Caged

 
  • Deutscher Titel: Caged
  • Original-Titel: Captifs
  •  
  • Regie: Yann Gozlan
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Zoé Félix (Carole), Eric Savin, Arié Elmaleh, Goran Kostic


Vorwort

Für Carole und ihre Kollegen endet ein harter dreimonatiger humanitärer Einsatz im Kosovo. Da das Budget ihrer Organisation offenbar keine Flugtickets hergibt, müsse sie die Rückreise per privatem Pkw antreten. Sie sind kaum richtig unterwegs, da ist auch schon die Hauptstraße wegen einer Bombendrohung o.ä. blockiert. Kurzentschlossen entscheiden sich die Herren der Schöpfung für eine Abkürzung über wenig vertrauenserweckende Feldwege und schon bald hat sich unser Doktorentrio amtlich verfranzt. Die Bewohner eines abgelegenen, heruntergekommenen Hofes lotsen die Ärzte in die richtige Richtung, doch der Waldweg erweist sich als böse Falle: maskierte Bewaffnete schreiten zur Entführung… als Carole wieder zu sich kommt, findet sie sich und ihre Kollegen in Kellerverliese gesperrt wieder, zusammen mit einem anderweitigen Gefangenen. Und anhand dessen Beispiels dürfen sich die Franzosen bald schon in den blutigsten Farben ausmalen, dass sie als unfreiwillige Organspender gedacht sind…


Inhalt

Und schon wieder Frankreich. In seinem ersten abendfüllenden Spielfilm versucht sich Yann Gozlan gleichermaßen an einem heiklen, da in einem Krisengebiet angesidelten, wie auch storytechnisch stark auf das Wesentliche reduzierten Horrorthriller, quasi eine schmutzigere, unangenehmere und andeutungsweise politische Version von Rainer Erlers 70er-Jahre-Klassiker „Fleisch“ im Gewand eines Backwood-Films.

Formal und strukturell lehnt sich Gozlan ohne weiteres an die bewährten Vorbilder an, wir haben eine vielleicht zwanzigminütige Auftaktphase, in der uns die drei Hauptfiguren (Carole und ihre zwei Kollegen, deren Namen ich natürlich längst vergessen habe und die der rudimentäre IMDb-Eintrag auch nicht bietet…), Caroles obligatorisches Trauma (auf das ich allerdings gut und gerne hätte verzichten können – Carole hat als Kind die Leiche einer ermordeten Freundin in einem Schuppen entdeckt, was ihr hier im Schlussakt die Motivation verleiht, ein kleines Mädchen, das in die Gewalt der Organhändler gerät, zu retten. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich glaube, um ein Kind zu retten, *muss* man nicht notwendigerweise in der eigenen Kindheit über die tote beste Freundin gestolpert sein. Es ist ’ne Genrekonvention, das verstehe ich, aber eine, die gerade in diesem Zusammenhang eher unnötig ist) und das Szenario vorgestellt wird, und dann sind wir auch schon im Keller, durchleiden die Gefangenschaft und klären – relativ schnell – das zentrale „Warum?“ (deswegen mache ich oben auch relativ wenig Gedöns um den Plot. Der Film lässt die Katze recht bald aus dem Sack), der Schlussakt ist dann der üblichen Flucht-und-Rache-Auflösung vorbehalten. Das ist zweifellos an und für sich alles andere als neu, aber Gozlan und sein Co-Autor Guillaume Lemans haben da noch einen Trick im Ärmel.

Der Standard für derartige Filme ist ja, dass unsere Killer irgendwelche blutrünstigen Mutanten, degenerierte Inzest-Barbaren oder einfach fröhliche Wahnsinnige sind, die aus Spaß an der Freud foltern, Weibsvolker für die Vermehrung brauchen oder einfach ihre Vorratskammer mit Frischfleisch füllen müssen, nicht aber hier – die „Bösen“ hier sind nicht im Sinne der gerade genannten Definition „böse“, sie sind vielmehr amoralische, geschäftsmäßig handelnde „Normalos“ (die sich in ihren Metzelpausen beim Bier vermutlich über die letzten Fußballergebnisse unterhalten – sämtliche Dialoge der Amateur-Transplantationsspezialisten sind auf, denke ich, serbisch ohne Untertitel gehalten; wir sehen sie auch stets nur aus „Opferperspektive“, die Kamera ist nie „bei ihnen“), für die das Ausweiden irgendwelcher argloser Reisender ein Job ist, den sie ohne große Leidenschaft erfüllen (gut, Carole wäre den Handlangern als Vergewaltigungsopfer ganz recht, aber der „Doktor“, der in der internen Hierarchie oben steht, verhindert dies, schätzungsweise unter der wenig menschenfreundlichen Maßgabe, dass dabei bei Carole was kaputt gehen könnte, das noch gebraucht werden kann) und, das kann man anhand der örtlichen Ansiedelung der Geschichte wohl unschwer hineininterpretieren, gegenüber der moralischen Dimension ihres Treibens abgestumpft sind – wer jahrelang in einem Kriegsgebiet gelebt hat, Schrecken und Greueltaten aus erster Hand miterlebt hat und entweder auf Täter- oder Opferseite daran beteiligt war, womöglich seine Familie verloren hat, der hat’s dann nicht mehr so mit der Empathie für Fremde und kann sie einfach als eine verwertbare Ressource sehen.

