Bronson

 
  • Deutscher Titel: Bronson
  • Original-Titel: Bronson
  •  
  • Regie: Nicolas Winding Refn
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2009
  • Darsteller:

    Tom Hardy (Charles Bronson/Mike Peterson), Matt King (Paul), Kelly Adams (Irene), Katy Barker (Julie), Edward Bennett-Coles (Brian), Amanda Burton (Mum), William Darke (Mike mit 13), Andrew Forbes (Joe Peterson), James Lance (Phil), Juliet Oldfield (Alison), Hugh Ross (Onkel Jack), Joe Tucker (John White)


Vorwort

Mike Peterson wächst in den frühen 70ern in England auf – „keine gute Zeit, um in England jung zu sein“, wie er anführt, selbst wenn man gerade noch eben so zur Mittelklasse gehört. Er heiratet früh und zieht mit Frau und Baby in eine schäbige Wohnung. Geld ist Mangelware, also überfällt er ein Postamt. Die Beute: 26,18 Pfund. Die Konsequenz: sieben Jahre Knast. „Vier bei guter Führung“, meint die liebende Mama, aber gute Führung ist so ziemlich das allerletzte, woran Mike denkt. Durch brutale Prügeleien, Geiselnahmen und Dachbesetzungen summiert sich das Strafmaß auf über 20 Jahre, und den größten Teil davon verbringt Mike in Einzelhaft. Irgendwann, nach einer Odyssee durch die britischen Knäste („meine Hotelzimmer“, meint Mike) gibt der Strafvollzug auf, erklärt Mike für offiziell irre, schiebt ihn in eine Klapsmühle ab und pumpt ihn mit Psychopharmaka voll. Aber auch das bringt den Agressionstrieb des „gewalttätigsten Gefangenen Britanniens“ nicht zum Erliegen. Er versucht, einen Mitpatienten zu ermorden und dadurch einen neuen Strafprozess zu erreichen. Fehlschlag – nun wandert er in eine Anstalt für die „kriminell Bekloppten“. Doch auch dort wird Mike nicht befriedet. Man kapituliert behördlicherseits, erklärt Mike für gesund und lässt ihn frei. Da ihn bei seinen spießigen Eltern, die ihn wieder aufnehmen, nichts hält, zieht er zu seinem Onkel Jack, der ein Freudenhaus betreibt, und gerät über einen ehemaligen Mitgefangenen in die Welt des „bareknuckle boxing“ – für die er sich den Kampfnamen „Charles Bronson“ zulegt. Bronson verliebt sich in eins von Onkel Jacks Pferdchen und klaut für sie einen sündhaft teuren Ring. Nur ist die Gute schon anderweitig im Wort und für Charles geht die Reise zurück in den Knast – wo er seine künstlerische Ader entdeckt…


Inhalt

Das FFF ist bekanntlich eine Wundertüte, und wenn man wie ich seine Karten bucht, bevor man *wirklich* solide Informationen über die Filme, die über lose Plotbeschreibungen hinausgehen, hat, und dann bis zum Festivalbeginn natürlich längst vergessen hat, was man sich eigentlich ansieht, feiert man so manches Aha-Erlebnis. „Bronson“ ist die (frei interpretierte) Lebensgeschichte des realen Mike Peterson alias Charles Bronson, der in der Tat im Ruf steht, des Vereinten Königreichs „most violent prisoners“ zu sein und der über 30 seiner 34 Knastjahre in Einzelhaft verbracht hat (und dessen persönlicher Rekord an „Tagen in Freiheit“ seit seiner ersten Verurteilung bei 69 steht). Wenn Regisseur des Ganzen aber Nicolas Winding Refn, dänischer Mastermind der „Pusher“-Trilogie, ist, liegt nahe, dass wir es nicht mit einem ordinären Biopic zu tun haben…

