“ kommerziell salonfähig machte und der mit „Cloverfield“ mittlerweile auch im Blockbuster-Mainstream angekommen ist. Ich stehe dem Genre des vorgetäuscht authentischen „Augenzeugenvideos“ recht zwiespältig gegenüber; ich halte „Blair Witch Project“ nach wie vor für einen passablen Chiller, wenn man sich den Kram in passendem Ambiente und mit der richtigen Erwartungshaltung ansieht, aber Nachzieher wie The St. Francisville Experiment oder Cannibals: Welcome to the Jungle schwankten zwischen intellektbeleidigender Debilität oder insomnia-kurierender Langeweile. Andererseits scheint Publikumsbedarf zu herrschen, sonst würde nicht alle paar Jahre ein minimalbudgetierter Überraschungshit wie „Open Water“ oder jüngst „Paranormal Activity“ die Kinokassen zum Klingeln bringen. Und für einen Independent-Filmemacher ist das Konzept fraglos verlockend, weil vergleichsweise unaufwendig.

Und Andreas Arimonts Variante des Themas beginnt gleich mit einer überaus gelungenen Sequenz, die mir ein breites Grinsen auf die Lippen zauberte – anstelle des erwarteten first-person-Videos finden wir uns nämlich urplötzlich in einem Wald wieder, in dem eine (beabsichtigt) hysterisch schlechte Schauspielerin ebenso, nämlich hysterisch, durch einen Wald hetzt und von einem Killer verfolgt wird – was sich als nach wenigen Minuten als bissiger Seitenhieb gen Amateur-/Indiefilmer-Kollegen entpuppt, nämlich als „Film im Film“ „Splatterwald 3“, den einer der Charaktere als Kameratest abfilmt (Kommentar seines Kumpels: „Du weißt schon, dass es dafür DVD-Brenner gibt?“, ehe er ein paar hämische Anmerkungen zur Qualität des Machwerks abgibt). Gelungener kann man sich vom üblichen infantilen Waldschmodderantentum, dem ein (leider) beträchtlicher Teil der deutschen Indiefilmer- und -fanszene anhängt, kaum distanzieren.

Leider verbraucht in der Folge jede Menge des so pfiffig aufgebauten Goodwills, weil in den folgenden fünfzig Minuten nun wirklich * gar nichts * passiert. Unsere Protagonisten filmen langwierig ihre Vorbereitungen und Diskussionen, ihren Einkauf im Supermarkt, die Fahrt zur Gemäuer, den Einstieg und die ersten Erkundungen, aber ohne jegliche Dramaturgie. Wenn ich mal grundsätzlich werden darf – dieser subjektive-Kamera-documentary-Ansatz bedarf, um zu funktionieren, mindestens eines von zwei nachfolgend aufgedröselten Elementen:

a) eine interessante Mythologie für den Story-Background (vgl. „Blair Witch Project“, „The Last Broadcast“ und sogar „The St. Francisville Experiment“) und/oder

b) eine permanente Atmosphäre der Bedrohung, der Gefahr, schlicht und ergreifend der Umstand, dass zumindest wir als Zuschauer uns einreden können, den Protagonisten könnte jederzeit etwas dramatisches zustoßen (wie man das konstruiert, ist dann Geschmackssache – „BWP“ arbeitete hier mit dem Motiv des „verloren-in-der-Wildnis“, „Open Water“ hatte das von Haus aus eher unangenehme Szenario, dass man allein im Ozean nun mal schlechte Karten hat, und „St. Francisville“ oder „Paranormal Activity“ ziehen übernatürlichen Spuk bzw. Poltergeistaktivitäten als Trumpfkarte, mit mehr oder weniger Erfolg).

