Bug

 
  • Deutscher Titel: Bug
  • Original-Titel: Bug
  •  
  • Regie: William Friedkin
  • Land: USA
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    Ashley Judd (Agnes White), Michael Shannon (Peter Evans), Harry Connick jr. (Jerry Goss), Lynn Collins (R.C.), Brian F. O’Byrne (Dr. Sweet)


Vorwort

Die etwas verhärmte Enddreißigerin Agnes haust in einer schäbigen Motelbude irgendwo im Nirgendwo Oklahomas – ihr ehemaliger Macker Jerry ist gerade aus dem Knast entlassen worden und terrorisiert, so scheint’s, Agnes mit obszönen Anrufen. Agnes‘ einzige Freundin, die Lesbe R.C., schleppt aus unerfindlichen Gründen einen seltsamen Kerl namens Peter, den sie aufgelesen hat, ins Agnes‘ Bude. Überraschenderweise finden die introvertierte Agnes und der nicht minder unsichere Peter einen gemeinsamen, nicht mal auf sexueller Anziehung basierenden Draht; sie lädt den offensichtlich als Hobo lebenden Kerl ein, doch bei ihr einzuziehen. Vielleicht gar keine schlechte Idee, denn als Jerry in Persona auftaucht, macht er deutlich, dass er den Platz an Agnes‘ Seite auch gegen ihren Willen wieder einnehmen möchte (und selbstverständlich auch nicht seine erfolgreiche kriminelle Laufbahn aufgeben). Ein Aufpasser ist also gar nicht verkehrt, nur zeigt sich bald, dass Peter so seine Geheimnisse hat. Auf der Flucht vor der Armee sei er, weil die schreckliche Experimente mit ihm getrieben habe. Seither sieht Peter sich von Insekten verfolgt – was auf den ersten Blick wie eine harmlose Phobie wirkt, ist in Wahrheit eine ausgereifte Paranoia, die bei der labilen Agnes auf fruchtbaren Boden fällt. Schon bald schneidet sich auch Agnes die Arme auf, um blutsaugende Parasiten aus ihrem Körper zu puhlen…


Inhalt

William Friedkin is back! Okay, eigentlich war der Schöpfer von Klassikern wie „Der Exorzist“ und „French Connection“, aber auch üblen Gurken wie „Jade“ (oder wenigstens bitterer Flops wie „Atemlos vor Angst“) nie richtig weg, aber der Maestro gönnt sich zwischen seinen Werken gerne mal jahrelange Pausen, dass man eigentlich immer, wenn ein neuer Friedkin tatsächlich ins Kino (oder wenigstens auf DVD) kommt, von einem Comeback reden kann.

Mit „Bug“, der Adaption eines erfolgreichen off-Broadway-Theaterstücks (besorgt durch den Stückeschreiberling Tracy Letts selbst), wagt Friedkin sich nach langen Jahren zurück ins (im-weitesten-Sinne-) Horrorgenre, dass er durch seinen 73er-Klassiker „Der Exorzist“, zumindest was den „modernen“ Horrorfilm angeht, mit-definiert hat (und trotzdem nicht wirklich häufig wieder besucht hat – ja, ich hatte in der ersten Reviewfassung „Das Kindermädchen“ und „Rampage“ vergessen… sue me). Auf der anderen Seite täte man „Bug“ Unrecht, klassifiziere man ihn als „bloßen“ Schreck- und Terrorfilm. Vielmehr ist „Bug“ ein (fraglos bizarrer) Liebesfilm, ein intensives Psychodrama-Kammerspiel und auch (wenn man den ganzen Streifen mal durch einen Vexierspiegel betrachtet) eine böse Komödie. Joa, und’n bissken Horror natürlich auch…