Refn tut allerdings viel dafür, um „Bronson“ möglichst deutlich von den „Pusher“-Streifen abzugrenzen – statt semi-dokumentarischem handheld-cam-Look spendiert er „Bronson“ viel Arthouse-Flair, speziell natürlich mit dem framing device, Bronson quasi als Conferencier in einem Theater (vor Publikum) durch sein Leben führen zu lassen, wobei die Titelfigur dabei unterschiedlichstes Clowns-Make-up trägt oder mal, zur „Hälfte“ als Frau gestyled, einen Dialog mit sich selbst führt. Gewöhnungsbedürftig, fraglos, aber kein schlechtes Mittel, um die Monologe Bronsons anstelle gewöhnlichen voice-over-Kommentars quasi als „poetischen“ Kontrapunkt zu seinen gewalttätigen Knast-Eskapaden zu setzen (auch im Sinne des echten Bronsons, der dem Vernehmen nach stolz wie Oskar auf den Film ist und im real life tatsächlich Ambitionen im Bereich der Poesie hat – mittlerweile veröffenlichte Bronson – neben einem Fitness-Workout-Programm – elf Bücher). Auch die Optik des Bronson-Charakters selbst ist sowohl im direkten Vergleich zum echten Bronson als auch künstlerisch stimmig; Tom Hardy als Bronson ähnelt verdächtig einem Zirkus-Kraftmenschen (nur original mit dem sich zwirbelnden Schnauzbart) – da Bronson vor seiner ersten Verurteilung als Zirkus-Kraftmensch arbeitete (was in der filmischen Bearbeitung allerdings ausgelassen wird), ist das ideales „Film-Steno“, um sowohl einen nicht angesprochenen Lebensabschnitt des vorgestellten Menschen zu bestätigen als auch das filmische Mittel, sein Leben praktisch als Zirkus- oder Vaudeville-Akt nachzustellen, zu unterstützen. Es wird nicht jedem gefallen, besonders natürlich denjenigen, die auf eine authentische harte Gangsterbiographie gehofft haben, jedoch ist es eine gute Metapher für den realen Zirkus, den die britischen Strafvollzugsbehörden in ihrer Ratlosigkeit um ihren „Lieblingsgefangenen“ machten.

Die Story selbst kann man – da es sich um eine zwar stilisierte, aber dennoch in den wichtigsten Eckpunkten reale Lebensgeschichte handelt – kaum kritisieren. Dramaturgisch leidet „Bronson“ etwas darunter, dass der Schlussakt mit Bronsons langsam wachsenden Verständnis für die Kunst sich ein wenig zäh gestaltet und zur Enttäuschung der Prügelfans Bronsons kurze Karriere in illegalen Boxkämpfen mit einem Fight und einer Montage (in der Bronson es auch mal mit einem Kampfhund aufnehmen darf) abgehandelt wird. Da hätte es sich vielleicht angeboten, zumindest die Kunst-Geschichte – da der Streifen aufgrund seiner Konzeption nicht zwanghaft mit einem chronologischen Narrative (an dem er sich aber in seiner vorliegenden Form orientiert) verheiratet wäre, hätte es da Möglichkeiten gegeben, die Geschichte non-linear zu erzählen – wäre vielleicht auch dem Verständnis der Figur Bronson entgegengekommen, seine „sanfte“ Seite nicht erst kennenzulernen, wenn wir ihn praktisch eine Stunde lang nur als notorischen Schläger, der scheinbar aus reinem Spaß an der Freud Gefängniswärter provoziert (seine Forderungen bei Geiselnahmen, exemplarisch zum Filmschluss angeführt, waren meist von der eher bewusst-unsinnigen Art) und sich gern zu Brei schlagen lässt, vorgeführt bekommen haben. Die Psychologie kommt eh ein wenig zu kurz – *warum* genau aus dem Gelegenheitskriminellen Mike Peterson der Einzelhaftrekordhalter Bronson wird, bleibt vage. Klar steht die Interpretationsmöglichkeit im Raum, dass erst der eher nicht auf Resozialisierung ausgerichtete britische Strafvollzug (speziell in den 70ern und 80ern) aus einem Kleinganoven erst den brutalen Schläger gemacht hat, aber wirklich unterfüttert wird das nicht. Aber „Bronson“ ist auch sicher nicht (in erster Linie) als Kritik an den fragwürdigeren Umständen des britischen Justizsystems konzipiert (okay, es stellt sich in gewisser Weise tatsächlich die Frage, als *was* zum Geier „Bronson“ wirklich konzipiert ist, aber das weiß vermutlich nur Refn).