hat leider weder das eine noch das andere – ein leerstehendes Haus am Stadtrand von Hannover, das vielleicht etwas heruntergekommener ist, als es für die Dauer des Leerstands sein sollte, und der bloße Fakt, dass ein Sicherheitsdienst zu seiner Bewachung abgestellt ist, kann als Hintergrundgeschichte nun mal beim besten Willen nicht mit der Blair-Hexe, dem Kindermörder Rustin Parr, dem Jersey-Teufel o.ä. Mithalten, und wenn der Film selbst als „größtmögliche Gefahr“ postuliert, dass unsere Helde vom Wachdienst erwischt und ’ne Anzeige kriegen können, will sich der richtige Nervenkitzel nicht so richtig einstellen. schafft es über weite Strecken nicht, diesen „sense of dread“ aufzubauen, den ein Film dieser Machart einfach haben * muss *, um den Zuschauer zu fesseln – wenn ich eine dreiviertel Stunde meines Lebens mit Belanglosigkeiten verbringen muss (ein Supermarkteinkauf aus Videokameraperspektive sieht halt nicht entscheidend anders aus als ein Supermarkteinkauf aus eigener-Augen-Perspektive), muss ein Film in seinem Schlussakt schon ordentlich aufdrehen, sofern der Zuschauer nicht eh schon die Lust verloren hat.

Dabei macht Arimont von der Idee her einiges richtig – es gibt zwei Kameras, die auch qualitativ unterscheidbar sind und damit zwei klare, unterschiedliche Perspektiven (daran scheiterten z.B. „St. Francisville“ und „Cannibals“, bei denen multiple Kameras noch lange keine differenzierte Bildsprache erzeugten), und die Dynamik innerhalb der Protagonistengruppe ist bei weitem nicht so plump wie im abschreckendsten Beispiel für „Blair Witch Project“-Dreistkopierertum, The Dark Area (der übrigens per herumliegender DVD referenziert wird, ebenso wie „Open Water“, der spanische Zombieschocker „:rec:“ und „Cloverfield“); Jan ist der Initiator des Vorhabens und derjenige, der persönlich enttäuscht ist, dass Andi und Sven nicht mit dem seiner Meinung nach gebotenen Enthusiasmus an die Sache herangehen (was dann dazu führt, dass Jan sich von den Kumpels trennt, was dann wiederum den eigentlichen „Spannungsteil“ einleitet), Sven ist derjenige, der den ganzen Plan von Haus aus für eine suboptimale Idee hält, aber sozusagen dem „Gruppenzwang“ folgt, und Andi schwankt zwischen euphorischer Begeisterung und Feigheit (er ist derjenige, der sich ständig aus Angst vor Entdeckung durch die Polizei ins Höschen macht), er ist derjenige, der aktiv zur Suche nach Jan bläst, aber nach Entdeckung der Videokamera auch derjenige, der alles für einen schlechten Scherz seitens Jan hält. Das sind durchaus die richtigen Mechanismen, aber sie werden zu wenig eingesetzt – der Konflikt innerhalb der Gruppe ist nicht recht ausformuliert (wieso ziehen Sven und Andi eigentlich mit, wenn sie dann doch nicht vorhaben, mit Jan das Gebäude zu erkunden, sondern sich einfach im Schlafsack aufs Ohr hauen wollen?), und, es bleibt dabei, es passiert zu wenig. Das Gebäude wird erst nach einer halben Stunde betreten, bis dahin haben wir kaum brauchbare Information erhalten, warum Jan an dem ganzen Ding * so * interessiert ist (es wird von einem Selbstmord gesprochen, aber auch das bleibt eher ein MacGuffin denn ein ernsthaftes Story-Device).

Erst mit Jans Verschwinden kommt der Film in die Pötte – und das ist arg schade, denn – festhalten – die letzten zehn Minuten von sind tatsächlich und zu diesem Zeitpunkt wider Erwarten das Effektivste, was der deutsche Indie-Horror zu bieten hat, wenn es um echte „scares“ geht; auf einmal überzeugt der Streifen mit suggestiven und unheimlichen Soundeffekten, sekundenkurzen, nackenhaaraufstellenden jump scares, gekonntem Spiel mit der spärlichen Ausleuchtung und den daraus entstehenden Farben. Ich habe nun oft genug gesagt, dass mich eigentlich praktisch nichts mehr, womit Horrorregisseure ihre Werke spicken, im Wortsinn „erschreckt“, aber hat in seinen Schlussminuten, obwohl der Streifen, da wir per vorgeschalteter „Blair Witch-“mäßiger „Drei Studenten verschwanden“-Karte wissen, wie’s ungefähr ausgehen wird, nicht gerade ein Ausbund an Spannung ist, mehr Momente, in denen’s mich echt gerissen hat, als das gesamte „Saw“-Franchise zusammengerechnet (okay, bis Teil IV, mehr hab ich noch nicht gesehen). Kudos, das schafft heutzutage nicht mal mehr John Carpenter (kann natürlich auch daran liegen, dass die vorhergehenden 60 Minuten mich etwas eingelullt haben)…