Das Script unterliegt, was (vermute ich mal) der Theaterherkunft geschuldet sein dürfte, einer strikten Zweiteilung (ich vermute deswegen, dass da die zugrundeliegende Theaterfassung zumindest mit-verantwortlich ist, dass zu dieser Halbzeitmarke auch Set-Umdekorationen erfolgen, die im Theater wohl in der Pause erledigt wurden) – man muss ehrlicherweise sagen, dass in den ersten 45 Minuten des Films nicht wirklich * viel * passiert. Der Streifen nimmt sich die Muße, uns die beiden zentralen Figuren (es ist letztlich ein Zwei-Personen-Stück, in dem die weiteren Rollen kaum wirklich echte Bedeutung haben) in aller Ausführlichkeit vorzustellen – wir lernen ihre Charakterzüge, ihre (jeweils labile) Gefühlswelt kennen, ohne (sofern wir den Klappentext nicht gelesen und durch den Filmtitel „gewarnt“ wurden) wirklich zu wissen, wohin der Film wirklich gehen wird. Letztlich ist die zentrale Frage, die den Film beschäftigt, ob Paranoia „ansteckend“ ist. Und das ist, gestehen wir uns das ruhig ein, eine brennend aktuelle Frage, gerade in Zeiten der Terrorismus-Hysterie (super, und schon wieder einem Film, der das vielleicht gar nicht wollte, ein politisches Etikett angehängt. I rule). Friedkin bzw. sein Schreiber kommen zu dem Schluss, ja, das geht, wenn die Voraussetzungen entsprechend „günstig“ sind. Agnes ist ein äußerst labiler Charakter, sozial inkompetent, traumatisiert durch den Verlust eines Kindes, völlig ohne Selbstwertgefühl (weswegen sie sich eben auch auf eine Beziehung mit einem kriminellen Schläger eingelassen hat), für die JEDE Art von Stabilität ein Gewinn ist, auch die von Peter propagierte „alle-sind-hinter-uns-her“-Stabilität. Durch Peter hat sie endlich etwas, woran sie sich festhalten kann, auch wenn es nur eine Psychose ist. Das lässt sich unschwer in ein größeres Bild übersetzen (dieses „größere Bild“ lässt sich auch daran festmachen, dass die Ursache für Peters Paranoia in einem posttraumatischen Streßsyndrom aus dem Golfkrieg liegt). Von „handelsüblicher“ Paranoia ist es dann kein weiter Weg mehr zu hanebüchenen Verschwörungstheorien – in „Bug“ gipfelt dieser Aspekt kurz vor Schluss in einer (von Ashley Judd famos gespielten) Sequenz, in der Agnes auf Peters Zureden zu einer * perfekt logischen * Erklärung kommt, warum alles mit allem zusammenhängt (in diesem Fall das Verschwinden ihres Kindes, die vorzeitige Haftentlassung Jerrys, Peters Erscheinen, sogar der überraschende Sorgerechts“zuschlag“ für R.C.s lesbische Freundin).

Friedkin inszeniert „Bug“ als klaustrophobisches Kammerspiel. Der Film spielt, möchte ich mal sagen, zu 99 % innerhalb der engen, leicht versifften Bude Agnes‘ (und wenn ich ehrlich bin, der Film würde vielleicht noch etwas eindringlicher wirken, wenn man auf die wenigen Außenaufnahmen und die establishing shots, die uns die Abgeschiedenheit des Motels verdeutlichen sollen, völlig verzichtet hätte; vielleicht wäre das Resultat etwas „universeller“ geworden), und zieht hieraus großen Nutzen. Die Atmosphäre des Films ist angemessen stickig, depressiv, beklemmend – die Kameraführung arbeitet mit vielen kleinen Kniffen, ungewöhnlichen Einstellungen oder Kamerawinkeln, die noch unterstreichen, wie beengt die Wohnung ist. Ein großes Lob geht hierbei auch an Production Designer Franco Carbone (erledigt diesen Job auch bei „Rambo 4“, „Hostel“ oder „Rocky Balboa“), der mit einfachen Mitteln die fortlaufende Steigerung des Wahns umsetzt – zunächst ist die Bude „nur“ siffig, im Mittelpart dann dekoriert mit etlichen Fliegenfängern und ähnlichen Insektenfallen, im Schlussakt ist die Wohnung dann ein einziger Alptraum aus Alufolie und Inseketenvernichtungslampen – der „innere“ Wahn spiegelt sich im Äußeren.

Großes Spannungskino ist „Bug“ nicht im plakativen Sinne – wer auf vordergründige Thrills giert, dürfte enttäuscht sein, hier geht es um die Abgründe menschlicher Psyche; natürlich zieht das Tempo in der zweiten Filmhälfte deutlich an, was sich interessanterweise auch an der Sprechgeschwindigkeit der Dialoge festmachen lässt (was natürlich darin begründet ist, dass die Charaktere gen Ende hin immer stärker hysterisiert sind). Man hat als Zuschauer das Gefühl, dass die Geschichte unweigerlich schlecht ausgehen muss, die Frage bleibt dann, WIE sie schlecht ausgeht (das könnte ich natürlich verraten, aber ich muss ja nicht IMMER alles spoilern).