Im Vergleich zu seinen minimalistisch-naturalistischen „Pusher“-Filmen experimentiert Refn hier mit Splitscreens, der Verwendung echter Archivaufnahmen für ein paar nicht ausführlich abgehandelte Plotpunkte, episodischem Storytelling und dem Versuch, einer sicherlich nicht *lustigen* Geschichte das Gewand einer Komödie zu geben (speziell durch die Rahmenhandlung und den gelegentlich eingesetzten off-screen-voice-over). Die Prügelszenen sind rauh und dreckig, ohne übermäßig explizit zu werden (ich denke aber doch beinahe, dass es aufgrund der im Kontrast zur vorgeblich humorigen Erzähleweise insgesamt doch ziemlich depressiven Atmosphäre – und full-frontal male nudity, ähem – nicht unter einer KJ abgehen wird. Nix für Weicheier). Manch Kritiker hat sich zu „Uhrwerk Orange“-Vergleichen genötigt gefühlt – nicht *ganz* von der Hand zu weisen, da prinzipiell das Thema ähnlich ist; es geht um den letztlich vergeblichen Versuch, einem „geborenen“ Schläger, der kloppt und prügelt, WEIL er kloppt und prügelt, „umzuerziehen“, aber „Bronson“ ist einerseits wesentlich weniger, äh, metaphysisch als das Kubrick-Werk, andererseits wieder deutlich stilisierter, artifizieller. Klingt nach einem Widerspruch, ist’s vermutlich aber auch, kann von mir aber nicht anders ausgedrückt werden. Wenn Ihr das aufdröseln wollt, müsst Ihr Euch den Streifen wohl oder übel selbst ankucken.

Was sich schon allein aufgrund einer grandiosen Performance von Tom Hardy lohnt. Hardy, mir bislang in Werken wie Minotaur, „W Delta Z“, „Layer Cake“ oder „RockNRolla“ nicht unbedingt aufgefallen (und, ich glaub’s kaum, das ist tatsächlich der Typ, der den luschigen Shinzon in „Star Trek Nemesis“ gespielt hat. Un-fuckin’believable, das kann nicht der Gleiche sein), legt hier eine breakout-Vorstellung hin. „Bronson“ steht und fällt notwendigerweise mit seinem Hauptdarsteller, und Hardy reißt den Film dann auch wirklich mit aller Macht an sich, ist charismatisch, in den Conferencen beinahe charmant, in den „biopic“-Szenen eine harte Sau, physisch in Schuss und ohne Scheu, sich in jeder Hinsicht in den Dienst des Films zu stellen. Monumentale Leistung. Da bleiben für die eh meist nur mit Kurzauftritten abgespeisten Nebendarsteller, die sich aber allesamt wacker schlagen, nur Krumen übrig.

Fazit: „Bronson“ ist ein ungewöhnlicher, schräger Film, der es ziemlich schwer haben dürfte, ein breites Publikum zu finden, dafür ist er trotz der zumindest im UK galoppierenden Publicity (wo die Premiere einen kleinen Justizskandal auslöste, weil eine Grußbotschaft vom echten Bronson eingespielt wurde, und unautorisierte Ton- und Bildaufnahmen von Gefangenen sind in Großbritannien ein großes no-no) einfach zu experimentiell – selbst Fans der „Pusher“-Trilogie dürften nicht auf Anhieb Zugang finden. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, Refns Bizarro-Biopic auf sich wirken zu lassen, schon allein wegen Hardys sensationeller Vorstellung. Schwierig, sperrig, nicht gerade unanstrengend, aber wer für das Außergewöhnliche, abseits vom Mainstream (und sicherlich auch abseits des Arthouse-„Mainstreams“) Angesiedelte, ein Faible hat, könnte hier, um den Bogen zum ersten Satz dieses Reviews zu schließen, ein echtes Aha-Erlebnis feiern. Achtung, die Wertung ist schwer subjektiv – ich bin mir sicher, der Streifen wird stark polarisieren.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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