Filmisch ist bei einem aus Video-Perspektive geschossenen Streifen natürlich kein Augenschmaus zu erwarten – grobkörniger Videolook (duh), viel Dunkelheit, aber zumindest authentisch wacklig und nicht steadycam-smooth wie bei „St. Francisville“, wo selbst eine heruntergefallene Kamera noch klare, fokussierte Bilder liefern konnte… Zum Leidwesen des Regisseurs kam mit einem FSK-12-Bapperl aus dem TÜV – und, wenn man „Blair Witch Project“ als Vergleich zu Rate zieht, freilich völlig zu Recht, da sämtliche Gewalt ausnahmslos impliziert und off-screen bleibt.

Wie es sich für einen mockumentarischen Film gehört, gibt’s auch keinen Score, der Hans Zimmer der deutschen Indiefilmkomponisten, Michael Donner, steuert aber zumindest ein imposantes Theme und einen interessanten Electrotrack für den Abspann bei.

Die Schauspieler erledigen einen passablen Job – die Dialoge wirken natürlich und spontan, die Jungs wirken glaubhaft. Sven Hundertmark überzeugt mich am meisten, „Captain Cosmotic“ Jan Hendrik Meyer (als Jan Meier kreditiert) ist mir vielleicht ein wenig zu hibbelig, der Regisseur selbst als Andi macht seine Sache gut genug.

Bildqualität: Wolfpack bringt den Film in anamorphem Widescreen. Bildfetischisten haben keinen großen Grund zur Freude – wie auch, es handelt sich halt in jeder Hinsicht und beabsichtigt so um grobkörniges Videomaterial, das auf der Flatscreen-Glotze schon ganz schön in die Knie geht. Lässt sich aber bei einem Werk dieser Machart nicht umgehen und wird daher von mir nicht negativ ausgelegt.

Tonqualität: Hier gilt ähnliches – es regiert der Live-Ton, der ist gut verständlich, aber selbstredend nichts, womit man die Dolby-Anlage an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen kann.

Extras: Neben dem Trailer und einigen Outtakes gibt’s einen Audiokommentar.

Fazit: Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust. Zum einen bin ich prinzipiell der Freund eines jeden Indie-Filmers, der nicht mit drei Pfund Innereien vom Metzger und zwei Flaschen Ketchup oder Himbeersirup in den Wald geht und bin deswegen auch für die kleine Homemade-Splatter-“Hommage“ durchaus verbunden, ziehe nach wie vor meinen Hut vor der Effektivität der letzten zehn Minuten (ich wiederhole mich – wann schafft ein Horrorfilm, und erst recht ein deutscher Indie-Horrorfilm, schon mal echte, wirkungsvolle scares?), aber zum anderen kann ich nicht wegdiskutieren, dass es zwischen diesen beiden Punkten an den Essentialia eines wirklich packenden first-person-narrative-Horrors fehlt: der erwähnten Hintergrundmythologie und dem „sense of dread“. ist auch in seinen schwachen Parts nicht so völlig unbeholfen wie „The Dark Area“, aber eben auch nicht wirklich durch-dramatisiert, zu sehr wird mit unbedeutenden Abschweifungen wie den langwierigen Diskussionen der Protagonisten oder ihrer Einkaufstour einfach nur Zeit geschunden. ist daher mal wieder ein gutes Beispiel für einen Film, der ich als dreißigminütigen Kurzfilm aus ganzem Herzen hätte empfehlen können, für einen abendfüllenden Spielfilm ist mir das dann aber – leider – doch zu dünn.

2/5
(c) 2010 Dr. Acula


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