Im Begleitmaterial spricht Friedkin davon, dass der Streifen außerordentlich brutal sei – das ist natürlich nicht gorebauernmäßig gemeint. Die zwei „heftigen“ Szenen rekrutieren sich aus einer Szene, in der sich eine Figur mit einer Zange einen Zahn eigenhändig ausreißt (und das ist ungefähr so schmerzhaft anzusehen, wie es sich anfühlen muss) und einer (in Worten: EINER) Mordszene (deren Zusammenhang ich an dieser Stelle nicht aufdrösen will). Sowohl Ashley Judd als auch Michael Shannon präsentieren sich übrigens splitterfasernackig (nicht nur in Form einer bemerkenswert gestalteten Sexszene).

Der Soundtrack von Brian Tyler („Timeline“, „AvP 2“, „Rambo 4“) ist angenehm zurückhaltend und muss nur selten zu plärrenden JETZT-PASSIERT-WAS-Cues greifen.

Die schauspielerischen Leistungen sind durch die Bank ausgezeichnet. Ashley Judd („Doppelmord“, „Die Jury“, „Darkly Noon“) stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass sie darstellerisch erheblich mehr drauf hat, als man ihr gemeinhin zutraut. Den Verfall ihrer ganzen Persönlichkeit, und ganz speziell die tour-de-force in den letzten 10-15 Minuten des Films, verkörpert sie mitreißend und glaubwürdig. Michael Shannon („8 Mile“, „Grand Theft Parsons“, „World Trade Center“, „Dead Birds“) spielte die Rolle des Peter auch ausgiebig auf der Bühne – obwohl sich laut Friedkin renommierte Stars um die Rolle prügelten, hielt er an Shannon fest. Der hat den Charakter denn auch verinnerlicht; vom „leicht zurückgeblieben wirkenden Freak“ bis zum „völlig durchgeknallten Psycho“ ist das alles aus einem Guß. Daumen hoch. Die Nebenrollen mögen nicht viel zu tun haben, aber das hindert die Aktiven nicht am Bemühen: Swing-Sänger und immer-wieder-mal-Schauspieler Harry Connick jr. („Independence Day“, „Will & Grace“) spielt als Macho-Ganove konsequent gegen sein Image, Lynn Collins („Down with Love“, „50 erste Dates“) gibt die Lesbe R.C. flippig-aufgekratzt. Brian F. O’Byrne („Million Dollar Baby“) gefällt als Dr. Sweet.

Bildqualität: Der anamorphe 1.85:1-Widescreen-Transfer ist störungs- und verschmutzungsfrei und gefällt vor allem von den Kontrastwerten her. Auch Detail- und Kantenschärfe wissen durchaus zu überzeugen, dito die Farben. Es sei allerdings angemerkt, dass die Disc in meinem Thomson-DVD-Recorder glatt verweigerte und auch der dann zu Rate gezogene LG-Player beim Layerwechsel eine längere Denkpause einlegte.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton liegen jeweils in Dolby 5.1 vor, deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Ich habe mich an den englischen O-Ton gehalten, der klar und rauschfrei ist, auch bei höher aufgedrehter Lautstärke nicht knarzt und über einen effektiven Mix von Soundtrack, Dialogton und Effekten verfügt.

Extras: Neben einer ausführlichen Trailershow entzückt uns Ascot Elite mit einer „Einführung“ (ca. 10 Minuten, in der wir von William Friedkin und den wesentlichen Darstellern mit wesentlichen Fakten über den Film und die Charaktere erhalten) und einem ausführlichen Interview mit dem Regisseur, dass sich, obwohl für diesen Film entstanden, nicht speziell auf „Bug“ bezieht, sondern Friedkins komplette Karriere und seine Eindrücke hierüber rekapitulieren lässt. Friedkin wirkt in diesem Interview manchmal ein wenig desillusioniert, aber mitteilsam und durchaus informativ.

Fazit: „Bug“, da gehe ich mit Ashley Judds Aussage in der „Einführung“ konform, dürfte sicher polarisieren – Genre-Puristen, die hauptsächlich des Thrills wegen Filme kucken und hier auf ekligen Insekten-Horror hoffen, sollten sich gut überlegen, ob sie die Disc in den Player schieben. Hier gibt’s keinen Splatter, keine Ekel-FX, sondern ein psychologisch hartes Paranoia-Drama, das durchaus (in anderem Sinne halt) unter die Haut geht. Friedkin kann’s jedenfalls noch, dank eines exzellenten Scripts, ausgezeichneter Darsteller und genau dem richtigen visuellen und atmosphärischen Stil für seine Story. Daumen durchaus enthusiastisch nach oben – ein Steigerungsfilm erster Güte. Und warum kommt’s mir eigentlich seit Filmende so vor, als würden mir tausend kleine Ameisen unter der Haut hin- und herlaufen? Shudder…

4/5
(c) 2007 Dr. Acula


mm
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