Das macht „Caged“ noch nicht zum kraftvollen politischen Statement, dem dringlich ein paar Filmpreise nachgeworfen werden müssen, aber zumindest etwas tiefgründiger, vielschichtiger als „Hillbilly-Kannibalen massakrieren College-Studenten Teil 26“; allein das Setting und die spröde Umsetzung, gerade der Kunstgriff, dass wir wenig über die „Bösen“ erfahren, aber uns so einiges zwischen den Zeilen zusammenreimen können, lässt den Streifen erheblich stärker „unsettling“ (ein schönes englisches Wort, dessen deutsche Übersetzung „beunruhigend“ oder „verunsichernd“ nicht ganz den Ton trifft, der hier angebracht ist) wirken als eben einen beliebigen Backwood-Torture/Slasher-Hobel von der Stange. Da passt eben vieles stilistisch zusammen – die Tatsache, dass die Dialoge – zumindest die, die wir verstehe können – knapp gehalten sind, der Umstand, dass wir, wie gesagt, das Geschehen konsequent aus Opferperspektive erleben, die Atmosphäre der schmutzigen, versifften Kellerverliese, in denen ein Großteil des Films spielt…

Dramaturgisch macht „Caged“ vielleicht nur einen kleinen Fehler – im Mittelpart macht das Script einen kurzen Schlenker und verlässt die Perspektive Caroles, aus der wir ansonsten ausschließlich den Film verfolgen, und wechselt zu ihrem Chef, der zwei Kellerabteile weiter gefangengehalten wird und einen natürlich vergeblichen Ausbruchsversuch unternimmt; es ist keine schlechte Szene, aber der Bruch der Erzählperspektive fällt auf, stört ein wenig (es gibt später noch einen Fauxpas, als der gleiche Charakter beim späteren erfolgreichen Ausbruch eine improvisierte Waffe, die ihm gerade noch gute Dienste geleistet hat, wegwirft. Man kann es sich natürlich erklären, dass die Figur glaubt, bei der Flucht durch den Gegenstand behindert zu werden, allerdings konnte ich mir an der Stelle einen gequälten „wie-kann-man-nur“-Aufstöhner nicht vergleichen. Andererseits hab ich vermutlich mehr Horrorfilme gesehen als der Herr Medizinmann). Die entscheidenden Dinge macht „Caged“ aber richtig und richtig verstörend – das Telefonklingeln, das eine neue Organbestellung ankündigt, die Panik in den Augen des Gefangenen, der – im Gegensatz zu unseren Protagonisten – sofort *weiß*, was nun passieren wird, der Schock, wenn Carole und die ihren dann realisieren, was passiert, die Angst, als das Telefon dann wieder klingelt… brrr… das geht an die Nieren.

Und dabei kommt Gozlan mit einen Minimum an plakativen Effekten aus – er zeigt uns Gore (aber weniger als Hinguck-Schaueffekt für Karl-Heinz Gorebauer, sondern mit, hm, wie will ich sagen, dokumentarischem Desinteresse), bei den Ausweidungen selbst sind wir nicht dabei, sie bleiben hinter verschlossener Tür, wir dürfen die Resultate sehen; es macht den Film, der eindeutig stärker auf die psychologische Seite gewichtet ist und von den Reaktionen der „Helden“ lebt, wie schon gesagt, „beunruhigender“. Das gilt alles für ungefähr 2/3 des Films – der Schlussakt muss sich dann freilich den Genrekonventionen beugen und einen keineswegs schlechten, aber nicht übermäßig originellen Showdown abspulen, in dem die Heroine über sich hinaus wächst (allerdings mit der ein oder anderen guten Idee); ich könnte auf Anhieb nicht sagen, ob es ein wirkungsvolleres Ende gibt und wie man es ggf. anpacken könnte (deswegen bin ich aber auch kein Drehbuchautor, sondern armchair critic), ich fand es nur ein wenig traurig, dass ein Film, der bis dahin jede Anstrengung unternommen hat, aus einem recht abgegriffenen Grundszenario etwas unkonventionelles, wirklich an der Gurgel packendes zu machen, dann doch den vergleichsweise „einfachen“ Weg einschlägt, um die Plotte abzuschließen.

Aber das ist fast schon Erbsenzählerei, denn Gozlan, der mit knapp über 80 Minuten Laufzeit auch nicht der Versuchung unterliegt, die Geschichte unnötig aufzublähen (mal abgesehen von meinem für ein paar Flashbacks und Alptraumszenen genutzten Trauma der Heldin), sondern die Geschichte straff inszeniert – nicht als Tempogranate, das wäre dem Thema und der Ansatzweise nicht angemessen, aber zwingend und zupackend; wie schon erwartet bei französischen Filmen ist gegen Kameraführung und Schnitt nichts einzuwenden, der Score ist zurückhaltend.

In der Hauptrolle brilliert Zoé Felix („Willkommen bei den Sch’tis“, „Die Herzen der Männer“) als leidens- und leistungsfähige Heroine, bei den weiteren Schauspielern fehlt mir momentan das Datenmaterial, um die Rollen eindeutig zuzuordnen – besonders Caroles Chef und der „Doktor“-sprich-Schlächter der Organmafia leisten gute Arbeit. Es fällt aber insgesamt niemand durch den Rost.

Fazit: Was auf den ersten Blick (und auch nach der Beschreibung im FFF-Programmheft) nach einem relativ „normalen“ Folterfilmchen für den anspruchslosen Splatterfreund aussieht, offenbart sich schon bei ersten Betrachtung als bemerkenswertes, gleichermaßen intimer als auch packender Thriller, der an die Nieren gehen kann (oder an andere Organe…). Mit einer glänzenden Zoé Felix in der Hauptrolle und nur wenigen kleinen Schönheitsfehlern in der Umsetzung ist „Caged“ kein Film für’s entspannte Kucken mit Bier und Popcorn, kein dumpfes Exploitation-Kino, dafür aber bestens geeignet, um ernsthaft in die Abgründe menschlichen Treibens einzutauchen. Einmal mehr Daumen hoch für’s Franzmannskintopp.

4/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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